Paradise Papers: Veröffentlichungen zu Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und Geldwäsche

Die Paradise Papers (deutsch Paradies-Papiere) sind ein Konvolut von ursprünglich vertraulichen Unterlagen der Anwaltskanzlei Appleby und des kleineren Treuhandunternehmens Asiaciti Trust, die 2016 der Süddeutschen Zeitung zugespielt wurden.

Die Unterlagen stellen in tausenden Fällen dar, wie von Milliardären weltweit und einigen der global größten Konzerne wie Apple, Facebook oder Nike mittels Geldwäsche und Verschleierung – unter anderem durch Gründung von Briefkastengesellschaften und Nutzung von Offshore-„Steueroasen“ – Steuervermeidung und Steuerhinterziehung betrieben wird und wurde. In den geleakten Unterlagen finden sich Datensätze zu mehr als 120 Staats- und Regierungschefs und Politikern aus 47 Ländern, darunter die mittlerweile verstorbene britische Königin Elisabeth II. sowie der US-Handelsminister und Multimillionär Wilbur Ross. Darüber hinaus enthalten sie die bislang unbekannten Handelsregister von 19 Steueroasen wie den Bahamas, Cayman Islands oder Malta sowie Informationen zu verborgenen, fragwürdigen Firmenkonstrukten weltweit tätiger Firmen und Großkonzerne.

Paradise Papers
Zeitrahmen 1950 bis 2016
Veröffentlichung 5. November 2017
Umfang der Originaldaten 1,4 Terabyte, 13,4 Millionen Dokumente

davon zu mehr als 120 Politikern aus fast 50 Ländern

Schlüsselmedien Süddeutsche Zeitung
ICIJ
Themen Steuerdelikt Briefkastengesellschaft
Internet Das Internationale Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ)

Zeitgleich wurden die Rechercheergebnisse am 5. November 2017 durch Journalisten des Internationalen Netzwerkes investigativer Journalisten (ICIJ) weltweit veröffentlicht. Die beteiligten Reporter werteten 13,4 Millionen Dokumente aus einem Datenleck der Anwaltskanzlei aus. In den Paradise Papers sind Daten und Dokumente von 21 verschiedenen Quellen enthalten.

Veröffentlichung

Bekanntgewordene Inhalte der Dokumente

Die ausgewerteten Daten dokumentieren unter anderem die Geschäfte des Offshore-Dienstleisters Appleby (6,8 Mio. Dokumente) und des kleineren Treuhandunternehmens Asiaciti Trust in Singapur (600.000 Dokumente). Zusätzlich sind die internen Daten der Firmenregister von 19 Steueroasen (rund 6 Mio. Dokumente) enthalten, etwa von den Bermudas, den Cookinseln oder Malta. Diese Daten erhielt die Süddeutsche Zeitung. Wie bereits bei den Panama Papers teilte die Zeitung die Daten mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). Über ein Jahr werteten über 120 Journalisten weltweit das Material aus und nahmen weitergehende Recherchen vor. 95 Medienpartner weltweit beteiligten sich an der Recherche und Veröffentlichung. An den Veröffentlichungen waren erneut die Journalisten Bastian Obermayer und Frederik Obermaier beteiligt, die wie alle anderen an den Veröffentlichungen zu den Panama Papers Beteiligten bereits 2017 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet worden waren.

Beteiligte Medien

An der Recherche zu den Paradise Papers und ihrer Aufbereitung für die Öffentlichkeit waren 380 Journalisten von 96 Medien aus 67 Ländern beteiligt. Sie arbeiten u. a. für folgende Medien:

Appleby

Die Anwaltskanzlei Appleby ist einer der Marktführer für Offshore-Geschäfte. Das Unternehmen macht 100 Millionen US-Dollar Jahresumsatz, hat 470 Mitarbeiter und Büros in fast allen wichtigen Steueroasen.

Appleby wurde in Hamilton (Bermuda) gegründet und steht im Fokus der Recherchen. Die Kanzlei hatte bis zur Veröffentlichung der Paradise Papers eine gute Reputation, sah sich selbst als führendes Unternehmen in dem Geschäftszweig der Offshore-Industrie und gewann verschiedene Preise.

Die Kanzlei räumte wenige Tage vor der Veröffentlichung ein, dass möglicherweise Datenmaterial dem ICIJ illegal zugespielt worden sei. Sie sprach nicht von einem Datenleck, sondern von einem illegalen Cyberangriff. Appleby betonte, legale Offshore-Praktiken anzuwenden und im Einklang mit den Gesetzen zu handeln. Nach sorgsamer und intensiver Prüfung sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass es keinerlei Belege für Fehlverhalten seitens der Kanzlei oder ihrer Klienten gebe.

