Rhinoviren: Gattung der Familie Picornaviridae

Als Rhinoviren (von altgriechisch ῥίς rhís, deutsch ‚Nase‘, Genitiv ῥινός rhinós, deutsch ‚der Nase‘ und deutscher Plural von lateinisch vīrus) werden verschiedene Spezies (Arten) von Viren in der Gattung Enterovirus bezeichnet, die als Krankheitserreger hauptverantwortlich für Schnupfen und Erkältungen sind.

Diese Gattung Enterovirus der Rhinoviren gehört zur Familie Picornaviridae in der Ordnung Picornavirales (Name von pico, d. h. klein, und RNA). Die Rhinoviren werden in der Taxonomie in drei Spezies, Rhinovirus A–C unterteilt (früher auch Humanes Rhinovirus A–C genannt). Es wurden über 100 Serotypen beschrieben. Zu den genannten Vertretern kommt noch HRV-87, der nach NCBI ein Subtyp von Enterovirus D ist, daneben listet das NCBI noch etliche weitere nicht näher klassifizierte Rhinoviren.

Rhinoviren
Rhinoviren: Aufbau, Replikationszyklus, Vorkommen

Darstellung Rhinovirus 14

Systematik
Klassifikation: Viren
Realm: Riboviria
Reich: Orthornavirae
Phylum: Pisuviricota
Klasse: Pisoniviricetes
Ordnung: Picornavirales
Familie: Picornaviridae
Unterfamilie: Ensavirinae
Gattung: Enterovirus
Art: Rhinovirus A, B, C, Enterovirus D
Taxonomische Merkmale
Genom: (+)ssRNA linear
Baltimore: Gruppe 4
Symmetrie: ikosaedrisch
Hülle: keine
Wissenschaftlicher Name
Rhinovirus A, B, C, Enterovirus D
Kurzbezeichnung
HRV-A, HRV-B, HRV-C; HRV-87
Links

Aufbau

Virion

Aufgrund der Homologie werden Rhinoviren in die genannten drei Gruppen (A bis C) unterteilt. Rhinoviren sind unbehüllt, das heißt, sie besitzen keine Lipidschicht als Hülle. Ihr Durchmesser liegt zwischen 24 nm und 30 nm und damit gehören sie eher zu den kleinen Viren (150 S in einer Dichtegradientenzentrifugation). Sie sind im Vergleich zu den meisten übrigen Enteroviren relativ säureempfindlich und somit nicht Magensaft-resistent, jedoch thermostabiler, besitzen einen engeren Wirts-Tropismus und engere Replikationsbedingungen (nur niedrigere Temperaturen und nicht im Darmgewebe). Jedes Kapsidprotein kommt 60-mal im ikosaedrischen Kapsid des Virions mit kubisch symmetrischem Aufbau vor. In der Mitte jeder der 20 Flächen des Kapsids ist eine Vertiefung (engl. canyon ‚Schlucht‘) zur Bindung des Rezeptors. Das Kapsid hat eine Schichtdicke von etwa 5 nm. Etwa 90 % der Stämme der Spezies A und B verwenden ICAM-1 als zellulären Rezeptor, die restlichen 10 % verwenden den LDL-Rezeptor. Die Stämme der Spezies C verwenden einen bisher unbekannten zellulären Rezeptor.

Genom

Rhinoviren sind RNA-Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom positiver Polarität von etwa 7,2 bis 8,5 Kilobasen Länge. Die viralen Proteine werden als Polyprotein von etwa 2200 Aminosäuren hergestellt und anschließend durch zwei (durch die beiden pro-Gene 2Apro und 3Cpro codierten) Proteasen in die einzelnen Proteine gespalten. Die im Virion befindlichen strukturellen Proteine werden im 5’-Bereich der RNA codiert, die nichtstrukturellen Proteine im 3’-Bereich (wie bei allen Picornaviren). Am 5’-Ende ist eine 5’ UTR, gefolgt von den Regionen P1 (Gene 1A-D für die vier Kapsidproteine VP1-4), P2 (Gene 2Apro, 2B, 2C), P3 (3A, 3B, 3Cpro, 3Dpol für das VPg, die Protease und die RNA-Polymerase), der 3’ UTR (redundant in einer Zellkultur) und einem Poly-A-Schwanz. Das 5’-Ende der viralen RNA ist mit dem viralen Protein VPg verbunden.

