Vietnamesen In Deutschland

Die Vietnamesen in Deutschland (auch Deutschvietnamesen, vietnamesisch Người Việt tại Đức) sind eine zahlenmäßig kleine Zuwanderergruppe in der Bundesrepublik.

Überblick

Ende des Jahres 2009 lebten knapp 85.000 vietnamesische Staatsbürger in Deutschland. Hinzu kommen die zahlenmäßig nicht genau bekannten Gruppen, die die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben und die, welche sich illegal in Deutschland aufhalten. Insgesamt wird von etwa 188.000 Menschen vietnamesischer Abstammung in Deutschland ausgegangen. Die Zahl der Vietnamesen, die die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben, wird auf über 40.000 geschätzt. Laut Statistischem Bundesamt lebten im Jahr 2022 etwa 207.000 Vietnamesen und Deutsche vietnamesischer Abstammung in Deutschland.

Die vietnamesische Gemeinschaft in Deutschland ist nicht isoliert, sondern u. a. durch europäische Binnenmigration mit den Vietnamesen in Tschechien und Polen stark verbunden. Ursache dafür ist vor allem die deutsche Rückführungspolitik in den neunziger Jahren, im Rahmen derer viele Vietnamesen nach Tschechien und Polen zogen.

Bei dem Mordanschlag von Hamburg-Billbrook (1980), den Ausschreitungen in Hoyerswerda (1991) und den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen (1992) wurden in Deutschland lebende Vietnamesen Opfer von rechtsextremistisch motivierter Gewalt.

Geschichte

Vietnamesen in der alten Bundesrepublik Deutschland

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Gedenkstein in Hamburg mit Danksagung der vietnamesischen Flüchtlinge an die Organisation Cap Anamur/Deutsche Not-Ärzte

Größere Gruppen vietnamesischer Zuwanderer kamen ab den 1970er Jahren in die BRD, als sich die Bundesregierung bereit erklärt hatte, im Anschluss an die erste Indochina-Flüchtlingskonferenz des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) im Juli 1979 vietnamesische Flüchtlinge (darunter viele Boatpeople) aufzunehmen. Das Kontingent für die Flüchtlinge wurde sukzessive auf rund 38.000 Personen aufgestockt. Ebenso wurden einige Hundert vietnamesische Kinder (zumeist Kriegswaisen) von westdeutschen Familien adoptiert.

Vietnamesen in der DDR

In den 1950er Jahren wurden über einen Freundschaftsvertrag Studenten aus Nordvietnam an die Hochschulen und Universitäten der DDR eingeladen. Sie konnten hier ein Diplom oder auch einen Doktorgrad erwerben. Ein Daueraufenthalt in der DDR war dagegen nicht vorgesehen, als besondere Maßnahme mussten die Studenten etwa ein bis zwei Jahre vor dem Abschluss nach Vietnam zurückkehren, dort heiraten und Kinder bekommen. Erst dann durften sie an den Bildungseinrichtungen die Abschlussprüfungen ablegen. Damit sicherte die vietnamesische Regierung den Verbleib von Fachkräften in ihrem Land.

Anfang der 1970er Jahre schloss die DDR-Regierung mit den sozialistischen Bruderländern Vietnam, Polen, Ungarn und Mosambik Verträge zum Einsatz sogenannter Vertragsarbeiter aus den genannten Ländern, um die Binnenwirtschaft mit Arbeitskräften abzusichern.

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Vietnamesischer Vertragsarbeiter in Erfurt, 1989
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Vietnamesische Näherinnen in Rostock, 1990

Den in Gruppen anreisenden meist ungelernten Kräften wurden in den DDR-Bezirken eigene Quartiere errichtet; so entstand in Berlin-Lichtenberg in der Rhinstraße ein komplettes Wohnviertel, in Berlin-Marzahn stand das Neubau-Wohnheim in der Rabensteiner Straße bereit, in Rostock wuchs der Ortsteil Rostock-Lichtenhagen und auch in den südlichen Bezirken bekamen die Vertragsarbeiter ihre eigenen Wohnviertel. Sie besuchten in den Städten Deutschkurse, konnten sich aber auch als Facharbeiter ausbilden lassen. In den Wohnvierteln etablierte sich eine Art Schattenwirtschaft, denn geschäftstüchtige Vietnamesen fertigten gefragte Jeans oder andere Kleidungsstücke, die im normalen Angebot der DDR knapp waren und verdienten sich so ein ansehnliches Zubrot.