Betroffene (Auswahl)

Insgesamt werden in den Unterlagen mehr als 120 Staats- und Regierungschefs und Politiker aus 47 Ländern genannt. Zu den weiteren Kunden der Kanzlei zählen neben mehreren multinationalen Konzernen auch vermögende Einzelpersonen, wie Spitzensportler, z. B. der Rennfahrer Lewis Hamilton, und weitere Prominente, wie z. B. der Musiker Bono. Es werden nicht alle in den Daten vorkommenden Personen und Unternehmen veröffentlicht, da diese zum Teil nicht von öffentlichem Interesse sind.

Unternehmen

Personen

Paradise Papers: Veröffentlichung, Appleby, Betroffene (Auswahl) 
Petro Poroschenko und Rex Tillerson

Argentinien

Australien

Deutschland

In den Paradise Papers sind zahlreiche Deutsche zu finden. In der Kundendatenbank von Appleby finden sich mehr als 1000 Einträge mit Bezügen nach Deutschland.

  • Familie Engelhorn, Eigentümer u. a. des Pharmakonzerns Boehringer Mannheim
  • Paul Gauselmann, Gründer des Spielautomaten- und Wettkonzerns Gauselmann-Gruppe und Vorsitzender des Verbandes der Deutschen Automatenindustrie e. V. (VDAI). Gauselmanns Unternehmen betätigt sich über die Isle of Man im Online-Glücksspielmarkt. Die Geschäfte mit Online-Casinos gelten laut Tagesschau unter Geldwäsche-Experten als hochproblematisch und sind in Deutschland illegal. Paul Gauselmann verdient dennoch über ein Lizenz-Konzept mit Hilfe einer auf der Isle of Man beheimateten Gesellschaft am Online-Glücksspiel. Die Gauselmann-Gruppe bestreitet, dass das Verbot für Online-Casinos in Deutschland anwendbar sei und arbeite auch nicht mit illegal agierenden Anbietern zusammen.
  • Harald Leibrecht (FDP), ehemaliger Bundestagsabgeordneter, ist unter anderem Mitbesitzer einer Briefkastengesellschaft, die ein Schloss südlich von London hält. Diese Beteiligung verschwieg Leibrecht während seiner elfjährigen Zeit als Abgeordneter. Er erklärte auf Nachfrage, den Steuerbehörden sei die Konstruktion bekannt.
  • Klaus Mangold, Manager und Wirtschaftsberater, u. a. ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender von TUI. Den Unterlagen zufolge war Mangold in den Jahren 2003 und 2010 Begünstigter einer Briefkastengesellschaft auf der Isle of Man, die dem russischen Oligarchen Boris Beresowski gehörte. Auf Nachfrage erklärte Mangold, ihm sei „nicht erinnerlich“, Begünstigter dieser Gesellschaft gewesen zu sein.
  • Gerhard Schröder (SPD), ehemaliger deutscher Bundeskanzler. Gerhard Schröder war 2009 sogenannter „unabhängiger Aufsichtsrat“ des russisch-britischen Energieunternehmens TNK-BP. Formal hatte das Unternehmen wie viele Öl-Joint-Ventures seinen Sitz auf den Britischen Jungferninseln. Im Rahmen ihrer Funktion bei TNK-BP benötigten Schröder und zwei weitere Aufsichtsräte nach Angaben der Zeit den Rat von Appleby „wegen bestimmter prozeduraler Firmenangelegenheiten unter dem Recht der Britischen Jungferninseln“, wie es in einer Mail im Oktober 2011 hieß.

Ghana

  • Ken Ofori-Atta, ghanaischer Finanzminister

Griechenland

Irland

  • Bono, alias Paul David Hewson investierte 2007 in ein Unternehmen auf Malta. Diese Gesellschaft war der Ausgangspunkt für ein verzweigtes Unternehmensgeflecht. Unter anderem investierte Hewsons Unternehmen in eine litauische Gesellschaft; diese wiederum in ein Einkaufszentrum. Die litauische Steuerbehörde VMI nahm Ermittlungen auf, da sie vermutet, dass Gewinne des Einkaufszentrums falsch verbucht wurden und so zu wenig Steuern in Litauen gezahlt wurden.

