Das Sammel- und Durchgangslager Drancy war zur Zeit der deutschen Besetzung Frankreichs ein Gefangenenlager für Juden in der Stadt Drancy 20 Kilometer nordöstlich von Paris.
Deutsche Stellen nannten es „Judenlager“, für die französische Polizei war es das „Camp de Juifs“. Das Lager war Hauptort der Shoah in Frankreich, von wo 58.868 französische Juden mit Zügen der französischen SNCF und der deutschen Reichsbahn in das KZ Auschwitz-Birkenau transportiert wurden; drei Deportationszüge hatten das Vernichtungslager Sobibor zum Ziel, einer das Konzentrations- und Vernichtungslager Lublin-Majdanek. Die meisten Menschen wurden dort ermordet oder starben an den katastrophalen Umständen des Transports, der Unterbringung und Zwangsarbeit. Unter ihnen befanden sich mehr als 6.000 Kinder. Im Lager konnten am 19. August 1944 nur noch 1.532 Gefangene befreit werden. Neun von zehn deportierten französischen Juden wurden über Drancy in den Osten verschleppt. Zunächst unter französischer Leitung, übernahm der SS-Hauptsturmführer Alois Brunner am 18. Juni 1943 das Kommando des Lagers. Die französische Polizei war weiterhin für die Bewachung zuständig. Weitere große französische Sammellager für Juden und politische Gefangene waren das KZ Royallieu in Compiègne (Département Oise), das Camp de transit de Pithiviers im Département Loiret und das Internierungslager Beaune-la-Rolande (Loiret).
Von 1931 bis 1935 entstanden nach Plänen der Architekten Eugène Beaudouin und Marcel Lods im Osten der Pariser Nachbarstadt Drancy fünf vierzehnstöckige Hochhäuser und ein U-förmiger Komplex von vier Wohnstockwerken über einem Erdgeschoss mit vorgesetzter Galerie in modern-avantgardistischem Baustil als Cité de la Muette. Die Hochhäuser wurden 1938 an das Ministère de la Guerre et de la Défense nationale vermietet; sie beherbergten in der Folge Familien von Gendarmerie und Gardes Républicains Mobile. Der U-förmige Komplex von 200 Meter Länge und 100 Meter Breite verblieb mit seinen 50 Treppenhäusern und 400 Wohnungen hingegen als Rohbau. In dieser Baulichkeit und deren leicht abzuschließendem Innenhof richteten die deutschen Besatzer im Juni 1940 das Kriegsgefangenenlager Frontstalag 111 ein. Ab dem 20. August 1941 wurde das Lager zu einem Lager für Juden. Die offene Front des Baukomplexes war mit einem doppelten Stacheldrahtzaun geschlossen. In der Front befand sich ein Barackenbau, vermutlich für die Wachmannschaften. Es folgte ein Vorplatz für die Ausladung der neu Festgesetzten, der wiederum durch einen Doppelzaun vom inneren Lagerhof getrennt war. Im Hof befanden sich in einer Baracke die Toiletten.
Die Wirtschaftsabteilung (Leitung: Elmar Michel) des Militärbefehlshabers in Frankreich erhielt am 18. September 1940 ein Referat „Allgemeine Angelegenheiten und Entjudung“, geleitet von dem Kriegsverwaltungsrat Kurt Blanke. Man folgte damit einer Führerentscheidung vom September 1940, nach der Juden aus dem Geschäftsleben Frankreichs auszuschließen seien. Am 27. September 1940 ordnete der Militärbefehlshaber an, dass in das unbesetzte Gebiet geflohene Juden nicht zurückkehren dürften. Es folgten weitere Verordnungen, die jüdischen Besitz zunehmend enteigneten. Der Referatsleiter Blanke, 1964 bis 1973 Oberbürgermeister von Celle, war „verantwortlich für die Errichtung und Ausgestaltung der rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen der Judenverfolgung in Frankreich, soweit sie den wirtschaftlichen Aspekt betraf, und für die Überwachung der Ausführung der gegen die Juden gerichteten Verordnungen und Einzelmaßnahmen der Besatzungsmacht“. Ab Juni 1941 führte er die Aufsicht über das Commissariat général aux Questions Juives, das diese Aufgabe auf der französischen Seite besaß.
Auch die Vichy-Regierung erließ in diesem Zeitraum antisemitische Maßnahmen und Rechtsetzungsakte: Nach dem Gesetz vom 22. Juli 1940 waren alle Einbürgerungen zu überprüfen, die seit dem 10. August 1927 vollzogen worden waren. Verordnungen vom 17. Juli sowie 14. und 15. August und vom 10. September 1940 schlossen Franzosen, deren Vater Nicht-Franzose war, aus dem öffentlichen Dienst und nachfolgend aus allen freien Berufen aus. Hiervon waren in großem Umfang jüdische Einwanderer oder deren Kinder betroffen, darunter insbesondere die 160.000 deutschen Juden, die in Frankreich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten Zuflucht gesucht hatten, soweit sie sich noch im Land befanden. Mit Gesetz vom 23. Juli 1940 verloren Franzosen, die sich außerhalb Frankreichs aufhielten, z. B. in Spanien oder Portugal, ihr Vermögen. Es folgten die Judenstatute der Vichy-Regierung vom 3. Oktober 1940 und 2. Juni 1941. Das Erstere definierte analog zu den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 die Zugehörigkeit zum Judentum und schloss die Juden von öffentlichen Ämtern aus. Es wurde durch das Zweite Statut ersetzt, das den Juden weitere Berufsgruppen versperrte und den Präfekten die Möglichkeit zusprach, Internierungen auszusprechen. Damit war die Rechtsgrundlage für Internierungslager geschaffen.
Im Oktober 1940 bestimmte Heinrich Himmler in Abstimmung mit dem Chef des Oberkommandos des Heeres (zu dieser Zeit auch Militärbefehlshaber), General Walther von Brauchitsch, den Beauftragten des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD für Frankreich und Belgien, Obersturmbannführer Helmut Knochen, als zuständig für Judenfragen. Damit entstand ein sogenanntes „Judenreferat“ in Paris mit dem SS-Obersturmführer Theodor Dannecker als Leiter, der institutionell mit dem Eichmannreferat IV B 4 des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) zusammenarbeitete. Dannecker traf am 5. September 1940 in Paris ein. Vom 5. bis 12. Mai 1942 befand sich SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich in Paris und führte Carl Oberg zum 1. Juni 1942 als Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) Frankreichs ein.
