Gesetz Über Die Selbstbestimmung In Bezug Auf Den Geschlechtseintrag

Das geplante Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) (nichtamtlich auch Selbstbestimmungsgesetz) soll es transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen in Deutschland erleichtern, ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen ändern zu lassen.

Basisdaten
Titel: Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag
Kurztitel: Selbstbestimmungsgesetz (nicht amtlich)
Abkürzung: SBGG
Art: Bundesgesetz
Geltungsbereich: Bundesrepublik Deutschland
Erlassen aufgrund von: noch kein geltendes Recht
Rechtsmaterie: Bürgerliches Recht, Personenstandsrecht
Erlassen am: noch nicht erlassen
Inkrafttreten am: noch nicht in Kraft (laut Gesetzentwurf: 1. Nov. 2024)
GESTA: I013
Weblink: Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Seit Mai 2023 lag ein Referentenentwurf des Gesetzes vor, der nach Detailänderungen am 23. August als Regierungsentwurf beschlossen und nach weiteren Änderungen am 12. April 2024 vom Bundestag angenommen wurde.

Das Gesetz sieht vor, dass der Geschlechtseintrag und Vorname durch einfache Erklärung beim Standesamt geändert werden kann; zuvor ist eine dreimonatige Wartezeit einzuhalten. Medizinische Maßnahmen werden durch das SBGG nicht geregelt.

Mit Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes (geplant zum 1. November 2024) tritt das Transsexuellengesetz außer Kraft, das für die Änderung des Geschlechtseintrags und Namens ein aufwendiges Gutachterverfahren und die gerichtliche Anerkennung der Änderungen vorschreibt.

Details

In der Fassung des Regierungsentwurfs vom 23. August 2023 sieht das SBGG eine vereinheitlichte Regelung für trans- und intergeschlechtliche Personen vor. Zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen soll lediglich eine Erklärung vor dem Standesamt notwendig sein (§ 2 Abs. 1), sowie die Versicherung, dass der gewählte Geschlechtseintrag oder die Vornamen der Geschlechtsidentität am besten entsprechen (§ 2 Abs. 2 und 4). Für Minderjährige über 14 Jahren soll die Zustimmung eines gesetzlichen Vertreters (oder des Familiengerichts) notwendig sein (§ 3 Abs. 1), für Minderjährige unter 14 Jahren soll der gesetzliche Vertreter selbst die Erklärung abgeben können (§ 3 Abs. 2). Die Erklärung muss nach dem Entwurf dem Standesamt drei Monate zuvor angekündigt werden (§ 4). Nach der Änderung soll eine Sperrfrist von einem Jahr (§ 5) gelten. Dokumente, die noch die alten Vornamen bzw. den alten Geschlechtseintrag enthalten, sollen auf Anfrage neu ausgestellt werden müssen (§ 10).

Hausrecht (§ 6 Abs. 2) und Sport (§ 6 Abs. 3) sollen vom Geschlechtseintrag unabhängig sein. Auch medizinische Maßnahmen sollen vom SBGG nicht geregelt werden (§ 6 Abs. 4).

Im Spannungs- oder Verteidigungsfall soll im Bezug auf den „Dienst mit der Waffe“ (Wehrdienst) die vorherige Zuordnung zum männlichen Geschlecht bestehen bleiben (§ 9). Das soll für Änderungen des Geschlechtseintrags gelten, die frühestens zwei Monate vor der Feststellung des Verteidigungsfalls erklärt worden sind.

Das SBGG enthält ein Offenbarungsverbot, nach welchem es untersagt sein soll, den früheren Geschlechtseintrag und frühere Vornamen zu offenbaren oder auszuforschen (§ 13). „Bei besonderen Gründen des öffentlichen Interesses“, z. B. für Strafverfolgung, ist dieses Verbot ausgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 3). Wer gegen das Offenbarungsverbot verstößt und den Betroffenen dadurch absichtlich schädigt, soll eine Ordnungswidrigkeit begehen und mit einer Geldbuße bis zu 10.000 € belegt werden können (§ 14).

Die Bundesregierung soll verpflichtet werden, das Gesetz innerhalb von fünf Jahren zu überprüfen und dem Bundestag darüber zu berichten.

