Kurs:Körper- und Galoistheorie (Osnabrück 2018-2019)/Vorlesung 26

Wir haben gesehen, dass das Minimalpolynom einer aus konstruierbaren komplexen Zahl eine Zweierpotenz als Grad besitzt. Wir werden hier zeigen, dass eine komplexe algebraische Zahl genau dann konstruierbar ist, wenn der Grad des Zerfällungskörper ihres Minimalpolynoms eine Zweierpotenz ist. Dies erfordert einige einfache gruppentheoretische Vorbereitungen.



Konjugationsklassen und Klassengleichung

Definition  

Zu einer Gruppe nennt man dieÄquivalenzklassenzur Äquivalenzrelation,bei der zwei Elemente als äquivalent(oder konjugiert)gelten, wenn sie durch eineninneren Automorphismusineinander überführt werden können, die Konjugationsklassen.

Zwei Elemente sind also konjugiert, wenn es ein mitgibt. Den Konjugationsklassen sind wird schon auf dem fünften Arbeitsblatt begegnet.

Die folgende Aussage heißt Klassengleichung.


Lemma  

Sei eine endlicheGruppe und seien die Konjugationsklassenvon mit mindestens zwei Elementen.

Dann ist

Beweis  

Die Konjugationsklassensind Äquivalenzklassen,daher bilden sie eineZerlegungvon . Die Summe der Anzahl der Elemente in den Konjugationsklassen ist daher gleich der Ordnungvon . Die einelementigen Konjugationsklassen entsprechen dabei den Elementen imZentrumder Gruppe.


Die Anzahl der Elemente in den einzelnen Konjugationsklassen unterliegt starken Einschränkungen, die das folgende Lemma beinhaltet.



Lemma  

Sei eine endlicheGruppe und sei . Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Die Mengeist eineUntergruppevon .
  2. SeidieKonjugationsklassezu . Dann ist
  3. Die Elementanzahl vonist ein Teiler von .

Beweis  

(1). Es ist klar, dass das neutrale Elementzu gehört. Es seien . Dann ist

also . Bei ist,was man direkt zuauflösen kann, was wiederum bedeutet.
(2). Wir betrachten die Abbildung

Da genau aus allen zu konjugierten Elementenbesteht, ist diese Abbildung surjektiv.Unter dieser Abbildung ist das Urbildvon . Es giltgenau dann, wennist, also genau dann, wenn ist. Das bedeutet, dass dieFasernder Abbildung gerade dieLinksnebenklassenzur Untergruppe sind. Daher ist gleich demIndexvon in .
(3) folgt aus (2) undSatz 4.16.

Die Gruppe nennt man auch die Isotropiegruppe zu .


Lemma  

Es sei einePrimzahl und eineendliche Gruppemit, , Elementen.

Dann ist dasZentrum von nichttrivial.

Beweis  

Wir gehen von der Klassengleichungaus, also von

wobei den Indexder zu den mehrelementigen Konjugationsklassen gehörenden echten Untergruppen(im Sinne vonLemma 26.3)bezeichnet. Jedes ist nachLemma 26.3  (3)ein Vielfaches von . Daher ist auch ein Vielfaches von . Somit ist nicht trivial.



Galoistheoretische Charakterisierung von konstruierbaren Zahlen



Lemma  

Es seieine Kette vonquadratischen Körpererweiterungenin .

Dann gibt es eineendlicheGaloiserweiterungin , die enthält, und die ebenfalls eine Kette von quadratischen Körpererweiterungen besitzt.