Die deutsche Botschaft in Paris unter Otto Abetz beteiligte sich ebenfalls an der Verfolgung der Juden in Frankreich: „Die hier maßgeblichen Botschaftsmitarbeiter waren Botschaftsrat Dr. Ernst Achenbach als Leiter der Politischen Abteilung und Legationsrat Carl-Theodor (Carltheo) Zeitschel, Referent für Judenfragen und selbst ein aktiver Nazi“. Nach dem Krieg war Achenbach (FDP) von 1950 bis 1958 Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtages, von 1957 bis 1976 Mitglied des Deutschen Bundestages sowie von 1964 bis 1977 Mitglied des Europäischen Parlaments. Es war Botschafter Abetz, der die deutsche Judenverfolgung in Frankreich in Gang gesetzt hatte. Am 17. August 1940 hatte er beim Verwaltungschef der deutschen Militärverwaltung, SS-Obergruppenführer Werner Best, eine Anordnung zur Entfernung aller Juden aus dem besetzten Gebiet und deren Enteignung angeregt. Adolf Hitler persönlich stimmte dem am 26. August 1940 zu.
Am 13. August 1941 kam es in Paris vor der Metrostation Strasbourg-St. Denis zu einer Demonstration von 40 jungen Mitgliedern des Bataillons de la Jeunesse, einer Jugendorganisation der Parti communiste français (PCF), bei der zwei Jugendliche, Samuel Tyszelman (1921–1941) und Henri Gautherot(1920–1941), festgesetzt wurden; vom deutschen Militärgericht von Groß-Paris verurteilt, wurden sie am 19. August erschossen. Zwei Tage später, am 21. August 1941, folgte als Rache das erste Attentat gegen einen Vertreter der deutschen Besatzungsmacht mit tödlichem Ausgang. Der Marineverwaltungsassistent Alfons Moser wurde in der Pariser Metrostation Barbès-Rochechouart durch das PCF-Mitglied Pierre Georges (Frédo, später Colonel Fabien) (1919–1944) erschossen. In der Folge verhafteten vom 20. bis zum 24. August 1941 in einer Großrazzia deutsche Feldgendarmerie und städtische Polizeikräfte in den östlichen Arrondissements von Paris 4.200 jüdische Männer französischer Staatsbürgerschaft und internierten sie im hufeisenförmigen Komplex der Cité de la Muette. Die Pariser Polizeipräfektur hatte zuvor am ersten Tag der Razzia das zwischenzeitlich geräumte Internierungslager als „Camp à Juifs“ bestimmt.
Die Gefangenen schliefen zu 50 bis 60 Personen je Raum auf Holzbrettern oder auf dem Zementboden. Es grassierte die Ruhr, Ödeme breiteten sich aus, und die Lebensmittelzuteilung war völlig unzureichend. Die anfängliche Improvisation wich bald geordneten Zuständen. Postdienst, Personenbestand und Verwaltung wurden von den Internierten übernommen. Am 20. September erhielt das französische Rote Kreuz das Recht, ein Büro im Lager zu unterhalten. Es wurden Hilfs- und Lebensmittel verteilt. Nun gab es auch Matratzen, Decken und Etagenbetten. Die Police judiciaire registrierte die Internierten, wonach Postempfang möglich war. Noch im Jahre 1941 wurden 750 Juden nach medizinischer Untersuchung freigelassen.
Als Reaktion auf das Attentat auf Alfons Moser hatte Generalleutnant Ernst Schaumburg, Kommandant von Groß-Paris am 23. August 1941 öffentlich bekanntmachen lassen, dass „sämtliche von deutschen Dienststellen oder für deutsche Dienststellen in Frankreich in Haft irgendeiner Art gehaltenen Franzosen […] vom 23. August an als Geisel“ galten und „von diesen Geiseln bei jedem weiteren Anlass eine der Schwere der Straftat entsprechende Anzahl werde erschossen werden.“ Ebenfalls am 23. August 1941 erließ Vichy-Innenminister Pierre Pucheu ein Gesetz, nach dem ein am 7. September eingerichtetes Sondergericht (Tribunal d’État) kommunistische und anarchistische Täter mit besonders drakonischen Strafen einschließlich der Todesstrafe belegen konnte.
Den Erschießungen von 48 Geiseln in Chateaubriant, Nantes und Paris sowie 50 in Bordeaux in der Folge der Attentate auf den Feldkommandanten von Nantes, Karl Hotz, und den Kriegsverwaltungsrat Hans Gottfried Reimers vom 22. und 23. Oktober 1941 sowie auf die Hinrichtungen gefasster Attentäter und Helfer folgte vom 26. November bis 7. Dezember 1941 eine Serie von Attentaten und Anschlägen. Daraufhin befahl der Militärbefehlshaber Otto von Stülpnagel am 14. Dezember 1941 die Exekution von 100 Juden, Kommunisten und Anarchisten, von denen die Wehrmacht 95 unmittelbar erschoss. Am selben Tag war unter der Führung des SS-Obersturmführers Theodor Dannecke eine SiPo-SD-Truppe ins Lager gekommen und hatte 58 Juden, „die zum Teil aus den östlichen Gebieten Europas stammten“, als Geiseln zur Erschießung mitgenommen, die das Schicksal der 37 anderen Opfer teilen mussten. Zum ersten Mal waren als Geiseln nicht politische Gefangene, sondern Juden ausgewählt worden. Unter den 58 Juden war der Bankangestellte Isaac Grinbaum (* 24. Oktober 1920), genannt Jacques, der am 27. März 1941 wegen Verstoßes gegen das Gesetz vom 26. September 1941 (Verbot der Parti communiste français) (PCF) festgenommen und in das Lager Drancy eingewiesen worden war. In das Cherche-Midi-Gefängnis verbracht, schrieb er einen erschütternden Abschiedsbrief an seine Eltern und Schwestern. Am 15. Dezember 1941 wurde er mit den anderen Geiseln in der Festung Mont Valérien erschossen. Seine Eltern wurden von Drancy aus am 31. Juli 1944 mit dem Konvoi Nr. 77 deportiert, dem letzten, der Drancy nach Auschwitz verließ.
Ebenfalls am 12. Dezember wurden auf Anordnung des Militärbefehlshabers 743 beruflich herausgehobene Juden in Paris verhaftet und dem KZ Royallieu in Compiègne zugeführt. Sie wurden am 27. März 1942 mit dem ersten Transport (Convoi Nr. 1), der von Frankreich in die Konzentrations- und Vernichtungslager abging, nach Auschwitz deportiert. Zuvor hatte man vom Lager Drancy 300 Juden nach Compiégne transportiert, die dem Zug zur vollen Transportkapazität beigefügt wurden. Am 17. Februar 1942 wurden vier, am 2. März 1942 zwölf Juden aus dem Sammellager Geiselerschießungen zugeführt.
Der Physiologe Georges Wellers, französischer Staatsbürger seit 1938, war einer der 743 verhafteten und in das KZ Royallieu verschleppten Juden. Er entging Convoi Nr. 1 nach Auschwitz-Birkenau und wurde im Juni 1942 dem Sammellager Drancy überstellt. Mit Convoi 76 am 30. Juni 1944 (Ankunft 4. Juli) nach Auschwitz-Birkenau deportiert, überlebte er den Räumungsmarsch vom 18. Januar 1945 und wurde am 11. April 1945 im KZ Buchenwald befreit.
