Christiane Nüsslein-Volhard (* 20.
Oktober">20. Oktober 1942 in Heyrothsberge bei Magdeburg) ist eine deutsche Biochemikerin. Sie beschäftigt sich mit Genforschung und Entwicklungsbiologie am Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen und leitet eine Emeritus-Forschungsgruppe mit dem Titel Color pattern formation. Sie erhielt 1995 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für ihre Forschungen über die genetische Kontrolle der frühen Embryonalentwicklung. In Fachveröffentlichungen wird ihr Name teilweise mit CNV abgekürzt.
Christiane Volhard wurde am 20. Oktober 1942 in Heyrothsberge bei Magdeburg als zweites von fünf Kindern geboren. Ihr Vater Rolf Volhard war Architekt, ihre Mutter Brigitte Haas Kindergärtnerin. Der Chemiker Jacob Volhard war ihr Urgroßvater. Ihre Jugend verbrachte sie im Haus ihres Großvaters, des Herz- und Nierenspezialisten Franz Volhard, nahe Frankfurt am Main, wo ihre Familie nach dem Krieg Zuflucht gesucht hatte. Sie interessierte sich schon früh für Pflanzen und Tiere und wusste schon im Alter von 12 Jahren, dass sie Biologin werden wollte. Beeinflusst von Konrad Lorenz und anderen Verhaltensforschern hielt sie zur Abiturfeier ein Referat über die Sprache bei Tieren.
Nach dem Abitur an der Schillerschule in Frankfurt am Main begann sie 1962, Biologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main zu studieren. 1964 wechselte sie zum Biochemiestudium an die Eberhard Karls Universität Tübingen. Christiane Nüsslein-Volhard erlangte ihr Diplom in Biochemie in Tübingen 1968 und war von 1969 an wissenschaftliche Mitarbeiterin am damaligen Tübinger Max-Planck-Institut für Virusforschung. Die Promotion zum Doktor der Naturwissenschaften erfolgte an der Universität Tübingen (1973) im Fach Genetik. Ihre wesentlichen Ergebnisse wurden beim RNA-Polymerase-Meeting in Cold Spring Harbor vorgestellt. Zur Personalpolitik dieser Veröffentlichung bemerkte sie in einem Interview: „Dabei hatte ich fast alle Experimente gemacht und den Aufsatz auch noch geschrieben. Mein Doktorvater meinte, mein Kommilitone solle vorn stehen, der habe Frau und Kind, der brauche seine Karriere.“
Als Postdoc arbeitete sie mit einem Forschungsstipendium 1975/1976 am Laboratorium von Walter Gehring im Biozentrum der Universität Basel, wo sie ihre Forschung zur biologischen Gestaltbildung begann. 1977 war sie als Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) am Laboratorium des Insektenembryologen Klaus Sander an der Universität Freiburg im Breisgau.
Von 1978 bis 1980 fungierte sie als Forschungsgruppenleiterin am neu aufgebauten Europäischen Molekularbiologischen Laboratorium (EMBL) in Heidelberg. Dort arbeitete sie mit Eric Wieschaus zusammen, mit dem sie später den Nobelpreis erhielt. Danach leitete sie eine Nachwuchsgruppe am Friedrich-Miescher-Laboratorium der Max-Planck-Gesellschaft in Tübingen (1981–1984) und 1985 wurde sie schließlich Direktorin und Wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Ein Jahr später, 1986, erhielt sie den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die höchste Auszeichnung in der deutschen Forschung. Es folgten Gast-Lehraufträge an der Harvard Medical School der Harvard University (1988, 1991), der Yale University (1989), der Rockefeller University in New York (1991) und der Indiana University (1994). An der Tübinger Universität hat sie seit 1991 eine Honorarprofessur inne.
Nüsslein-Volhard erhielt 1995 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin zusammen mit Eric Wieschaus und Edward B. Lewis für ihre Forschungen über die genetische Steuerung der Embryonalentwicklung. Sie und Eric Wieschaus identifizierten und systematisierten Gene, die im Ei der Taufliege (Drosophila melanogaster) die Anlage des Körperplans und der Segmente steuern. Sie entwickelte die Gradiententheorie, die darstellt, wie durch Konzentrationsgefälle in der Eizelle und dem Embryo die Genexpression gesteuert wird, und zeigte Parallelen in der Embryonalentwicklung zwischen Insekten und Wirbeltieren auf. Nach den Insekten wurde später der Zebrabärbling (Danio rerio) als erstes Wirbeltier zum bevorzugten Gegenstand der entwicklungsbiologischen Arbeiten von Nüsslein-Volhard.
