Leitmedium: Einzelmedium, das einen besonders starken Einfluss auf die Meinungsbildung hat

Als Leitmedien werden in der Publizistik- und Medienwissenschaft Einzelmedien bezeichnet, denen eine ausgeprägte „Hauptfunktion in der Konstitution gesellschaftlicher Kommunikation und von Öffentlichkeit zukommt“.

Der Begriff wird für einzelne Medienangebote gebraucht, die einen besonders starken Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf andere Massenmedien ausüben. Ein bedeutendes Merkmal ist die Reichweite, die anhand der wöchentlichen und täglichen Nutzerzahlen gemessen werden kann. Hinweise auf die Definition eines Mediums als Leitmedium ergeben sich aus dem Journalismus-Handbuch der Bundeszentrale für politische Bildung.

Historische Beispiele

Presse

Deutschland

1999 hat der Medienwissenschaftler Jürgen Wilke eine Untersuchung veröffentlicht, welche Medien der gedruckten Presse von Journalisten häufig bei der Recherche konsultiert werden. Wilke ermittelte aus einer 1993 unter deutschen Journalisten durchgeführten Umfrage die am meisten benutzten Pressetitel. Zwischen einem Drittel und zwei Drittel aller Journalisten benutzten demnach (in absteigender Reihenfolge der Häufigkeit einer Nennung):

Deutsche Journalisten wurden in einer Untersuchung im Sommer 2005 gefragt, welche Medien sie regelmäßig nutzen. Mit großem Abstand sagten jeweils gut ein Drittel der Befragten, sie griffen regelmäßig zur Süddeutschen Zeitung und zum Spiegel. Die fünf führenden Presseerzeugnisse sind:

  • Süddeutsche Zeitung – 35 %
  • Der Spiegel – 34 %
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung – 15 %
  • Die Zeit – 11 %
  • Bild – 10 %

Diese Daten der Studie des Kommunikationswissenschaftlers Siegfried Weischenberg beruhen auf der Befragung von 1533 repräsentativ ausgewählten Journalisten.

Die International Herald Tribune griff dies 2011 auf und verwendete leitmedium als Germanismus, als sie nach dem German leitmedium fragte. Sie zog – jeweils in Verbindung mit den zugehörigen Internetseiten – fünf Zeitungen und Zeitschriften für diese Position in Betracht:

  • Der Spiegel
  • Süddeutsche Zeitung
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung
  • Die Zeit
  • Bild

Regelmäßige Erhebungen zur Nutzung ausgewählter Medien werden von der Leseranalyse Entscheidungsträger in Wirtschaft und Verwaltung seit 1975 alle zwei bis drei Jahre, und seit 2010 jährlich veröffentlicht. Im Online-Bereich nimmt Spiegel Online die Funktion eines Leitmediums ein.

International (Auswahl)