Die heftigen Proteste der Vichy-Regierung nach den Geiselerschießungen von Nantes und Bordeaux und weil er es nicht mehr mit seinem „Gewissen vereinbaren, noch vor der Geschichte verantworten“ könne, bewegten Otto von Stülpnagel, sich am 15. Januar 1942 mit einem Schreiben an das Oberkommando des Heeres von den Geiselerschießungen zu distanzieren. Er empfehle hingegen, vermehrt auf Deportationen von Juden und Kommunisten nach dem Osten zu setzen. Am 15. Februar bat er um seine Abberufung, weil Adolf Hitler und Feldmarschall Wilhelm Keitel von den Geiselerschießungen nicht ablassen wollten. An Keitel schrieb er dabei: „Ich glaubte, die selbstverständlich notwendige Sühne bei Attentaten … auf anderem Wege, d. h. durch begrenzte Exekutionen, vor allem aber durch Abtransport größerer Massen von Kommunisten und Juden nach dem Osten erreichen zu können, ….“
Der von Otto von Stülpnagel geforderte Abtransport begann am 27. März 1941 mit dem Convoi Nr. 1. Um 17 Uhr fuhr ein Zug mit Personenwagen der Dritten Klasse vom Bahnhof Drancy-Bourget ab mit 565 Juden an Bord. Der Zug fuhr zunächst nach Norden und nahm in Compiègne von 18.40 bis 19.40 Uhr 547 Juden auf, die im KZ Royallieu interniert waren. Dieser einzige Zug mit Personenwagen in der französischen Deportationsgeschichte erreichte das KZ Auschwitz am 30. März 1942 um 5.33 Uhr. Die 1.112 Juden in diesem ersten Konvoi wurden alle zur Zwangsarbeit ausgewählt und mit den Nummern 27533 bis 28644 tätowiert. 73 % der Männer des Konvois 1 starben innerhalb von sechs Wochen und 91 % in den ersten drei Monaten zwischen April und August 1942. Laut Serge Klarsfeld gab es 1945 32 Überlebende.
Nach einer Pause von drei Monaten folgte Convoi 3 am 22. Juni 1942 (Convoi 2 war am 5. Juni 1942 von Compiègne aus gestartet). Da das Lager Drancy nur 934 Männer im zu dieser Zeit geltenden Deportationsalter zwischen 18 und 55 Jahren aufwies, waren aus dem Pariser Internierungslager Caserne des Tourelles noch 66 Frauen abgeholt worden, um die erforderliche Zahl von 1000 Deportierten zu erreichen. Unter diesen Frauen waren 21 französische Staatsbürgerinnen. Eine von diesen, die 33-jährige promovierte Biologin Claudette Bloch (* 29. Mai 1910) aus Bourg-la-Reine, überlebte Auschwitz mit zwei weiteren dieser 66 Frauen. Sie hat am 27. März 1947 im Prozess gegen Rudolf Höß vor dem Obersten Nationalen Tribunal Polens in Krakau über die rasch einsetzenden Selektionen ausgesagt: ‚Am ersten Sonntag, nachdem wir in Birkenau angekommen waren (Ankunft: Mittwoch, 24. Juni), wurde uns befohlen, das Lager zu verlassen. Zu unserer großen Überraschung wurden Frauen, die krank waren oder leicht geschwollene Beine hatten, zu einer Seite getrennt. Der Appell dauerte fast den ganzen Tag. Als wir vom Appell zurückkamen, kamen die getrennten Frauen nicht mit in unsere Blocks (Baracken), sondern wurden in Block 25 versammelt. Dieser Block 25 war das Vorzimmer zur Eingangshalle des Todes. Die dort eingesperrten Frauen bekamen weder zu essen noch zu trinken, während sie warten mussten, bis eine größere Zahl an Frauen zusammen war, um alle zusammen zur Gaskammer zu bringen". Von den 934 Männern ‚‚sind am 15. August 1944 nur noch 186 Männer am Leben, d. h. innerhalb von siebeneinhalb Wochen kommen 747 Deportierte um".
Die Gründe für die Spanne von drei Monaten zwischen den ersten beiden Deportationstransporten aus dem Lager Drancy liegen in Kompetenzauseinandersetzungen zwischen der SiPo-SD und der Militärverwaltung, nunmehr unter General Carl-Heinrich von Stülpnagel, der „eine klare Trennung seiner militärischen Befugnisse von allen politischen Fragen“ einforderte. Am 9. März 1942 hatte Hitler Heinrich Himmler die Genehmigung erteilt, in Frankreich einen Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) einzusetzen, was Stülpnagels Forderung entgegenkommen sollte. Am 7. Mai 1942 wurde der SS-Gruppenführer Carl Oberg durch SS-Obergruppenführer und Chef des Reichssicherheitshauptamtes(RSHA) Reinhard Heydrich in Paris als für den besetzten Teil Frankreichs zuständigen Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) eingeführt. Polizeigewalt und Zuständigkeit für Sicherheitsfragen waren nun vom Militärbefehlshaber auf den HSSPF übergegangen.
Heydrich, der vom 7. bis zum 15. Mai 1944 in Paris weilte, hatte bei der Einführung klargestellt, dass die Bekämpfung des Widerstands und die Vorbereitung der „Endlösung der Judenfrage“ im Vordergrund der Aufgaben stünden. Mit dem 27-Jährigen SS-Sturmbannführer Herbert Hagen erhielt Oberg einen ehrgeizigen persönlichen Referenten.
Oberg führte in der Folge eine Reihe von Abstimmungsgesprächen mit dem Generalsekretär der französischen Polizei, René Bousquet, die am 8. August 1942 in dem Oberg-Bousquet-Abkommen gipfelte. Die französische Regierung stimmte mit diesem Abkommen, das nur mündlich existierte, der Deportation von ausländischen Juden zu, nicht aber jener der französischen Juden. Sie widersetzte sich auch Plänen Carl Obergs sowie des zum SS-Standartenführer und „Befehlshaber der SS und Sicherheitspolizei“ beförderten Helmut Knochen, dem „operativen und intellektuellen Kopf von SS und Gestapo in Frankreich“, die Staatsangehörigkeit von nach 1927 eingebürgerten Juden abzuerkennen. Am 24. August 1943 hatte Marschall Pétain dem sogenannten Ausbürgerungsgesetz nach langer Diskussion eine endgültige Absage erteilt.
Unabhängig von diesen Vorgängen hatte Himmler nach einer Besprechung mit Carl Oberg am 22. Juni 1942 dem Amtschef der Abteilung IV, SS-Gruppenführer Heinrich Müller, befohlen, dass sämtliche Juden Frankreichs „sobald als möglich abgeschoben“ werden sollen. Müller leitete den Befehl an den Leiter des Referats IV B 4 (Eichmannreferat), SS-Sturmbannführer Adolf Eichmann, weiter. Dieser hatte am selben Tag dem „Judenreferenten“ des Auswärtigen Amtes, Franz Rademacher, mitgeteilt, dass in Absprache mit der Reichsbahn der Transport von 100.000 Juden aus Frankreich einschließlich dem unbesetzten Gebiet ab dem 13. Juli vorgesehen sei. Am 30. Juni 1942 überbrachte Eichmann selbst Himmlers Befehl nach Paris.