1998 gründete sie zusammen mit dem langjährigen Manager der Bayer AG, Peter Stadler, und dem Kölner Genetiker Klaus Rajewsky das Biotechnologie-Unternehmen Artemis Pharmaceuticals GmbH. Es war spezialisiert auf die Entwicklung von gentechnisch hergestellten Arzneimitteln und strebte mittelfristig den Börsengang an. Durch die zwischenzeitliche Fusion mit Exelixis im Jahr 2001 und später mit Taconic Farms im Jahr 2008 wurde Artemis Teil von Taconic Farms, Inc.
Nüsslein-Volhard war von 2001 bis 2007 Mitglied im Nationalen Ethikrat. Von 2013 bis Juni 2021 war sie Kanzlerin des Ordens Pour le Mérite der Bundesrepublik Deutschland.
2004 gründete sie die Christiane Nüsslein-Volhard-Stiftung (Eigenschreibweise: CNV-Stiftung), die begabten jungen Wissenschaftlerinnen durch kleine und eng gefasste finanzielle Zuschüsse die Kinderbetreuung oder den Kauf von Haushaltsgeräten erleichtern soll.
Von 1967 bis 1977 war sie mit dem Physiker Volker Crystalla geborener Nüsslein verheiratet. Der 2021 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnete Chemiker Benjamin List ist ihr Neffe. Sie lebt im Tübinger Stadtteil Bebenhausen.
Die Forschungen von Christiane Nüsslein-Volhard befassen sich mit der Bildung von Formen und Gestalten bei der Entwicklung von Tieren. An der Taufliege Drosophila hat sie zahlreiche Gene entdeckt und beschrieben, die die Entwicklung steuern und entscheidende Funktionen bei der Gestaltbildung im Embryo haben. In molekularen Studien wurden die Funktionen einiger dieser Gene im Organismus aufgeklärt. Dabei wurden neue gestaltbildende Mechanismen nachgewiesen, wie Gradienten, bei denen Morphogene als entscheidende Faktoren die Position im Ei bestimmen. Vergleiche zwischen verschiedenen Organismen einschließlich des Menschen haben einen hohen Grad der Verwandtschaft ihrer Gene ergeben. Das unterstreicht die Bedeutung der Grundlagenforschung an Modellorganismen wie Drosophila für das Verständnis von Aspekten der menschlichen Biologie und Medizin.
Seit etwa 15 Jahren arbeitet die Gruppe von Nüsslein-Volhard auch am Zebrabärbling (Danio rerio), der ein hervorragendes neues Modellsystem für die Untersuchung der Gestaltbildung bei Wirbeltieren darstellt. Die Entwicklung lässt sich im durchsichtigen Embryo, der sich außerhalb des mütterlichen Organismus entwickelt, besonders gut beobachten. Neue Forschungen befassen sich mit Prozessen der Zellwanderung bei der Organentwicklung und mit der Entwicklung der Haut und ihrer Spezialisierungen. Weitere Projekte betreffen die genetische Kontrolle der Entwicklung der Strukturen der ausgewachsenen Fische wie Farbmuster, Schuppen und Flossen.
Ein Ziel dieser Forschung ist es, Gene zu finden, die bei der Variation der Formen während der Evolution eine Rolle spielen. Es existieren mehr als 140 Originalpublikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften.
Der Name Toll-like-Rezeptoren (TLR) ist von einem Protein bei Drosophila melanogaster abgeleitet, über dessen Entdeckung die Forschungsgruppe um Nüsslein-Volhard derart begeistert war, dass sie es humorvoll nach dem deutschen Ausdruck „toll“ nannte. TLRs bestehen aus Proteinen, die Toll ähneln, also toll-like sind. Der Moment, der dem Toll-Gen der Fruchtfliege seinen Namen gab, war, als sie ihrem Kollegen Eric Wieschaus gegenüber an einem Doppelmikroskop saß, das zwei Personen gleichzeitig die Untersuchung desselben Objekts erlaubt. „Als wir eines Tages eine Embryonenmutante sahen, deren Entwicklung ventralisiert war, waren wir beide vollkommen überrascht und haben spontan ‚toll‘ gerufen. Bis dahin kannten wir nur dorsalisierte Embryonen“.
2022 äußerte sich Nüsslein-Volhard zur Debatte um Transgeschlechtlichkeit . Dabei bezeichnete sie die Stellungnahmen von Bundesärztekammer und Bundesverfassungsgericht und speziell die Vorstellung, das biologische Geschlecht wechseln zu können, als „unwissenschaftlich“ und „Unfug“.
Nüsslein-Volhard veröffentlicht zahlreich in Fachjournalen. Daneben schrieb sie einige sach- und populärwissenschaftliche Bücher.
Veröffentlichungen in Fachzeitschriften (Auswahl)
Sachbücher
Populärwissenschaftliche Veröffentlichungen
Personendaten | |
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NAME | Nüsslein-Volhard, Christiane |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Biologin |
GEBURTSDATUM | 20. Oktober 1942 |
GEBURTSORT | Heyrothsberge bei Magdeburg |
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