Beweis  

Wir führen Induktion über , wobei die Fälleklar sind. Es sei also eine Kette von quadratischen Körpererweiterungen

gegeben. Nach Induktionsvoraussetzung gibt es einen Körper, ,derart, dasseineGaloiserweiterungist, die eine Kette von quadratischen Körpererweiterungen besitzt. Als Galoiserweiterung über ist nachSatz 16.6der Zerfällungskörper eines(separablen)Polynoms . Wir könnenmitschreiben. Wir betrachten das Polynom

Die Koeffizienten dieses Polynoms sind invariant unter der Galoisgruppe und gehören daher wegenSatz 16.6zu . Es sei der Zerfällungskörper von über in . Dieser ist insgesamt der Zerfällungskörper vom Produkt über , so dassinsbesondere eine Galoiserweiterung ist. Nach Konstruktion ist eine Nullstelle von , woraus sichergibt. Nach Induktionsvoraussetzung gibt es eine Kette von quadratischen Körpererweiterungen

Diese erweitern wir sukzessive zu einer Kette

von quadratischen Körpererweiterungen, wobeisei und die Automorphismen von durchlaufe.



Satz  

Es seieinUnterkörperund . Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. Die komplexe Zahl ist aus konstruierbar.
  2. Es gibt in eine Körperkette ausquadratischen Körpererweiterungen

    mit .

  3. Das Element ist algebraisch über , und der Grad des Zerfällungskörpers von über ist eine Zweierpotenz.
  4. Das Element ist algebraisch über , und die OrdnungderGaloisgruppedes Zerfällungskörpers von über ist eine Zweierpotenz.
  5. Es gibt eineendliche Galoiserweiterung(in )mit , deren Grad eine Zweierpotenz ist.

Beweis  

Die Äquivalenz von (1) und (2) ergibt sich wie inSatz 25.4.
Es sei (2) erfüllt. NachLemma 26.5gibt es eineendliche Galoiserweiterung, die und damit enthält und die eine Kette von quadratischen Körpererweiterungen besitzt. NachSatz 2.8ist dann der Gradvoneine Zweierpotenz. Es sei derZerfällungskörpervon über . Da galoissch ist, gilt, und daher ist auch der Grad von eine Zweierpotenz.
Die Implikationen von (3) nach (4) und von (4) nach (5) sind klar aufgrund vonSatz 16.6.
(5) (2). Es sei nun (5) erfüllt, und eine Galoiserweiterungin mit gegeben, deren Grad eine Zweierpotenz ist.Wir zeigen durch Induktion nach , dass es eine Filtration der Körpererweiterung durch quadratische Körpererweiterungen gibt(also ohne direkten Bezug auf ein .). Dabei ist der Fall trivial. Es sei also()und die Existenz von Körperketten für kleinere Exponenten bereits bewiesen. NachSatz 16.6ist dann auch die OrdnungderGaloisgruppegleich . Aufgrund vonLemma 26.4gibt es ein nichttriviales Zentrum,so dass esnach dem Hauptsatz für endliche abelsche Gruppenauch eine Untergruppemit zwei Elementen gibt. Als Untergruppe des Zentrums ist einNormalteilerin . Wir betrachten.NachSatz 16.6istund nachSatz 17.5isteine Galoiserweiterung der Ordnung und besitzt nach Induktionsvoraussetzung eine Filtration aus quadratischen Körpererweiterungen. Diese Filtration wird durchzu einer solchen Gesamtfiltration ergänzt.


Bemerkung  

Wir betrachten die konstruierbare Zahlund knüpfen dabei anBeispiel 14.9an. Dort wurde gezeigt, dass das Minimalpolynom besitzt, welches überdie Primfaktorzerlegung

besitzt. Insbesondere ist nichtnormal,der Zerfällungskörper ist vielmehrund hat den Grad über . Seine Galoisgruppeist nicht abelsch, denn andernfalls wäre jeder Zwischenkörper nachSatz 17.5  (1)eineGaloiserweiterungvon , was aber für nicht zutrifft.


Abschließend bemerken wir, dass es algebraische Elemente gibt, deren Minimalpolynom zwar den Grad besitzt, wo der Grad des Zerfällungskörpers aber keine Zweierpotenz ist. Für ein hinreichend kompliziertes Polynom vom Grad ist nämlich die Galoisgruppe des Zerfällungskörpers gleich der symmetrischen Gruppe und daher ist der Grad des Zerfällungskörpers gleich .


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