Die „spektakulärste Folge der Absprachen“ zwischen der Gruppe um Oberg und dem Polizeigeneralsekretär Bousquet war die Massenrazzia in Paris mit der Festnahme von 13.152 Juden, bekannt unter dem Namen „Rafle du Vélodrome d’Hiver“. Von ihnen wurden 8.160 (4115 Kinder, 2916 Frauen und 1129 Männer) jüdische Menschen bis zu fünf Tage lang im Wintervelodrom, einer überdachten Radrennbahn, unter entsetzlichen Bedingungen festgehalten und anschließend dem Sammellager Drancy und den Lagern Pithivier und Beaune-la-Rolande zugeführt.
Der am 13. Juli von der Polizeipräfektur herausgegebene Einsatzbefehl berief sich darauf, dass „die deutschen Autoritäten entschieden haben, dass ein bestimmte Anzahl ausländischer Juden zu verhaften und in Lager zu sperren sind“. Dieses beträfe „Deutsche, Österreicher, Polen, Tschechoslowaken, Russen (sowjetische) und Staatenlose“. In das Lager Drancy sollten die verbracht werden, die keine Kinder haben, die anderen sollten in das Velodrom. Der Grund für diese Aufteilung liegt darin, dass Familien als wehrlos eingeschätzt wurden, während Menschen ohne Kinder stärker zu sichern sind und deshalb dem Lager Drancy zugeteilt wurden. Was das „Camp de Drancy betrifft, so soll das Kontingent 6.000 vorsehen. Konsequenterweise, wenn Sie eine Abfahrt nach Drancy machen, melden Sie die Anzahl an den Stab, der Sie benachrichtigt, wenn die Zahl erreicht ist. Sie dirigieren dann die Autobusse zum Vélodrome d’Hiver.“ Für die 20 Arrondissements und die umgebenden Kommunen waren die vorgefertigten Haftbefehle, zusammen 26.000, differenziert aufgeführt. Man hatte offenbar die doppelte Anzahl an Verhaftungen vor.
Mit dem Abkommen vom August 1942, dessen Inhalte seit Juni feststanden, erwirkte die deutsche Judenverfolgung den Zugriff auf die in Lagern der unbesetzten Zone Frankreichs befindlichen Juden. Mitte Juli 1942 konnte deshalb „Judenreferent“ Theodor Dannecker mehrere südfranzösische Internierungslager besichtigen, darunter am 18. Juli das Camp de Gurs. In der Folge der Razzia in Nizza vom 26. August 1942 durch französische Polizei wies der Stab des Polizeigeneralsekretärs, René Bouquet, am 28. Juli 1942 den Regionalpräfekten von Nizza detailliert an, wie der Deportationszug für 1.000 Personen zusammenzustellen sei.
In der Folge des Abkommens wurden aus Lagern der unbesetzten Zone 7.461 Personen zum Sammellager Drancy verbracht; die Quellen sind nicht vollständig erfasst:
Neben den Deportationen aus dem Sammellager Drancy verliefen im Sommer 1942 aus weiteren Lagern Frankreichs Transporte in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. In diesen Convois befanden sich ab der zweiten Hälfte des Juli 1942 die erwachsenen Opfer der Rafle du Vélodrome d`Hiver. Wegen der thematischen und zeitlichen Verbindung zu den aus Drancy abgehenden Convois werden sie deshalb hier mit aufgeführt:
Convoi Nr. | Lager | Abfahrt | Ankunft | Personenzahl | bei Ankunft … | Überlebende | D. Czech | Klarsfeld |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
2 | KZ Royallieu | 5.6.1942 | 7.6. | 1000 (773 m., 218 w., 7 k.) | "Am 15. 8. noch 217 am Leben" | 32 | 223 | 31 |
4 | Pithiviers | 25.6. | 27.6. | 1003 (1003 m.) | "Am 15. 8. noch 557 am Leben" | 51 | 237 | 38 f. |
5 | Beaune-La-Rolande | 28.6. | 30.6. | 1042 (965 m., 77 w.) | "Am 15. 8. noch 703 am Leben" | 35 | 238 | 41 f. |
6 | Pithivier | 17.7. | 19.7. | 928 (809 m., 119 w.) | ~ 100 | 252 | 43 | |
8 | Angers-Saint-Laud | 20.7. | 23.7. | 1254 (824 m. 430 w.) | 453 im Gas getötet | 14 | 254 | 51 f. |
13 | Pithivier | 31.7. | 5.8. | 1049 (690 m., 359 w.) | im Lager aufgenommen | 13 | 264 | 63 |
14 | Pithivier | 3.8. | 2.8. | 1034 (52 m., 982 w.) | 470 im Gas getötet | 4 | 267 | 64 |
15 | Beaune-La-Rolande | 5.8. | 7.8. | 1014 (588 m., 426 w., 25 u.12 J.) | 704 im Gas getötet | 5 | 268 | 67 |
16 | Pithivier | 7.8. | 9.8. | 1069 (197 m., 871 w., 320 k.) | 794 im Gas getötet | 6 | 269 | 69 |
35 | Pithivier | 21.9. | 23.9. | 1000 (532 m. 468 W., 163 k.) | 641 im Gas getötet | 23 | 307 | 128 |
Vor der „Rafle du Vélodrome d’Hiver“ waren aus den drei Lagern Drancy, Pithivier und Beaune-La-Rolande bis dahin 4.965 Menschen deportiert worden. Im unmittelbaren Anschluss setzten Massendeportationen ein. Bis Ende September waren es, ausgehend vom 16./17. Juli, 30.347 Deportierte; 43 Prozent von ihnen waren bei der Razzia vom Vélodrome d’Hiver erfasst worden.
