Holomorphe Funktionen auf einer offenen Menge von sind komplex-differenzierbar. Wie „differenziert“ man eine holomorphe Funktionauf einer riemannschen Fläche? NachLemma 3.2ist für jede Kartemitundoffen die Funktion holomorph auf und somit ist für einen Punktdie Ableitung eine wohldefinierte komplexe Zahl. Diese hängt aber wesentlich von der gewählten Karte ab. Um ein wohlbestimmtes Differenzierbarkeitskonzept für komplexe Mannigfaltigkeiten zu entwickeln, muss man einen anderen Weg gehen. Wir rekapitulieren ohne Beweise die Konstruktion des reellen Tangentialraumes für eine reell-differenzierbare Mannigfaltigkeit mit der Hilfe von tangentialen Kurven und führen dann für eine komplexe Mannigfaltigkeit die entsprechende Konstruktion mit holomorphen Kurven durch, die den komplexen Tangentialraum ergibt, der auf dem zugrunde liegenden reellen Tangentialraum einfach eine zusätzliche komplexe Struktur ergibt.
Es sei einedifferenzierbare Mannigfaltigkeitund ein Punkt. Es seien
und
zwei auf offenen Intervallendefiniertedifferenzierbare Kurvenmit.Dann heißen und tangential äquivalent in , wenn es eine offene Umgebungund eine Karte
mitderart gibt, dass
gilt.
Wir brauchen einige einfache Lemmata, um nachzuweisen, dass es sich hierbei um einen sinnvollen Begriff handelt.
Es sei einedifferenzierbare Mannigfaltigkeitund ein Punkt. Es seien
und
zwei auf offenen Intervallendefiniertedifferenzierbare Kurvenmit.
Dann sind und genau danntangential äquivalentin , wenn für jedeKarte
mitunddie Gleichheit
gilt.
Es sei einedifferenzierbare Mannigfaltigkeitund ein Punkt.
Dann ist dietangentiale Äquivalenzvondifferenzierbaren Kurvendurch eineÄquivalenzrelation.
Aufgrund dieses Lemmas ist die folgende Definition sinnvoll.
Es sei einedifferenzierbare Mannigfaltigkeitund ein Punkt. Unter einem Tangentialvektor an versteht man eineÄquivalenzklassevontangential äquivalentendifferenzierbaren Kurvendurch . Die Menge dieser Tangentialvektoren wird mit
bezeichnet.
Es sei einedifferenzierbare Mannigfaltigkeit,ein Punkt,offenund
eineKarte. Dann gelten folgende Aussagen.
ist eine wohldefinierte Bijektion.
Es sei einedifferenzierbare Mannigfaltigkeitund ein Punkt. Unter dem Tangentialraum an , geschrieben , versteht man die Menge derTangentialvektorenan versehen mit der durch eine beliebigeKartegegebenen reellenVektorraumstruktur.
Die Dimension des Tangentialraumes stimmt mit der Dimension der Mannigfaltigkeit überein. Jede Karte induziert einen Isomorphismus zwischen und dem , aber diese Isomorphismen hängen von der gewählten Karte ab. Insbesondere gibt es auf dem Tangentialraum keine Standardbasis.
Da eine komplexe Mannigfaltigkeit der komplexen Dimension insbesondere eine reell-differenzierbare Mannigfaltigkeit der reellen Dimension ist, gibt es auf ihr zu jedem Punkt einen wohldefinierten reellen Tangentialraum der Dimension . Wir möchten zeigen, dass dieser in kanonischer Weise auch ein komplexer Vektorraum der komplexen Dimension ist. Dazu werden wir zuerst die reelle Konstruktion mit holomorphen Kurven nachbilden und dann den so entstandenen komplexen Tangentialraum mit dem reellen Tangentialraum identifizieren. Für komplexe Mannigfaltigkeiten definiert man holomorphe Abbildungen wie im Fall von riemannschen Flächen unter Bezug auf Karten. Eine holomorphe Kurve auf ist einfach eine holomorphe Abbildung,die auf einer offenen Kreisscheibedefiniert ist. Die Holomorphie bezieht sich auf Karten von . Da die folgenden Überlegungen lokal sind, kann man die Kreisscheiben verkleinern und dann annehmen, dass die holomorphe Kurve ganz in einem Kartengebiet landet.
Es sei einekomplexe Mannigfaltigkeitundein Punkt. Es seien
und
zwei auf offenen Bällendefinierteholomorphe Kurvenmit.Dann heißen und tangential äquivalent in , wenn es eine offene Umgebungund eine Karte
mitderart gibt, dass
gilt.
Wir brauchen einige einfache Lemmata, um nachzuweisen, dass es sich hierbei um einen sinnvollen Begriff handelt.
Es sei eine komplexe Mannigfaltigkeitundein Punkt. Es seien
und
zwei auf offenen Bällendefinierteholomorphe Kurvenmit.
Dann sind und genau danntangential äquivalentin , wenn für jedeKarte
mitunddie Gleichheit
gilt.
Für eineholomorphe Kurve
mitundund eine Karte
(mitund)ändert sich der Ausdruck
nicht, wenn man zu einem kleineren offenen Ball und einer kleineren offenen Menge(mit der induzierten Karte)übergeht. Wir können also davon ausgehen, dass und auf dem gleichen offenen Ball definiert sind und ihre Bilder in liegen, und dass es für dieses zwei Karten
und
gibt. Dann folgt aus
nachder Kettenregelunter Verwendung der komplexen Differenzierbarkeit derÜbergangsabbildung sofort
Es sei einekomplexe Mannigfaltigkeitundein Punkt.
