Richard Wagner Und Der Antisemitismus

Richard Wagners Antisemitismus ist ein Gegenstand der Wagner-Forschung.

Mit seiner Schrift Das Judenthum in der Musik sowie weiteren Essays und Äußerungen ging Richard Wagner in die Geschichte des Antisemitismus ein.

Richard Wagner Und Der Antisemitismus
Richard Wagner, Photographie von Franz Hanfstaengl, 1871

Ausgehend von Adolf Hitlers Wagner-Verehrung wurde das musikdramatische Œuvre Wagners in der Zeit des Nationalsozialismus zum Staatskult erhoben und diente der Ästhetisierung und weihevollen Überhöhung der Politik. Der Antisemitismus Richard Wagners und der Missbrauch seiner Werke während der NS-Zeit sind wesentliche Gründe dafür, dass der Komponist bis in die Gegenwart umstritten bleibt und sich an ihm die Geister scheiden.

In keinem Bereich der Wagner-Forschung finden sich so umfangreiche und teils widersprüchliche Beurteilungen wie hier. So wird nach Kontinuitäten gefragt und überlegt, ob und inwieweit Wagners Vorstellungen Hitler beeinflussten. Ob sich Wagners Antisemitismus in seinen Musikdramen niedergeschlagen hat, wird in der Forschung unterschiedlich beurteilt.

Hintergrund

Richard Wagner Und Der Antisemitismus 
Original-Broschur, 1869

Richard Wagner spielte eine Schlüsselrolle in der Entwicklung des deutschen und europäischen Antisemitismus seit 1848. Kein Bereich der Forschung ist indes durch eine derart breite und stellenweise widersprüchliche Bewertung geprägt wie der Antisemitismus Wagners.

Seine Haltung steht im Kontext zeitgenössischer europäischer und deutscher Diskussionen. So griff er verbreitete antijudaistische und frühantisemitische Stereotype und Reflexe auf, die auch auf Martin Luthers Judenschriften zurückgeführt werden. In Deutschland verband sich im 19. Jahrhundert der religiös motivierte Antijudaismus mit politischen und ökonomischen, kulturellen und sozialen Elementen des modernen Antisemitismus.

Wie die für die Forschung bedeutsamen Tagebücher Cosima Wagners zeigen, speiste sich Wagners Haltung auch aus überkommenen religiösen Vorbehalten. So erblickte er eine tiefe Kluft zwischen dem Alten Testament, im Judentum als Tanach bezeichnet, und dem christlichen Neuen Testament, das nach seiner Auffassung mit der Gesetzesreligion gebrochen habe. Jahve sei der Gott des Gesetzes, Jesus Christus hingegen der liebende, vergebende und erlösende Gott, wie er ihn in seinem frühen, fragmentarisch gebliebenen Drama Jesus von Nazareth zeichnete. Ebenso führte Wagner drei Elemente auf jüdischen Einfluss zurück, deren Eindringen dem christlichen Erlösungsgedanken zutiefst geschadet hätten: die Vorstellung einer Hölle, Aufstachelung zu Kriegen (obwohl er selbst den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 enthusiastisch begrüßt hatte) und die Verdrängung eines angeblich durch Jesus gepredigten Vegetarismus zugunsten einer neuen Lust am Fleischverzehr. Zugleich deutete Wagner Zweifel am Judentum Jesu an.

Daneben umfassen Wagners Schriften und Äußerungen über und gegen Juden ein weites Spektrum. Dieses reicht von niedersten, affektiven Tiraden und Tiervergleichen über ausgeklügelte Theorien bis hin zu beinahe versöhnlichen Tönen und zur Identifizierung mit der vermeintlichen Außenseiterrolle der Juden. Seine Ansichten zur Judenfrage spiegeln die Breite der zeitgenössischen antisemitischen und rassistischen Vorurteile und Stereotype wider.

Anfangs entwickelten sich Wagners Vorstellungen parallel zu seinen sozialrevolutionären Ideen und gingen in das Pamphlet Das Judenthum in der Musik ein, das am Beginn seiner antijüdischen Agitation steht. Es erschien 1850 in zwei Folgen unter dem Pseudonym „K. Freigedank“ in der Neuen Zeitschrift für Musik. 1869 veröffentlichte Wagner es erneut unter seinem Namen als Broschüre, der er eine knappe Einleitung voranstellte. Das Nachwort enthielt die Form eines offenen Briefes an die mit ihm befreundete Gräfin Mouchanoff. Zu Beginn bezieht sich Wagner auf den Begriff „hebräischer Kunstgeschmack“ und erklärt, er wolle die unter den Deutschen verbreitete Abneigung gegen jüdisches Wesen in den Bereichen Kunst und vor allem Musik erklären, dabei aber spezifische religiöse und politische Fragen auslassen. Der Begriff geht auf Theodor Uhlig zurück; wie Eduard Krüger hatte er schon vor dem Erscheinen des Aufsatzes gegen Juden wie Meyerbeer und Mendelssohn polemisiert. Wagner spricht von einer „Verjüdung“ moderner Kunst und betrachtet es als seine Aufgabe, sich den instinktiven Widerwillen gegen jüdisches Wesen bewusst zu machen.

Für Wagner waren Juden schon aus sprachlichen Gründen unfähig, wirkliche Kunstwerke zu schaffen, da die Sprache ihnen lediglich Fremdsprache bleibe, sie also „nur nachsprechen, nachkünsteln“, aber „nicht wirklich redend dichten“ könnten. Der einzige Quell ihrer Kunst sei Synagogenmusik, die in den Mitteln starr und beschränkt sei. Wagner leitete den Status der Juden aus den Prämissen und Implikationen seiner Sprachtheorie ab, die in dem Pamphlet bereits erkennbar ist und in Oper und Drama weiter ausformuliert wurde. Weil ihnen eine eigene Sprache fehle und sie kein eigenes Territorium und keinen Staat hätten, würden sie Fremde und Außenseiter bleiben und nur als „Ausländer“ sprechen. Sie seien aus der Sprachentwicklung der Nation ausgeschlossen, hätten keinen Anteil an der Entwicklung der Sprache, in der sich die „geschichtliche Gemeinsamkeit“ eines Volkes zeige, und könnten deren Wesen nicht verstehen.

Um erfolgreich sein zu können, müssten jüdische Komponisten sich fremde Stile aneignen. Dem „peinlichen Konflikt zwischen Wollen und Können“ könnten sie nur entrinnen, wenn sie Opern für Paris schrieben, die dann in der „übrigen Welt“ leicht aufzuführen seien. „Der Jude“ sei „nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge dieser Welt [...] bereits mehr als emanzipiert: er herrscht [...] so lange [...], als das Gold die Macht bleibt“. An dieser Stelle wird die Verbindung zum Antikapitalismus Karl Marx’ erkennbar, der 1843 in seiner Schrift Zur Judenfrage auf Bruno Bauer reagiert hatte. Dort hieß es ebenfalls, dass „der Jude [...] sich auf jüdische Weise emanzipiert“ habe, „nicht nur, indem er sich die Geldmacht aneignet, sondern indem durch ihn und ohne ihn das Geld zur Weltmacht“ geworden sei.

Die 1869 veröffentlichte Zweitfassung der Schrift endet mit den Worten: „Aber bedenkt, daß nur Eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasver’s – der Untergang!“ Wagner bezog sich mit dem Wort „Untergang“, das sich bereits in der ersten Ausgabe des Pamphlets findet, auf die jüdische Assimilation und die Abkehr von jüdischer Identität. Mit den Mitteln der Kunst sollte ein neues Nationalgefühl zurückgewonnen, Sprache und Kultur erneuert und Deutschland vom vermeintlich zerstörerischen Geist des Materialismus befreit werden.

Auch in weiteren Abhandlungen und Essays finden sich antisemitische Aussagen. In der musikästhetischen Abhandlung Über das Dirigieren (1869) etwa polemisierte Wagner gegen einen bestimmten Typus des modernen Dirigenten. Er ging von Fehlern in der Beethoven-Interpretation aus, die er nicht nur auf die Dirigierstile älterer Kapellmeister zurückführte, sondern auch auf den Einfluss Mendelssohns, aus dessen Schule die gegenwärtigen „Musikbankiers“ hervorgegangen seien oder durch dessen „Protektion der Welt empfohlen“ würden. Diese Dirigenten würden nur auf das Äußerliche der Musik achten, auf ihren eigenen Erfolg schielen und wie Bankiers die Zirkulation der Ware Musik in Gang halten. Die polemische Begriffsprägung „Musikbankier“ lässt den antisemitischen Subtext des Essays erkennen.

In seiner Schrift Was ist deutsch? (1878) attestierte Wagner den (nichtjüdischen) Deutschen eine „Neigung zum Phlegma“; auch im Bereich der Künste hätten „Geist und Genie“ der deutschen Nation „Erfolglosigkeit und Armuth“ eingebracht, daher habe „[d]er Jude [...] dieses Ungeschick der Deutschen [korrigiert], indem er die deutsche Geistesarbeit in seine Hand nahm; und so sehen wir heute ein widerwärtiges Zerrbild des deutschen Geistes dem deutschen Volke als sein vermeintliches Spiegelbild vorgehalten“.

Wagners Haltung durchlief unterschiedliche Phasen, die von antikapitalistischen Vorbehalten, Rassismus und anderen Ressentiments, aber auch Widersprüchen geprägt waren. So äußerte er sich auch zur politischen und rechtlichen Gleichstellung und schloss in den späteren Jahren selbst ein „tolerantes Nebeneinander“ nicht mehr gänzlich aus.

Wie Dieter Borchmeyer ausführt, war das Judentum für Wagner ein Synonym für Modernität, die er sich zunächst selbst auf die Fahnen geschrieben hatte, sich später aber davon lossagte. Wie bei anderen Künstlern war auch bei Wagner dieser Schritt mit einem Rückgriff auf vormoderne Positionen verbunden, die sich etwa in den Meistersingern und im Parsifal zeigen. Laut Borchmeyer wurden seine musikdramatischen Ausdrucksmittel bis zum Tristan und dem Ring indes umso moderner, je deutlicher er gegen die Moderne opponierte. In seinem Aufsatz Modern verschärfte Wagner seine antisemitische Kritik und warf dem Judentum eine traditionslose Modernität vor. Wie später für Karl Kraus schien ihm die Gegenwart durch die Macht des Journalismus und des durch ihn geprägten Essayismus dominiert. Die „Jetztzeit“ verabsolutiere die Gegenwart als eine „Welt, wie sie noch gar nicht dagewesen“ sei. Das Judentum habe sich mit der traditionsfeindlichen Bewegung des Jungen Deutschland verbinden können, der er zuschrieb, das „Moderne“ erfunden zu haben.

Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts gab es in Deutschland einen zunehmenden Judenhass, der sich nicht nur gewalttätig entlud wie in den Hep-Hep-Krawallen, sondern auch viele Broschüren und Pamphlete hervorbrachte. In ihnen artikulierte sich die Judenfeindschaft in stellenweise massiver und brutaler Sprache. Gemessen an diesen Schriften des Frühantisemitismus ist Wagners Sprache von 1850 laut Jens Malte Fischer noch als „relativ moderat“ einzustufen. Er habe die vorherigen Äußerungen gekannt und sich in seiner Polemik auch ausdrücklich auf sie bezogen. So hatten bereits Johann Gottfried Herder, Bruno Bauer und Karl Marx geschrieben, Juden seien unfähig, sich künstlerisch zu äußern. In älteren Standardwerken zur Musikgeschichte – etwa in Johann Nikolaus Forkels Allgemeiner Geschichte der Musik (1788) – war jüdische religiöse Musik als minderwertig beurteilt worden; im Zusammenhang mit der Revolution von 1848 hatten sich antisemitische Tendenzen gegenüber Mendelssohn und Meyerbeer verstärkt. Allerdings war Wagner der erste Autor, der sich so ausführlich äußerte und den Frühantisemitismus systematisch auf die Musik und das Musikleben übertrug.

Cosima Wagners Tagebücher

Richard Wagner Und Der Antisemitismus 
Richard und Cosima Wagner, 1872

Die heftigsten antisemitischen Ausfälle finden sich in privaten Äußerungen, die Cosima Wagner in ihren Tagebüchern aus den Jahren 1869 bis 1883 festhielt. Cosima vertrat ebenfalls antisemitische Positionen, die sie auch nach Wagners Tod offensiv verbreitete. Ihre penibel geführten Tagebücher sind in der Wagner-Forschung sehr bedeutsam: Sie enthalten eine Fülle von Aussagen, die den widersprüchlichen, sich wandelnden Antisemitismus ihres Mannes zeigen wie sonst kein anderes Dokument.

Hans Mayer bezeichnete die 1976 erstmals veröffentlichten Aufzeichnungen als eine „historische Quelle von höchstem Rang“. Wer sich mit Wagner befasse, müsse „sich auf das Ganze einlassen“, das hier, „was auch immer Adorno einwenden mochte“, das Wahre sei. Wagner habe die „geistigen Stationen seines Lebens“ ebenso wie die „Lebenserfahrungen eines geistigen Mitläufers“ aufbewahren können: „Hense und Feuerbach, Proudhon und Bakunin, Schopenhauer und die Rassentheorien des Grafen Gobineau.“

Das Spektrum der Äußerungen ist sehr groß, aber durchgehend von persönlicher Abneigung geprägt. Die Ablehnung schwächt sich in der Regel nur dann ab, wenn Personen des inneren Kreises betroffen sind. Unter den Herabwürdigungen finden sich zahlreiche Vergleiche mit Tieren und Krankheiten.

Wie eine fixe Idee wiederholt und variiert Wagner jahrelang die These, Juden hätten die deutsche Identitätsfindung gestört und den Untergang deutscher Kultur beschleunigt. Dieser Zusammenhang erklärt Wagners Sympathie mit der antisemitischen Bewegung des Kaiserreiches. Adolf Stoecker, der in Wahnfried gelobt wurde, gründete 1878 die antisemitische Christlich-Soziale Arbeiterpartei, die eine von konservativen Kreisen getragene, überwiegend sozialpolitisch ausgerichtete Form des Antisemitismus vertrat. Cosima äußerte sich anerkennend und schrieb, sie „lese eine sehr gute Rede des Pfarrers Stöcker über das Judentum. R ist für völlige Ausweisung.“ Neben Stoecker zitierte Cosima auch andere antisemitische Autoren wie Wilhelm Marr, Constantin Frantz, Paul de Lagarde und Eugen Dühring. Geht es um die jüdische Emanzipation im Zusammenhang mit der „verspäteten Nation“, erblickt Wagner Juden als Störfaktoren auf dem Weg zu einer deutschen Identität, die noch nicht ausgebildet sei. Er habe zwar „die besten Freunde unter den Juden, [...] aber ihre Emanzipation und Gleichstellung, bevor wir Deutschen etwas waren, sei verderblich gewesen“. Juden seien mindestens 50 Jahre verfrüht „amalgamiert“ worden und hätten deswegen „zu früh in unsere Kulturzustände eingegriffen“ und verhindert, „daß das allgemein Menschliche, welches aus dem deutschen Wesen sich hätte entwickeln sollen, [...] auch dem Jüdischen zugute“ gekommen wäre.

An einer anderen Stelle heißt es: „Wenn ich noch einmal über die Juden schriebe, würde ich sagen, es sei nichts gegen sie einzuwenden, nur seien sie zu früh zu uns Deutschen getreten, wir seien nicht fest genug gewesen, um dieses Element in uns aufnehmen zu können.“ Udo Bermbach hält diese private Mitteilung für authentisch und versteht sie als fast versöhnliches Ergebnis eines langen Weges teils widersprüchlicher antisemitischer Aussagen.

Während sich in den Tagebüchern Ausfälle gegen Mendelssohn und Meyerbeer finden, gibt es gegenüber Jacques Offenbach keine vergleichbaren Bemerkungen, obwohl Wagner ihn verachtete und sich in seinen Erinnerungen an Auber einen heftigen Seitenhieb leistete. Jens Malte Fischer führt dies darauf zurück, dass Wagner bei Offenbach keine Konkurrenzängste verspürte.

Heinrich Heine

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Heinrich Heine, Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim, 1831

Richard Wagner begrüßte die Julirevolution von 1830, mit der „die geschichtliche Welt“ in sein Bewusstsein trat, wie er sich ausdrückte. Im Jahre 1831 machte ihn ein Studienfreund auf die Lyrik und Prosa Heinrich Heines aufmerksam. Er las Heines Französische Zustände, den ersten Teil des Salon und weitere Schriften auch anderer Autoren und wurde Anhänger des Jungen Deutschland. Seine sonst „nirgends im Leben“ zu stillende Sehnsucht sei durch Wilhelm Heinses Briefroman Ardinghello und Werke Heines gestillt worden, wie er 1851 in den Mitteilungen an meine Freunde berichtete.

Um die Jahreswende 1839/40 lernte er Heine persönlich kennen. Er besuchte ihn in dessen Wohnung in der Rue du Faubourg Poissonnière, um ihm seine künstlerischen Pläne vorzustellen. Die Bekanntschaft war von Heinrich Laube vermittelt worden, der Wagner während dieser Zeit finanziell und geistig unterstützte. Heine und Wagner einte die Ablehnung der politischen Zustände in Deutschland. Nachdem Heine seine folgenreiche Börne-Denkschrift (1840) veröffentlicht hatte, wurde er dort heftig angefeindet. Mit dem autobiographisch-zeitgeschichtlichen Werk reagierte er auf die schweren Vorwürfe Ludwig Börnes in dessen 1833 veröffentlichten Briefen aus Paris (Nr. 74 und 109). Er machte sich über die platonische Dreiecksbeziehung zwischen Jeanette Wohl, ihrem Ehemann Salomon Strauß und Börne lustig, worauf Strauß ihn in Paris öffentlich zur Rede stellte und später noch behauptete, er habe ihn geohrfeigt. Heine forderte ihn zum Duell, das allerdings glimpflich verlief. Weite Teile der deutschen Presse griffen den Skandal begierig auf, wobei auch über die „Ohrfeigen-Affäre“ gewitzelt wurde.

In einem Artikel für die Dresdner Abend-Zeitung vom 6. Juli 1841 setzte Wagner sich emphatisch für Heine ein und schrieb von einem „Talent [...] wie Deutschland wenig ähnliche aufzuweisen“ habe. Es wecke die „jungen Geister aus einer vollständigen Lethargie“ und zeige ihnen, in welche Richtung sich die „neuzugebärenden Kräfte unserer Literatur“ bewegen sollten, „um an ein neues, unbekanntes, aber notwendiges Ziel“ zu gelangen. Wer aus dem „jungen Volk eine Feder zur Hand“ nehme, wolle dem Dichter nacheifern. In Deutschland sehe man geduldig zu, wie die Polizei „dies herrliche Talent von seinem vaterländischen Boden“ verjage und freue sich auch noch über die schlechte Behandlung eines Dichters, die in Frankreich unmöglich wäre.

Einige Jahre nach diesem Appell an das Rechtsgefühl seiner Landsleute änderte sich Wagners Haltung. Schrittweise versuchte er, die Spuren Heines aus seinem eigenen Werk zu verwischen. Ein Grund für diese Verdrängung, der auch die Polemik seiner Hetzschrift Das Judenthum in der Musik erklärt, liegt darin, dass er sein Künstlertum in den 1840er Jahren neu konstituierte und sich von Vorstellungen der Urbanität und des Kosmopolitismus verabschiedete. Wie die französische Hauptstadt verkörperte auch das Judentum für ihn die Idee der Moderne, deren wichtigster literarischer Repräsentant Heinrich Heine war.

Der Einfluss Heines auf das musikdramatische Œuvre Wagners lässt sich vom Liebesverbot bis zum Parsifal nachweisen. Dass Wagner diesen Hintergrund zunehmend verleugnete, zeigen seine unterschiedlichen Äußerungen über den Fliegenden Holländer. In der Autobiographischen Skizze, die 1843 in mehreren Folgen in Heinrich Laubes Zeitung für die elegante Welt parallel mit Heines Atta Troll erschien, bezog er sich noch deutlich auf Heine. Dessen „echt dramatische Behandlung der Erlösung dieses Ahasverus des Ozeans“ sei ausreichend gewesen, um die Sage für seine Oper zu nutzen. Später verdrängte Wagner den Namen aus der Entstehungsgeschichte des Werkes, bis er schließlich in Mein Leben nicht mehr genannt wird.

Das Werk

Während es in der Forschung keine Zweifel an Wagners Antisemitismus gibt, ist umstritten, ob auch dessen Werk davon betroffen ist.

