Ronald M.
Schernikau (geboren am 11. Juli 1960 in Magdeburg als Ronald Lothar Schernikau; gestorben am 20. Oktober 1991 in Berlin) war ein deutscher Schriftsteller, Dramaturg und Kommunist.
Seine Mutter war die Krankenschwester Ellen Schernikau (geb. 1936 in Magdeburg); sein Vater Thomas war bereits vor Ronalds Geburt in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Ellen Schernikau flüchtete 1966 mit ihrem Sohn aus der Deutschen Demokratischen Republik, um mit dem Vater zusammenzuleben, der ihr allerdings verschwiegen hatte, dass er im Westen bereits verheiratet war und Kinder hatte. Das Leben seiner Mutter, die überzeugte Sozialistin war, verarbeitet Schernikau in seinem posthum veröffentlichten Buch Irene Binz., für das er zu Lebzeiten weder in der DDR noch in der Bundesrepublik einen Verlag fand.
Ronald Schernikau wuchs in Lehrte bei Hannover auf.
Mit 16 trat er der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) bei. Noch vor seinem Abitur am Lehrter Gymnasium erschien 1980 die Kleinstadtnovelle im Rotbuch Verlag. Das Buch über schwules Coming-out in einer Kleinstadt wurde ein erster bemerkenswerter Erfolg, die Erstauflage war nach wenigen Tagen vergriffen. Im selben Jahr zog Schernikau nach West-Berlin, wo er zur Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW) wechselte und an der FU Germanistik, Philosophie und Psychologie studierte.
Von 1986 bis 1989 studierte Schernikau am Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ in Leipzig, wo er als West-Berliner nur mit erheblichen Schwierigkeiten zugelassen wurde. 1988 nahm er an einem Aufbaustudiengang teil. Im Mai 1988 legte er seine Abschlussarbeit die schönheit von uwe. die losung 43 und der spass der imperialisten. darüber, daß die ddr und die brd sich niemals verständigen können. geschweige mittels ihrer literatur vor und veröffentlichte den Essay 1989 in überarbeiteter Form unter dem Kurztitel die tage in l. im Konkret Literatur Verlag. Unter der Regie von Florian Hein wurde das Werk an der Berliner Schauspielschule Ernst Busch als Theaterstück inszeniert. Ebenfalls 1988 trat er der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bei. Dazu bedurfte es einer Bürgschaft, die er von Peter Hacks erhielt.
In diese Zeit fiel der größere Teil des Briefwechsels mit Peter Hacks, zu dem Schernikau bereits von West-Berlin aus Kontakt aufgenommen hatte. Schernikau stellte Hacks darin die Frage, ob er in die DDR übersiedeln solle. Dieser antwortete ihm, dass er, wenn er ein großer Dichter werden wolle, keine andere Wahl habe, als in die DDR zu kommen. Sie allein stelle ihm „auf entsetzliche Weise“ die Fragen des Jahrhunderts. Solle aber sein Talent darin bestehen, „Erfolg zu haben und Menschen zu erfreuen“, dann solle er es sich noch einmal überlegen. Hacks' Antwort an Schernikau ergab sich aus seiner scharfen Kritik an der damaligen Honecker-Politik, die – anders als die Politik zu Zeiten Walter Ulbrichts – den Sozialismus beeinträchtige und gefährde. 1989 beantragte und erhielt Schernikau die Staatsbürgerschaft der DDR und siedelte am 1. September 1989 nach Berlin-Hellersdorf über. In Ost-Berlin war er als Hörspieldramaturg des Henschel-Verlages tätig. Auf dem Kongress des Schriftstellerverbands der DDR vom 1. bis 3. März 1990 hielt er eine Rede, in der er seinen Zuhörern sagte, dass sie noch nichts „von dem Maß an Unterwerfung“ wüssten, „die der Westen jedem einzelnen seiner Bewohner abverlangt“. Die Strategie des Zurückrollens sei aufgegangen. Der Westen habe gesiegt, die Konterrevolution habe gesiegt. Die spätkapitalistische Ökonomie brauche für ihre Fortexistenz keine Rechtfertigung mehr. Schriftsteller würden sich nun wieder „mit den ganz uninteressanten Fragen auseinanderzusetzen haben, etwa: Wie kommt die Scheiße in die Köpfe?“ Dabei würden sie alleine sein.
1991 vollendete er den umfangreichen Montageroman legende. Er konnte erscheinen, nachdem Autoren wie Eberhard Esche, Peter Hacks, Elfriede Jelinek, Sahra Wagenknecht, Wolfgang Kohlhaase, Dietrich Kittner und Hermann L. Gremliza sich privat und öffentlich für die Subskription einer Vorzugsausgabe eingesetzt hatten. In Michael Sollorz' Spielfilm Banale Tage (1992) hatte er seine einzige Rolle als Darsteller. Vom 1. September 1989 bis zu seinem Tod am 20. Oktober 1991 lebte Schernikau in Berlin-Hellersdorf, Cecilienstraße 241 (ehem. Albert-Norden-Straße). Schernikau starb an den Folgen einer HIV-Infektion. Er wurde auf dem Friedhof Georgen-Parochial II, Abteilung 52, Reihe 02, Grabstelle 16 beigesetzt.
