Enneagramm: Esoterische Typenlehre

Das Enneagramm (von altgriechisch ἐννέα, ennea, „neun“, und γράμμα, gramma, „das Geschriebene“) bezeichnet ein neunspitziges esoterisches Symbol, das als grafisches Strukturmodell neun als grundsätzlich angenommene Qualitäten unterscheiden, ordnen und miteinander in Beziehung setzen soll.

Dieser Artikel geht auf das Modell und seine Anwendung als Typenlehre zur Beschreibung verschiedener Persönlichkeitsstrukturen ein.

Enneagramm: Geschichte, Das Symbol, Grundlagen des Persönlichkeitsenneagramms
Das Enneagramm-Symbol

Geschichte

Die Wurzeln des Enneagramms sind unbekannt. Manche Vertreter von Lehren, die das Enneagramm verwenden, gehen von einem antiken Ursprung aus, wobei es über den Kulturkreis verschiedene Spekulationen gibt. Vermutungen zufolge wurde das Enneagramm vom Sufismus (islamischer Mystik) überliefert. Manche Vertreter sehen etwa in den „Hauptlastern“ (Todsünden) der Wüstenväter oder den Entwicklungsstufen bei Evagrius Ponticus, einem christlichen Mystiker des 4. Jahrhunderts, Parallelen zu den Ansätzen des Enneagramms. Solche Parallelen können als Vorstufen des Enneagramms betrachtet werden; einen Nachweis, dass es als Typensystem verwendet wurde, gibt es nicht.

Die heutige Form des Enneagramms wurde von Georges I. Gurdjieff entwickelt; er stellte es 1916 zunächst einigen Schülern, insbesondere P. D. Ouspensky, vor. Es ist auch das Jahr der ersten belegten Verwendung des Wortes „Enneagramm“. Gurdjieff habe das System auf seinen zahlreichen Reisen gefunden oder entwickelt; genauere Quellen können nicht rekonstruiert werden. Dieses System verknüpft, im Rahmen der von ihm vorgestellten Lehre des Vierten Weges, unter anderem das darin dargelegte Oktavgesetz (auch als Gesetz der Sieben bezeichnet) mit dem Gesetz der Drei, der Triade. Gurdjieff selbst betonte die universelle Bedeutung des Enneagramms in seiner Lehre.

Er erklärte:

„Allgemein gesprochen, muß man verstehen, daß das Enneagramm ein universales Symbol ist. Alles Wissen kann im Enneagramm zusammengefaßt und mit Hilfe des Enneagramms gedeutet werden. Und so kann man sagen, daß man nur das weiß, beziehungsweise versteht, was man in das Enneagramm einfügen kann. Was man nicht in das Enneagramm einfügen kann, versteht man nicht. Für den Menschen, der es benützen kann, macht das Enneagramm Bücher und Bibliotheken vollständig überflüssig. Alles kann im Enneagramm zusammengefaßt und in ihm gefunden werden. Ein Mensch, der allein in der Wüste ist, kann das Enneagramm in den Sand malen und die ewigen Gesetze des Weltalls daraus lesen, und jedesmal kann er etwas Neues lernen, etwas, was er vorher noch nicht wußte.“

Die Verwendung des Symbols als Persönlichkeitsenneagramm wurde erstmals in den 1960er Jahren von Oscar Ichazo eingeführt. In der Anwendung des Enneagramms entwickelten sich drei Richtungen:

  1. Lehre Ichazos (Bezeichnung des Enneagramms als „Enneagon“, von altgriechisch γόνυ gony, deutsch ‚Knie, Winkel‘): Ichazos Trainings an der Arica School.
  2. Spirituelle und psychologische Richtung: Vertreter sind z. B. Claudio Naranjo, Helen Palmer und Don Richard Riso. Das Enneagramm wird als ein Mittel zu mehr Selbsterkenntnis und persönlichem Wachstum gesehen.
  3. Christliche Deutung (über den spirituellen Ansatz hinaus): Vertreter sind z. B. Pater Richard Rohr, Andreas Ebert (evangelisch), Bob Ochs (jesuitische Tradition). Jesus Christus werden die Stärken aller neun Enneagramm-Typen zugeschrieben, und jeder Typ hat einen bestimmten Weg zu Gott.