Geschichte

Seit September 2014 gibt es unter Vorsitz des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine interministerielle Arbeitsgruppe zur Situation inter- und transgeschlechtlicher Menschen. Unter Einbindung von Interessenverbänden sollen weitere Gesetzesänderungen beraten werden.

Im Mai 2017 legte die Grünen-Fraktion im Bundestag einen Gesetzentwurf vor, der vorsah, das aktuelle Transsexuellengesetz (TSG) durch ein sogenanntes Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen. Am 2. Juni 2017 wurde in Folge einer Unterschriftenaktion zahlreicher Interessenvertretungen im Bundesrat beschlossen, das Recht auf Selbstbestimmung zu stärken: „Der Bundesrat fordert […] die Bundesregierung auf, […] darauf hinzuwirken, dass unverzüglich das TSG in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Gutachten aufgehoben und durch ein entsprechendes modernes Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung ersetzt wird.“ Ob und wie schnell ein neuer Gesetzentwurf umgesetzt werden soll, wird jedoch offen gelassen.

Mit Wirkung zum 22. Dezember 2018 wurde in § 22 Abs. 3, § 45b PStG n. F. für Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung die Möglichkeit geschaffen, den Personenstandsfall mit der Geschlechtsangabe „divers“ in das Geburtenregister eintragen zu lassen. Die Neuregelung gilt nur für intergeschlechtliche Menschen, doch auch transgeschlechtliche Personen haben von dem Antragsrecht Gebrauch gemacht. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung geht das TSG von einem binären Geschlechtssystem aus, indem es in § 8 Abs. 1 TSG nur zwischen „dem im Geburtseintrag angegebenen“ und dem „anderen Geschlecht“ unterscheidet. Die Vorschrift ist jedoch analog auf Fälle anwendbar, in denen sich biologisch weibliche oder männliche Personen keinem dieser beiden Geschlechter zugehörig fühlen.

Im Mai 2019 legte das Bundesinnenministerium gemeinsam mit dem Bundesjustizministerium einen weiteren Referentenentwurf vor. Mit dem Entwurf sollten die materiellen Voraussetzungen für die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen sowohl für inter- als auch für transgeschlechtliche Personen im Personenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt werden (§§ 18–20 BGB-E).

Dieser Entwurf stieß auf heftige Kritik, weil Fachverbände unter anderem dazu aufgerufen wurden, binnen 48 Stunden eine Stellungnahme abzugeben. Mehr als 30 Stellungnahmen wurden eingereicht, alle lehnten den neuen Entwurf ab, weil er im Verfahren weiterhin eine Ungleichbehandlung zwischen trans- und intergeschlechtlichen Menschen vorsehe. Während Intergeschlechtliche ihren Vornamen und Personenstandseintrag durch Erklärung gegenüber dem Standesamt ändern können, wenn sie eine ärztliche Bescheinigung vorlegen (§ 22 Abs. 3, § 45b PStG), sollten Transmenschen als Voraussetzung für eine Personenstandsänderung an einer „qualifizierten Beratung“ teilnehmen, die die im TSG vorgeschriebenen zwei medizinischen Gutachten ersetzen sollte, und danach weiterhin ein Gericht entscheiden. Außerdem wurde kritisiert, dass zusätzlich Ehepartner angehört und eine dreijährige Sperrfrist nach einem abgelehnten Antrag eingeführt werden sollte. Das Transsexuellengesetz würde man größtenteils in das Bürgerliche Gesetzbuch verlagern. Aufgrund erheblicher Proteste wurde dieser Referentenentwurf bei einem Termin im BMJV mit der Justizministerin Katarina Barley diskutiert, anschließend aber nicht weiter verfolgt. Unter Interessenverbänden besteht der Verdacht, dass das Bundesinnenministerium mit diesem Referentenentwurf die neue Möglichkeit nach § 45b PStG wieder schließen wollte.

Entwürfe für Selbstbestimmungsgesetze 2020 und 2021

2020 unternahmen Oppositionsparteien einen weiteren Vorstoß zur Reform des Trans*-Rechts und präsentierten neue Gesetzesentwürfe. Diese fanden bei den Interessenvertretungen breite Zustimmung, welche nun auch im Bundestag zum Thema gemacht wurden. Die Unionsparteien hielten eine Nachweispflicht jedoch weiterhin für erforderlich.

