Alpenfehde

Die Alpenfehde entstand 1986 zwischen Bayern und Österreich aufgrund der Einreiseverbote für österreichische Staatsbürger, die gegen die atomare Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf (WAA) im bayerischen Landkreis Schwandorf demonstrieren wollten.

Alpenfehde
Ein Auslöser der Alpenfehde: Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf in Bayern

Geschichte

Lagekarte: Deutschland - Österreich

Einreiseverbote für Demonstranten

Am 27. Juli 1986 schloss Salzburg mit dem bayerischen Landkreis Schwandorf im Kampf gegen die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf (WAA) eine Anti-Atom-Partnerschaft. Zum Auftakt der Festspielsaison stiegen Bürgermeister Josef Reschen und Landrat Hans Schuierer auf dem Alten Markt auf eine Leiter und besiegelten mit Handschlag über einem vom Salzburger Richard Hörl nachgebildeten WAA-Bauzaunelement die Partnerschaft. Der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß ließ diese Partnerschaft aufheben, woraufhin Schuierer und Reschen 1987 eine Umwelt-Partnerschaft schlossen. Am 1. Juni 1986 wurden die WAA-Demonstrationen grenzüberschreitend, 3.000 Österreicher wurden auf dem Bahnhof in Schwandorf euphorisch begrüßt. Am 6. September 1988 veranstalteten österreichische WAA-Gegner „Salzburger Protestspiele“ in Regensburg.

Der vehemente Salzburger Widerstand gegen die WAA Wackersdorf, der maßgeblich von der Bürgerinitiative Salzburger Plattform gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf organisiert wurde, trübte das Verhältnis zwischen Salzburg und Bayern. Dies belastete auch das Verhältnis zwischen Strauß und dem damaligen Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer. In Salzburg wurde 1986 ernsthaft diskutiert, ob man Strauß die Auszeichnung „Träger des Großkreuzes des Ehrenzeichens des Landes Salzburg“ von 1985 aberkennen sollte, da ihn österreichische WAA-Bedenken nicht kümmerten. Der Salzburger Rupert Reiter wollte Strauß dafür seinen Atom-Saunigl-Orden verleihen. Nachdem Strauß 1986 einem 32 Busse zählenden Salzburger Protestkonvoi zur WAA die Einreise verweigert hatte, wurde er von den Salzburger Festspielen aus- und Schuierer eingeladen. So saß Schuierer bei der Festspielpremiere auf dem Platz von Strauß neben Bundespräsident Waldheim und Landeshauptmann Haslauer. Am 30. Juni 1986 ließ Innenminister Hillermeier die Grenzen sperren und von 2.000 ausländischen Gästen, die in Regensburg gegen die WAA demonstrieren wollten, kamen nur vier (auch Hildegard Breiner) in Regensburg an. Ein Teil der Österreicher, denen der Grenzübertritt verwehrt wurde, bekam den Passvermerk „Zurückgewiesen“. Schwandorfs Landrat Schuierer kommentierte: „Diese Maßnahme kommt einer Verlegung des Bauzauns an die deutsch-österreichische Grenze gleich.“ Christa Meier warf der CSU Völkerrechtsverletzung vor. Auch der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer spottete: „Der Bauzaun beginnt bereits an der Grenze zu Österreich.“ Der bayrische Innen-Staatssekretär Heinz Rosenbauer erklärte für seinen Chef Karl Hillermeier, dass ein solcher Aufmarsch von „gebietsfremden“ Demonstranten die „politische Willensbildung in der Bundesrepublik stören“ würde und eine „Einmischung in die bayrische Energiepolitik“ nicht geduldet werde. Durch das Einreiseverbot mache sich Innenminister Hillermeier zum „Totengräber der Liberalitas Bavariae“, meinte Hubert Weinzierl vom BUND. Willi Rothley wunderte sich, weil die Österreicher an Bayerns Grenze abgewiesen wurden „wie von einem Ostblockland“ und das Bonner Innenministerium von Friedrich Zimmermann (CSU) keinen Anlass sah, die bayerischen Maßnahmen aufzuheben. Daneben drohte Zimmermann, lebe Österreich vom Wirtschaftsstandort Deutschland und von deutschen Touristen und Österreich solle sich den WAA-Widerstand gut überlegen.

Auch am 7. Juni 1986 wurde sieben Busse mit ca. 400 potentiellen Anti-WAA-Demonstranten die Einreise über Kufstein nach Bayern verweigert, woraufhin die Demonstranten die Autobahn nach Österreich durch Sitzblockaden sperrten.