Das Symbol

Geometrie und Numerik

Das Enneagramm-Symbol ist eine in einen Kreis eingeschriebene neuneckige Figur, welche sich aus einem gleichseitigen Dreieck und einer sechseckigen Figur zusammensetzt:

Dabei werden die neun Ecken im Uhrzeigersinn nummeriert, beginnend mit der rechten oberen Ecke der sechseckigen Figur. Die sich somit aus den Linien der sechseckigen Figur ergebende Zahlenfolge weist einen mathematischen Bezug auf: Teilt man eine natürliche Zahl (die selbst kein Vielfaches von 7 ist) durch 7, enthalten die Nachkommastellen stets die periodische Ziffernfolge 142857 (zyklische Zahl der Generatorzahl 7); beginnend mit Enneagramm: Geschichte, Das Symbol, Grundlagen des Persönlichkeitsenneagramms  über Enneagramm: Geschichte, Das Symbol, Grundlagen des Persönlichkeitsenneagramms  bzw. allgemein Enneagramm: Geschichte, Das Symbol, Grundlagen des Persönlichkeitsenneagramms  für jede natürliche, nicht durch 7 teilbare Zahl Enneagramm: Geschichte, Das Symbol, Grundlagen des Persönlichkeitsenneagramms 

Ein weiterer Zusammenhang besteht mit der Produktfolge der Multiplikation natürlicher Zahlen von 1 bis 9 mit der 9, wobei die beiden Ziffern der Produkte jeweils auf der linken und der rechten Seite des Enneagramms stehen, beginnend mit 9·9 = 81 bis 6·9 = 54. Dann vertauschen sich die Ziffern, sodass 5·9 = 45, bis 2·9 = 18 und schließlich oben 1·9 = 9 verbleibt.

Deutung

Der figürliche Aufbau des Enneagramms kann folgendermaßen interpretiert werden: Der Kreis steht für die eine umfassende göttliche Natur, auch für die Essenz des Lebens und die Vollkommenheit. Das Dreieck steht für das Nicht-Duale, die Dreifaltigkeit, These/Antithese/Synthese, bzw. Erschaffendes/Vernichtendes/Verbindendes oder Positiv/Negativ/Neutral. Demgegenüber steht das Sechseck für das Nicht-Vollkommene, Chaotische. Es wird aber auch als die Materialisation einer Idee, eines abstrakten Prinzips (arab. wham) beschrieben.

Darüber hinaus können weitere Figuren als Sub-Symbole aus dem Enneagramm abgeleitet werden, mit ihren Entsprechungen. So z. B. das Fünfeck, das aus der Figur des inneren Rands der sechseckigen Figur entsteht, wenn zusätzlich die Ecken Fünf und Vier verbunden werden. Es kann mit den Fünf Elementen assoziiert werden.

Zwischen den Punkten Vier und Fünf ergibt sich die größte Entfernung von zwei nebeneinanderliegenden Typen, was den Abstand zwischen dem (männlichen) Kopf- und dem (weiblichen) Herzbereich, die hier aufeinandertreffen, ausdrücken soll.

Geschichte des Symbols

Das Symbol wurde zwar 1916 von Georges I. Gurdjieff eingeführt, doch gibt es begründete Vermutungen, dass Gurdjieff hierfür von Ramon Llull und Athanasius Kircher beeinflusst wurde. Gurdjieff behauptete, das unregelmäßige Sechseck im Kloster einer Sufi-Bruderschaft im Zusammenhang mit Tempeltänzen entdeckt zu haben.

Gurdjieffs Symbol wurde von verschiedenen Autoren aufgegriffen und zu dem heute bekannten Modell der psychologisch-spirituellen Persönlichkeitstypisierung entwickelt.

Grundlagen des Persönlichkeitsenneagramms

Klassifikation in Typen

Im Unterschied zu den vier antiken Temperamenten cholerisch, sanguinisch, melancholisch und phlegmatisch wird das Persönlichkeitsenneagramm dazu benutzt, die Menschen in neun Persönlichkeitstypen einzuteilen.