Convoi Nr. | Abfahrt | Ankunft | Personenzahl | bei Ankunft … | D. Czech |
---|---|---|---|---|---|
7 | 19.7.1942 | 21.7. | 1000 (879 m., 121 w.) | 375 m. getötet | S. 253 |
9 | 22.7. | 24.7. | 1000 (615 m., 385 w.) | keine Angabe | S. 256 |
10 | 24.7. | 26.7. | 1000 (370 m., 630 w.) | keine Angabe | S. 257 |
11 | 27.7. | 29.7. | 1000 (248 m., 742 w.) | keine Angabe | S. 259 |
12 | 29.7. | 31.7. | 1000 (270 m., 730 w.) | 216 w. getötet | S. 262 |
19 | 14.8. | 16.8. | 1015 (86 Kinder bis 12 J.) | 900 getötet | S. 277 |
20 | 17.8. | 19.8. | 997 (664 Kinder) | 897 getötet | S. 281 |
21 | 19.8. | 21.8. | 1000 (373 Kinder) | 817 getötet | S. 284 |
22 | 21.8. | 23.8. | 1000 (544 Kinder bis 14 J.) | 892 getötet | S. 286 |
23 | 24.8. | 26.8. | 1000 (518 Kinder bis 14 J.) | 908 getötet | S. 287 |
24 | 26.8. | 28.8. | 1000 (320 Kinder bis 12 J.) | 780 getötet | S. 288 |
25 | 28.8. | 31.8. | 1000 (280 Kinder bis 14 J.) | 929 getötet | S. 291 |
26 | 31.8. | 2.9. | 1000 (545 m., 455 w.) | 761 getötet | S. 293 |
27 | 2.9. | 4.9. | 1000 ("m, w, k") | 677 getötet | S. 295 |
29 | 7.9. | 9.9. | 1000 ("m, w, k") | 689 getötet | S. 297 |
30 | 9.9. | 11.9. | 1000 ("m, w, k") | 709 getötet | S. 299 |
31 | 11.9. | 12.9. | 1000 ("m, w, k") | 620 getötet | S. 300 |
32 | 14.9. | 16.9. | 1000 ("m, w, k") | 745 getötet | S. 303 |
33 | 16.9. | 18.9. | 1003 ("m, w, k") | 556 getötet | S. 304 |
34 | 18.9. | 20.9. | 1000 ("m, w, k") | 659 getötet | S. 305 |
36 | 23.9. | 25.9. | 1000 ("m, w, k") | 475 getötet | S. 308 |
37 | 25.9. | 27.9. | 1004 ("m, w, k") | 698 getötet | S. 310 |
38 | 28.9. | 29.9. | 904 ("m, w, k") | 633 getötet | S. 311 |
39 | 30.9. | 2.10. | 210 (103 m,100 w, 7 k.) | 154 getötet | S. 313 |
40 | 4.11. | 6.11. | 1000 ("m, w, k") | 639 getötet | S. 333 |
42 | 6.11. | 8.11. | 1000 ("m, w, k") | 773 getötet | S. 335 |
44 | 9.11. | 11.11. | 1000 ("m, w, k") | 750 getötet | S. 337 |
45 | 11.11. | 13.11. | 745 ("m, w, k") | 599 getötet | S. 338 |
75 Prozent der Deportierten wurden sofort nach der Ankunft im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau selektiert und in der Gaskammer getötet. Am 23. September 1942 erhielt die Kommandantur der KZ Auschwitz-Birkenau die Nachricht, dass an diesem Morgen um 8.55 Uhr ein Deportationszug (Convoi 36) das Lager Drancy verlassen habe. Unter den Deportierten sei René Blum, der Bruder des ehemaligen Ministerpräsidenten Leon Blum.
Vom 14. August 1942 an wurden mit den Convois 19 bis 25 in dichter Folge Kinder zum Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert; die Kinder hatte französische Polizei nach der Razzia du Vélodrome d`Hiver in die Loiret-Lager Pithivier und Beaune-La-Rolande verschleppt. Ihre Eltern waren in den letzten Julitagen bereits deportiert worden.
Georges Wellers, der von Juni 1942 bis zu seiner Deportation am 30. Juni 1944 im Sammellager Drancy festgesetzt war, beschrieb als Zeuge im Eichmann-Prozess die Vorgänge um die Deportationen von mehr als 4.000 Kindern im Sommer 1942: „In der zweiten Augusthälfte waren 4.000 Kinder ohne Eltern in Drancy angekommen. Sie waren zwischen 2 und 12 Jahre alt.“ Man habe sie aus den Autobussen im Hof ausgeladen „wie kleine Tiere“. Die Stacheldrahtzäune seien von Gendarmen bewacht gewesen. Die Kinder seien ausgestiegen, und sofort hätten die Größeren die Kleineren bei den Händen genommen und nicht mehr losgelassen. Auf der Treppe nahmen, beobachtete Wellers, die Größeren die Kleinen auf den Arm und trugen sie bis in den 4. Stock. Dort seien sie wie eine verängstigte Herde geblieben und hätten lange gezögert, sich auf die schmutzigen Matratzen zu setzen. … In den Räumen befänden sich jeweils 100 Kinder. Man habe ihnen Hygieneimer auf die Treppen gestellt, weil die Kleinen die Treppen in den Hof nicht gehen konnten. … Es sei die Zeit der Kohlsuppen in Drancy gewesen, und sehr bald litten die Kinder unter Durchfall. Als Folge beschmutzten sie ihre Kleider und ihre Matratzen, auf denen sie ständig lägen. Jede Nacht hätten die anderen Gefangen auf der gegenüberliegende Seite des Lagers ohne Unterlass das verzweifelte Weinen der Kinder und die schrillen Schreie derer, die sich nicht mehr zurückhalten konnten, gehört. „Sie blieben nicht lange in Drancy. 2 oder 3 Tage nach ihrer Ankunft verließ die Hälfte der Kinder das Lager mit 500 fremden Erwachsenen zur Deportation.“ Zwei Tage später war es an der anderen Hälfte gewesen, zu folgen. Am Vortag der Deportationen seien die Kinder wie alle durchsucht worden. Anderntags habe man sie um 5 Uhr geweckt. In der Kühle um 5 Uhr morgens seien fast alle Kinder nur leicht bekleidet in den Lagerhof gekommen. In der Nacht früh geweckt und schlaftrunken hätten die Kleinen zu weinen begonnen, und nach und nach hätten es alle anderen ihnen nachgetan. Georges Wellers beschreibt, wie sie sich weigerten, in den Hof hinabzusteigen, sich wehrten und sich nicht ankleiden ließen. Es sei manchmal vorgekommen, dass ein ganzer Raum mit 100 Kindern von Panik und nicht zu beruhigender Erregung ergriffen worden sei, dass sie nicht mehr auf die beruhigenden Worte Erwachsener hörten und unfähig waren, die Treppen hinabzusteigen. Dann seien die Gendarmen gerufen worden, welche mit vor Schrecken schreienden Kindern auf dem Arm die Treppe hinunterstiegen. Eine große Schwierigkeit sei gewesen, dass die kleinen Kinder schlecht auf ihre Namen reagierten, ihre Familiennamen nicht kannten. In jedem Konvoi habe es eine Reihe von Kindern gegeben, deren Namen unbekannt waren und „die man hinzutat, um aufzufüllen. Auf diese Weise hat man in zwei Wochen 4.000 Kinder ohne ihre Eltern von Drancy aus deportiert.“ Man möge sich vor Augen führen, wie diese bemitleidenswerten Transporte voller Kinder durch ganz Europas gefahren seien, sich die Ankunft der noch Lebenden vorzustellen, ihr Aussteigen aus den Waggons in der Umgebung von bewaffneter SS, begleitet von riesigen bellenden Polizeihunden, ihr formierter Marsch zu den Gaskammern und „ihr furchtbares Opfer, bestimmt für einen unauslöschbaren Hass“.