Vor allem die Oper Die Meistersinger von Nürnberg, in der es um die Bedeutung der Kunst selbst geht, ist mehrfach unter diesem Gesichtspunkt untersucht worden. 1934 wählte Adolf Hitler sie als Festoper für die Nürnberger Reichtsparteitage.

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Beckmessers Serenade

Aus dem Figurenkabinett des heiteren Werkes sticht der pedantische Stadtschreiber Sixtus Beckmesser heraus, der in der ideologiekritischen Wagner-Interpretation als Judenkarikatur betrachtet wird.

Wie Dieter Borchmeyer darstellt, gibt es für diese Annahme keinen Beleg. Bereits seine Zugehörigkeit zum Rat und das Prestige Beckmessers, das ein Jude im historischen Nürnberg nicht hätte erreichen können, spreche gegen eine versteckte Judenkarikatur. Wagner selbst hatte sich weder mündlich noch in Briefen dazu geäußert; das gilt auch für die vertraulichen Gesprächen mit Cosima, die alle judenfeindlichen Aussagen ihres Mannes aufzeichnete. Aus Dokumenten zur Wirkungsgeschichte der Oper, etwa den Bayreuther Blättern oder Polemiken gegen Wagner, gebe es für diese Hypothese kaum ein Zeugnis. Dies sei bemerkenswert, da nach der begeistert aufgenommenen Uraufführung der Meistersinger die zweite Auflage des antisemitischen Pamphlets Das Judentum in der Musik veröffentlicht wurde.

Es gab allerdings einige Zeitgenossen, die in den Meistersingern antisemitischen Anspielungen vermuteten. Am 16. März 1870 schrieb Cosima Wagner an Nietzsche, man habe in Wien geäußert, „das alte Beckmessersche Ständchen sei ein altes Jüdisches Lied“, mit dem Wagner die „kirchliche j[üdische] Musik“ persiflieren wollte. Nach Auffassung Cosimas war diese Aussage eine Erfindung intriganter Wagner-Gegner, mit der sie die Oper scheitern lassen wollten.

Auch später ist die These vom Antisemitismus der Oper wiederholt worden. So sah der britische Musikkritiker Barry Millington in der Melodieführung des Beckmesser’schen Werbeliedes eine Parodie auf die jüdische Sakralmusik. Laut Borchmeyer haben die dafür herausgesuchten Belege spekulativen Charakter. Hermann Danuser widerlegte die Aussagen Millingtons ebenso wie die gängige Ansicht, Beckmessers Musik sei avancierter als die Walther von Stolzings. Die Melismatik der Quartketten sei sinnentleert und deute nicht auf Synagogalgesang, mit dem Wagner ohnehin nicht vertraut gewesen sei; sie solle eher belegen, dass eine absolute, von der Wortquelle losgelöste Bewegung der Melodie unsinnig sei.

Wie Danuser erläutert, finden sich in Wagners Libretti wie in seinen theoretischen Abhandlungen und Kommentaren keine Dramatis Personae, die direkt jüdisch bestimmt wären. Im Œuvre Wagners, der als Emigrant im europäischen Ausland Erfahrungen der Fremde machte, spielen Charaktere von Wandernden allerdings eine wichtige Rolle. Zu ihnen gehören der Holländer und Wotan, Kundry und Parsifal. Wagner selbst brachte den Holländer und die geheimnisvolle Kundry mit der Figur des Ahasver in Verbindung und übertrug den Mythos auf diese Weise ins Kunstwerk. Anders als in den Vorlagen werden die Charaktere bei Wagner erlöst, der Holländer durch die bindungslose Liebe Sentas, Kundry durch die Taufe, die von Parsifal vorgenommen wird.

Gerade die ambivalente musikdramaturgische Kategorie der Erlösung ist vor dem Hintergrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts problematisch. Wagner sprach am Ende seines Pamphlets von dem Juden Ludwig Börne, „der unter uns als Schriftsteller“ aufgetreten sei und der „aus seiner Sonderstellung als Jude“ die „Erlösung“ gesucht, aber nicht gefunden habe. Sie könne nicht in „kalter Bequemlichkeit“ erreicht werden, sondern nur unter Not und Leiden „wie bei uns“. Am Ende der 1869 veröffentlichten Zweitfassung der Schrift schrieb Wagner: „Nehmt rücksichtslos an diesem, durch Selbstvernichtung wiedergebärenden Erlösungswerke theil, so sind wir einig und ununterschieden! Aber bedenkt, daß nur Eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasver’s – der Untergang!“ Laut Hermann Danuser ging es Wagner hier nicht um physische Vernichtung, sondern um eine revolutionäre Erneuerung, die „von Juden und Deutschen“ zu vollziehen sei. Der Begriff „Selbstvernichtung“ deute auf eine selbstbestimmte Tätigkeit und nicht auf ein Pogrom. Die Aufgabe des Judentums sei eine Voraussetzung dafür, dass Juden sich zu „wahrhafte(n) Menschen“ entwickeln könnten. Andererseits gibt es am Ende der 1860 überarbeiteten Fassung des Holländers eine musikalisch gestaltete Erlösung, die nicht als „Ahasvers Untergang“, sondern als Verklärung aufgefasst werden kann. Die Akkordfolge des „Erlösungsmotivs“ am Schluss der Ouvertüre und des dritten Aktes bildet ein kompositorisches Grundmuster, mit dem Wagner die Schlusswendungen vieler seiner Werke gestaltete. Nach Auffassung Hermann Danusers ist die Gestalt des Holländers nun keine jüdische Figuration mehr, „sondern das Selbstportrait eines romantischen Künstlers.“

Millingtons Ansicht geht auf eine bekannte Bewertung Theodor W. Adornos zurück. In seinem Versuch über Wagner hatte Adorno negativ gezeichnete Figuren wie den „Gold raffende(n), unsichtbar-anonyme(n)“ Alberich, den geschwätzigen und tückischen Mime oder den geistig impotenten Beckmesser und „Juden im Dorn“ als Judenkarikaturen eingeordnet. Alle „Zurückgewiesenen“ seien in Wagners Werk auf diese Weise gezeichnet worden.

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Theodor W. Adorno, 1964.

Neben Millington haben sich auch andere angelsächsische Forscher der These angeschlossen und sie weiterentwickelt. Zu ihnen gehören etwa Marc A. Weiner (Richard Wagner and the Anti-Semitic Imagination) und Paul L. Rose (Richard Wagner. Race and Revolution), der die Auffassung vertritt, bereits der Fliegende Holländer propagiere antisemitische Ideen.

Rose hält Wagners Opern für „einfach zu lang“ und kritisiert die „narkotisierenden“ Eindrücke und die „geradezu erschlagende(n) Klangintensität“ des Festspielhauses, die Wagners Zorn hörbar mache. Die „musikalische Raserei“ sei schwer zu ertragen und nehme vorweg, wie brutal sein Judenhass verwirklicht werden konnte. So fehle dem Trauermarsch der Götterdämmerung die Zurückhaltung, die etwa in Mozarts Mauerischer Trauermusik (KV 477) und selbst Beethovens Trauermarsch aus der Eroica zu spüren sei.

Laut Dieter David Scholz ignoriert Rose, historisch unbekümmert, die Forschungserkenntnisse, wenn er Wagners Revolutionsverständnis antisemitisch nennt und behauptet, dass sich der „Hass auf das Jüdische“ wie ein roter Faden durch nahezu sämtliche Wagneropern ziehe. Er verweist auf eine Rezension Udo Bermbachs, die am 10. Januar 2000 in der Frankfurter Allgemeinen erschien. Nach Auffassung Bermbachs führt die zwar verdienstvolle, wenn auch nicht originelle Erinnerung „an die antijüdischen Beimischungen im deutschen demokratischen Denken [...] in ihrem obsessiven Bezug auf Wagner am Ende“ in die Sinnlosigkeit. Diesen Antisemitismus habe es auch in anderen Teilen Europas gegeben, etwa bei den französischen Linken, die mit wesentlich „massiveren Invektiven“ hervorgetreten seien. Wagners Revolutionsverständnis sei wesentlich komplexer als Rose vermute. Die antikapitalistischen und antimodernen Vorbehalte Wagners und seine radikalen Forderungen, die Gesellschaft und das Bewusstsein zu verändern, ließen sich nicht „auf Antisemitismus reduzieren.“

Auch Joachim Kaiser und Stefan Mickisch äußerten mehrfach, in Wagners Werken ließen sich keine antisemitischen Äußerungen nachweisen. Für Joachim Kaiser etwa waren Wagners offensichtliche antisemitische Äußerungen und Schriften „temporäre Entgleisungen, die durch anderes ausbalanciert [...] oder konterkariert“ wurden.

Für Jens Malte Fischer hingegen, der sich hier selbst in einer „Minderheitsposition“ sieht, finden sich in Wagners Musikdramen durchaus antisemitische Spuren. Es sei allerdings schwierig, sie zu verdeutlichen, da der antisemitische Code aus Wagners Zeit nicht mehr zur Verfügung stehe. Der Komponist habe damit rechnen können, dass die Zeitgenossen musikalische wie szenische „augenzwinkernde Anspielungen“ verstehen würden. Die monographische Untersuchung des amerikanischen Germanisten Marc A. Weiner enthalte zwar einige Übertreibungen und überflüssige Zuspitzungen, sei aber weitgehend korrekt. Weiner schieße bisweilen über das Ziel hinaus, habe aber Licht in das dunkle Gestrüpp aus Halbwahrheiten und Verharmlosungen gebracht. Laut Malte Fischer können viele Interpreten, Wissenschaftler und einfache Verehrer zwar akzeptieren, dass Wagner antisemitische Ansichten vertrat, nicht aber, dass diese sich auch im Werk widerspiegeln.

Vor allem Mime sei dafür ein typisches Beispiel. Die fragwürdigen Charaktereigenschaften und die Gestalt mit ihrer kreischenden, sich überschlagenden Stimme würden dies auch im Hinblick auf Wagners eigene Ausführungen in seinem Pamphlet verdeutlichen. Im zweiten Aufzug des Siegfried etwa sei der Streit zwischen Mime und Alberich ein kaum zu widerlegender Beweis für die jüdische Konnotation der Figur. Fischer verweist auf den Satz Samuel Goldenberg und Schmuyle aus Modest Petrowitsch Mussorgskis Bildern einer Ausstellung, dessen spätere Orchesterfassung von Maurice Ravel es noch deutlicher mache. Die Ähnlichkeit der Schmuyle zugeordneten Musik mit der Singweise Mimes sei offensichtlich. Auch das „Judenquintett“ aus Salome von Richard Strauss sei eine antisemitisch auslegbare Karikatur, die sich in den Kontext einfüge.