Auch bei den erfahrenen Enneagramm-Lehrern kann es zu Fehleinschätzungen des Typs anderer Personen kommen. Nach Einschätzung von Kritikern werden nur wenige Aspekte eines Menschen beachtet und nur auf Verhalten geschaut, statt das Gesamtbild inklusive seines Wahrnehmungsstils und Wesens zu betrachten.

Zum Gesamtbild sollen an erster Stelle die Fokussierung der Aufmerksamkeit und die darunter liegende Leidenschaft (Temperament, Motivation) gehören. Des Weiteren:

  • das Wertesystem eines Menschen,
  • die daraus folgenden Ansichten und Einstellungen,
  • die dazu führen, dass er bestimmte Prioritäten setzt,
  • was zu bestimmten Verhaltensweisen und
  • einer bestimmten Kommunikationsform und Wortwahl („Keywords“) führt.

Dies soll sich auch äußerlich in Körperbau und -haltung widerspiegeln. Rückschlüsse darauf bedürfen aber einer komplexeren Analyse (z. B. der Subtypen usw.).

Spirituell-psychologischer bzw. religiöser Rahmen

Das Enneagramm ist nicht als Religion zu verstehen und soll auch nicht als Ersatzreligion oder Glaubensersatz dienen. Es kann aber als Hilfsmittel verwendet werden, um sich etwa der eigenen Schwächen bewusst zu werden; so kann es (im christlichen Kontext) als „Beichtspiegel“ verwendet werden (Dietrich Koller). Das Enneagramm gilt als ein Symbol der Umkehr (und hat nichts mit modernem Streben nach „Selbstfindung“ zu tun).

Die bedeutendsten heutigen Enneagramm-Autoren unterscheiden ein „falsches Selbst“ bzw. „Ego“ und ein „wahres“ (göttliches) Selbst (Bezeichnung bei Richard Rohr: false self / ego und true self; Don Richard Riso spricht von der Persönlichkeit als dem „eingefahrenen“ Ego-Muster (ego fixation), welches die Person von dem wahren Wesen („Essenz“) trennt). Der Weg dorthin wird „Transformation“ genannt.

Typentests

Riso und Hudson entwickelten seit den 1990er Jahren eine Reihe mehr oder weniger umfangreicher Tests, die den Enneagrammtyp ermitteln sollen; die volle Version ist der Riso–Hudson Enneagram Type Indicator (RHETI), dessen aktuelle Version aus 144 Entscheidungsfragen besteht. Anhänger des Testes behaupten, dass er wissenschaftlich verifiziert worden sei.

Übersicht der neun Typen

Die moderne Enneagrammlehre besagt, dass jeder Mensch zu genau einer dieser neun Typenbeschreibungen passt und dass dieser Grundton der Persönlichkeit sich im Lauf eines Lebens nicht ändert. Die Lehre besagt jedoch auch, dass das Enneagramm niemals die biografische Einzigartigkeit eines Menschen erfassen kann, sondern lediglich die Enneagrammstruktur.

Die meisten Autoren ziehen es vor, die Typen entsprechend ihrer Nummer („Einsen“, „Zweien“ etc.) zu bezeichnen, da Zahlen wertneutral sind. Es gibt aber auch verschiedene und damit uneinheitliche Namen für die Typen. Die in der Tabelle verwendeten Namen gehen auf Helen Palmer zurück.

Grundsätzlich sind alle Typen gleichwertig. Jeder Typ kann jedoch unterschiedliche Entwicklungsstufen aufweisen. An einem Ende befindet sich die unreife (unerlöste, kranke) Persönlichkeit. Am anderen Ende die gereifte (erlöste, gesunde) Persönlichkeit, dazwischen liegen die normalen Ausprägungen eines Typs. Im Laufe des Lebens kann eine Reifung hin zu einer erlösten (gesunden) Persönlichkeit erreicht werden (Integration). Häufig bleibt es bei einem Verharren im Normalzustand (Stagnation) oder es kommt sogar zu einem Rückfall in ein unreiferes Stadium (Regression, Desintegration). Die Entwicklungsstufen eines Typs sind durch unterschiedliche Eigenschaften gekennzeichnet (siehe Tabelle).

