Le Chambon-sur-Lignon ist eine französische Gemeinde mit 2400 Einwohnern (Stand 1. Januar 2021) im Département Haute-Loire in der Region Auvergne-Rhône-Alpes.
Le Chambon-sur-Lignon | ||
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Staat | Frankreich | |
Region | Auvergne-Rhône-Alpes | |
Département (Nr.) | Haute-Loire (43) | |
Arrondissement | Yssingeaux | |
Kanton | Mézenc | |
Gemeindeverband | Haut-Lignon | |
Koordinaten | , 4° 18′ O45° 4′ N, 4° 18′ O | |
Höhe | 874–1139 m | |
Fläche | 41,71 km² | |
Einwohner | 2.400 (1. Januar 2021) | |
Bevölkerungsdichte | 58 Einw./km² | |
Postleitzahl | 43400 | |
INSEE-Code | 43051 | |
Website | http://ville-lechambonsurlignon.fr/ | |
Mairie (Rathaus) von Le Chambon-sur-Lignon |
Das hugenottische Städtchen auf dem Hochplateau der Cevennen im Zentralmassiv am Flüsschen Lignon du Velay wurde bekannt durch die Hilfe seiner Einwohner für die von den Nationalsozialisten und dem Vichy-Regime bedrohten Juden.
Ab dem Jahr 1530 verbreitete sich, vom Vivarais her, im Velay der Protestantismus. Mit dem Edikt von Nantes wurde den Protestanten des Velay die Einrichtung von zwei Kultstätten gestattet, davon eine in Le Chambon. Die Religionsfreiheit wurde durch das Edikt von Fontainebleau 1685 widerrufen. Bereits in den 1670er Jahren waren die Protestanten Dragonaden ausgesetzt; später wurden ihre Gottesdienste verboten und ihre Kirchen zerstört. Trotz der Unterdrückung hielt sich der protestantische Glaube, außerhalb des Orts wurden in der Wildnis von illegalen Pfarrern weiterhin Andachten zelebriert.
Im 19. Jahrhundert durfte der Glaube wieder gelebt werden. Im Herzen von Le Chambon wurde eine neue protestantische Kirche („Temple“) errichtet. Der 1893 gegründete Verein L’Œuvre des Enfants à la Montagne holte Kinder aus Industriestädten für einen Aufenthalt an gesunder Luft in den Ort. 1902 wurde mit der Bahnstrecke La Voulte-sur-Rhône–Dunières eine schmalspurige Eisenbahnverbindung in Richtung Saint-Etienne eröffnet; an dieser erhielt das Dorf den Bahnhof Le Chambon – Mazet, was ihm einen Zustrom an Touristen bescherte. Hotels und Kinderheime entstanden – diese Infrastruktur ermöglichte es 1939, Bürgerkriegsflüchtlinge aus Spanien aufzunehmen. Am 1. November 1968 wurde der Bahnverkehr eingestellt, seit 1994 verkehrt auf der Strecke die Museumsbahn Velay-Express.
Von 1942 an nahmen die Einwohner auf Initiative des Pastors André Trocmé, seiner Frau Magda und anderer Bürger Juden auf, die von der Verschleppung in die Konzentrationslager bedroht waren. Sie wurden in den Häusern der Bewohner, in den Bauernhöfen der Umgebung und sogar in öffentlichen Gebäuden untergebracht. Wenn Patrouillen der Deutschen anrückten, wurden sie auf dem Land außerhalb des Ortes versteckt. Zogen die Patrouillen wieder ab, gingen die Einwohner in die Wälder und sangen ein bestimmtes Lied, um den Juden anzuzeigen, dass die unmittelbare Gefahr vorüber sei.
Unter anderem hatte das Comité inter mouvements auprès des évacués – Service œcuménique d’entraide (CIMADE) im Ort das Hotel „Coteau Fleuri“ als Maison d’accueil angemietet. Dort wurden im Juli 1942 fünfunddreißig bisherige Gefangene aus dem Camp de Gurs untergebracht, die allerdings bereits im August weiter fliehen mussten.
Zusätzlich besorgten die Bewohner dieser Gegend Ausweispapiere und Lebensmittelkarten und unterstützten die Verfolgten beim Grenzübertritt in die Schweiz. Einige Einwohner wurden verhaftet, unter anderem Daniel Trocmé, der Cousin des Pfarrers, der im Konzentrationslager Majdanek umkam.
August Bohny gründete und leitete von 1941 bis 1944 im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft für kriegsgeschädigte Kinder (SAK) (ab 1942: Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes) die Kinderhäuser Abric, Faidoli, Atelier Cévenol und Ferme Ecole, wo rund 200 Kinder jeweils etwa sechs Monate verbrachten. Friedel Bohny-Reiter leitete von 1943 bis 1944 das Haus Abric. Sie halfen Pfarrer André Trocmé und den einheimischen Flüchtlingshelfern, zahlreiche Kinder vor Razzien und Deportationen zu retten, zu verstecken oder in die Schweiz in Sicherheit zu bringen.
In der Gegend von Chambon-sur-Lignon wurden 3000 bis 5000 Personen durch das Engagement ihrer Bewohner vor dem sicheren Tod in den Konzentrationslagern gerettet. Das Verstecken der Flüchtlinge geschah in der ganzen Region: in Fay-sur-Lignon, Chaumargeais, Mazet-Saint-Voy, Tence, Les Tavas, Freycenet-Saint-Jeures, Chapignac, und Saint-Agrève. Es gab 20 bis heute bekannte Unterbringungsmöglichkeiten in 12 protestantischen Gemeinden bis hin zur Ardèche. Beteiligt waren insgesamt 23 Pfarrer, dazu kamen als Helfer einzelne katholische Priester sowie die in der Gegend vertretenen „Darbysten“.