Gustav Mahler, der um Wagners Antisemitismus wusste, sich aber schriftlich nicht dazu äußerte, sprach von Mime als einer jüdisch gezeichneten Figur. Nachdem er im September 1898 an der Wiener Hofoper eine Aufführung des Siegfried dirigiert hatte, äußerte er sich in einem kleinen Kreis abfällig über Julius Spielmann, der die Rolle übernommen hatte. Dabei wählte er einen antisemitischen Begriff, mit dem er als Dirigent selbst angefeindet wurde: Der Sänger, der bereits durch den „Theaterschlendrian verdorben“ sei, habe bei seiner Darstellung zu „dick aufgetragen“ und auf schlimme Weise gemauschelt. Mahler war überzeugt, dass die Figur „die leibhaftige, von Wagner gewollte Persiflage eines Juden“ sei, die der Komponist mit Eigenschaften wie der „kleinlichen Gescheitheit“ und Habsucht sowie „dem ganzen musikalisch wie textlich vortrefflichen Jargon“ ausgestattet habe.

Jüdische Interpreten

Bereits zu Lebzeiten Wagners wurde deutlich, dass es trotz seines offenkundigen Antisemitismus jüdische Anhänger und Verehrer gab und er jüdische Mitarbeiter um sich sammelte. Da Wagner seine Judenfeindschaft spätestens seit den 1850er-Jahren im Freundeskreis und in Briefen äußerte und sein Pamphlet ein Schlüsseldokument des Antisemitismus bildet, ist die Brisanz des Themas deutlich.

Aus Berichten über Wagner-Aufführungen in Deutschland und anderen europäischen Ländern geht hervor, dass viele Juden unter den Zuhörern waren und laut applaudierten. Dass es nicht bei einer passiven Rezeption blieb, sondern Juden sich an der Verbreitung des Werkes beteiligten, zeigen die Ring-Inszenierungen des Theaterunternehmers Angelo Neumann außerhalb Bayreuths.

Von Beginn an spielten jüdische Intellektuelle eine wichtige Rolle, Autoren, die von der Musik fasziniert waren und Wagners Ansichten nicht beachteten oder beiseiteschoben.

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Hermann Levi

So schrieb Theodor Herzl, wann immer er Wagners Musik höre, sei er von der Richtigkeit seiner eigenen Auffassungen überzeugt. Er verglich die Idee, einen jüdischen Staat zu gründen, mit der Kühnheit der Meistersinger. Die zahlreichen Beispiele belegen nicht, dass Wagners Ansichten für die jüdischen Verehrer irrelevant gewesen wären. Es gab vielmehr ein Spannungsverhältnis zwischen der Kunst und dem Bayreuther Antisemitismus, unter dem viele Juden litten und das sie individuell zu bewältigen suchten.

In der Forschung wurde die Begeisterung jüdischer Zeitgenossen für Wagners Werk und gelegentlich für die Person mehrfach untersucht und unterschiedlich erklärt. Wie Daniel Jütte ausführt, konzentrierten sich die Deutungen bisher auf eine recht kleine Gruppe von Zeitzeugen, die „jüdischen Wagnerianer“ aus dem Umfeld des Bayreuther Kreises der 1870er- und 1880er-Jahre.

In einem Erklärungsmuster wurde überwiegend mit psychologischen Argumenten und Hinweisen auf den sogenannten jüdischen Selbsthass gearbeitet. Man betrachtete die Biographien der Pianisten Carl Tausig und Joseph Rubinstein sowie vor allem des Dirigenten Hermann Levi. Levi, Sohn des hessischen Landesrabbiners Benedikt Levi, hatte sich in den 1860er Jahren Wagners Musik verschrieben und gehörte zu den Sargträgern bei der Beisetzung des Komponisten in Bayreuth.

Wagner beauftragte ihn in mit dem Dirigat der Uraufführung des Bühnenweihfestspiels. Zwar versicherte Wagner dem Kapellmeister nach einem Eklat im Jahre 1881, er wolle an ihm als „Parsifal-Dirigenten“ festhalten; dies aber änderte nichts an der Auffassung Levis, dass seine jüdische Herkunft ein Makel sei. Im Laufe seiner langjährigen Arbeit für die Festspiele wurde Levi häufig antisemitisch angefeindet. Die Angriffe und Anspielungen kamen dabei aus dem Umkreis und der Familie Wagners, aber auch von Wagner selbst, der ihn zur Taufe aufforderte. Der Pianist Joseph Rubinstein gehörte seit Mitte der 1870er-Jahre zum Wagner-Kreis und leistete wichtige Dienste als Assistent. Im Jahre 1872 hatte er sich mit einem drastischen Brief bei Wagner vorgestellt: Er sei Jude und wolle „Erlösung durch Mittätigkeit an der Aufführung der Nibelungen“, woraufhin Wagner ihn gönnerhaft zu sich einlud. Nach Wagners Tod war er verzweifelt und nahm sich im Jahr darauf das Leben.

Jüttes Ansicht zufolge handelte es sich bei Levi und Rubinstein um außergewöhnliche Fälle, die sich durch langjährige Nähe zum Wagner-Kreis zuspitzten, was von anderen jüdischen Zeitgenossen und Anhängern wie Alfred Pringsheim bestätigt wurde. Es sei daher nicht plausibel, bei allen jüdischen Bewunderern einen Selbsthass anzunehmen. Laut Jütte ist auch eine zweite, weniger psychologische Deutung möglich, nach der sich jüdische Wagnerianer naiv von Illusionen leiten ließen, die im deutschen Judentum verbreitet waren. Sie seien überzeugt gewesen, kollektiv im Deutschtum aufgehen zu können und hätten den sich bildenden rassischen Antisemitismus übersehen.

Richard Wagner Und Der Antisemitismus 
Leonard Bernstein, 1968

Leonard Bernsteins Haltung gegenüber Wagner war ambivalent. Bereits in seiner bekenntnishaften und noch während des Zweiten Weltkriegs komponierten ersten Sinfonie hatte er sich mit dem Judentum beschäftigt und Verse aus den Klageliedern Jeremias in hebräischer Sprache vertont. Weitere Werke waren die dritte Sinfonie sowie die Chichester Psalms. Bernsteins Einstellung kommt in seinem Bonmot „Richard Wagner, ich hasse dich, aber ich hasse dich auf meinen Knien!“ zum Ausdruck. Die judenfeindliche Haltung des Komponisten veranlasste ihn, seine eigene Position als Interpret der Musik zu hinterfragen und die Diskrepanz zwischen ästhetischer Faszination für das Werk und Abscheu vor der Person zu thematisieren. So bezeichnete er Wagner als „erstrangiges Genie mit drittklassigem Charakter“, sprach von einer größenwahnsinnigen Egozentrik, hielt den Tristan indes für „das zentrale Werk der gesamten Musikgeschichte“. 1981 leitete er das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks für eine (konzertante) Aufführung des Werkes. Die Fernseh- und Schallplattenaufnahmen mit Peter Hofmann als Tristan und Hildegard Behrens als Isolde bezeichnete er als „das Schönste“, das er je gemacht habe. Vier Jahr später dirigierte er sein Lieblingsorchester, die Wiener Philharmoniker, und führte die dritten Akte der Walküre und Siegfried auf.

Bernstein wollte sein schwieriges Verhältnis zu Wagner öffentlich reflektieren und dies in einem Film dokumentieren, ein Projekt, das nicht abgeschlossen und veröffentlicht wurde. Die Dokumentation war als eine Art Selbstanalyse im Sinne Sigmund Freuds geplant, die von der Frage ausgehen sollte, wie ein „netter jüdischer Junge“ dazu kommt, in Wien „rassistische Musik zu spielen.“ Bernstein entkräftete die Frage nicht durch eine Analyse des Begriffs „rassistische Musik“, sondern indem er ironisch die Prämisse der Ausgangsfrage zurückwies und klarstellte, dass er „gar kein netter Bursche“ sei. Nach Bernsteins Tod veröffentlichte die New York Times Ausschnitte dieser Selbstanalyse unter dem Titel Wagner’s music isn’t racist.

Neben Bernstein gab es vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart zahlreiche jüdische Dirigenten, die Wagners Musik spielten. Zu ihnen gehören Gustav Mahler, der selbst antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt war, Bruno Walter, Otto Klemperer, Fritz Reiner, Jascha Horenstein und Sergei Alexandrowitsch Kussewizki.

Laut Jens Malte Fischer gibt es im internationalen Musikbetrieb noch immer beiläufige mokante Bemerkungen über die Rolle der Juden. Für einen Teil der Wagnerianer sei es „nicht gut erträglich“, wenn jüdische Dirigenten wie Daniel Barenboim und James Levine in Bayreuth die Leitung übernehmen. Er verweist auf einen Witz, der unter historisch Gebildeten kursierte, als Levine bei den Bayreuther Festspielen erstmals den Parsifal dirigierte: „Wer dirigiert diesmal den Parsifal? Levi? – Ne – Levine.“ Auf diese Weise sei Levine mit dem auch von Wagner gedemütigten Dirigenten Levi „in eine unheilige Allianz gebracht“ worden. Es habe „fröhliches Gelächter“ gegeben, als Siegfried Jerusalem zum ersten Mal den Siegmund sang. Der nächste Tenor für die Rolle des Siegfried wäre dann wohl „Moische Nothung“. Derlei Scherze seien „von einem augenzwinkernden antisemitischen Unterton nicht ganz frei“, wenn sie auch nicht „nicht böse oder aggressiv“ gemeint seien.

Nationalsozialismus

Richard Wagner Und Der Antisemitismus 
Bayreuther Festspiele 1937. Joseph Goebbels und Generalfeldmarschall Werner von Blomberg während der Pause.

In der tradierten Wagner-Rezeption wurde häufig angemerkt, dass der unleugbare Antisemitismus des Komponisten vermutlich eine bloße Randnotiz geblieben wäre, hätte ihn das nationalsozialistische Regime unter Adolf Hitler nicht für sich vereinnahmt. Die Vereinnahmung und der Antisemitismus Wagners sind wesentliche Gründe dafür, dass er bis in die Gegenwart umstritten bleibt und die Geister sich an ihm scheiden.