Typ Name Selbstbild unreif (unerlöst, krank) normal reif (erlöst, gesund)
1 Perfektionist Ich habe Recht rechthaberisch, pharisäerhaft, zersetzend perfektionistisch, zaudernd, skrupulös kritisch wach, gelassen, ethisch hochstehend
2 Geber Ich helfe manipulativ, beherrschend, symbiotisch mütterlich, gebend, aktiv fürsorglich, freundlich, originell
3 Dynamiker Ich habe Erfolg opportunistisch, betrügerisch, karrieresüchtig pragmatisch, statusbewusst, rollenorientiert kompetent, wahrhaftig, zuverlässig
4 Tragischer Romantiker Ich bin anders wehleidig, dekadent,
todesverliebt, depressiv
ästhetisch, romantisch, stilvoll kreativ, natürlich, diszipliniert
5 Beobachter Ich blicke durch isoliert, nihilistisch, exzentrisch analytisch, distanziert, abstrakt erfinderisch, weise, tatkräftig
6 Advokat
des Teufels
Ich tue meine Pflicht abhängig, aggressiv, feige pflichtbewusst, vorsichtig, (anti-)autoritär treu, mutig, vertrauensvoll, witzig
7 Epikureer Ich bin glücklich exzessiv, dilettantisch, rechthaberisch überaktiv, genießerisch, oberflächlich fröhlich, vielseitig, nüchtern
8 Boss Ich bin stark tyrannisch, machtbesessen, gewalttätig kontrollierend, konkurrierend, direkt großzügig, führungsstark, beschützend
9 Vermittler Ich bin zufrieden fatalistisch, desorientiert, stur angepasst, pflegeleicht, unentschlossen annehmend, friedfertig, zielorientiert

Tiefendimensionen

Triaden

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Das Enneagramm und die Triaden

Nach der enneagrammatischen Persönlichkeitstypologie verfügt jeder Mensch über drei Intelligenzzentren: Kopf (Verstand/Ratio), Herz (Emotionen) und Bauch (Instinkt).

Bei jedem Menschen soll eines der drei Intelligenzzentren dominieren. Dies führt zu einer Einteilung in drei Bereiche, die jeweils drei im Enneagramm nebeneinanderliegende Typen umfasst:

  • Bauch-Typen (Instinkttriade): 8, 9 und 1,
  • Herz-Typen (Gefühlstriade): 2, 3 und 4,
  • Kopf-Typen (Denktriade): 5, 6 und 7.

Die mittleren Typen der Triaden sind durch das gleichseitige Dreieck verbunden.

Die Triaden beschreiben, wie bzw. auf welcher Ebene ein Typ die Welt in besonderem Maße wahrnimmt und dadurch auch, wie er empfindet und handelt. Gleichzeitig wird dadurch das Grundprinzip des Egos dargestellt.

Eine Übersicht über die Triaden und ihre dominierenden Körperbereiche sowie Lebensthemen:

Triade Fixierung dominierende Körperregionen/-funktionen Organe zentrale Lebensthemen Charakter
Typen
8, 9, 1
instinktiv Verdauungstrakt, Sonnengeflecht (kinästetisch/haptisch) Nase, Ohr Macht, Gerechtigkeit, Aggression rigide bzw. anti-intrazeptiv (das ist das Gegenteil von Innerlichkeit oder Interesse an dem, was im Geist vorgeht)
Typen
2, 3, 4
emotional Herz/Kreislaufsystem Tastsinn, Geschmack Beziehungen, Für-Sein, Prestige/Image hysteroid (verführerische Art, großes Ausdrucksvermögen, theatralisches Auftreten)
Typen
5, 6, 7
gedanklich Gehirn, Zentralnervensystem Augen Kontrolle, Verstehen, Ordnung schizoid (seelisch gespalten)

Flügel

Ein Typ weist meist auch Eigenschaften eines seiner beiden direkten Nachbarn auf, beispielsweise könnte die 4 auch Eigenschaften der 3 oder der 5 haben. Meist überwiegt der Einfluss einer der Nachbarn; dieser wird dann als Flügel (engl. wing) bezeichnet. Es gibt also z. B. eine 4 mit 3er-Flügel oder eine 4 mit 5er-Flügel oder eine 5 mit 4er-Flügel etc.

