Reiner Kunze (* 16.
August">16. August 1933 in Oelsnitz/Erzgeb.) ist ein deutscher Schriftsteller, literarischer Übersetzer und DDR-Dissident.
Reiner Kunze ist der Sohn Jakob Medingers, der Bergarbeiter war, und einer Kettlerin, die als Heimarbeiterin in der Strumpfindustrie arbeitete. Ab 1947 besuchte er eine Aufbauklasse, die Arbeiterkindern eine höhere Schulbildung ermöglichte. Zwei Jahre später wurde er vom Rektor seiner Schule als Kandidat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und damit zur Aufnahme vorgeschlagen, die 1949 auch stattfand. 1951 legte er in Stollberg das Abitur ab.
In Stollberg lernte er 1950 Ingeborg Weinhold kennen, die er 1954 heiratete. Aus dieser Ehe ging der Sohn Ludwig hervor. Die Ehe wurde im Jahr 1960 geschieden.
Kunze studierte Philosophie und Journalistik an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Nach dem Staatsexamen 1955 arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent und Doktorand an der Journalistischen Fakultät der Karl-Marx-Universität (auch als „Rotes Kloster“ bezeichnet) in Leipzig. Nach schweren politischen Auseinandersetzungen kündigte Kunze 1959 seine Stelle an der Universität, ohne seine Dissertation zu beenden. Nachdem er die Universität verlassen hatte, arbeitete er vorübergehend als Hilfsschlosser im Schwermaschinenbau.
Seine ersten Gedichte veröffentlichte Kunze 1953 in der Zeitschrift neue deutsche literatur. Zunächst orientierte sich er am sozialistischen Realismus, später begann er, sich zunehmend von den Vorstellungen der SED zu distanzieren. Sein erster Lyrikband erschien unter dem Titel Vögel über dem Tau.
1961 lernte Kunze die aus einem deutsch-tschechischen Elternhaus stammende Ärztin Elisabeth Littnerová kennen, nach langer Zeit des Briefeschreibens auch persönlich. Sie heirateten und 1962 siedelte Elisabeth Kunze von der Tschechoslowakei in die DDR über, wo sie in Greiz/Thüringen als Kieferorthopädin zu arbeiten begann. Aus erster Ehe brachte Elisabeth die Tochter Marcela mit.
Reiner Kunze arbeitete in dieser Zeit als freier Schriftsteller in Greiz und in einem nur 15 km entfernten Bauernhaus in Leiningen. Über seine Frau und bei längeren Aufenthalten in der Tschechoslowakei kam er in Kontakt mit tschechischen Künstlern, gewann Freunde unter ihnen und übersetzte später Werke von bisher über sechzig tschechischen und slowakischen Dichtern. Etlichen von ihnen, darunter dem poetisch einflussreichen Jan Skácel, ebnete der Dichterkollege als Übersetzer den Weg, auch in der deutschsprachigen Welt bekannt zu werden. 1968 trat Kunze aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Warschauer-Pakt-Truppen aus der SED aus. Als Folge davon legte das Ministerium für Staatssicherheit eine Akte unter dem Decknamen „Lyrik“ über ihn an, die bis zum Ende der DDR auf viele tausend Seiten anwuchs und die im Osten und im Westen gegen ihn angestrengten „Zersetzungsmaßnahmen“ dokumentiert.
Die Herausgabe des Gedichtbandes Sensible Wege – Achtundvierzig Gedichte und ein Zyklus stieß 1969 auf Widerstand im Politbüro der SED und im Schriftstellerverband der DDR. Für Kunze wurde es zunehmend schwieriger, seine Werke zu veröffentlichen. Sein Freund Heinz Knobloch konnte ihm – nicht ohne persönliches Risiko – bis 1974 kleine Aufträge für Rezensionen in der Wochenpost verschaffen. Dort erschienen von 1969 bis 1974 Rezensionen unter den Pseudonymen „Jan Kunz“ und „Alexander Ludwig“. Als 1970 in der Bundesrepublik Deutschland sein Kinderbuch Der Löwe Leopold: Fast Märchen, fast Geschichten erschien, wurde Kunze wie auch nach dem ebenfalls im Westen veröffentlichten Gedichtband sensible wege mit einem Ordnungsstrafverfahren belegt, und seine Autorenexemplare wurden beschlagnahmt.
1971 begann eine bis zur späteren Ausreise 1977 andauernde Freundschaft mit Ibrahim Böhme, dem damaligen Kreissekretär des Kulturbundes in Greiz und späteren Mitbegründer und Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei der DDR.
