Kurs:Körper- und Galoistheorie (Osnabrück 2018-2019)/Vorlesung 27



Konstruierbare Einheitswurzeln

Definition  

Es sei . Man sagt, dass das regelmäßige -Eck mit Zirkel und Lineal konstruierbar ist, wenn die komplexe Zahl

einekonstruierbare Zahlist.

Die Menge der komplexen Einheitswurzeln, ,bilden die Eckpunkte eines regelmäßigen -Ecks, wobei eine Ecke bildet. Alle Eckpunkte liegen auf dem Einheitskreis. Die Ecke ist eine primitive Einheitswurzel; wenn diese mit Zirkel und Lineal konstruierbar ist, so sind auch alle weiteren Eckpunkte konstruierbar, da diese ja Potenzen der primitiven Einheitswurzel sind. Das reguläre -Eck ist genau dann konstruierbar, wenn der -te Kreisteilungskörper ein Unterkörper der konstruierbaren Zahlen ist.

Beikann man sich darüber streiten, ob man von einem regelmäßigen -Eck sprechen soll, jedenfalls gibt es die zugehörigen Einheitswurzeln und diese sind aus , also erst recht konstruierbar. Das regelmäßige Dreieck ist ein gleichseitiges Dreieck und dieses ist konstruierbar nachBeispiel 18.3,da der dritte Kreisteilungskörper eine quadratische Körpererweiterung von ist und die Menge der konstruierbaren Zahlen nachSatz 25.4unter quadratischen Körpererweiterungen abgeschlossen ist.

(man kann einfacher auch direkt zeigen, dass ein gleichseitiges Dreieck aus seiner Grundseite heraus konstruierbar ist).Das regelmäßige Viereck ist ein Quadrat mit den Eckpunkten , und dieses ist ebenfalls konstruierbar. Das regelmäßige Fünfeck ist ebenfalls konstruierbar, wie inBeispiel 19.5in Verbindung mitSatz 25.4bzw. inAufgabe 24.13gezeigt wurde. Wir werden im Folgenden sowohl positive als auch negative Resultate zur Konstruierbarkeit von regelmäßigen -Ecken vorstellen. Zunächst untersuchen wir den Zusammenhang zwischen der Konstruierbarkeit des -Ecks und der Konstruierbarkeit des -Ecks, wenn ein Teiler von ist. In diesem Fall lässt sich das regelmßige -Eck in das regelmäßige -Eck einschreiben.

Konstruktion eines regulären Fünfecks mit Zirkel und Lineal



Lemma  

Sei, . Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Das regelmäßige -Eck, , istkonstruierbar.
  2. Wenn das regelmäßige -Eck konstruierbar ist, so sind auch das regelmäßige -Eck und das regelmäßige -Eck konstruierbar.
  3. Wenn und teilerfremd sind und wenn das regelmäßige -Eck und das regelmäßige -Eck konstruierbar sind, so ist auch das regelmäßige -Eck konstruierbar.

Beweis  

(1) folgt daraus, dass eine Winkelhalbierung stets mit Zirkel und Lineal durchführbarist.
(2). Nach Voraussetzung ist konstruierbar.Dann ist auch nachSatz 24.9die Potenz

konstruierbar.
(3). Es seien nun und konstruierbar und und teilerfremd. Nachdem Lemma von Bezoutgibt es dann ganze Zahlen mit.Daher ist auch

konstruierbar.

Aus diesem Lemma kann man in Zusammenhang mit den oben erwähnten Konstruktionsmöglichkeiten folgern, dass die regelmäßigen -Ecke, die regelmäßigen -Ecke und die regelmäßigen -Ecke für jedes konstruierbar sind. Wenn man die Zahl als

schreibt, so wird mit dem Lemma die Konstruierbarkeit des -Ecks auf die Konstruierbarkeit des regelmäßigen Ecks zu Prizmahlpotenzen zurückgeführt. Ein entscheidendes notwendiges Kriterium (das sich später auch als hinreichend erweist)für die Konstruierbarkeit wird im folgenden Satz formuliert.


Satz  

Es sei eine natürliche Zahl derart, dass das regelmäßige -Eckkonstruierbarist.

Dann ist eine Zweierpotenz.

Beweis  

Die Voraussetzung besagt, dass die primitive Einheitswurzelkonstruierbarist. Dann muss nachKorollar 25.6der Graddes Minimalpolynomsvon eine Zweierpotenz sein. NachKorollar 19.12ist das Minimalpolynom von das -teKreisteilungspolynom,und dieses hat den Grad . Also muss eine Zweierpotenz sein.



Winkeldreiteilung

Wir sind nun in der Lage, das Problem der Winkeldreiteilung zu beantworten.


Korollar  

Das regelmäßige -Eck ist

nicht mit Zirkel und Linealkonstruierbar.

Beweis  

Wäre das regelmäßige -Eck konstruierbar, so müsste nachSatz 27.3 eine Zweierpotenz sein. Es ist aber.



Satz  

Es ist nicht möglich, einen beliebig vorgegebenen Winkel mittels Zirkel und Linealin drei gleich große Teile zu unterteilen.