Proteine

Rhinoviren besitzen wie alle Picornaviren vier Kapsidproteine (VP1 bis VP4), die neben der Verpackung des Genoms teilweise auch als Rezeptor für die Anheftung an eine Zelle dienen. Das VP4 verbindet die am Virion außenliegenden Proteine VP1, VP2 und VP3 mit dem Genom. VP1-3 werden als Oberflächenproteine verstärkt von Antikörpern erkannt. Nach einer Bindung des zellulären Rezeptors wird der N-Terminus des VP1 aus dem Virion nach außen gekehrt und das VP4 freigesetzt, welche gemeinsam eine Pore zur Penetration der Zellmembran bilden, durch die die virale RNA ins Zytosol geschleust wird. Protein 2Apro ist eine Cysteinprotease zur Spaltung des Polyproteins zwischen der P1- und P2-Region. Protein 2B dient der Destabilisierung der Zellmembran zur erleichterten Freisetzung neugebildeter Virionen aus der Zelle. Protein 2C besitzt eine bisher unbekannte Funktion. Protein 3A ist ein Membranprotein zur Bindung der neugebildeten Virionen an die Zellmembran zur erleichterten Freisetzung. Protein 3B (syn. VPg, virales Protein am Genom) bindet an das 5’-Ende der viralen RNA und besitzt bisher unbekannte weitere Funktionen. Protein 3Cpro ist eine Cysteinprotease, die die zellulären Proteine Nup153, Nup214 und Nup358 spaltet und dadurch das Ausschleusen von Molekülen aus dem Zellkern unterbricht. Protein 3DPol ist eine RNA-Polymerase zur Vervielfältigung der viralen RNA. Die Proteine VP1-4 und VPg kommen im Virion vor und werden daher als strukturelle Proteine bezeichnet.

Replikationszyklus

Nach der Bindung an den jeweiligen Rezeptor erfolgt eine Penetration der Zellmembran durch die porenbildenden Proteine VP1 und VP4, wo aus der viralen RNA an den Ribosomen das virale Polyprotein hergestellt wird. Die Replikation der viralen RNA erfolgt nach einem Transfer ins glatte Endoplasmatische Retikulum (ER) durch die RNA-Polymerase 3DPol. Die kopierten Genome werden vom Endoplasmatischen Retikulum ins Zytosol geschleust, wo sich die virale RNA mit den viralen Proteinen zu Virionen zusammenfügen. Rhinoviren sind lytische Viren und verlassen die Wirtszelle durch Zerstörung ebendieser.

Vorkommen

Rhinoviren sind weltweit verbreitet und auf den Menschen begrenzt, bevorzugen aber Temperaturen von 3 °C bis 33 °C, die sie auch unbedingt zu ihrer Vermehrung benötigen. Bei höheren Temperaturen – z. B. bei Körpertemperatur (36 °C bis 37,5 °C) – ist ihre Vermehrung hingegen gehemmt. Diese Vorliebe für etwas kühlere Temperaturen verursacht die höhere Infektionsrate bei nass-kaltem Wetter und den Tropismus für die kühlere Nasenschleimhaut. Da sich bei ausgekühlten Körpern die Blutgefäße in der Nasenschleimhaut zusammenziehen, sinkt die Temperatur der Nasenschleimhaut in den Bereich, der für diese Viren optimal ist.

Infektion

Infektionswege

Am häufigsten sind die direkte Übertragung, z. B. über kontaminierte Hände, oder die indirekte über Gegenstände (Schmierinfektion).

Eher selten findet die Infektion durch die Übertragung von Viren in Tröpfchen verschiedener Körperflüssigkeiten, die beim Niesen oder Husten von bereits infizierten Menschen ausgeschleudert werden und dann über Tröpfcheninfektion auf einen anderen Menschen übertragen werden, statt, da die Rhinoviren in trockener Luft durch Trocknung in wenigen Minuten inaktiviert werden. In 80 % feuchter, 20 °C warmer Luft bleiben sie zwar stundenlang aktiv (Halbwertzeit 14 h); da die größeren Tröpfchen aber schnell zu Boden sinken, nimmt die Virenkonzentration in der Luft nach einem Niesen dennoch schnell ab.

Infiziert werden besonders oft Menschen, deren Abwehrkräfte geschwächt oder – wie bei Babys und Kleinkindern – noch nicht gegen die über 100 verschiedenen Rhinoviren ausgebildet sind.

Inkubationszeit

Die Inkubationszeit ist relativ kurz. Nach ein bis vier Tagen sind Viren in der Nase nachweisbar, danach werden zwei bis drei Tage Viren produziert, bis die adaptive Immunantwort eingreift. Nach etwa 12 Stunden verlassen die ersten fertigen Viren die Wirtszelle und infizieren die nächste.