Auch der ORF sprach von bayerischen „Ostblock-Methoden“ und Atomkraftgegner kündigten eine Blockade der Straßen für deutsche Urlauber an. Die taz schrieb in der Nachschau, dass der „radioaktive Zerfall der Bürgerrechte“ mit Hausdurchsuchungen, Prügelorgien der Polizei, Demonstrationsverboten und mit Einreiseverweigerungen für österreichische Atomgegner eskalierte.

Entwicklung der Alpenfehde

Alpenfehde 
Der Zaun des Anstoßes – Denkmal auf dem Salzburger Mozartplatz an den Kampf gegen die WAA Wackersdorf

Die Differenzen eskalierten schließlich zur „Alpenfehde“ bzw. zum „Alpenkrieg“. Die britische Sunday Times fragte damals, ob das nur „eine komische Oper“ sei oder sich Bayern im Krieg („Bavaria at war“) befinde. Bayern überlegte sich auch Schikanen gegen Österreich im Flugverkehr. Staatsminister Edmund Stoiber wollte z. B. den weißblauen Luftraum für österreichische Militärmaschinen sperren lassen. Im Juli 1986 wollte Österreichs Vizekanzler Norbert Steger zum Anti-WAAhnsinns-Festival nach Burglengenfeld fahren. Die bayerische Staatsregierung plante, für ihn ein Einreiseverbot zu verhängen, das jedoch von Außenminister Hans-Dietrich Genscher wieder zurückgezogen wurde, Steger fuhr dennoch nicht. 1986 nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl beschloss die Regierung Fred Sinowatz mit Bonn über einen WAA-Verzicht zu verhandeln, weil ein Unfall „ganz Österreich bedrohen“ würde. Die österreichischen Aktivisten waren erprobt im erfolgreichen Kampf gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf und argumentierten, Radioaktivität mache „an Staatsgrenzen nicht halt“. Die Proteste aus Österreich wurden damals von der deutschen Bundesregierung unter Helmut Kohl abgeschmettert. Auf einer Sondersitzung des Bundesinnenausschusses erklärte Alfred Sauter (CSU), dass durch die „entschiedenen, erfolgreichen und verhältnismäßigen Maßnahmen“ einer weiteren Zuspitzung in Wackersdorf vorgebeugt worden sei, wohingegen SPÖ und SPD gegen die Grenzsperren protestierten, da dies ein schwerer Eingriff in die europäische Freizügigkeit sei, das Verhältnis zu Österreich „auf das schwerste“ belaste und WAA-Demonstranten kriminalisiert würden. Erich Kiesl und Kurt Biedenkopf versuchten 1986 in einem vertraulichen Gespräch mit dem Salzburger Landeshauptmann und WAA-Gegner Wilfried Haslauer die bayrisch-österreichische WAA-Kontroverse zu entschärfen und bemühten sich um „eine Art Wiedergutmachung für die Töne aus München“.

Mit der Abweisung der ORF-Journalistin Elfriede Geiblinger im Januar 1987 eskalierte der Konflikt noch mehr. Österreichs Innenminister Karl Blecha sprach von einer „unerhörten und zwischen pluralistischen Staaten nicht gebräuchlichen Vorgangsweise“ und im Wiener Außenministerium sah man sogar eine Verletzung von „Geist und Buchstaben der Bestimmungen der KSZE-Schlußakte“ und beauftragte die Botschaft in Bonn mit einer Klärung. Am 22. Juli 1988 („Österreicher-Tag“) verkündete die Wiener Umweltministerin Marilies Flemming, im Namen der Republik Österreich den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München und das Bundesverwaltungsgericht in Berlin anzurufen. Schon ein politikwissenschaftliches Gutachten der Universität Salzburg leitete 1988 aus dem Völkerrecht ein Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht Österreichs an der WAA ab, befand die WAA völkerrechtlich unzulässig und empfahl der Alpenrepublik den Internationalen Gerichtshof anzurufen.