Angetrieben von Hitlers Leidenschaft wurden Wagners Werke in dieser Zeit zum Staatskult erhoben. Hitlers Verehrung für Wagner wurde von Mitgliedern der Familie Wagner erwidert, blieb aber nicht ohne Vorbehalte seiner eigenen Partei.

Der Nationalsozialismus stilisierte Wagner zum deutschen Komponisten par excellence und missbrauchte Wagners Musiktheater propagandistisch selbst noch für Untergangsszenarien gegen Ende des Zweiten Weltkriegs im Sinne eines Todes- und Endzeitkults. Die Nationalsozialisten gingen selektiver vor als die völkische Bewegung, um Wagner für ihre Propaganda einzusetzen und ihre Weltanschauung bestätigen zu lassen. Laut Dieter David Scholz ignorierten sie dabei die Facetten seiner Persönlichkeit und seines vielschichtigen Werkes. Nationalsozialistische Wagnerianer ergötzten sich an den Helden, ignorierten aber deren Untergang. Wagners gebrochenes Verhältnis zum Heldentum, die utopischen, anarchistischen und sozialistischen Züge sowie den Antimilitarismus übersahen sie ebenso wie die zunehmende Distanz zum Staatswesen Otto von Bismarcks.

Brigitte Hamann wies darauf hin, dass viele Nationalsozialisten Wagner ablehnten. Hitlers Wagner-Verehrung sei kein integraler Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie. Hitler, nicht aber die NSDAP habe sich zum Förderer des Werkes gemacht. Wie Dina Porat erläutert, stieß Hitlers Wagner-Begeisterung im Führungskreis der NSDAP auf Widerstände. Teile der Führung habe verhindern können, dass Wagner bei der ideologischen Ausrichtung des NS-Staates eine bedeutende Rolle spielte. Wie sich aus Tagebüchern und Memoiren von Vertretern des Führungskreises ergebe, habe kein großes Interesse an Wagner bestanden; meist sei er lediglich im Zusammenhang mit Hitler erwähnt worden.

So gab es Widerstände bei Alfred Rosenberg, dem führenden Ideologen der NSDAP, der glaubte, Wagners Ring müsse textlich überarbeitet werden. Laut Dina Porat wurde Wagner in den Führungskreisen der Hitlerjugend toleriert, um Hitler nicht zu verärgern. Während Wagners Ouvertüren oder andere Stücke äußerst beliebt waren, begeisterten sich nur wenige Nationalsozialisten für die langen Aufführungen in Bayreuth. Zwar scheiterte Robert Ley damit, die bekannte Rienzi-Ouvertüre durch ein anderes Stück zu ersetzen; nach Auffassung Porats zeigt der Versuch aber den Widerwillen anderer NS-Größen. In der persönlichen Umgebung Hitlers wusste man, dass Wagner ein dankbarer Stoff zum Einstieg in das eigentlich wichtige Thema war, was etwa Albert Speer in seinen Erinnerungen festgehalten hat.

Laut Jens Malte Fischer zeigt sich die Bedeutung des Wagnerschen Antisemitismus für die NS-Ideologie auch in einem anderen Zusammenhang: Zu Beginn des Propagandafilms Der ewige Jude, der Ende November 1940 im Ufa-Palast am Zoo uraufgeführt wurde, sind Aufnahmen aus dem besetzten Polen zu sehen. Eine Stimme aus dem Off spricht von der „Gelegenheit, [...] das Judentum an seiner Niststätte kennenzulernen.“ Die in Polen lebenden Juden hätten nicht unter „den Wirren des Krieges“ zu leiden gehabt, und man sehe sie nicht unter „der bäuerlichen Bevölkerung“, da sie unbeteiligt „in den dunklen Ghettogassen der polnischen Städte“ säßen und bereits „eine Stunde nach der deutschen Besetzung [...] schon wieder Geschäfte“ machten. Man erkenne „einen Pestherd, [...] der die Gesundheit der arischen Bevölkerung“ bedrohe. Schließlich beruft sich der Sprecher auf Richard Wagner, dessen Worte „Der Jude ist der plastische Dämon des Verfalls der Menschheit“ von den Bildern bestätigt würden. Es handelt sich um den einzigen Verweis auf Wagner im ganzen Film, der allerdings nicht aus dem Pamphlet Das Judenthum in der Musik stammt, sondern aus der kleineren, 1881 veröffentlichten Abhandlung Erkenne dich selbst, die zu den Regenerationsschriften gehört.

Wie Alex Ross ausführt, wurde das Zitat vermutlich auf Veranlassung von Joseph Goebbels verwendet, der es in seinen Reden häufig einsetzte. Als er am 18. Februar 1943 seine Sportpalastrede über den „totalen Krieg“ hielt, sagte er, „das Judentum“ erweise sich „wieder einmal als die Inkarnation des Bösen, als plastischer Dämon des Verfalls und als Träger eines internationalen kulturzerstörerischen Chaos.“

Die im Film gezeigte rituelle Schlachtung von Vieh soll auf angebliche jüdische Tierquälerei hinweisen. Danach erfolgt ein Szenenwechsel zu Hitlers Reichstagsrede vom Januar 1939, in der er bereits von der „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ sprach. Szenen mit Rattenschwärmen suggerieren eine „Verseuchung“, von der auch in Cosimas Aufzeichnungen und in Gedichten des Lyrikers T. S. Eliot die Rede ist. Der Film endet mit Leni Riefenstahls Aufnahmen von strahlenden Gesichtern zu einer Musik, die von Wagner inspiriert wurde. In ihrem Propagandafilm Triumph des Willens ist bis auf Gottfried Sonntags Nibelungenmarsch und einen kurzen Ausschnitt aus den Meistersingern von Wagners Musik allerdings nichts zu hören.

Winifred Wagner

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Winifred Wagner, 1925

Vor allem Winifred Wagner, die Schwiegertochter des Komponisten, die seit 1930 auf dem Grünen Hügel herrschte, beeinflusste den weiteren Verlauf. Sie stellte Bayreuth in den Dienst des NS-Staates und bekannte sich auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu ihrer Verbundenheit mit Hitler. Laut Dieter David Scholz geht die Identifizierung Wagners mit dem Nationalsozialismus letztlich auf ihren ebenso naiven wie rücksichtslosen Geschäftssinn zurück.

Am 1. Oktober 1923 hatte Hitler erstmals das Haus Wahnfried betreten und war von Winifred und Siegfried Wagner durch die großen Räumlichkeiten geführt worden. Nachdem er einige Minuten allein am Grab im Garten des Anwesens gestanden hatte, kehrte er zurück und versprach, dass Parsifal, Wagners letzte Oper, im Falle seiner Machtübernahme nur noch in Bayreuth gespielt werden sollte. Richard Wagner selbst hatte darauf bestanden, sein Bühnenweihfestspiel sollte Bayreuth vorbehalten bleiben.

Helene und Edwin Bechstein hatten Hitler den Zugang zum Wagner-Kreis in Bayreuth ermöglicht. Während der Wintermonate luden sie ihn ein, sie im Hotel Bayerischer Hof oder auf ihrem Landsitz bei Berchtesgaden zu besuchen. Die Wagners waren zunächst geteilter Meinung über den Gast, der in seiner bayerischen Tracht „recht gewöhnlich“ ausgesehen habe. Siegfried habe ihn für einen „Betrüger und Emporkömmling“ gehalten, während Winifred ihn als „Retter Deutschlands“ ansah. Auch in der feinen Münchner Gesellschaft wirkte Hitler mit seinem Regenmantel, der auffällig getragenen Pistole sowie der Peitsche wie eine bizarre Figur. Ernst Hanfstaengl, der ihm Kontakte zu einflussreichen Kreisen und Förderern ermöglichte, war zwar von dessen Rednergabe fasziniert, lehnte aber die oberflächlichen Ansichten über Kunst und Kultur ab. Hitler wiederum schätzte Hanfstaengls pianistische Fähigkeiten und war beeindruckt, wie er Wagner spielte.

Im Zusammenhang mit Proben für Siegfrieds sinfonische Dichtung Glück reisten Winifred und ihr Mann im November 1923 nach München und erlebten die Niederschlagung des Hitlerputsches. Zurück in Bayreuth verfasste Winifred einen offenen Brief in der Oberfränkischen Zeitung, bekundete im Namen der Familie ihre Unterstützung und begründete so die Verbindung zu Hitler. Man verfolge Hitlers „aufbauende Arbeit“ mit Anteilnahme und Zustimmung und sehe in ihm einen moralisch reinen Menschen, der mit Inbrunst eine „göttliche(n) Bestimmung“ zu verwirklichen suche. Sie besuchte ihn nicht in Landsberg, half aber mit praktischen Dingen wie etwa Schreibpapier. Zudem unterstützte sie Familien inhaftierter Nationalsozialisten und wirkte bei einer Petition mit, in der Hitlers Freilassung gefordert wurde.

1933 wurde die Festschrift Bayreuth im Dritten Reich veröffentlicht, in der Wolfgang Golther im einleitenden Kapitel Hitlers Rolle herausstrich. Hitlers „Bekenntnis zu Bayreuth“ bezeuge die „Absicht, das neue Reich durch die Deutsche Kunst zu beseelen“. Die „deutsche Jugend“ müsse zu Wagners Werk „erzogen werden, dem sie durch die seelische Verelendung der letzten Jahrzehnte völlig entfremdet“ worden sei.

Adolf Hitler

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Grundsteinlegung am Richard Wagner-Denkmal durch Adolf Hitler, 1934

Um Wagners Bedeutung für Adolf Hitler zu veranschaulichen, wird mitunter an die Begebenheit nach der Aufführung des Rienzi erinnert, der dritten, vollendeten Oper Wagners, die den römischen Volkstribun Cola di Rienzo in den Mittelpunkt stellt und noch den Einfluss Meyerbeers, Spontinis und der romantischen Tradition erkennen lässt. Wagner selbst distanzierte sich bereits 1845 von der Oper, die erst 2013 in Bayreuth gespielt wurde. In seinem Brief an den Tenor Albert Niemann vom 25. Januar 1859 grenzte er die Haltung Rienzis allerdings deutlich von den gängigen Rachemotiven der italienischen und französischen Oper ab. Das ursprüngliche Motiv der Blutrache für die Ermordung des Bruders werde schrittweise von patriotischem Gemeinsinn verdrängt.