Israel

Japan

Kanada

Paradise Papers: Veröffentlichung, Appleby, Betroffene (Auswahl) 
Jean Chrétien

Kasachstan

Kolumbien

Libanon

Liberia

Paradise Papers: Veröffentlichung, Appleby, Betroffene (Auswahl) 
Ellen Johnson Sirleaf

Mexico

Montenegro

Österreich

Russland

Schweden

Schweiz

Spanien

Syrien

Türkei

  • Ahmet und Erkan Yıldırım, Söhne des ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım. Den Belegen zufolge besitzen die beiden Söhne Yıldırıms zur Steuerumgehung fünf Briefkastengesellschaften in Malta: Hawke Bay Marine Co Ltd., Black Eagle Marine Co Ltd., South Seas Shipping N.V., Dertel Shipping Limited und Nova Warrior Limited. Dazu kommen zwei weitere Unternehmen seines Onkels Yılmaz Erence und vier weitere, die sein Neffe (Süleyman Varol) besitzt.
  • Serhat Albayrak, älterer Bruder des türkischen Finanzministers Berat Albayrak (welcher auch Schwiegersohn von Recep Tayyip Erdoğan ist), ist mit einigen Mitarbeitern der Çalık Holding Bevollmächtigter der Frocks International Trading Ltd. Dieses Unternehmen wurde 2003 gegründet und soll seit 2009 formell inaktiv sein.

Vereinigtes Königreich

Paradise Papers: Veröffentlichung, Appleby, Betroffene (Auswahl) 
Formel-1-Rennfahrer Lewis Hamilton soll rund 5 Millionen Euro Abgaben beim Kauf und EU-Import seines Privatjets (Bild) über die Isle of Man vermieden haben.
  • Königin Elisabeth II. Die Dokumente belegen, dass das Herzogtum Lancaster, welches sich im Besitz von Elisabeth II. befand und dessen Hauptaufgabe die Verwaltung derer Finanzen ist, auf den Cayman Islands und Bermuda 10 Millionen Pfund investiert hat. Das Herzogtum Lancaster hält mittels der Dover Street VI Cayman Fund und Vision Capital Partners VI B LP Anteile am umstrittenen britischen Rent-to-own-Anbieter Bright House.
  • Lewis Hamilton, Formel-1-Rennfahrer. Hamilton habe 4,06 Millionen Euro Mehrwertsteuer beim Kauf seines Privatjets des Typs Bombardier Challenger 605 vermieden, indem er diesen über die Isle of Man einführte mit Hilfe von Ex-Formel-1-Rennfahrer Niki Lauda.
  • Hugh van Cutsem (1941–2013), Landbesitzer, Bankmanager, Geschäftsmann und Pferdezüchter
  • Jim Mellon, Milliardär und Geschäftsmann

Vereinigte Staaten

Paradise Papers: Veröffentlichung, Appleby, Betroffene (Auswahl) 
Wilbur Ross (2017)
Paradise Papers: Veröffentlichung, Appleby, Betroffene (Auswahl) 
George Soros (2010)

Reaktionen

Die Entwicklungshilfe-Organisation Oxfam forderte Konsequenzen der Politik, um die Schädigung des Gemeinwohls durch den Entzug von Milliarden finanzieller Mittel zu reduzieren.

Deutschland

Thomas Eigenthaler von der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DSTG) schätzte im Zusammenhang mit den Paradise Papers, dass allein Deutschland jährlich 50 bis 70 Milliarden Euro aufgrund illegaler Finanztransaktionen verloren gehen.

Aus Sicht des damaligen geschäftsführenden deutschen Bundesfinanzministers Peter Altmaier könnten die EU-Finanzminister im Dezember 2017 eine „Schwarze Liste“ für Steueroasen erstellen.

In Deutschland bot sich das Bundesland Hessen für eine federführende Auswertung der „Paradise Papers“ an. Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) berief sich bei seinem Vorstoß in Wiesbaden auf das Fachwissen und die technische Ausrüstung der hessischen Finanzverwaltung, die bereits bei der zentralen Auswertung der Panama Papers zum Einsatz kommen. In Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt (BKA) werten die hessischen Finanzexperten den Datensatz aus und fungieren dabei als Schnittstelle zu ihren Kollegen in anderen Bundesländern. Das BKA sei bereits im vollständigen Besitz der „Panama Papers“; Hessen hat nach eigenen Angaben ebenso vollen Datenzugriff. Ebenso forderte die deutsche Bundesregierung die beteiligten Medien zur Herausgabe der Originaldaten auf; auch den Strafverfolgungsbehörden sollten die Daten zugänglich gemacht werden.