Serge Klarsfeld: In diesem schrecklichen Jahre 1942 wurden 1.032 Kinder unter 6 Jahren deportiert, 2.557K inder von 6–12 Jahren und 2.464 Kinder von 13–17 Jahren. Nach Klarsfeld sind 2.491 Personen deportiert worden, deren Alter man nicht bestimmen kann. Aber dass sich viele Kinder unter ihnen befunden hätten, würde sich in wiederholenden Familiennamen abbilden.
Naftal Prochownik, geb. in Toruń, war mit seiner Familie während der Razzia vom Vélodrom d’Hiver festgenommen worden. Während seine Eltern und Geschwister ins Vélodrom und von dort ins KZ-Royallieu verschleppt wurden, kam er als Erwachsener ins Sammellager Drancy, wo er eine Woche später 20 Jahre alt wurde. Dort traf er seine kleinen Brüder und die Schwester wieder, wurde mit Convoi 23 deportiert und überlebte: „Die Autobusse kommen mit heftigem Lärm an und wirbeln Staub auf. Es waren Dutzende und wir waren es nicht gewohnt, die Ankunft so vieler Gefangener auf einmal zusehen.“ Üblich sei ein einzelner Lastwagen oder ein Bus, der Gefangene bringt. … Sie seien dutzendweise ausgestiegen, „Kinder in Verwandtschaften zusammengeklumpt, benebelt, ausgezehrt, mechanisch, still wie die Schafe der Bibel, als Opfer genommen für einen Gott des Krieges, der Dunkelheit.“ Aber es sei kein Gott gekommen, um in ihre Bestimmung als Engel einzugreifen. Als er sie betrachtet habe, erkannte er familiäre Gesichter, unter ihnen seine kleinen Brüder Louis und Henri und seine kleine Schwester Jeannette, 13, 10 und 5 Jahre alt. „Welch Schlag ins Herz!“ Alle anderen Kinder aus seinem Quartier habe er gesehen, die Gurmans, die Luftmans, alle wären zusammen mit ihren Eltern bei der Razzia vom Vélodrome d’Hiver dort versammelt worden. Von da habe man sie nach Compiègne verbracht. Dort wäre, so habe es ihm sein Bruder Pierre erzählt, sein Vater einem Convoi nach Deutschland zugeteilt worden, und auch die Mutter habe man von den Kindern getrennt. Während mehrerer Tage habe er die Kinder getröstet, wie er konnte. Es vergingen einige Tage und er erfuhr, dass ein Convoi nach Deutschland für die Kinder geplant sei, angeblich um sie mit den Eltern wieder zu vereinen. Er fragte sich, warum sollte man sie getrennt haben, um sie darauf wieder zu vereinen? So vermutete er ein viel tragischeres Geschick und fragte sich, was er tun soll? Solle er mit ihnen gehen, um sie zu beschützen, oder bleiben und auf sein Schicksal warten? „Dieses tiefgreifende Dilemma, ich komme zu keiner Lösung. Ich schließe die Augen in der Nacht nicht.“ Am Morgen habe er sich entschieden, mit dem kleinen Louis offen zu reden. Die Kinder müssten in die Deportation gehen, um die Eltern wieder zu treffen. Ob er, Louis, glaube in der Lage zu sein, auf Jeannette und Henri alleine aufzupassen, oder ob er wolle, dass der große Bruder mit ihnen ginge? Aber in diesem Fall würde dieser keine Chance haben, das zu retten, was zu retten ist. Louis habe geantwortet: Bis jetzt habe er sich gut um sie allein gekümmert, also, wenn es eine Chance gäbe, Dich zu retten, dann bleib! In den Tagen vor ihrer Abfahrt organisierte Naftal Prochownik Vorräte und Decken. Sie seien gegangen, jeder mit seinem Bündel. Er habe sie bis zum Bus begleitet, habe sie da eingerichtet, aber sehr geahnt, dass er sie nie wiedersehen werde. Drei Wochen später stieg der 20 Jahre alte Naftal selbst einem Convoi zu. Er kam drei Jahre später zurück: „Ihr, die mich lest, versteht leicht, warum alle Kinder dieser Welt meine Brüder und Schwestern geworden sind.“
Odette Daltroff-Baticle (1920–2019) war am 28. Juli im Tourelles-Gefängnis inhaftiert und dem Sammellager Drancy überstellt worden. Befreit am 29. Mai 1943 war sie Mitglied des Maquis Vercors, später zur Ritterin der Ehrenlegion und Ehrenbürgerin der Stadt Paris ernannt. Sie schildert in einem ausführlichen Bericht die Ankunft der Kinder (hier auszugsweise): „Man hat uns die Ankunft von 3000 Kindern ohne Eltern mitgeteilt, Folgen der Razzia vom 15.Juli.“ Kinder und Eltern seien in das Lager Pithivier gebracht und von dort zuerst die Männer, dann die Frauen deportiert worden. Die Mütter mussten sich von ihren Kindern losreißen, die nicht loslassen wollten. Ein Gendarm habe ihr mitgeteilt, dass es ein schreckliches und herzzereißendes Schauspiel gewesen sei. Frauen und Kinder habe man mit Gewehrkolben getrennt. Die Frauen seien im Glauben gelassen worden, dass das Rote Kreuz sich um ihre Kinder kümmern würde. Aus den Autobussen „steigen kleine Wesen in unbeschreiblichem Zustand aus. Eine Wolke von Insekten umschwirrt sie in einem fürchterlichen Geruch.“ Sie hätten Tage und Nächte von Pithivier bis Drancy in verschlossenen Wagen verbracht, 90 Kinder je Waggon mit einer Frau, die üblicherweise 2, 3, 4 eigene Kinder in der Menge hatte. Die Kinder seien 15 Monate bis 13 Jahre alt. Ihren gesundheitlichen Zustand nennt Madame Baltroff unbeschreiblich. 3/4 von ihnen seien voll eitriger Wunden der aufgekratzten Borkenflechte. Sofort habe man ein Duschen organisiert. Für 1000 Kinder gab es nur 4 Handtücher. Gruppenweise seien die Kinder zu den Duschen gebracht worden. Nackt sei ihr Zustand noch beängstigender erschienen: Alle schrecklich mager und fast alle mit offenen Wunden. Nahezu alle haben Dysenterie. Ihre Wäsche unglaublich verschmutzt und die kleinen Bündel ebenso. Die Mütter hatten sie mit ihren kleinen Sachen in guter Ordnung verlassen, aber es sind einige Wochen vergangen, seit denen sie auf sich allein gestellt waren. Sehr bald habe die Helfergruppe gemerkt, dass alles was sie tun, nutzlos sei. Geben man ihnen ihre gereinigte Wäsche zurück, eine halbe Stunde später sei alles wieder verschmutzt. „Die Ärzte bemühen sich um sie mit ganzer Kraft. Man gibt ihnen Kohle und reibt sie mit Mercurochrome ein. Man wünschte sich, sie auf eine Krankenstation zu schicken. Es ist unmöglich. Sie müssen zu einer unbekannten Bestimmung gehen.“