Mit seinem Jugendfreund August Kubizek hatte Hitler in Linz eine Aufführung des national gestimmten Werkes besucht, dessen Ouvertüre später regelmäßig für Reichsparteitage der NSDAP verwendet wurde. In den ersten Jahren des NS-Staates wurde es pro Spielzeit etwa 100-mal an bis zu 15 Bühnen aufgeführt. Theodor W. Adorno attestierte dem Werk einen faschistischen Geist, eine Diagnose, der sich viele Interpreten anschlossen.

Nach eigenen Angaben wurde Hitler von dem Erlebnis epochal beeinflusst. Kubizek, dessen Aufzeichnungen die wichtigste Quelle für Hitlers Wagnerleidenschaft während der Wiener Jahre sind, erinnerte sich später daran, wie sein Freund nach der Vorstellung „in großen, mitreißenden Bildern […] seine Zukunft und die seines Volkes“ entwickelte. So „wie eine aufgestaute Flut durch die berstenden Dämme bricht, brachen die Worte aus ihm hervor.“ Gegenüber Winifred Wagner habe Hitler bekannt: „In jener Stunde begann es.“

Laut Hans Rudolf Vaget wird das „Rienzi-Erlebnis“ meist auf das Jahr 1906 verlegt, muss aber zwischen dem 3. Januar und dem 19. Februar 1905 stattgefunden haben. Vaget glaubt nicht, dass mit dieser Episode etwas Wesentliches im Leben des erst Fünfzehnjährigen begonnen hat und erinnert daran, dass Brigitte Hamann die Bedeutung des Erlebnisses in ihrem Buch Hitlers Wien unerwähnt lässt. Er hält es für wahrscheinlicher, dass Hitlers Phantasie beflügelt wurde und sich eine Empfänglichkeit für die spätere Lebensrolle ausbildete. Hitlers Bewunderung für den charismatischen Demagogen und „Volkstribunen“ Karl Lueger sei möglicherweise auf dieses „ästhetische Urerlebnis“ zurückzuführen.

Hitler und Kubizek gingen fast täglich in die Linzer Oper, in der auch Werke von Mozart, Beethoven, Rossini, Donizetti und anderen Komponisten auf dem Programm standen, und waren bereit, selbst für einen Stehplatz sehr lange zu warten. Da für Hitler vor allem deutsche Musik zählte, konnte er sich der Begeisterung für Verdi und Puccini nicht anschließen. Vor allem in den späteren Jahren schätzte er auch Brahms, Liszt und Bruckner und fand Gefallen an den Operetten von Johann Strauss und Franz Lehár.

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Festspielplakat von Jupp Wiertz, 1938

Während zahlreiche Nazi-Größen unterschiedlicher Parteiebenen sich mehrfach auf Wagners antisemitische Aussagen bezogen, ging Hitler selbst nicht auf diese Theorien ein, weder in frühen Reden oder in Mein Kampf noch in den späteren Reden bis zum Ende des Regimes. Selbst bei propagandistischen Veranstaltungen rund um das Leipziger Richard-Wagner-Denkmal, für das er 1934 den Grundstein legte, bezog Hitler sich nicht auf Wagners antisemitische Theorien. Hitler erwähnte Wagners Musik als Waffe gegen den Marxismus, sprach aber nicht vom „jüdischen Marxismus“ oder „jüdischen Bolschewismus.“

Viele Bemerkungen über Wagner erfolgten in Gesprächen mit Freunden, etwa mit Kubizek, der sie in seinem Buch Adolf Hitler, mein Jugendfreund festhielt. Darüber hinaus gibt es Aufzeichnungen von Unterhaltungen am Teetisch in der Reichskanzlei sowie von Tischgesprächen im Führerhauptquartier. Eine weitere Quelle sind Hitlers Unterhaltungen mit Angehörigen der Wagner-Familie im Haus Wahnfried, in dem er sich so wohlfühlte, dass er ohne Leibwächter erschien und über Weihnachten blieb. Während seiner Monologe im Führerhauptquartier schwärmte er davon, wie sehr er „nach der Jahrhundertwende jede Wagner-Aufführung genossen“ habe. Im Januar 1942 sprach er über seine Vorfreude auf Besuche in Bayreuth, wo er den letzten Abschnitt seines Lebens nach dem Ende des Krieges verbringen wolle. Selbst auf Bitten Winifred Wagners trennte er sich nicht von Originalpartituren. Ohne Begleitung besuchte er mehrfach das Grab Wagners. Hitler sprach nicht über Wagners Judenhass oder rassistische Vorstellungen, sondern bezog sich ausschließlich auf seine Bewunderung für den Komponisten und dessen Musik. Selbst Wagners Hetzschrift erwähnte er nicht, obwohl er sich nach Auffassung Dina Porats die berüchtigte Aussage über die „Erlösung“ durch den Untergang hätte zunutze machen können.

Hitler war auch von Lohengrin beeindruckt, nachdem er das Werk als Zwölfjähriger in Linz gesehen hatte. Später schrieb er in Mein Kampf, dass seine „jugendliche Begeisterung für den Bayreuther Meister [...] keine Grenzen“ gekannt habe und er „mit einem Schlag“ hingerissen gewesen sei. Er fertigte sogar Szenenbilder an und kannte das Werk so gut, dass ihm bei der Inszenierung am 19. Juli 1936 in Bayreuth auffiel, dass auch der von Wagner gestrichene zweite Teil der Gralserzählung zu hören war. Nach Auffassung Martin Gecks identifizierte er sich mit Lohengrin, der von einem mysteriösen Gral ausgesandt worden sei, um dem Volk „die verlorene Würde zurückzugeben.“

Mit den häufigen Opernbesuchen wollte Hitler sich laut Vaget seiner emotionalen und kulturellen „Deutschheit“ versichern. Bereits während der Schulzeit in Linz, einer Hochburg der Anhänger Georg von Schönerers, zeigten sich Sympathien für die Alldeutschen, die während ihrer Versammlungen in Wien und Linz die Rienzi-Ouvertüre zu spielen pflegten. Mit seinem Wagner-Kult glaubte er, sich als „wahrer Deutscher“ über die verachtete „Vielvölker-Monarchie“ erheben zu können.

Bayreuther Festspiele während des Krieges

Winifred Wagner glaubte zunächst, dass die Festspiele wie bereits 1914 während des Krieges pausieren würden. Nachdem Hitler durchgesetzt hatte, dass sie dennoch stattfanden, leitete die nationalsozialistische Organisation Kraft durch Freude einen Besucherstrom nach Bayreuth. Zwischen 1940 und 1944 kamen etwa 100.000 „Gäste des Führers“ zu den Festspielen, viele von ihnen aus den Streitkräften. Dabei wurden verwundete Soldaten bevorzugt, die, an Krücken oder von einer Krankenschwester begleitet, in Bayreuth eintrafen und von einer Marinekapelle begrüßt wurden. Es gab Einführungsvorträge und von Winifred organisierte Führungen durch das Haus Wahnfried.

Da die Götterdämmerung und Parsifal nicht zur Stimmung des Krieges passten, standen zwischen 1943 und 1944 nur die Meistersinger auf dem Programm. Im Text der Einführungsbroschüre wurden die mahnenden Schlussworte Hans Sachs’ zitiert und dabei vor einem Rückzug in die Sphäre der reinen „heil’ge(n) deutsche(n) Kunst“ gewarnt, da nur der Krieg die „bösen“ Absichten des Feindes durchkreuzen, nur das „deutsche Schwert“ Nothung das nahende Verderben aufhalten könne.

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Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die Juden 1876–1945 im Richard-Wagner-Park

Karl Ritters Propagandafilm Stukas stellte verzerrt dar, wie Soldaten die Festspiele erlebten. Nachdem der Pilot Hans abgeschossen und verwundet wurde, verfällt er in eine Depression. Man schickt ihn nach Bayreuth, wo er sich erholen und neuen Kampfgeist entwickeln soll. Zunächst berührt ihn die Vorführung nicht sonderlich, doch als er vom Balkon des Festspielhauses Siegfrieds Hornsignal hört, wächst sein Interesse. Zurück im Saal, beeindrucken ihn die Klänge von Siegfrieds Rheinfahrt. Während er von Erinnerungen an die Kameradschaft erfüllt ist, leuchten seine Augen. Als er später in die Schlacht zurückkehrt und mit den Kameraden die anspruchslose Melodie des Stuka-Liedes Wir sind die schwarzen Husaren der Luft singt, glänzen seine Augen noch immer.

Der Geheimdienst der SS überwachte die Soldaten und zeichnete ein positives Bild. So hieß es 1940 in einer Zusammenfassung, dass der „auf Befehl des Führers“ durchgeführte Versuch, „einfachen Volksgenossen“ die bedeutendsten und „schwierigsten Werke deutscher Kunst“ nahezubringen, ein Erfolg und eine „Kulturtat ersten Ranges“ gewesen sei. Es sei erfreulich, dass schlichte Arbeiter ihre „Hemmungen gegenüber ernster Kunst“ ablegen würden, die es während des „bürgerlichen Liberalismus“ gegeben habe.

Die Bayreuther Version der Ausstellung Verstummte Stimmen erzählte vom Schicksal jüdischer Musiker, die vor der Zeit des Nationalsozialismus in der Stadt tätig waren und später nicht mehr auftreten durften. Viele kamen während des Krieges ums Leben oder wurden in den Vernichtungslagern ermordet. Eine Tafel erinnert an den Bariton Karl August Neumann, der 1933 in Hitlers Anwesenheit den Beckmesser sang und später wegen angeblicher Kontakte zum Widerstand verhaftet wurde.

Musik in den Konzentrationslagern

Es ist möglich, dass jüdische Opfer aus Bayreuth kurz vor ihrem Tod Wagners Musik gehört haben. Einige Überlebende konnten sich später an Stücke erinnern, die in den Konzentrationslagern gespielt wurden. So berichtete ein polnischer Musiker, er sei bei seinem Eintreffen in Auschwitz von einem „erstklassigen Symphonieorchester“ mit dem Lohengrin begrüßt worden. Alex Dekel, der als Kind von Josef Mengele für Menschenversuche ausgewählt worden war, hörte das Werk bei seinem Eintreffen im KZ Auschwitz-Birkenau. Ein politischer Häftling des Konzentrationslagers Dachau berichtete von „aggressiv-patriotischer Wagnermusik“, die dort gespielt worden sei. Die große Mehrheit der Überlebenden konnte sich an Wagners Musik allerdings nicht erinnern, sondern erwähnte eher populäre Musik wie Schlager und Tanzmelodien.