Beweis  

Es genügt, einen(konstruierbaren)Winkel derart anzugeben, dass nicht konstruierbar ist. Wir betrachtenGrad, welcher konstruierbar ist, da die dritten Einheitswurzeln konstruierbar sind, weil sie nämlich in einer quadratischen Körpererweiterung von liegen. Dagegen ist der Winkelnicht konstruierbar, da andernfalls das regelmäßige -Eck konstruierbar wäre, was nachKorollar 27.4aber nicht der Fall ist.


Wir geben noch einen weiteren Beweis, dass die Winkeldreiteilung mit Zirkel und Lineal nicht möglich ist, der nicht auf der allgemeinen Irreduzibilität der Kreisteilungspolynome beruht.


Lemma  

Es sei ein normiertes Polynomvom Grad ohne Nullstelle in .

Dann ist irreduzibelin .

Beweis  

Aufgrund vonLemma 18.7und der Gradvoraussetzung genügt es zu zeigen, dass es keine Faktorzerlegungin mitgeben kann. Es sei also angenommen, dassein Teiler von ist. Der Leitkoeffizient teilt den Leitkoeffizienten von , also , daher muss eine Einheitsein. Dann istund somit ist eine Nullstelle im Widerspruch zur Voraussetzung.


Einfache Beispiele wiezeigen, dass ohne die Voraussetzung normiert die Aussage nicht stimmt. Ob ein ganzzahliges normiertes Polynom ganzzahlige Nullstellen besitzt oder nicht, ist im Allgemeinen einfach zu zeigen. Für betragsmäßig groß kann man durch eine einfache Abschätzung zeigen, dass es dafür keine Nullstelle geben kann, und für in einem verbleibenden überschaubaren Bereich kann man durch explizites Ausrechnen feststellen, ob eine Nullstelle vorliegt oder nicht. Die Zerlegung

zeigt, dass diese Aussage für Grad nicht gilt.

Bemerkung  

Wir zeigen direkt, dass man den Winkel Grad nicht konstruieren kann(obwohl man Grad konstruieren kann).Aufgrund der Additionstheoreme für die trigonometrischen Funktionen gilt

und damit

Also wird vom Polynom annulliert. Dieses Polynom hat keine ganzzahlige Nullstelle und ist daher nachLemma 27.6irreduzibel. Also muss es nachLemma 7.12das Minimalpolynomvon sein. Daher kann nachKorollar 25.6nicht konstruierbar sein und damit ebensowenig .




Fermatsche Primzahlen

Die Frage der Konstruierbarkeit von regelmäßigen -Ecken führt uns zu Fermatschen Primzahlen.


Definition  

EinePrimzahlder Form , wobei eine positivenatürliche Zahlist, heißt Fermatsche Primzahl.

Es ist unbekannt, ob es unendlich viele Fermatsche Primzahlen gibt. Es ist noch nicht mal bekannt, ob es außer den ersten fünf Fermatschen Primzahlen

überhaupt weitere Fermatschen Primzahlen gibt.



Lemma  

Bei einer Fermatschen Primzahl hat der Exponent die Formmit einem .

Beweis  

Wir schreibenmit ungerade. Damit ist

Für ungerades gilt generell die polynomiale Identität(da eine Nullstelle ist)

Also istein Teiler von . Da diese Zahl nach Voraussetzung prim ist, müssen beide Zahlen gleich sein, und dies bedeutet.


Eine Fermatsche Primzahl ist nach diesem Lemma also insbesondere eine Fermat-Zahl im Sinne der folgenden Definition.


Definition  

Eine Zahl der Form , wobei eine natürliche Zahlist, heißt Fermat-Zahl.



Diese Torte wurde nicht mit Zirkel und Lineal geteilt.



Satz  

Ein reguläres -Eck ist genau dann mit Zirkel und Lineal konstruierbar, wenn die Primfaktorzerlegung von die Gestalt

hat, wobei die verschiedene Fermatsche Primzahlensind.

Beweis  

Es seidie Primfaktorzerlegung von mit den verschiedenen ungeraden Primzahlen, ,und positiven Exponenten(und).NachSatz 27.3muss die eulersche Funktion eine Zweierpotenz sein, also

Andererseits gilt nachLemma 19.7die Beziehung

(beiist der Ausdruck zu streichen).Da dies eine Zweierpotenz sein muss, dürfen die ungeraden Primzahlen nur mit einem Exponenten (oder )auftreten. Ferner muss jede beteiligte Primzahl die Gestalthaben, also eine Fermatsche Primzahl sein.
Für die andere Richtung muss man aufgrund vonLemma 27.2lediglich zeigen, dass für eine Fermatsche Primzahldas regelmäßige -Eck konstruierbar ist. Der -te Kreisteilungskörper besitzt nachLemma 19.4den Grad,und dieser ist der Zerfällungskörper des -ten Kreisteilungspolynoms und wird von der -ten primitiven Einheitswurzelerzeugt. Aufgrund vonSatz 26.6ist somit konstruierbar.

AusSatz 27.11ergibt sich, dass inSatz 27.3auch die Umkehrung gilt. Man kannSatz 27.11auch ohne Bezug aufSatz 26.6beweisen, indem man verwendet, dass ein Kreisteilungskörper eine abelsche Körpererweiterung ist. Wenn dessen Grad eine Zweierpotenz ist, so gibt es aufgrund der Galoiskorrespondenz auch eine Filtrierung mit sukzessiven quadratischen Körpererweiterungen, und die Konstruierbarkeit folgt ausSatz 25.4.


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