Convoi Nr. | Abfahrt | Ankunft | Personenzahl | bei Ankunft … | D. Czech |
---|---|---|---|---|---|
46 | 9.2.1943 | 11.2. | 1000 (142 Kinder) | 832 getötet | S. 411 |
47 | 11.2. | 13.2. | 998 (200 Kinder) | 802 | S. 414 |
48 | 13.2. | 15.2. | 1000 (189 Kinder) | 689 | S. 415 |
49 | 2.3. | 4.3. | 1000 (37 Kinder) | 881 | S. 449 |
50 | 4.3. | 1003 (16 Kinder) | Majdanek | ||
51 | 6.3. | 998 (m., w., k.) | Sobibor | ||
52 | 23.3. | 994 (81 Kinder) | Sobibor | ||
53 | 25.3. | 1008 (142 Kinder) | Sobibor | ||
55 | 23.6. | 25.6. | 1018 (m., w., k.) | 418 | S. 528 |
57 | 18.7. | 20.7. | 1000 (m., w., k.) | 440 | S. 549 |
58 | 31.7. | 2.8. | 1000 (m., w., k.) | 727+55 | S. 563 |
59 | 2.9. | 4.9. | 1000 (m., w., k.) | 662 | S. 596 |
60 | 7.10. | 10.10. | 1000 (m., w., k.) | 491 | S. 625 |
61 | 28.10. | 30.10. | 1000 (m., w., k.) | 613 | S. 642 |
62 | 20.11. | 23.11. | 1200 (m., w., k.) | 914 | S. 661 |
64 | 7.12. | 10.12. | 1000 (m., w., k.) | 661 | S. 675 |
63 | 17.12. | 20.12. | 850 (m., w., k.) | 505 | S. 684 |
In den Monaten Februar und März fanden in kurzer Folge 8 Deportationen statt, darunter 4 in die Vernichtungslager Lublin-Maidanek und Sobibor. Die Razzien und innerfranzösischen Transporte spiegeln die neue Situation wieder, die nach der Besetzung Südfrankreichs ab dem 11. November 1942 eingetreten war.
Nach einer fast dreimonatigen Pause begannen die Deportationen am 23. Juni 1943 erneut. Am 18. Juni 1943 war der SS-Hauptsturmführer Alois Brunner als Lagerführer eingesetzt worden. Am 4. August ließ er die Loiretlager Pithivier und Beaune-La-Rolande schließen.
Nach dem italienisch-alliierten Waffenstillstand besetzten Wehrmachtstruppen und SD-SiPO am 8. September 1943 den bis dahin italienisch okkupierten Teil Südfrankreichs. Dort war in den Monaten nach dem 11. November 1942, als italienische Truppen Südostfrankreich besetzt hatten, eine Fluchtenklave für Juden entstanden. Der Oberbefehlshaber der 4. italienischen Armee, General Mario Vercellino, hatte am 12. Dezember 1942 den regionalen Präfekten sogar die Internierung von Juden ausdrücklich verboten. Brunner begann am 10. September 1943 in Nizza eine brutale Judenverfolgung. Bis zum 15. Dezember wurden von den etwa 25.000 Juden, die in diesem Gebiet lebten, 1.820 Menschen nach Drancy deportiert. Im Jahre 1944 waren es bis zum 31. Juli 1944 weitere 1.129 Menschen. Am 13. Oktober waren 1.857 Juden in Drancy interniert.
Bis zum 17. Dezember fuhren 9 Convois in Abständen von 3–4 Wochen von Drancy nach Auschwitz-Birkenau:
Am 1. Januar 1944 wurde Joseph Darnand Generalsekretär der französischen Polizei, nun unter dem neuen Titel „Ministre du maintien de l’ordre“ (Minister zur Erhaltung der Ordnung). Darnand, seit August 1943 Ehrenoffizier der Waffen-SS, war zugleich Chef der paramilitärischen und von der deutschen Verwaltung im Herbst 1943 mit Waffen ausgestatteten Milice française. Die bis dahin nur in der Südzone zugelassene Milice, „Inbegriff der Kollaboration in ihrer – in jederlei Hinsicht – hemmungslosesten Form“, durfte nun auch in der Nordzone tätig sein. Oberg hatte die Ablösung Bousquets im Dezember 1943 durchgesetzt. Die Verhaftungen erfolgten von da an durch französische Polizei und Miliz sowie die SiPo-SD unter Ausschluss der Regionalpräfekten. Der französische Staat war weitgehend ausgehebelt, die Judenverfolgung in die Hände paramilitärischer Ultras gelegt. Diese Entwicklung hatte sich bereits im Vorjahr mit den Verhaftungen der UGIF-Vorsitzenden André Baur (21. Juli 1943) und Raymond-Raoul Lambert (20. August 1943) sowie dem Vorsitzenden des Consistoire central israélite, Jacques Helbronner (23. Oktober 1943) abgezeichnet. Helbronner, Mitglied des Conseil d’État seit 1899, Anwalt am Pariser Appellationsgericht seit 1895, Offizier im Ersten Weltkrieg und Kommandeur der Ehrenlegion war zusammen mit seiner Frau Jeanne am 20. November 1943 mit Convoi 62 vom Sammellager Drancy nach Auschwitz deportiert worden, wo sie in den Gaskammern starben. Im selben Convoi befand sich auch der Chefarzt des jüdischen Krankenhauses Rothschild, Léon Zadoc-Kahn (1870–1943) mit Frau Suzanne. Lambert folgte mit seiner Familie am 7. Dezember mit Convoi 64, Baur ebenfalls mit Frau und 4 Kindern mit Convoi 63 am 17. Dezember 1943. André Baurs Frau Odette war mit den Kindern Pierre (10), Myriam (9), Antoine (6) und Francine (3) nach einem Besuch ihres Mannes in Drancy bei der Rückkehr verhaftet und mit den Kindern in das Sammellager Drancy überführt worden. Odette und die Kinder starben nach der Ankunft in Auschwitz-Birkenau im Gas, André im März 1944 ebenso.