Dann ist dietangentiale Äquivalenzvonholomorphen Kurvendurch eineÄquivalenzrelation.
Die Reflexiviät und die Symmetrie der Relation sind unmittelbar klar. Zum Nachweis der Transitivität seien dreiholomorphe Kurven
gegeben, wobei wir sofort annehmen dürfen, dass sie auf dem gleichen offenen Balldefiniert sind. Es seienoffene Mengen, mit denen man die tangentiale Gleichheit von und bzw. von und nachweisen kann. Dann kann man nachLemma 4.8mitdie tangentiale Gleichheit von und nachweisen.
Aufgrund dieses Lemmas ist die folgende Definition sinnvoll.
Es sei eine komplexe Mannigfaltigkeitundein Punkt. Unter einem Tangentialvektor an versteht man eineÄquivalenzklassevontangential äquivalentenholomorphen Kurvendurch . Die Menge dieser Tangentialvektoren wird mit
bezeichnet.
Es sei eine komplexe Mannigfaltigkeit,ein Punkt undeine Karte. Dann gelten folgende Aussagen.
ist eine wohldefinierte Bijektion.
(1). Die Wohldefiniertheit der Abbildung ist wegenLemma 4.8klar. Die Injektivitätfolgt unmittelbar aus derDefinition 4.7.Zur Surjektivitätsei.Wir betrachten dieaffin-lineare Kurve
dessenAbleitungin gerade ist. Wir schränken diese Kurve auf einen Ballderart ein, dassist und betrachten
Für diese Kurve gilt
und
(2). Durch Übergang zu kleineren offenen Mengen können wir annehmen, dass zwei Karten
und
vorliegen. DieÜbergangsabbildung
istbiholomorphund für ihrtotales Differentialin gilt nachder Kettenregeldie Beziehung
Das bedeutet, dass das Diagramm
wobei vertikal das totale Differential zu steht, kommutiert. Da das totale Differential eine lineare Abbildungist, die in der gegebenen Situation bijektiv ist, macht es keinen Unterschied, ob man die Addition und die Skalarmultiplikation auf unter Bezug auf die obere oder die untere horizontale Abbildung definiert.
Es sei eine komplexe Mannigfaltigkeitund ein Punkt. Unter dem Tangentialraum an , geschrieben , versteht man die Menge derTangentialvektorenan versehen mit der durch eine beliebigeKartegegebenen komplexenVektorraumstruktur.
Die Dimension des Tangentialraumes als komplexer Vektorraum stimmt mit der komplexen Dimension der Mannigfaltigkeit überein. Jede Karte induziert einen Isomorphismus zwischen und dem , aber diese Isomorphismen hängen von der gewählten Karte ab. Insbesondere gibt es auf dem Tangentialraum keine Standardbasis.
Es sei einekomplexe Mannigfaltigkeitundein Punkt.
Dann gibt es eine natürliche Identifizierung zwischen dem komplexen Tangentialraum und demTangentialraumin von alsdifferenzierbare Mannigfaltigkeit.
Wir schreiben und für den komplexen bzw. den reellen Tangentialraum. Dabei ist ein komplexer Vektorraum der komplexen Dimension , wobei die komplexe Dimension der komplexen Mannigfaltigkeit ist. Damit ist insbesondere ein reeller Vektorraum der reellen Dimension . Da als reelle differenzierbare Mannigfaltigkeit die Dimension besitzt, hat auch die reelle Dimension . Wir betrachten die Abbildung
die einem holomorphen Tangentialvektor,der durch eineholomorphe Kurvemitundrepräsentiert wird, den reellen Tangentialvektorzuordnet, der durch den reellen differenzierbaren Weg repräsentiert wird. Diese Abbildung ist wohldefiniert und-linear.Zum Nachweis der Bijektivität betrachten wir zu einer Kartedas Diagramm
wobei die horizontalen Abbildungen die Bijektionen ausLemma 4.5bzw.Lemma 4.11sind. Wegen
ist das Diagramm kommutativ, daher ist die linke vertikale Abbildung ein reeller Isomorphismus.
Es sei einekomplexe Mannigfaltigkeit.Dann nennt man die Menge
versehen mit der Projektionsabbildung
das Tangentialbündel von .
Es sei einekomplexe MannigfaltigkeitderDimension und
dasTangentialbündel,versehen mit der Projektionsabbildung
Das Tangentialbündel wird mit derjenigenTopologieversehen, bei der eine Teilmengegenau dann offenist, wenn für jede Karte
die Menge offen in ist.
Das Tangentialbündel zu einer offenen Mengeist einfach mit der Produkttopologie. Zu einer offenen Mengeisteine offene Teilmenge. Wenn eine Kartevorliegt, so liegt ein kommutatives Diagramm
vor, wobei die obere horizontale Abbildung für jeden Punktder natürliche Isomorphismusist. Diese Abbildungen kann man wiederum als Karten für nehmen und erhält dadurch auf dem Tangentialbündel die Struktur einer komplexen Mannigfaltigkeit der Dimension .
Dies beruht im Wesentlichen darauf, dass zu einer bijektiven-linearen Abbildungauf einem endlichdimensionalen komplexen Vektorraum die zugrunde liegende reell-lineare Abbildung nachAufgabe 4.7eine positive Determinantebesitzt.
<< | Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022) | >> |
---|