Instinktvarianten/Subtypen

Jeder Typ wird zudem noch in drei Instinkt-Varianten (Sub-Typen), den sozialen (oder geselligen) Untertyp, den sexuellen Untertyp oder den selbsterhaltenden Untertyp differenziert.

Entwicklungslinien (Pfeile)

In dem Enneagramm-Symbol hat jede Zahl zwei Verbindungslinien. Diese sind Pfeile, deren einer auf eine »schlechte« Entwicklung des Typs hinweist (bezeichnet als Desintegration, Devolution) und deren anderer die positive Entwicklungslinie des Typs darstellt (bezeichnet als Integration, Evolution).

Richtung der Desintegration: Wenn sich der jeweilige Typ in Stresssituationen mit dem Pfeil zum angegebenen Typ des Enneagramms bewegt, den man auch als seinen Stresspunkt bezeichnet, dann findet er dort nur „falschen Trost“, der auf Dauer sehr schädlich für ihn ist.

Richtung der Integration: Wenn sich der jeweilige Typ auf dem Weg geistlicher Reifung mit dem Pfeil zum angegebenen Typ des Enneagramms bewegt, den man auch als seinen Trostpunkt (Relaxpunkt) bezeichnet, dann findet er „echten Trost“ bei den positiven Qualitäten seines Trostpunktes.

Entwicklungsstufen

Jeder Typ umfasst mehr oder weniger ausgereifte Bereiche (Entwicklungsstufen), die sich dreifach unterteilen lassen:

  • ungesunder/unerlöster/dysfunktionaler Bereich,
  • mittlerer/normaler/durchschnittlicher Bereich und
  • reifer/erlöster/gesunder Bereich.

Als Parallele werden auch in der christlichen Mystik drei Stufen spirituellen Wachstums beschrieben, etwa bei Euagrios Pontikos. Don Richard Riso hat neun Entwicklungsstufen (Levels) gefunden, nämlich je drei für die drei Bereiche.

Horney-Gruppen

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Horney’sche Gruppen

Nach der Psychoanalytikerin Karen Horney (1885–1952) gibt es drei Möglichkeiten, wie man spontan auf eine Situation reagieren kann: durch aggressives Tun (Hinwendung), durch gefügige Anpassung (Zuwendung) oder durch entziehenden Rückzug (Abwendung). Jeder Enneagrammtyp neige nun zu einer dieser drei Haltungen; wenn man gleiche verbindet, entstehen drei gleichschenklige Dreiecke:

  • Hinwendung (aggressives Tun), in der Abbildung rechts rot:
    • Typ 3: sorgt für das Erreichen der Ziele
    • Typ 7: sorgt dafür, sich nach dem Plan (der Vision) auszurichten
    • Typ 8: sorgt für das „Anpacken“
  • Zuwendung (gefügige Anpassung), in der Abbildung rechts grün:
    • Typ 1: wirkt ein, damit es „richtig“ und korrekt getan wird
    • Typ 2: wirkt ein, um andere zu fördern bzw. helfend für andere zu sorgen
    • Typ 6: wirkt ein, um die allgemeinen Bedürfnisse zu befriedigen
  • Abwendung (entziehender Rückzug), in der Abbildung rechts blau:
    • Typ 4: geht einen Schritt zurück, um kreativ nach neuen Möglichkeiten Ausschau zu halten
    • Typ 5: geht einen Schritt zurück, um die Situation und Alternativen zu analysieren
    • Typ 9: geht einen Schritt zurück, um zugunsten einer gemeinsamen Richtung (Konsens) zu vermitteln

Polarität

Claudio Naranjo unterschied als Erster folgende Polaritäten innerhalb des Enneagramms:

  • Die Typen der rechten Seite (Typen 1 bis 4) seien „sozialer und sozialisierter“ und neigten zu „hysterischem Verhalten“ (Verführung; weiblicher Pol), während die linke Seite (Typen 5 bis 8) „eher antisozial“ sei und zu „psychopathischem Verhalten“ (Rebellion; männlicher Pol) neige.
  • Ebenso bestehe eine Polarität zwischen dem oberen und dem unteren Teil des Enneagramms bezogen auf den „Intrazeptions- bzw. Innerlichkeitsgrad“ zwischen „Heftigkeit (tough-mindedness)“ (oben) und „Sensibilität (tender-mindedness)“ (unten): Im unteren Teil finde man die „Armen im Geiste“ (Vier und Fünf), die sich ihres Mangels bewusst sind und am intensivsten suchen, während die Typen am oberen Gegenpol „sich für ihre inneren Verletzungen unempfindlich gemacht haben“, sodass sie sich zufrieden fühlten.