Zu seinen Freunden zählten u. a. die Autoren Elfriede Jelinek, Gisela Elsner, Irmtraud Morgner, Peter Hacks, Ulrich Berkes und Erika Runge. Auf Runges Interviewtechnik bezog er sich in eigenen Arbeiten.
Schernikau lebte mit seinem Lebenspartner Thomas Keck in den 1980er Jahren häufig in Wien. Er setze sich intensiv mit den Werken von Ingeborg Bachmann, Friederike Mayröcker, H. C. Artmann, Ernst Jandl, Andreas Okopenko, Michael Scharang, Peter Turrini und Elfriede Jelinek auseinander, wobei Jelinek für ihn am wichtigsten war.
Marianne Rosenberg bat ihn nach den Protesten gegen den Besuch des US-Präsidenten Reagan in West-Berlin um einen Liedtext zum Thema, den er ihr schrieb („Er ist ein Star“).
Schernikau lebte seine homosexuelle Identität offen und bekannte sich zu seiner kommunistischen Weltanschauung. Während sein Tod im Gegensatz zu seiner Übersiedlung in die DDR nur zwei Zeitungen eine Meldung wert war, nahm das Interesse an seinem Werk und an seiner Person seit den 2000er-Jahren stetig zu. Die Literaturwissenschaftlerin Ursula Püschel urteilte 2014: »Schernikau ist Weltliteratur.«
Nach seinem Tod wurde zunächst sein Briefwechsel mit Peter Hacks aus dem Nachlass veröffentlicht; der titel die tage in l. – darüber, daß die ddr und die brd sich niemals verständigen können, geschweige mittels ihrer literatur erschien 2002 als Neuauflage im Konkret Literatur Verlag, sein Großroman legende 1999 im Dresdner Verlag ddp goldenbogen, Irene Binz. Befragung 2010 im Rotbuch Verlag und der Text und als der prinz mit dem kutscher tanzte, waren sie so schön, daß der ganze hof in ohnmacht fiel. ein utopischer film im Berliner Verbrecher Verlag, der ebenfalls die Romane Legende, Königin im Dreck und so schön neu verlegte.
Weitere Aufmerksamkeit für den Autor brachten auch die Theater-Inszenierungen seiner Texte (u. a. von Bastian Kraft und Moritz Beichl). Die 2014 von Kraft und John von Düffel inszenierte Schernikau-Hommage „Die Schönheit von Ost-Berlin“ am Deutschen Theater Berlin war immer ausverkauft. Heute hat Schernikau seinen festen Platz in der deutschen Literaturgeschichte nach 1945 zudem als Referenzautor und als linke Kultur-Ikone.
In den populären Büchern von Matthias Frings zu männlicher Sexualität, Homosexualität und Aids ist Schernikau mit Beiträgen vertreten.
2015 wurde der Schernikau-Nachlass an die Akademie der Künste übergeben; „allein 2.500 Seiten Klebefassungen und Schnipsel zur „Legende“. Briefe, Briefdurchschläge, Arbeitsaufträge, aber auch Fotos von DDR-Sportlern und DDR-Schlagersängern, sogar Kinokarten. Aber auch fertige Gedichte. Ein immenses Tagebuch.“ Betreuer seines Nachlasses ist sein Lebenspartner, der Schauspieler und Regisseur Keck.
2015 veranstaltet das Literaturforum im Brechthaus eine große Konferenz zu Ronald M. Schernikau, u. a. mit 16 wissenschaftlichen Vorträgen.
Der WDR brachte 2021 ein Feature von Johanna Tirnthal und Richard Pfützenreuter heraus, das der Fragestellung „Was macht seine Texte aktuell?“ nachgeht.
2022 zeigte das Anhaltische Theater Dessau unter dem Titel der himmel ist ja da. der himmel fängt hier unten an einen Ronald M. Schernikau-Abend von Christian Franke unter Verwendung von „Legende“ und „Königin im Dreck: Texte zur Zeit“.
Hier sind nur die separat erschienenen Schriften aufgeführt; Artikel, Gedichte und kleinere Schriften bleiben unberücksichtigt.
Darüber hinaus zahlreiche Veröffentlichungen von Gedichten und Beiträgen in Zeitschriften, s. dazu: http://www.schernikau.net/*/bibliografie/
Personendaten | |
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NAME | Schernikau, Ronald M. |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Schriftsteller |
GEBURTSDATUM | 11. Juli 1960 |
GEBURTSORT | Magdeburg |
STERBEDATUM | 20. Oktober 1991 |
STERBEORT | Berlin |
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