Feindbild Franz Josef Strauß

Nach den Wackersdorfdemos und vor allem nach den Einreiseverboten wurde der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß für die österreichischen WAA–Gegner zum Symbol der bundesdeutschen Atompolitik. Schon im Juli 1986 bat Kurt Waldheim Strauß, angesichts der Anti-Atom-Stimmung in Österreich das Problem Wackersdorf noch einmal zu „überdenken“, was Strauß in einem Brief scharf zurückwies. Nach Ansicht von Strauß wollten gewalttätige Demonstranten den demokratischen Rechtsstaat zerschlagen und es liege auch im Interesse Österreichs, diesen Angriff abzuwehren. Die Proteste Österreichs wertete er als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Bayerns“. Strauß war „überhaupt dagegen, daß Ausländer in der Bundesrepublik demonstrieren“. Im Februar 1987 protestierten über 1.000 WAA-Gegner gegen den Besuch von Strauß beim Wiener Opernball. Atomgegner warfen bei der Eröffnung Flugblätter in den Ballsaal und entrollten ein Transparent, draußen kam es zu einer Straßenschlacht mit der Polizei, eine deutsche Fahne wurde verbrannt und Brandsätze geworfen. Für den harten Polizeieinsatz bei den ersten Protesten rund um den Opernball wurde der damalige Innenminister Karl Blecha scharf kritisiert.

Im April 1987 wollten Bayerns Innenminister August Lang und der Umwelt-Staatssekretär Alois Glück in Salzburg über „Das bayrisch-österreichische Fingerhakeln“ in einer BR-Live-Sendung diskutieren, was ihnen von Strauß untersagt wurde. Der bayerische Ministerpräsident meinte, er könne doch nicht zulassen, „daß bayrische Kabinettsmitglieder im Ausland angepöbelt werden und dann möglicherweise der Diskussion nicht gewachsen sind“. Strauß meinte lakonisch, dass er Narren seit Jahren gewohnt sei, weshalb ihn die Vorgänge völlig kalt ließen.

Salzburger WAA-Gutachten

In Salzburg wurden während der Alpenfehde auch mehrere Gutachten zur WAA erstellt. Eine sozialwissenschaftliche Studie zur WAA 1987 warf den Betreibern der Atomfabrik Scheinheiligkeit vor und beklagte die systematische Behinderung oppositioneller Bewegungen ähnlich der McCarthy-Ära. Ein politikwissenschaftliches Gutachten 1988 leitete aus dem Völkerrecht ein Mitsprache– und Mitentscheidungsrecht Österreichs an der WAA ab, hielt die WAA völkerrechtlich unzulässig und empfahl Österreich den Internationalen Gerichtshof anzurufen. Ein weiteres Gutachten wurde für Salzburg vom Öko-Institut in Darmstadt erstellt.

Tondokumente

  • Außenminister Gratz antwortet auf scharfe Attacken des BRD-Innenministers Zimmermann und Zusammenhang mit offiziellen österreichischen Anti-Wackersdorf-Bedenken (Mai 1986)
  • Wackersdorf Kontroverse: Gratz zu Zimmermann / Wackersdorf Kontroverse: Münchner CSU gegen Strauß' Atompolitik / Wackersdorf Kontroverse: DGB gegen Atom (Mai 1986)
  • Bayrische Behörden sperren Grenzen nach Österreich: Kufstein / Kiefersfelden – Moderatorgespräch (Juni 1986)
  • Expertengespräch: Gefährlichkeit Wackersdorf (Juli 1986)
  • Oberösterreichischer Wackersdorf-Demonstrant bleibt in Haft (Juli 1986) / Urteilsverkündung im Spöttl-„Wackersdorf“-Prozess (August 1986)
  • Inlandspresseschau / Auslandspresseschau über Wackersdorf – Diskussion; Interview mit Vizekanzler Steger; Zwei Österreicher in BRD verhaftet (Juli 1986)
  • Vizekanzler Steger zu Wackersdorf / Strauß / Genscher; Möllemann zu Strauß-Attacken gegen Genscher (August 1986)
  • Ministerrat: Wackersdorf Querelen mit Einblendung von Bundeskanzler Vranitzky (August 1986)

Literatur

  • Klaus Immer: Die WAA Wackersdorf ist keine bloß nationale Angelegenheit – Klaus Immer zum deutsch-österreichischen Verhältnis im Lichte der WAA Wackersdorf
  • G. Schöfbänker, E. Erker: Wackersdorf und Salzburg. Konturen einer Politik gegen eine Plutoniumfabrik. In: Herbert Dachs, Roland Floimair (Hrsg.): Salzburger Jahrbuch für Politik 1989. Salzburg 1989, S. 99–120, ISBN 978-3-7017-0611-2

Einzelnachweise

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