Rezeption

Wissenschaft

In einer systematischen Übersichtsarbeit aus dem Dezember 2020 wurde die Wissenschaftlichkeit des Enneagramms grundlegend bestätigt, ebenso die Nützlichkeit für die Persönlichkeitsentwicklung. Noch ausstehend sei eine Clusteranalyse, die die Anzahl von genau neun Typen bestätigt. Zu den Details des Enneagramms, wie bspw. den Flügeln oder den Entwicklungslinien, gebe es ebenfalls noch zu wenige Forschungsergebnisse, um ihre Wissenschaftlichkeit bestätigen oder widerlegen zu können.

Politik

Der „interministerielle Ausschuss zur Überwachung und Bekämpfung von gefährlichen sektiererischen Entwicklungen“ (Miviludes) in Frankreich führt das Enneagramm auf und zählt es zu den „psychologisierenden“ Methoden.

Das Enneagramm im Christentum

Die katholische Kirche sieht in der Charakteranalyse ein Beispiel für den Gnostizismus, der „in dezidiertem oder gar erklärtem Widerspruch zu allem [steht], was zum Wesen des Christlichen gehört“. Der Gebrauch der Charakteranalyse führt demnach zu „eine[r] Vieldeutigkeit in Lehre und Leben des christlichen Glaubens“, wie es in einem vatikanischen Dokument über „New Age“ heißt. Vor allem unter Ordensleuten, insbesondere in den USA, wird das Enneagramm kontrovers diskutiert. Die Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten warnt vor der Lehre, ohne ein Verbot aktiv umzusetzen. Dennoch wird das Enneagramm auch von christlichen Amtsträgern, oft ökumenisch, benutzt oder gelehrt. Seit 1989 gibt es in Deutschland einen ökumenischen Arbeitskreis Enneagramm, der Tagungen und Ausbildungen zum Enneagrammtrainer durchführt und inzwischen über 500 Mitglieder hat.

Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen äußerte sich 2006 kritisch zum Enneagramm, während eine Stellungnahme von 2013 zwar Probleme und Fehlinterpretationen benennt, aber dem Enneagramm dennoch einen positiven Wert in der Seelsorge einräumt.

Von biblisch-fundamentalistischen und teilweise von evangelikalen Gruppen wird das Enneagramm als „okkulte“, „unbiblische“ Erlösungslehre verurteilt. Manche Evangelikale, wie Peter Scazzero, sehen es als hilfreiches Werkzeug an.

Der Theologe Thomas Körbel nennt das Enneagramm ein „Beispiel für parareligiöse Spiritualität“.

Das Enneagramm in der mündlichen Tradition

Die „mündliche Tradition (der Vermittlung) des Enneagramms“ ist eine der international (The Narrative Enneagram) und im deutschsprachigen Raum (Verein Enneagramm der mündlichen Tradition E.M.T.) prominenten Enneagrammschulen. Sie sieht die lebenden Vertreter eines Enneagrammtyps als die eigentlichen Experten des Typs an und befragt diese vor einem interessierten Publikum in einem Podiumsgespräch (Panel) über ihre jeweilige Welt. In dieser Weise transportiert sie das psychologische Wissen über die jeweiligen Typen nicht durch „Experten“, sondern durch die Vertreter des Typus selbst. Der Vorgang der Wissensvermittlung wird somit, basierend auf einem humanistischen Menschenbild, demokratisiert.