Szymon Laks leitete das Männerorchester von Auschwitz und sprach von Potpourris mit russischer Musik und Stücken von Franz Schubert. Fania Fénelon und Anita Lasker-Wallfisch, die im Mädchenorchester von Auschwitz spielten, konnten sich an deutsche Schlager, Sätze von Brahms und Beethoven oder Melodien aus Carmen, Madama Butterfly und Tosca erinnern. Wagner sei nicht gespielt worden, da dies für ein Amateurensemble zu kompliziert gewesen wäre. In seinen Memoiren beschrieb Primo Levi den Tagesablauf: Kehrten die Häftlinge nach einem harten Arbeitstag ins Lager zurück, mussten sie meist zu Unterhaltungsmusik marschieren, etwa zur Polka Rosamunde.

Nach Auffassung von Alex Ross passte Wagner nicht zur psychologischen Funktion der Musik in den Lagern. Laut Primo Levi sollte die Kombination von Unterhaltungsmusik und Terror zerstörerisch wirken. Die fröhlichen Melodien der Rosamunde seien über Lautsprecher auch bei Massenerschießungen im Konzentrations- und Vernichtungslager Lublin-Majdanek zu hören gewesen, um die Opfer zu verhöhnen.

Israel

In Israel ist Wagner umstritten. Man ist sich uneinig, ob seine Werke dort aufgeführt werden sollen oder nicht. Die Auseinandersetzungen begannen bereits 1938 und halten an. Als Reaktion auf die Novemberpogrome weigerte sich das Symphonie-Orchester Palästinas am 12. November 1938, die Meistersinger-Ouvertüre aufzuführen. Stattdessen spielte man die Ouvertüre zu Carl Maria von Webers Oberon.

Seitdem wird Wagner von einem großen Teil der israelischen Gesellschaft abgelehnt. Man identifiziert ihn mit dem nationalsozialistischen Regime, wenn auch die Erklärungen sich ändern. Weitere Formen des Widerstands waren stets von heftigen Diskussionen über die israelisch-deutschen Beziehungen oder die Rolle Deutschlands begleitet. Wie die israelische Historikerin Na’ama Sheffi ausführt, ging es dabei in der Regel nicht um die Musik oder den Komponisten selbst, sondern darum, wie Israelis mit ihrer Geschichte umgehen und das „schlimmste nationale Trauma“ bewältigen. Auch anderen Komponisten, die während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland tätig waren, wurde Widerstand entgegengebracht. Neben Wagner betrifft dies vor allem Richard Strauss, aber auch Carl Orff und Franz Lehár.

Nach der Ankunft von Überlebenden des Holocaust verstärkte sich die Ablehnung gegenüber Künstlern, die man mit dem Regime in Verbindung brachte. Als im November 1952 in der israelischen Presse auf geplante Aufführungen von Werken Wagners und Strauss’ hingewiesen wurde, kam es zu heftigen Reaktionen. Während Strauss, dessen Till-Eulenspiegel-Ouvertüre gespielt werden sollte, als Nationalsozialist dargestellt wurde, sprach man bei Wagner von einer Angst der Zuhörer, die von dem Einfluss des Komponisten „auf die deutschen Räuber“ wüssten.

1981 nahm das Israel Philharmonic Orchestra Teile aus Tristan und Isolde ins Programm eines Abonnementkonzerts. Zubin Mehta bat die Zuhörer, den Saal zu verlassen, sofern sie die Musik nicht hören wollten. Die Zuhörer aber blieben und protestierten. Unter den Platzanweisern war ein Veteran des Unabhängigkeitskrieges und Holocaustüberlebender, der seinen Protest herausschrie und dabei seine vernarbte Brust entblößte; sein Bild erschien am nächsten Tag in vielen israelischen Zeitungen.

Viele jüdische Dirigenten, die sich mit Wagners Einstellung befassen, setzen sich mit dem fälschlich als „Aufführungsverbot“ apostrophierten Tabu auseinander, seine Werke in Israel zu spielen. In den Diskussionen geht es um Wagners Ideologie und den Missbrauch seines Werkes während der Zeit des Nationalsozialismus. Daniel Barenboim gilt als bekanntester Gegner eines Aufführungstabus, auch wenn er sich mit dieser Rolle nicht identifizieren mag und es neben ihm andere jüdische Dirigenten gibt, die Wagner in Israel spielen wollen. Zu ihnen gehört Leon Botstein, der davon ausgeht, eine Auseinandersetzung mit dem Holocaust werde auf diese Weise erschwert, womöglich sogar verhindert.

Nach einer Tournee der Berliner Philharmoniker wollte Barenboim die Diskussion in Israel voranbringen. Zunächst plante er eine Aufführung, die indes wegen ablehnender Reaktionen während der Proben nicht realisiert werden konnte. Im weiteren Verlauf änderte sich die Situation. So konnte Richard Strauss seit März 1990 wieder gespielt werden, und das Rischon-LeZion-Sinfonieorchester führte unter der Leitung von Noam Sheriff die Metamorphosen für 23 Solostreicher auf. 1991 unternahm Barenboim einen weiteren Versuch, im Charles Bronfman Auditorium Wagner zu spielen. Als er 2001 mit der Staatskapelle Berlin in Jerusalem als Zugabe das Tristanvorspiel dirigierte, kam es erneut zu heftigen Reaktionen. Barenboim plädiert dafür, zwischen Wagner als Person und dem Werk zu trennen, eine Haltung, die von jüdischen Dirigenten wie Georg Solti und Erich Leinsdorf geteilt wurde, und sagte in einem Interview: „Wagner war antisemitisch, seine Musik nicht.“ Der renommierte Wagner-Dirigent Asher Fisch, der ebenfalls zwischen Person und Œuvre differenziert, wollte im Rahmen eines Vortrags an der Universität Tel Aviv ein Konzert mit Werken Wagners und anderer Komponisten veranstalten, erhielt aber eine Absage. Wie Fisch unterscheidet auch Roberto Paternostro zwischen Person und Werk. Er stieß auf Widerspruch, als er mit den Wagner-Urenkelinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier ein Konzert mit dem Israel Chamber Orchestra in Bayreuth leitete, bei dem auch das Siegfried-Idyll gespielt wurde. Paternostro hatte die Veranstaltung als einen „Akt der Versöhnung zwischen der Wagner-Familie mit ihrer Nazi-Vergangenheit und Israel“ ausgerufen.

Forschungsansätze

Entwicklung

Zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und den 1970er Jahren spielte Wagners Antisemitismus – von wenigen Ausnahmen abgesehen – innerhalb der Antisemitismusforschung keine große Rolle. Zu diesen Ausnahmen gehören etwa Theodor W. Adornos Versuch über Wagner (1939) und Robert W. Gutmans Biographie The Man, His Mind and His Music aus dem Jahre 1968. Adorno äußerte sich in der (1952 erneut aufgelegten) Abhandlung erstmals zum Problem des Antisemitismus überhaupt. Wie Richard Klein darlegt, spielen Adornos Aussagen über die Judenkarikaturen innerhalb seiner Wagner-Kritik eine untergeordnete Rolle und gehen auf Paul Bekker zurück.

Die Forschung konzentrierte sich vornehmlich auf das musikalische und dramatische Werk Wagners und setzte sich nur recht beiläufig mit dessen theoretischen Schriften auseinander. Wenn Wagner auch vornehmlich Komponist und Dramatiker und kein Essayist oder Theoretiker war, sind die Schriften doch mehr als bloßes Nebenprodukt eines schreibseligen Menschen. Laut Dieter David Scholz sollte man sie daher nicht neben das musikalische Werk stellen.

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Festspielhaus auf dem Grünen Hügel in Bayreuth.

Erst später trat der Antisemitismus in den Vordergrund der Wagner-Debatten. So folgten dem hundertsten Jubiläum der Bayreuther Festspiele 1976 sowie der Inszenierung des Bühnenweihfestspiels Parsifal im Jahre 1982, hundert Jahre nach der Uraufführung, zahlreiche Diskussionen und Publikationen, die sich um Wagners Antisemitismus drehten.

Saul Friedländer untersuchte, wie Wagners Erlösungsvorstellungen mit seinem Antisemitismus zusammenhängen und ging auf die Frage ein, welche Folgen sich für Hitlers Vorstellungen von einem „erlösenden Kampf“ gegen das Judentum ergaben. In seinem Buch Nazi Germany and the Jews hatte Friedländer den Begriff „Erlösungsantisemitismus“ verwendet, um zwischen unterschiedlichen Formen des Judenhasses des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu unterscheiden. Anders als im Rasseantisemitismus haben für Friedländer in dem so verstandenen Erlösungsantisemitismus die auf eine vermeintliche Rasse bezogenen Themen nur sekundäre Bedeutung. Der Kampf gegen Juden werde hier vielmehr von apokalyptischen Vorstellungen begleitet, indem die Erlösung eines Volkes oder einer „Rasse“ nur durch die Vernichtung der Juden erreicht werden könne. Derlei apokalyptische Versatzstücke finden sich auch bei Dietrich Eckart und vor allem in Houston Stewart Chamberlains antisemitischer Schrift Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts.

Die Verbindung von Erlösungsideologie und rassischem Antisemitismus gebe dem antijüdischen Kampf eine religiöse Dimension und verleihe ihm die emotionale Gewalt eines kompromisslosen Kreuzzuges. Friedländer zitierte Aussagen aus Hitlers Mein Kampf, nach denen es „mit den Juden [...] kein Paktieren“ gebe, „sondern nur das harte Entweder-Oder“. „Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“

Konferenz 1998

Im August 1998 fand während der Bayreuther Festspiele eine wissenschaftliche Konferenz von Wagnerforschern aus den Vereinigten Staaten, Israel, Deutschland und der Schweiz statt, auf der Wagners Antisemitismus analysiert wurde. Im Blickpunkt standen die vielschichtigen kulturellen und sozialpolitischen, historischen und psychologischen Hintergründe und die teils widersprüchlichen Beziehungen Wagners zu Repräsentanten jüdischer Kultur. Mit den israelischen Wissenschaftlern kamen auch der Botschafter Avi Primor und der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Ignatz Bubis, die erstmals Bayreuth besuchten und an den Festspielen teilnahmen.