Europäische Union

Drei Tage nach den Enthüllungen wehrten sich mehrere Staaten gegen schärfere Bestimmungen der Europäischen Union für die Offenlegung der tatsächlichen Eigentümer von Trusts und Stiftungen. Dazu gehören Luxemburg, Österreich, Irland sowie Großbritannien, Malta und Zypern.

Türkei

Der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım kommentierte die Verstrickung seiner Söhne damit, dass sie nichts Illegales getan hätten. Die oppositionelle CHP bestätigte zwar, dass nichts Verbotenes geschehen sei, jedoch moralisch Verwerfliches, und wies dabei auf die aktuelle finanzielle Situation der Türkei hin, die solche „verlorenen“ Steuergelder dringend brauche. Zudem forderte die CHP Yıldırım zum Rücktritt auf. Die HDP forderte – wie die CHP – im Parlament eine Untersuchung diesbezüglich, was allerdings von Seiten der AKP abgelehnt wurde. Daraufhin hinterfragten beide Parteien bzw. ihre Abgeordneten öffentlich die Unschuld der Yıldırıms. Einige Tage später kündigte Yıldırım an, die Tageszeitung Cumhuriyet zu verklagen, die als eine der wenigen türkischen darüber berichtete bzw. berichten wollte. Da seine Persönlichkeitsrechte dadurch verletzt worden seien, forderte er einen Schadensersatz von 500.000 TL (ca. 110.000 Euro), trotz Yıldırıms Aussage, dass Tätigkeiten seiner Familienmitglieder nicht geheim gehalten werden müssten.

Sonstiges

Aus den Paradise Papers geht hervor, dass mithilfe der Kanzlei Appleby Flugzeuge im Wert von mindestens 1,47 Milliarden Euro über Isle of Man nach Europa importiert wurden.

Filme

Podcast

Siehe auch

Commons: Paradise Papers – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Zeitungen

Einzelnachweise

Tags:

Paradise Papers VeröffentlichungParadise Papers ApplebyParadise Papers Betroffene (Auswahl)Paradise Papers ReaktionenParadise Papers SonstigesParadise Papers FilmeParadise Papers PodcastParadise Papers Siehe auchParadise Papers WeblinksParadise Papers EinzelnachweiseParadise PapersAnwaltskanzleiAppleAppleby (Anwaltskanzlei)BahamasBriefkastengesellschaftCayman IslandsDeutsche SpracheElisabeth II.Facebook Inc.GeldwäscheHandelsministerium der Vereinigten StaatenHandelsregisterKonzernLeakListe der IPA-ZeichenMaltaNike (Unternehmen)Offshore-FinanzplatzPolitikerSchriftstückSteuerdeliktSteueroaseSteuervermeidungSüddeutsche ZeitungTreuhandWilbur Ross

🔥 Trending searches on Wiki Deutsch:

Miss Marple (Fernsehserie)Talia ShireTino ChrupallaSterben (Film)Thomas HeilmannMarie-Antoinette von Österreich-LothringenSchottlandWorld DiscovererFrida KahloGeneration ZKevin CostnerBernd StelterBogislaw von BoninWalter SedlmayrIna MüllerISO-3166-1-KodierlisteWalpurgisnachtTschechenigelKida Khodr RamadanVoyager 2Niki LaudaFallout (Computerspielreihe)Hans HolleinHeike GreisRicarda LangFalcoMonica WichfeldBundeswehrPeter HahnePenisChatGPTEko FreshHannoverCrack (Droge)AzorenKölnXXx – Triple XJasmin SchwiersSofie CramerDreikörperproblemVan DeerHanka RackwitzAdolf HitlerWilhelm II. (Deutsches Reich)FreimaurereiSAPHarvey KeitelListe der Großstädte in DeutschlandGZürgelbäumeVaginalverkehrCreed – Rocky’s LegacyZeugen JehovasVerwandtschaftsbeziehungKlitorisNina Chuba24. AprilNapoleon BonaparteAngela Finger-ErbenWilliam ShakespearePessachOhne LimitTerry CarterBundesagentur für ArbeitJames BondWladimir Wladimirowitsch PutinBauhausRCH 155Christoph WaltzWalton GogginsJeanne du Barry (Film)Kampf der Realitystars – Schiffbruch am TraumstrandMorena BaccarinFußball-Bundesliga (Österreich)Frank Otto (Medienunternehmer)Marianne BachmeierMichael SchumacherJulia SchwanholzMaze Runner – Die Auserwählten in der Brandwüste🡆 More