Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 7



Homotope Wege

Definition  

Es seiund seien stetige Wegein einen topologischen Raum mit der Eigenschaft, dass undgilt. Eine Homotopie relativ zu zwischen und ist eine stetige Abbildung

die die folgenden Eigenschaften erfüllt.

  1. für alle.
  2. für alle.
  3. für alle.
  4. für alle.

Zwei Wege

heißen homotop, wenn es eine solche Homotopie zwischen ihnen gibt. Man schreibtfür homotope Wege. Die Homotopie ist eine Äquivalenzrelation auf der Menge der stetigen Wege von nach ,die zugehörigen Äquivalenzklassen heißen Homotopieklassen.

Zwei stetige Wege, für die der Endpunkt des ersten Weges mit dem Anfangspunkt des zweiten Weges übereinstimmt, kann man miteinander verknüpfen, indem man zuerst den ersten Weg und anschließend den zweiten Weg durchläuft. Man spricht von der Hintereinanderlegung von Wegen und schreibt einfach , wobei zuerst durchlaufen wird. Als Definitionsbereich erhält man dabei das Intervall . Man kann aber, indem man die beiden Wege doppelt so schnell durchläuft, auch das Einheitsintervall als Definitionsbereich wählen. Unter dem Rückweg zu versteht man den entgegengesetzt durchlaufenen Weg, man bezeichnet ihn mit .



Lemma  

Es sei ein topologischer Raumund seienPunkte. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. DieHomotopiezwischen stetigen Wegenvon nach mit als Anfangspunkt und als Endpunkt ist eineÄquivalenzrelation.
  2. Wenn und zueinander homotop sind, so sind auch die Rückwege und zueinander homotop.
  3. Wenn und homotope Wege von nach und und homotope Wege von nach sind, so sind auch die Verknüpfungen und homotop.
  4. Die Hintereinanderlegung ist zum konstanten Weg homotop.

Beweis  



Die Fundamentalgruppe

Es sei eintopologischer Raum,den wir alswegzusammenhängendvoraussetzen wollen, zu je zwei Punktengibt es also einenstetigen Weg

mit und .Ein Weg heißt geschlossen, wennist, wenn also der Startpunkt mit dem Endpunkt übereinstimmt. Dieser Punkt heißt dann auch Aufpunkt des Weges. Häufig betrachtet man stetige geschlossene Wege in als stetige Abbildungen.

Zu geschlossenen homotopen Wegenundsind auch die Verknüpfungen und zueinander homotop. Dies erlaubt eine Verknüpfung auf der Menge der Äquivalenzklassen von homotopen geschlossenen Wegen mit Aufpunkt , die die Fundamentalgruppe heißt.


Definition  

Es sei ein topologischer Raumundein Punkt. Unter derFundamentalgruppe von mit Aufpunkt versteht man die Menge aller Homotopieklassenvonstetigengeschlossenen Wegemit Anfangs- und Endpunkt mit der Hintereinanderlegung von Wegenals Verknüpfung.

Diese Menge ist mit dem konstanten Weg(also der Homotopieklasse des konstanten Weges)als neutralem Element in der Tat eine Gruppe. Die Assoziativität ist dabei nicht völlig selbstverständlich, da drei geschlossene Weg je nach Klammerung zu unterschiedlichen Wegen auf dem Einheitsintervall führen. Die entstehenden Wege sind aber homotop, so dass auf den Homotopieklassen die Assoziativität gilt. Die inverse Homotopieklasse ist durch den entgegengesetzt durchlaufenen Weg gegeben. Deren Verknüpfung ist in der Tat homotop zum konstanten Weg, oder, wie man auch sagt, nullhomotop.


Definition  

Ein topologischer Raum heißt einfach zusammenhängend, wenn erwegzusammenhängendist und wenn jeder stetigegeschlossene Wegin nullhomotopist.

Der einfache Zusammenhang bedeutet, dassist(für einen beliebigen Aufpunkt).

Die Fundamentalgruppe der punktierten reellen Ebene ist , man spricht von der Windungszahl des Weges.



Definition  

Eintopologischer Raum heißtkontrahierbar (oderzusammenziehbar)auf einen Punkt, wenn es einestetige Abbildung

derart gibt, dass die Eigenschaften

  1. ,
  2. ,
  3. für alle

gelten.

Beispielsweise ist der kontrahierbar und nach dem folgenden Satz auch einfach zusammenhängend.




Lemma

Es sei einwegzusammenhängendertopologischer Raumund seienPunkte.

Dann sind dieFundamentalgruppenund und zueinanderisomorph.

Beweis

SieheAufgabe 7.10.

Man beachte, dass hierbei der Isomorphismus nicht kanonisch gegeben ist, sondern von der Wahl eines Verbindungsweges von nach abhängt. Die Aussage ist der Grund, dass man häufig einfach ohne einen expliziten Aufpunkt schreibt.

Zu einer stetigen Abbildung

und einem Punktmitinduziert ein stetiger geschlossener Wegmit Aufpunkt einen stetigen geschlossenen Weg in mit Aufpunkt . Diese Zuordnung ist mit Homotopien von Wegen verträglich, d.h. wennzwei homotope Wege in mit Aufpunkt sind, so sind auch und homotop. Daher gibt es eine wohldefinierte Abbildung

Diese Abbildung ist sogar ein Gruppenhomomorphismus.



Überlagerungen und Fundamentalgruppe

Die Berechnung der Fundamentalgruppe ist im Allgemeinen schwierig. Ein wichtiges Hilfsmittel sind Überlagerungen. Zu einer Überlagerung

und einem vorgegebenen Punkt über gibt es nachSatz 6.11eine eindeutige Liftung mit

Wir erwähnen ohne Beweis einige Sätze, wie die Fundamentalgruppe mit Decktransformationen zusammenhängen.


Lemma

Es sei

eineÜberlagerungvontopologischen Räumen und .Es seien

stetigehomotope Wegeund seiein Punkt oberhalb von.

Dann sind die nach Satz 6.11eindeutigen Liftungen

mit dem Startwert ebenfalls zueinander homotop und besitzen insbesondere den gleichen Endpunkt.


Satz

Es sei eine zusammenhängendeMannigfaltigkeit,es sei

eineÜberlagerungund sei einfach zusammenhängend.

Dann ist dieDecktransformationsgruppeder Überlagerung isomorphzur Fundamentalgruppevon .

Der Isomorphismus funktioniert dabei folgendermaßen. Man fixiert einen Aufpunktund darüber einen Punkt.Einer Decktransformationwird die Homotopieklasse zugeordnet, wobei ein verbindender Weg in von nach ist. Aus dieser Aussage folgt beispielsweise, dass die Fundamentalgruppe von gleich ist.


Satz

Es sei eine endliche Gruppe, die auf einem einfach zusammenhängenden Hausdorff-Raumfixpunktfrei operiere.

Dann ist

eineÜberlagerungund dieFundamentalgruppedesBahnenraumes ist gleich .



Die erste Homologiegruppe

Die Fundamentalgruppe eines topologischen Raumes ist im Allgemeinen nicht kommutativ. Man kann aber jeder nichtkommutativen Gruppe eine kommutative Gruppe zuordnen, indem man die Restklassengruppemodulo derKommutatoruntergruppebildet, siehe die Aufgaben. Im Fall der Fundamentalgruppe nennt man

die erste Homologiegruppe von . Diese kann man aber auch anders und auch mit anderen Koeffizientengruppen, etwa mit statt mit , konstruieren. Eine duale Version werden wir im Kontext von Garben und Kohomologietheorien einführen.


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