1976 wurde sein Prosaband Die wunderbaren Jahre in der Bundesrepublik veröffentlicht. Darin beschreibt Kunze in Momentaufnahmen den Alltag der DDR-Jugend, die zu Anpassung und Gehorsam erzogen wird, und kritisierte das DDR-System scharf. Das Manuskript war heimlich in die Bundesrepublik gebracht worden. Wegen seiner dissidierenden Haltung wurde Kunze am 29. Oktober 1976 in Weimar auf Beschluss des Bezirksverbandes Erfurt/Gera aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, was einem Berufsverbot gleichkam. Eine DDR-Ausgabe des Buches Der Löwe Leopold, die im selben Jahr erscheinen sollte, wurde nicht ausgeliefert, 15.000 verkaufsfertige Exemplare wurden eingestampft.
Am 7. April 1977 stellte Kunze wegen einer drohenden mehrjährigen Haftstrafe für sich und seine Frau einen Antrag auf Ausbürgerung aus der DDR. Der Antrag wurde innerhalb von drei Tagen genehmigt, und Kunze siedelte am 13. April mit seinen Angehörigen in die Bundesrepublik über.
1978 schrieb er das Drehbuch zu dem Film Die wunderbaren Jahre. 1981 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband nach der Übersiedlung in den Westen Deutschlands, Auf eigene Hoffnung.
1990 erhielt Kunze als einer der ersten Betroffenen Einblick in seine Stasi-Akten. Auszüge aus den Dokumenten, die zwölf Akten mit insgesamt rund 3.500 Blatt umfassten, veröffentlichte er in der Dokumentation „Deckname Lyrik“. Aus den Unterlagen ging hervor, dass sein Freund Ibrahim Böhme ein langjähriger Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen war. Die Dokumentation befeuerte die Diskussion über die Frage, ob die Stasi-Unterlagen frei einsehbar sein sollten.
Kunze ist ein Kritiker der Rechtschreibreform von 1996. Er unterzeichnete auf der Basis der Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform von 1996 im Jahre 2004 den Frankfurter Appell zur Rechtschreibreform. So wandte er sich in vielen Einzelbeiträgen (Lit.: u. a. FAZ) und in seiner Denkschrift Die Aura der Wörter gegen die Rechtschreibreform. Er trat auch öffentlich gegen die sogenannte geschlechtergerechte Sprache auf, die er mit einer Wortneuschöpfung „Sprachgenderismus“ nennt. In dieser Hinsicht wird Kunze 2018 in der Passauer Neuen Presse wie folgt zitiert: „Der Sprachgenderismus ist eine aggressive Ideologie, die sich gegen die deutsche Sprachkultur und das weltliterarische Erbe richtet, das aus dieser Kultur hervorgegangen ist.“
Reiner Kunze lebt seit seiner Übersiedelung in den Westen mit seiner Ehefrau in Erlau, Gemeinde Obernzell bei Passau.
Reiner Kunze ist Mitglied
Von 1975 bis 1993 war er Mitglied der (West-)Berliner Akademie der Künste, aus der er gemeinsam mit vielen Kollegen aus Protest gegen die En-bloc-Übernahme der Mitglieder der Akademie der Künste der DDR austrat.
Kunze ist Ehrenmitglied
Zu seinen Ehren stiftete Kunzes Geburtsort Oelsnitz einen Reiner-Kunze-Preis, der 2007 erstmals verliehen wurde.
Foto-Einzelausstellungen u. a. in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt a. M., Gotha, Judenburg, Landshut, Obernzell, Offenburg, Passau u. Würzburg.
Von Reiner Kunzes Lyrik und Prosa erschienen im europäischen und außereuropäischen Ausland (unter anderem in Argentinien, Brasilien, Japan, Korea und den USA) Übersetzungen in 30 Sprachen in über 60 Einzelausgaben.
2006 gründete das Ehepaar Kunze eine Stiftung, in die es sein Vermögen einbrachte. Nach dem Tod von Elisabeth und Reiner Kunze wird ein Stiftungsrat aus Literaturwissenschaftlern und Ausstellungsmachern das Wohnhaus in ein Museum umwandeln, das spätere Generationen beim Verständnis der jüngeren Geschichte Deutschlands unterstützen soll. In die Sammlung werden Briefe, Filmausschnitte, Fotos, Beschlagnahmungsbescheide, Stasi-Unterlagen und vieles mehr aus dem persönlichen Besitz Kunzes eingehen und in ihrer Summe ein „Bild von einem deutsch-deutschen Leben“ zeichnen.
Personendaten | |
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NAME | Kunze, Reiner |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Schriftsteller, literarischer Übersetzer und DDR-Dissident |
GEBURTSDATUM | 16. August 1933 |
GEBURTSORT | Oelsnitz/Erzgeb. |
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