Staat Zeitung Erscheinungsort Gründungsjahr Sprache Quelle(n) politische Ausrichtung
AustralienLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Australien The Age Melbourne 1854 Englisch linksliberal
BelgienLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Belgien De Standaard Brüssel 1918 Niederländisch konservativ
Le Soir Brüssel 1887 Französisch liberal
DeutschlandLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Deutschland Der Spiegel Hamburg 1947 Deutsch linksliberal
Süddeutsche Zeitung München 1945 Deutsch linksliberal
Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurt am Main 1949 Deutsch konservativ
Die Zeit Hamburg 1946 Deutsch linksliberal
FrankreichLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Frankreich Le Monde Paris 1944 Französisch linksliberal
Le Figaro Paris 1826 Französisch konservativ
HongkongLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Hongkong South China Morning Post Hongkong 1903 Englisch
IndienLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Indien The Times of India Neu-Delhi 1838 Englisch konservativ
IrlandLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Irland The Irish Times Dublin 1859 Englisch linksliberal
ItalienLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Italien Corriere della Sera Mailand 1876 Italienisch liberal-konservativ
La Repubblica Rom 1976 Italienisch linksliberal
Il Sole 24 Ore Mailand 1865 Italienisch wirtschaftsliberal
IsraelLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Israel Haaretz Tel Aviv 1919 Hebräisch
JapanLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Japan Asahi Shimbun Tokio 1879 Japanisch
KanadaLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Kanada The Globe and Mail Toronto 1844 Englisch liberal-konservativ
La Presse Montréal 1889 Französisch
NiederlandeLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Niederlande NRC Handelsblad Rotterdam 1970 Niederländisch liberal
SchweizLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Schweiz Neue Zürcher Zeitung Zürich 1780 Deutsch konservativ
Le Temps Lausanne 1998 Französisch liberal
SpanienLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Spanien El País Madrid 1976 Spanisch linksliberal
TurkeiLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Türkei Hürriyet Istanbul 1948 Türkisch regierungsnah
Cumhuriyet Istanbul 1924 Türkisch kemalistisch
Vereinigtes KonigreichLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Vereinigtes Königreich The Times London 1785 Englisch konservativ
The Daily Telegraph London 1855 Englisch konservativ
The Guardian London 1821 Englisch linksliberal
Vereinigte StaatenLeitmedium: Historische Beispiele, Presse, Kritik und Vertrauensverlust  Vereinigte Staaten The New York Times New York City 1851 Englisch linksliberal
The Washington Post Washington, D.C. 1877 Englisch liberal
The Wall Street Journal New York City 1889 Englisch konservativ
Bloomberg News/Businessweek New York City 1990 Englisch

Kritik und Vertrauensverlust

Die Leitmedien (in Deutschland) sahen sich Mitte der 2010er Jahre verstärkter Kritik ausgesetzt, wobei vor allem ihre Glaubwürdigkeit, Unabhängigkeit und journalistische Ethik in Frage gestellt wurde. So wurde etwa in der Wulff-Affäre Vorverurteilung und Unverhältnismäßigkeit („Skandalisierungsexzess“) kritisiert. Insgesamt wurde ein signifikanter Vertrauensverlust bei den Leitmedien konstatiert, mit der Folge, dass ihr Einfluss abnahm und sich Medienkonsumenten anderer Quellen bedienten.

Zu einer anderen Einschätzung kam Sebastian Turner, demnach der Einfluss der Leitmedien seit Mitte der 1990er Jahre deutlich gestiegen ist und sie auch in den sozialen Medien die stärkste Quelle darstellen. Eine Analyse von sieben ausgewählten Printmedien ergab, dass ihre Reichweite in diesem Zeitraum nahezu konstant blieb (von 14,7 % auf 14,0 %), insgesamt aber mit 23,9 % (2015) deutlich stieg.

In den 2020er Jahren scheint bei einzelnen Themen eine einordnende Kommentierung von Nachrichten durch die Leitmedien mitunter kaum mehr stattzufinden. So kritisiert der Politikwissenschaftler Mohssen Massarrat die „groteske Einseitigkeit“ der deutschen Medien zum Israel-Palästina Krieg. Die Plattform junger Wissenschaftler und Journalisten Dis:orient sieht beim gleichen Thema einen differenzierte Darstellung in den Leitmedien als „nicht abgebildet“ an.

Eine Studie der Otto Brenner Stiftung sieht die Berichterstattung in den ersten Monaten des Ukraine-Kriegs zwar als „nicht vollkommen einseitig“ an, stellt jedoch fest, dass lediglich im Spiegel diplomatische Verhandlungen als eindeutig sinnvoll bewertet und über die Lieferung von schweren Waffen ausgewogenen berichtet wurde.

Siehe auch

Literatur

  • Jürgen Wilke: Leitmedien und Zielgruppenorgane. In: Jürgen Wilke (Hrsg.): Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 302–329.
  • Uwe Krüger: Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse. Halem Verlag, Köln 2013, ISBN 978-3-86962-070-1.

Einzelnachweise

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