Unter den Referenten waren neben Musikologen und Theaterwissenschaftlern auch Historiker, Philologen, Religions- und Politikwissenschaftler. Mit einer Ausnahme gibt der von Dieter Borchmeyer, Ami Maayani und Susanne Vill herausgebende Band Richard Wagner und die Juden die Vorträge des Symposions und die folgenden, stellenweise kontroversen Diskussionen wieder.

Kontroversen

Der Germanist Hartmut Zelinsky trat durch Publikationen hervor, mit denen er beweisen wollte, dass Wagner ein Vorläufer Hitlers gewesen sei. Seine zahlreichen Veröffentlichungen entfachen die Antisemitismus-Debatte weiter, stießen aber auf großen Widerspruch. Allerdings gab es auch Veröffentlichungen, die darauf hinausliefen, Wagner ideologiekritisch zu beleuchten und eine fatale Kontinuität von Martin Luther, über Friedrich den Großen, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Otto von Bismarck bis zu Adolf Hitler sichtbar zu machen. Scholz wendet sich gegen die Behauptung Zelinskys, die Essays und Aufsätze würden die Musikdramen ergänzen und seien „antisemitisch-rassistische [...] Kampf- und Agitationsschriften“, mit denen die „Werkidee“ erklärt würde.

Laut Paul Lawrence Rose bemühen sich zu viele Wagnerianer darum, die Werke „vom Vorwurf des Antisemitismus zu schützen“ und Bayreuths Mitwirkung am NS-Staat zu leugnen. Bereits die Bilder von Winifred und Hitler in Bayreuth und bei der Grundsteinlegung am Leipziger Wagner-Denkmal sowie von Hitlers glanzvollen Auftritten veranschaulichten die Verbindungen zwischen Wagners Gedankengut, dem Nationalsozialismus und dem Holocaust, die sich nicht verleugnen lassen könnten.

Rose spekuliert, ob etwa Rousseau die Terrorherrschaft seines Schülers Robespierre begrüßt oder Marx und Lenin mit Stalin kooperiert hätten. Ebenso könne man sich fragen, ob Wagner mit Hitler sympathisiert hätte, selbst wenn Historiker derlei Fragestellungen als ahistorisch ablehnen würden. Bei der Persönlichkeitsstruktur Wagners und der „obsessiven Auseinandersetzung mit Problemen, [...] die gelöst werden müssten“, könne er sich nicht vorstellen, dass Wagner sich von denen distanziert hätte, die Hitler folgten und auch für den Holocaust verantwortlich waren. Zwar widerspreche Wagner sich häufig selbst; seine Ansichten zur Judenfrage habe er allerdings nur dann hinterfragt, wenn es darum ging, sie „noch extremer zu formulieren.“

Wagner bleibe in seinen Aussagen, etwa den Metaphern vom Verschwinden des Jüdischen, permanent doppeldeutig. Stets müsse gefragt werden, ob er dies im übertragenen Sinne oder buchstäblich meine, so als er „im heftigen Scherz“ äußerte, „es sollten alle Juden in einer Aufführung des Nathan verbrennen“ oder Hermann Levi riet, „als Jude“ habe er „nur zu lernen zu sterben“. Diese Mehrdeutigkeit kennzeichne den deutschen Antisemitismus vom 18. bis zum 20. Jahrhundert.

Siegfrieds Drohung gegenüber Mime, „jetzt mach dich fort, misch dich nicht drein; sonst fällst du mir mit ins Feuer!“ hätten die meisten Interpreten als überbordende Metapher und nicht als prophetische Vorwegnahme von Auschwitz betrachtet. Für Rose handelt es sich allerdings um ein ernst zu nehmendes Beispiel historischer Prophetie; Sprachbilder könnten je nach den Umständen im Metaphorischen bleiben oder tatsächlich umgesetzt werden. Das Verfahren historischer Prophetie sei hilfreich, um nach den Ursprüngen ungeheuerlicher Ereignisse wie dem Holocaust zu suchen. Prophetie müsse nicht nur bedeuten, zukünftige Ereignisse vorauszusehen, sondern auch empfinden zu können, in welche Richtung sich eine Situation entwickeln könne. Es gebe keinen Grund, dies von der historischen Forschung auszunehmen.

Roses Ausführungen wurden heftig kritisiert und überwiegend abgelehnt. So fühlte Peter Gay sich „als Anti-Wagnerianer und Historiker“ beleidigt. Er widersprach dem Vorwurf, Wissenschaftler wollten etwas unter den Teppich kehren, und hielt den behaupteten geschichtlichen Zusammenhang von Luther bis Hitler für absurd. Jens Malte Fischer sah sich in der „unangenehmen Lage“, Wagner verteidigen zu müssen, und erklärte, Roses Referat habe die Widersprüche im Denken des Komponisten übersehen. Man könne nicht lediglich die fatalen Äußerungen Wagners berücksichtigen, die anderen aber weglassen. Es sei falsch, den Begriff „exterminatorisch“ für Wagners Antisemitismus im Sinne einer „physischen Ausrottung“ zu verstehen.

Dina Porat, die weltanschaulich-revolutionären Antisemitismus für gefährlicher hält als irrationalen Judenhass, wandte sich gegen Roses Interpretation der Geschichte aus der Rückschau. Es sei falsch, Siegfrieds Drohung gegenüber Mime mit dem Holocaust in Verbindung zu bringen. Aus dem Publikum wurde zudem eingewandt, dass die Deutung des zitierten Belegs falsch sei: Siegfried wolle Mime gerade keine Gewalt antun, sondern ihn vor seiner eigenen Ungeschicklichkeit bewahren, ins Feuer zu fallen. Rose selbst wiederum grenzte sich von einer monokausalen Deutung der Geschichte Deutschlands ab, die auf Auschwitz zulaufen müsse und wies darauf hin, dass Daniel Goldhagen die Vorstellung eines eliminatorischen Antisemitismus von ihm übernommen und simplifiziert habe. Es habe sich um einen indirekten Weg gehandelt, bei dem komplizierte Zusammenhänge berücksichtigt werden müssten. Bei Operninszenierungen müsse man Wagners Einstellung beachten, um die jeweilige Botschaft der Werke ausdrücken zu können.

Einige Wissenschaftler lehnten eine systematische Rekonstruktion der antisemitischen Theorien Wagners ab. So betonte Walter Gebhard den durchgehend politischen Charakter der Wagnerschen Poetik. Mit ihrer apologetischen und polemischen Rhetorik sei sie in kein philosophisches System zu integrieren. Jens Malte Fischer warnte in dem Zusammenhang davor, ein „ästhetisches [...] oder ein soziales Programm“ könnte dazu führen, Wagners Antisemitismus zu nobilitieren.

Eine direkte Linie von Wagner zu Hitler wird auch von Dieter David Scholz bestritten, selbst wenn es Anknüpfungspunkte gegeben und der Komponist das gängige Missverständnis seines Œuvres als Verklärung des Deutschen Reiches nahegelegt habe. Die nationalsozialistische Wagner-Propaganda sei eine Usurpation gewesen, die Cosima im Zusammenspiel mit Chamberlain vorbereitet und Bayreuth im weiteren Verlauf zum Mittelpunkt der Deutschvölkischen gemacht habe.

Literatur

  • Dieter Borchmeyer, Ami Maayani, Susanne Vill (Hrsg.): Richard Wagner und die Juden. J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 2000, ISBN 3-476-01754-0.
  • Dieter Borchmeyer: Richard Wagner: Ahasvers Wandlungen. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-458-17135-5
  • Udo Bermbach, Dieter Borchmeyer, Sven Friedrich (Hrsg.): Wagnerspectrum: Schwerpunkt Jüdische Wagnerianer. Königshausen und Neumann, Würzburg 2013
  • Jens Malte Fischer: Richard Wagners ‚Das Judentum in der Musik‘. Eine kritische Dokumentation als Beitrag zur Geschichte des europäischen Antisemitismus. Insel, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-458-34317-2.
  • Jens Malte Fischer: Richard Wagner und seine Wirkung. Zsolnay Verlag, Wien 2013, ISBN 978-3-552-05614-5. S. 113–170.
  • Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn (Hrsg.): Richard Wagner. Wie antisemitisch darf ein Künstler sein? (= Musik-Konzepte. Heft 5). Edition Text und Kritik, München 1978, ISBN 3-921402-67-0.
  • Alex Ross: Wagner und der Holocaust. In: Die Welt nach Wagner. Ein deutscher Künstler und sein Einfluss auf die Moderne. Rowohlt, Hamburg 2021, ISBN 978-3-498-00185-8, S. 645–653.
  • Alexander Schmidt: Braune Brüder im Geiste? Volk und Rasse bei Wagner und Hitler – Ein kritischer Schrift-Vergleich. Tectum, Marburg 2007, ISBN 978-3-8288-9252-1.
  • Dieter David Scholz: Wagners Antisemitismus: Jahrhundertgenie im Zwielicht. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt 2013. ISBN 978-3-534-25802-4.
  • Dieter David Scholz: Richard Wagner. Eine europäische Biographie. Parthas Verlag, Berlin 2006, ISBN 978-3-86601-790-0, S. 150–159, 389–349.
  • Katharina Wagner, Holger von Berg, Marie Luise Maintz (Hrsg.): Sündenfall der Künste? Richard Wagner, der Nationalsozialismus und die Folgen. (= Diskurs Bayreuth. Band 1). Bärenreiter Verlag, Kassel 2018, ISBN 978-3-7618-2465-8.
  • Marc A. Weiner: Antisemitische Fantasien. Die Musikdramen Richard Wagners. Übers. von Henning Thies. Henschel, Berlin 2000, ISBN 3-89487-358-2. (Originaltitel: Richard Wagner and the Anti-Semitic Imagination. University of Nebraska Press, Lincoln/ London 1995, ISBN 0-8032-4775-3.)
  • Rudolf Wellingsbach: Wagner und der Antisemitismus. In: Laurenz Lütteken (Hrsg.): Wagner-Handbuch. Bärenreiter, Metzler. Kassel 2021, S. 96–101.

Einzelnachweise

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