Nach dem Ende des Vietnamkriegs, der Wiedervereinigung von Nord- und Südvietnam und der Gründung der Sozialistischen Republik Vietnam wurden schließlich auch Menschen aus ganz Vietnam in die DDR eingeladen, die damals als besonders fortschrittlicher sozialistischer Staat galt.

Bis 1989 hatten schließlich mehr als 100.000 Vietnamesen permanent oder zeitweise in der DDR studiert, gelebt oder gearbeitet, insbesondere in Ost-Berlin, Rostock, Erfurt, Jena, Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), Leipzig und Dresden. Zugleich erreichte die Zahl der dauerhaft in der DDR lebenden Vietnamesen fast 60.000. Bis zu diesem Zeitpunkt waren nach Westdeutschland ebenfalls zwischen 30.000 und 40.000 Menschen aus Vietnam eingewandert.

Nach der deutschen Wiedervereinigung

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Regionale Verteilung der vietnamesischen Staatsbürger 2021

Ab dem Jahr 1990 stieg die Zahl der Menschen ohne Arbeit in den neu gegründeten ostdeutschen Bundesländern rasant an, darunter viele vietnamesische Vertragsarbeiter. Eine größere Personengruppe kehrte nach Vietnam zurück, entweder ganz freiwillig oder mithilfe einer kleinen vom jeweiligen Betrieb gezahlten Entschädigung.

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Vietnamesischer Student, Geige spielend - Er spielt um sein Studium fortsetzen zu können. Nur mit den bis zu 30 DM, die am Tag zusammenkommen, kann er sich über Wasser halten. (Berlin, Oktober 1990)

Unter den in Deutschland verbleibenden Menschen war die Arbeitslosigkeit hoch, so dass sie sich nach anderen Verdienstmöglichkeiten umsahen. Sie machten sich zu großen Teilen selbstständig, häufig mit kleinen Blumengeschäften oder Dienstleistungen wie Nähen oder Waschen. Auch der illegale Verkauf von im Ausland billig produzierten Zigaretten erwies sich als lukrativ, führte aber auch immer wieder zu einer Art Bandenkrieg um die besten Standorte.

Die nach dem Mauerfall wieder erstarkenden faschistischen und rassistischen Strömungen in der Deutschen Gesellschaft und vor allem sich zusammenschließende, organisierte Neonazi-Gruppierungen, stellten eine zunehmende Gefahr für die ehemaligen Vertragsarbeiter dar, welche in den Pogromen von Rostock-Lichtenhagen und weiteren Anschlägen gipfelten. Anstatt sich dem innergesellschaftlichen Problem des Faschismus und wieder erstarkendem Rassismus zu widmen, entschied die Bundesregierung, den in Deutschland lebenden Vietnamesen anzubieten, die Kosten für eine Rückreise in ihre Heimat zu übernehmen. Der Großteil von ihnen entschied sich jedoch für das Bleiben. Auch nach der Wiedervereinigung setzte sich die Einwanderung aus Vietnam nach Deutschland fort. Nun blieben sie nicht mehr in ihren Wohnvierteln, sondern suchten sich eigene Wohnungen und arbeiteten voll auf ihre Integration hin. So werden in den 2010er Jahren Vietnamesen häufig als eine der am besten integrierte Einwanderer-Gruppe in Deutschland beschrieben. Seit Jahren gehört Vietnam auch zu den zehn Ländern mit der höchsten Anzahl an Asylbewerbern in Deutschland. Viele von ihnen legen Wert auf gute Bildung; Kinder vietnamesischer Familien sind häufig sehr gute Schüler. Vietnamesische Schüler sind in Deutschland sogar erfolgreicher als deutsche Schüler. 2011 besuchten etwa 59 Prozent der vietnamesischen Schüler ein Gymnasium, während es bei deutschen Kindern nur 43 Prozent waren. Vietnamesische Schüler haben in deutschen Schulen Erfolg, obwohl die Familien teilweise in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen leben. Auch widerlegt ihr Bildungserfolg die These, dass Migranteneltern selbst integriert sein müssen, damit der Nachwuchs in der Schule zurechtkommt.

Größere vietnamesische Gemeinden finden sich außer im ehemaligen Ostdeutschland auch in München und Hannover.

Statistische Auswertungen des weltweiten Bargeldtransfers zeigen zwischen Vietnam und Deutschland neuerdings eine Wende. So profitieren inzwischen in Deutschland lebende Vietnamesen und deren Nachkommen sogar von Zuwendungen aus der alten Heimat aufgrund der dortigen wirtschaftlichen Entwicklung in Folge der von ihnen früher geleisteten Unterstützungen an ihre Verwandten.