Infektionssymptome

Rhinoviren infizieren die Schleimhäute des Nasen- und Rachenraums, bleiben streng lokalisiert und verursachen keine generalisierte Infektion. Es entsteht ein Schnupfen – seltener bei Kindern eine Bronchitis. Der menschliche Körper reagiert auf die Virenattacken mit einer Entzündungsreaktion der Nasenschleimhaut. Die Gefäße der Schleimhaut werden durchlässiger, Flüssigkeit tritt aus, die Nase läuft. Später schwillt die Nasenschleimhaut an, auf bis zu einem halben Zentimeter Dicke, wodurch das Atmen durch die Nase so gut wie unmöglich wird. Hinzu kommen eventuell Unwohlsein und Kopfschmerzen. Häufig tritt neben der viralen Infektion noch eine Sekundärinfektion durch Bakterien im Hals und Rachenraum auf.

Therapie und Prävention

Rhinoviren: Aufbau, Replikationszyklus, Vorkommen 
Kapsidprotein VP1 (in grün) mit Pleconaril

Eine spezifische antivirale Therapie ist nicht verfügbar, ebenso wenig eine Immunprophylaxe (Impfung). Bei immunkompetenten Personen ist eine solche auch nicht erforderlich, da weder bleibende Schäden noch schwere Verläufe beobachtet werden. Die Therapie der Erkrankung beschränkt sich auf die Behandlung der Symptome, bis das Virus durch das Immunsystem wieder eliminiert und die Entzündungssymptome abgeklungen sind.

In den 1960er Jahren wurden verschiedene Impfstoffe hergestellt, die jedoch nur einen stammspezifischen Impfschutz erzeugen konnten. Auch eine Rhinovirus-Infektion führt zur Ausbildung von neutralisierenden Antikörpern, die jedoch nur eine stammspezifische Immunität hervorbringt. Rhinoviren neigen als RNA-Viren im Zuge der Immunevasion zur verstärkten Mutation und die Kapsidproteine von vier typischen Stämmen der Rhinoviren sind nur zwischen 41 und 83 % zueinander identisch, was die Bildung einer stammübergreifenden Immunität erschwert. Bei Menschen, die bereits mehrere Infektionen verschiedener Stämme hatten, ist die Erkrankungsdauer etwas verkürzt.

Prävention ist durch Expositionsprophylaxe (z. B. Händewaschen und Meiden von Menschenansammlungen) möglich, da man aufgrund der großen Anzahl von Serotypen und der nur typenspezifischen Immunität keine langfristig wirksamen Medikamente oder Impfstoffe herstellen kann. Daneben verhindert das Virostatikum Pleconaril das Entpacken des viralen Genoms nicht-resistenter Rhinoviren.

Umweltstabilität

Rhinoviren haben als Picornaviren im Vergleich zu anderen Viren eine relativ hohe Tenazität, jedoch sind sie im Gegensatz zu den verwandten Enteroviren säureempfindlich. Die Tenazität der Rhinoviren umfasst aufgrund der fehlenden Virushülle eine relativ hohe Resistenz gegenüber Alkoholen (z. B. Ethanol, Isopropanol) und Tensiden, sie können jedoch durch Händewaschen größtenteils von den Händen entfernt werden. Rhinoviren sind empfindlich gegenüber Säuren, Alkylanzien und physikalischen Desinfektionsmethoden.

Einzelnachweise

Literatur

  • Samantha E. Jacobs, Daryl M. Lamson, Kirsten St. George, Thomas J. Walsh: Human Rhinoviruses. In: Clinical Microbiology Reviews. Band 26, Nummer 1, Januar 2013, ISSN 0893-8512, S. 135–162, doi:10.1128/CMR.00077-12, PMID 23297263, PMC 3553670 (freier Volltext).
  • Ian M. Mackay, Katherine E. Arden: Rhinoviruses. In: Richard A. Kaslow, Lawrence R. Stanberry, James W. Le Duc (Hrsg.): Viral Infections of Humans. 5. Auflage. Springer, New York 2014, ISBN 978-1-4899-7447-1, S. 675–712.
  • Ronald B. Turner: Rhinovirus. In: John E. Bennett, Raphael Dolin, Martin J. Blaser (Hrsg.): Principles and Practice of Infectious Diseases. Vol. 2, 8. Auflage. Elsevier Saunders, Philadelphia 2015, ISBN 9780443068393, S. 2113–2121.

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