Convoi Nr. | Abfahrt | Ankunft | Personenzahl | bei Ankunft | D. Czech |
---|---|---|---|---|---|
66 | 20.1.1944 | 22.1. | 1153 (224 Kinder) | 864 getötet | S. 712 |
67 | 3.2. | 6.2. | 1214 (204 Kinder) | 999 getötet | S. 720 |
68 | 10.2. | 13.2. | 1502 (319 Kinder) | 1229 getötet | S. 722 |
69 | 5.3. | 10.3. | 1497 (195 Kinder) | 1300 getötet | S. 736 |
70 | 27.3. | 30.3. | 1000 (125 Kinder) | 470 getötet | S. 746 |
71 | 13.4. | 16.4. | 1500 (313 Kinder) | 1112 getötet | S. 757 |
72 | 29.4. | 1.5. | 1004 (190 Kinder) | 865 getötet | S. 763 |
73 | 15.5. | Reval | 838 m. | 814 getötet | |
74 | 20.5. | 23.5. | 1200 (213 Kinder) | 732 getötet | S. 782 |
75 | 30.5. | 2.6. | 1000 (129 Kinder) | 627 getötet | S. 792 |
76 | 30.6. | 4.7. | 1100 (180 Kinder) | 479 getötet | S. 812 |
77 | 31.7. | 3.8. | 1300 (356 Kinder) | 826 getötet | S. 840 |
Zum Sammellager Drancy gehörten drei Nebenlager in Paris: Austerlitz, Lévitan und Bassano. Das Lager Austerlitz, 43 Quai Panhard-et-Levassor, auch Magasin central d'Austerlitz genannt, bestand vom 1. November 1943 bis zum 12. August 1944. Hier arbeiteten 400 sogenannte Halbjuden oder Juden, die nichtjüdische Ehepartner hatten, an der Aufbereitung aus jüdischem Besitz stammender Möbel, die von der Dienststelle „Westen“ des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg (Hauptquartier in 54 Avenue d’Iéna) beschlagnahmt worden waren. Die französische Regierung hatte am 25. Juli 1941 und mehrfach danach gegen die Beschlagnahme von Kunstschätzen aus jüdischem Besitz protestiert, konnte sich aber gegen die Vollmachten des Einsatzstabes Rosenberg auch gegenüber der deutschen Militärverwaltung nicht durchsetzen. Die Dienststelle „Westen“ hat aus Frankreich „52 D-Zugwagen mit Gegenständen mit einem angeblichen Wert von ca. 1 Milliarde RM nach Deutschland abtransportiert“. Mit den Möbeln war der Leiter der Dienststelle, Kurt von Behr, persönlich befasst. Hierzu gehörte auch die sogenannte M-Aktion, bei der fast 70.000 jüdische Wohnungen erfasst und deren Inhalt komplett nach Deutschland verbracht worden waren. Der Berliner Max Kallmann (1899–1944) war einer der Inhaftierten im Camp d´Austerlitz. Er wurde am 30. Juni 1944 mit Convoi 76, dem Vorletzten, nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Seine Mutter Martha Kallmann, geb. Loewenstein (1874–1942) war am 24. Oktober 1941 aus Berlin deportiert und im Vernichtungslager Kulmhof getötet worden. Das Lager Bassano, 2 Rue de Bassano, lag in Nachbarschaft der Champs-Élysées. Hier wurde hochwertige Uniformkleidung für die SS hergestellt.
Am 17. August 1944 erreichte der schwedische Generalkonsul Raoul Nordling mit dem Stab des Militärbefehlshabers eine Vereinbarung, nach der das Französische Rote Kreuz für „die Führung, Aufsicht und Verantwortung aller politischen Gefangenen“ verantwortlich sei. Die Vereinbarung betrifft auch das Lager Drancy. Am 19. August 1944 fuhren die jüdischen Widerständler Lucien Rubel, Tony Gryn, Albert Akerberg, Marc Levy und Isidore Pohorylès mit dem Niederländer Joseph Linnewiel von Paris nach Drancy, wo sich noch 1.532 Internierte befanden, darunter Patricia Graff, die Verlobte von Lucien Rubel. Sie handelten dabei im Auftrag von Oberst Henri Rol-Tanguy, seit Juni 1944 regionaler Leiter der Forces françaises de l’intérieur (FFI) für die Region Paris – Île-de-France. Rol-Tanguy besetzte am selben Tag die Pariser Polizeipräfektur. Die bewaffneten jungen Männer fanden das Lager nur noch von französischer Polizei bewacht vor.
1976 schuf der Bildhauer Shlomo Selinger in Erinnerung an die hier eingesperrten französischen Juden das Mahnmal der Deportation, das sich im Viertel La Muette befindet. Teil des Denkmals ist der 1988 eröffnete Zeugen-Waggon (Wagon-Témoin). In den Gebäuden des Lagers befinden sich, wie ursprünglich vorgesehen, Sozialwohnungen.
Offiziell wurde in Frankreich bis vor kurzem das Vichy-Regime als „illegale Regierungsstelle der französischen Republik“ bezeichnet. Obwohl das kriminelle Verhalten des Vichy-Regimes und die Kollaboration von zehn französischen Gendarmen angeklagt wurde, sogar einige Vertreter des Vichy-Regimes verurteilt wurden (z. B. Pétain, Pierre Laval, Paul Touvier, Maurice Papon) wurde die Mitverantwortung der französischen Republik lange geleugnet. Am 16. Juli 1995 erkannte jedoch Präsident Jacques Chirac in einer Rede die Mitverantwortung des französischen Staates an. « Il est difficile de les [des moments qui blessent la mémoire, et l’idée que l’on se fait de son pays] évoquer, aussi, parce que ces heures noires souillent à jamais notre histoire, et sont une injure à notre passé et à nos traditions. Oui, la folie criminelle de l’occupant a été secondée par des Français, par l’Etat français. » (deutsch: „Ja, es ist schwer, sich diese [Momente, die unsere Erinnerung und die Idee, die man von seinem Land hat] in Erinnerung zu rufen, auch weil diese dunklen Stunden für immer unsere Geschichte beflecken, und eine Beleidigung für unsere Vergangenheit und Geschichte darstellen. Ja, der kriminelle Wahnsinn der Besatzer wurde sekundiert durch Franzosen, durch den französischen Staat“)
Am 20. Januar 2005 legten Brandstifter Feuer an einige Viehwaggons im früheren Sammellager. Es wurde ein mit „Bin Laden“ unterzeichnetes Flugblatt mit einem umgedrehten Hakenkreuz vor Ort gefunden. Die Erinnerungskultur vor Ort hat es schwer: „Die jüngeren Schülergruppen, zu einem erheblichen Teil Kinder von Einwanderern aus Nord- und Zentralafrika, seien, so der Leiter des Conservatoires, immer weniger empfänglich für die schwierige Geschichte von Vichy. Aufgrund ihrer Erziehung, ihrer Emigrationserfahrung in anderen Cités der Pariser Banlieue und aufgrund eines immer unglaubwürdiger werdenden Integrations- und Aufstiegsversprechens entsteht eine kaum zu überbrückende Distanz zur lokalen Geschichte. Die Schülerbesuche münden oft in vehemente Auseinandersetzungen über die Tagespolitik und vor allem über Israels Haltung im Nahostkonflikt.“
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