Vietnamesen in Berlin

Vietnamstämmige sind in Berlin die größte südostasiatische Gemeinde und machen 1,16 Prozent der Einwohner der Stadt aus. Gebiete mit signifikantem Bevölkerungsanteil sind vor allem die Bezirke Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf, wo mindestens 3.800 Personen vietnamesischer Herkunft leben.

Insgesamt sind 12.814 von ihnen in Vietnam geboren und haben die vietnamesische Staatsbürgerschaft (Stand vom Jahr 2009), 20.000 haben die deutsche Staatsbürgerschaft oder sind in Berlin geboren; es gibt auch eine unbekannte Anzahl an illegalen Einwanderern, häufig aus ländlichen Gebieten. Die Gesamtzahl liegt bei 20.000 (0,6 Prozent der Gesamtbevölkerung).

Zur gegenseitigen Hilfe und Unterstützung der Berliner Vietnamesen hat sich der Verein Reistrommel gegründet.

Zudem organisiert der Verein Medizinische Hilfe für Vietnam jährlich einen einmonatigen Flohmarkt am Rathaus Zehlendorf, um zwei Waisenhäuser in Vietnam zu unterstützen.

Bekannte Menschen vietnamesischer Abstammung in Deutschland

Religion

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Viên Giác Pagode, vietnamesisch-buddhistisches Glaubenszentrum in Hannover

Die Mehrheit der Deutschvietnamesen bekennt sich heute zum Mahayana-Buddhismus, es gibt jedoch auch kleinere christlich-katholische und atheistische bzw. agnostische Minderheiten. Für die vietnamesischen Buddhisten in Deutschland wurde im Jahr 1991 in Hannover die Pagode Viên Giác, eine der größten Pagoden in Europa, eröffnet (siehe Einleitungsbild).

In Deutschland existieren inzwischen zwölf vietnamesisch-buddhistische Pagoden (Chùa) (Stand: 4. September 2023):

Siehe auch

Literatur

  • Martin Baumann: Migration – Religion – Integration: Buddhistische Vietnamesen und hinduistische Tamilen in Deutschland. Diagonal, Marburg 2000, ISBN 3-927165-67-0.
  • Uta Beth, Anja Tuckermann: Heimat ist da, wo man verstanden wird: Junge VietnamesInnen in Deutschland. Archiv der Jugendkulturen, Berlin 2008, ISBN 978-3-940213-43-3.
  • Olaf Beuchling: Vom Bootsflüchtling zum Bundesbürger. Migration, Integration und schulischer Erfolg in einer vietnamesischen Exilgemeinschaft. Waxmann, Münster 2003, ISBN 3-8309-1278-1.
  • Olaf Beuchling: Vietnamesische Flüchtlinge in West-, Mittel- und Nordeuropa seit den 1970er Jahren. In: Klaus J. Bade, Pieter C. Emmer, Leo Lucassen, Jochen Oltmer (Hrsg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Schöningh/ Fink, Paderborn/ München 2008, ISBN 978-3-506-75632-9, S. 1072–1076.
  • Kien Nghi Ha (Hrsg.): Asiatische Deutsche – Vietnamesische Diaspora and Beyond. Assoziation A, Berlin 2012, ISBN 978-3-86241-409-3.
  • Loc Ho: Vietnamesischer Buddhismus in Deutschland: Darstellung der Geschichte und Institutionalisierung. Vietnamesisch-Buddhistisches Sozio-Kulturzentrum, Hannover 1999.
  • Andreas Margara: Geteiltes Land, geteiltes Leid. Geschichte der deutsch-vietnamesischen Beziehungen von 1945 bis zur Gegenwart, Berlin 2022, ISBN 978-3-947729-62-3
  • Bao Trang Ngo: Integration der Vietnamesen in Ostdeutschland: Deutsche und vietnamesische Sichtweisen in qualitativen Interviews. Westsächsische Hochschule Zwickau, Fakultät Angewandte Sprachen und Interkulturelle Kommunikation, Zwickau 2021 (ZwIKSprache; 4), ISBN 978-3-946409-05-2; doi:10.34806/x4gd-gm78.
  • Antonie Schmiz: Transnationalität als Ressource? Netzwerke vietnamesischer Migrantinnen und Migranten zwischen Berlin und Vietnam. Transcript, Bielefeld 2011, ISBN 978-3-8376-1765-8.
  • Karin Weiss, Mike Dennis (Hrsg.): Erfolg in der Nische?: Die Vietnamesen in der DDR und in Ostdeutschland. Lit, Berlin 2005, ISBN 3-8258-8779-0.

Hörfunkberichte

Commons: Vietnamesen in Deutschland – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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