Literatur

Englisch

  • John G. Bennett: The Enneagram. Coombe Springs Press, Sherborne 1974, ISBN 0-900306-17-3.
  • John G. Bennett: Enneagram Studies. Weiser, York Beach 1983, ISBN 0-87728-544-6.
  • Maurice Nicholl: Psychological Commentaries on the teachings of Gurdjieff and Ouspensky. Vincent Stuart, London 1952.
  • P. D. Ouspensky: In Search of the Miraculous. Harcourt, Brace and Company, New York 1949, S. 278–98, 376–378.
  • William Patrick Patterson: Taking With the Left Hand: Enneagram Craze. Arete, Fairfax 1998, ISBN 1-879514-10-9.
  • Irmis B. Popoff: The Enneagramma of the Man of Unity. Weiser, New York 1978, ISBN 0-87728-399-0.
  • James Webb: The harmonious circle. The Lives and Work of G. I. Gurfjieff, P. D. Ouspensky, and Their Followers. Putnam, New York 1980, S. 499–542.

Deutsch

  • Richard Rohr, Andreas Ebert: Das Enneagramm. Die 9 Gesichter der Seele. Claudius, München 1989; Neuausgabe 2009, ISBN 978-3-532-62395-4
  • Franz-Josef Hücker: Das Enneagramm – Selbsterkenntnis auf brüchigem Fundament. In: Wege zum Menschen. Vol. 65, Nr. 4, 2013 (Vandenhoeck & Ruprecht), S. 346–353.
  • Johannes Bartels: Mitten in die Seele hinein. Das Enneagramm im Kontext religiöser Erwachsenenbildung. Dissertation an der Universität Münster 2003. Lit, Münster 2005, ISBN 3-8258-7282-3.
  • Anthony Blake: Das intelligente Enneagramm. Gurdjieffs Instrument der Wahrnehmung. Martin, Südergellersen 1993, ISBN 3-921786-77-0.
  • Maria-Anne Gallen, Hans Neidhardt: Das Enneagramm unserer Beziehungen. Verwicklungen, Wechselwirkungen, Entwicklungen. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1994, ISBN 978-3-499-19616-4.
  • Eli Jaxon-Bear: Die neun Zahlen des Lebens. Knaur, München 1989, ISBN 3-426-26405-6.
  • Eli Jaxon-Bear: Das spirituelle Enneagramm. Neun Pfade der Befreiung. Goldmann, München 2003, ISBN 3-442-21650-8.
  • Sandra Maitri: Neun Porträts der Seele. Die spirituelle Dimension des Enneagramms. J. Kamphausen, Bielefeld 2002.
  • Pamela Michaelis, Ingrid Meyer-Klemm: Ich bin anders – Du auch? Sich selbst und andere neu entdecken. Das Enneagramm in der mündlichen Tradition. BoD, Norderstedt 2008, ISBN 978-3-8334-7492-7.
  • Helen Palmer: Das Enneagramm. Sich selbst und andere verstehen lernen. Knaur, München 1991. Neuausgabe 2000, ISBN 3-426-87094-0.
  • Wilfried Reifarth: Das Enneagramm. Idee – Dynamik – Dimension. Ein Lernbuch. Kohlhammer, Stuttgart 1997. 2. Auflage: Lambertus, Freiburg 2008, ISBN 978-3-7841-1907-6.
  • Wilfried Reifarth: Wie anders ist der Andere? Enneagrammatische Einsichten. Lambertus, Freiburg 2009, ISBN 978-3-7841-1906-9.
  • Anna-Maria Rumitz, Alexander Pfab: Wer bin ich? Was treibt mich an? Das Enneagramm in 99 Fragen und Antworten. J. Kamphausen, Bielefeld 2014, ISBN 978-3-89901-796-0.
  • Don Richard Riso: Die neun Typen der Persönlichkeit und das Enneagramm. Knaur, München 1989, ISBN 3-426-04213-4.
  • Jürgen Gündel: Das Enneagramm: Neun Weisen, die Welt zu sehen Books on Demand, Norderstedt 2008, ISBN 978-3-8370-4423-2.
  • Ursula Walter: Lebendiges Enneagramm – die neun Persönlichkeitsstrukturen in 27 Lebensläufen. Drei Birken Verlag, Freiberg 2018, ISBN 978-3-936980-48-6.
Commons: Enneagramme – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Enneagramm – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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