1990 erkannte die israelische Regierung die Region wegen des humanitären Einsatzes und des mutigen Widerstandes in der Gefahr als Gerechte unter den Völkern an. Im Mahnmal Yad Vashem ehrt eine Stelle im Garten der Gerechten die Region – eine solche gemeinschaftliche Ehrung erfuhr sonst nur das Dorf Nieuwlande in der niederländischen Provinz Drenthe. 59 Personen der Region wurden als Individuen oder Paare (Ehepaare, Geschwister oder Eltern-Kind-Paare) ebenfalls als Gerechte unter den Völkern ausgezeichnet.
Der Österreicher Eric Schwam (geboren als Erich Arthur Schwam am 21. Oktober 1930 in Wien), wurde mit seiner vor der NS-Herrschaft flüchtenden jüdischen Familie aus Wien 1943 als 13-Jähriger in Le Chambon aufgenommen und ging bis 1950 dort zur Schule. Später zog er nach Lyon, studierte Pharmazie und heiratete eine Französin. Die Ehe blieb kinderlos und Schwam starb am 5. Dezember 2020 90-jährig, einige Monate nach seiner Frau. Er vermachte der Gemeinde ein Vermögen von 2 Mio. Euro, ein bisher einzigartig hohes Legat aus dem Kreis der Flüchtlinge, um es als Stipendien an Jugendliche und Kleinunternehmer, die sich hier angesiedelt haben, zu verwenden.
Jahr | 1962 | 1968 | 1975 | 1982 | 1990 | 1999 | 2008 | 2017 |
Einwohner | 3096 | 2846 | 2811 | 2791 | 2854 | 2642 | 2662 | 2470 |
Quellen: Cassini und INSEE |
Le Chambon pflegt eine Partnerschaft mit der Gemeinde Fislisbach im Schweizer Kanton Aargau.
1942 kam Albert Camus nach Le Chambon, um eine Tuberkulose auszukurieren. Hier schrieb er Das Missverständnis und arbeitete an seinem Roman Die Pest. Camus’ Gedanken in seinem Tagebuch von 1942 ähneln denen Trocmés, der einem Vichy-Funktionär auf dessen einschüchternde Vorhaltung, wie gefährlich „die Juden“ seien, antwortete:
Nous ignorons ce qu'est un juif, nous ne connaissons que des hommes.
„Wir wissen nicht, was ein Jude ist, wir kennen nur Menschen.“
Misère et grandeur de ce monde : il n’offre point de vérités mais des amours. L’Absurdité règne et l’amour en sauve.
„Das Elend und die Größe der Welt zugleich: sie bietet keine Wahrheiten an, sondern nur Objekte der Liebe. Die Absurdität beherrscht alles; doch die Liebe rettet uns vor ihr.“
Der schweizerische Künstler Hans Beutler leitete in dieser Zeit ein Kinderheim. Eines der zahlreichen Kinder, die in Le Chambon durch die Hilfe der Bewohner den Holocaust überleben konnten, war der spätere Mathematiker Alexander Grothendieck.
Von 1945 bis 1948 lebte der Philosoph Paul Ricœur im Ort und unterrichtete dort am Collège Cévenol. Als am 27. Mai 2010 in Paris eine Paul-Ricœur-Stiftung gegründet wurde, hielt der Präsident der Republik, Nicolas Sarkozy, persönlich die Gründungsansprache und betonte dabei den geistigen Widerstand mit ausdrücklichem Bezug auf Ricœurs zeitweiligen Wirkungsort.
Romain Gary lässt in dem Résistance-Roman Gedächtnis mit Flügeln einen seiner Protagonisten, den alten normannischen Drachenbauer Ambroise Fleury, auf Le Chambon hinweisen:
Zur Strafe für die gelben Sterne wird Ambroise von den Deutschen verhaftet, nach langwierigen Verhandlungen kommt er wieder frei. Nach seiner Rückkehr in die Drachenbau-Werkstatt
Der Onkel verlässt bald darauf das Dorf:
Als Erklärung erzählt Gary sodann die Geschichte der von den Dörflern geretteten Judenkinder, Hunderte an der Zahl:
Es ist die Zeit nach der Befreiung von den Deutschen, Herbst 1944. Zwei alte Männer sprechen über die Zukunft, die des Landes und ihre eigene. Darauf bezogen bekennt Gary im Schlusssatz ganz unvermittelt, was die Bedeutung unterstreicht:
Caroline Piketty nimmt in Ich suche die Spuren meiner Mutter die Erinnerung an den Ort und die Person Onkel „Auguste“ mit den Worten auf: „Manche Bücher können einem neue Kraft geben.“
Philip Hallie erzählt die Rettung der Flüchtlinge in "Die Geschichte des Dorfes >Le Chambon< und wie dort Gutes geschah" (Untertitel) in "... Daß nicht unschuldig Blut vergossen werde.", Neukirchen-Vluyn 1990, ISBN 3-7887-0722-4; die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel: "LET INNOCENT BLOOD BE SHED", New York 1979.
Von Philippe Boegner ist ein weiterer Roman, der sich mit Le Chambons Judenrettung befasst, bisher nur auf Französisch erschienen: Ici, on a aimé les juifs.
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