Der Deutsche Bundestag debattierte am 19. Juni 2020 in erster Lesung über einen Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes und zur Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes sowie über einen Gesetzentwurf der FDP „zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung“. Diese Gesetzesentwürfe wurden schließlich 2021 mit den Stimmen der Großen Koalition mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Das Verhalten der SPD wurde dabei von Oppositionspolitikern kritisiert, weil sie – unter Einhaltung des Koalitionsvertrages – gegen die Gesetzesentwürfe der Opposition stimmte.

Nach TSG ist für die amtliche Namens- und Personenstandsänderung ein mit Kosten (durchschnittlich 1.900 €) verbundenes Gerichtsverfahren erforderlich. Wesentliche mit den Gesetzesentwürfen verbundene Änderungen betreffen insbesondere eine Vereinfachung dieser für Betroffene als entwürdigend empfundenen und kostenintensiven amtlichen Verfahren, zu denen eine umfangreiche psychologische Begutachtung gehört.

Eckpunktepapier für ein Selbstbestimmungsgesetz 2022

Die Bundesregierung legte am 30. Juni 2022 ein Eckpunktepapier zu einem Selbstbestimmungsgesetz vor, wonach volljährigen Personen die Möglichkeit zur Personenstands- und Vornamensänderung als Verwaltungsakt ohne weitere Nachweise ermöglicht werden soll. Für Minderjährige unter 14 Jahren können die Sorgeberechtigten einen Antrag stellen; 14 bis unter 18-jährige können den Antrag selbst stellen, benötigen aber die Zustimmung der Sorgeberechtigten. Die Eckpunkte sehen weiterhin ein bußgeldbewehrtes Offenbarungsverbot, eine Übergangslösung im Abstammungsrecht für Geburtsurkunden von Kindern transgeschlechtlicher Eltern und die Absicht einer Entschädigung für von unfreiwilliger Sterilisation (vor 2011) und Zwangsscheidung (vor 2008) betroffene transgeschlechtliche Personen vor.

Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz 2023

Im Mai 2023 wurde der Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften durch das Bundesjustiz- und Bundesfamilienministerium vorgelegt. Demnach soll jede transgeschlechtliche Person mit lediglich einer „Erklärung mit Eigenversicherung“ beim Standesamt den Geschlechtseintrag und Vornamen im Personenstandsregister ändern können (§ 2). Diese Änderung wird nach einer Frist von drei Monaten wirksam und ist maximal einmal pro Jahr möglich. Eine absichtliche Schädigung einer Person durch die Offenbarung früherer Geschlechtseinträge oder Vornamen soll bußgeldbewehrt sein. Das Hausrecht, der Zugang zu geschützten Räumlichkeiten und die Autonomie des Sports sollen nicht angetastet werden. Für die Dauer eines Spannungs- und Verteidigungsfalls soll indes eine bestehende Zuordnung zum männlichen Geschlecht, „soweit es den Dienst mit der Waffe“ nach Art. 12a Grundgesetz (Wehrpflicht) betrifft, gültig bleiben, sofern eine Änderung des Geschlechtseintrages erst ab einem Zeitpunkt von zwei Monaten vor Feststellung dieses Spannungs- oder Verteidigungsfalls erklärt wird. Mit Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes soll das Transsexuellengesetz außer Kraft treten.

Allerdings legte das Bundesinnenministerium Einspruch gegen den Entwurf ein, da Strafverfolgungsbehörden weiterhin Zugriff auf frühere Vornamen und Geschlechtseinträge haben müssten, damit Kriminelle nicht untertauchen könnten. Das Gesetz wurde vor der Sommerpause 2023 somit nicht beschlossen; nach kleinen Änderungen, die den Wünschen des Bundeskriminalamts nachkommen, wurde es stattdessen am 23. August vom Bundeskabinett gebilligt.

Am 20. Oktober beschloss der Bundesrat im ersten Durchgang eine Stellungnahme; er kritisierte darin unter anderem, dass nach dem Gesetzentwurf die Eltern allein über die Änderung des Geschlechtseintrags von Kindern unter 14 Jahren entscheiden dürfen, „ohne jede Beratung, Prüfung und Erforschung des Kindeswohls und -willens von außen“. Das Selbstbestimmungsgesetz ist kein Zustimmungsgesetz und bedarf daher nicht der Zustimmung des Bundesrates.

Am 15. November 2023 erfolgte die Erste Lesung im Bundestag.

Annahme 2024

Am 10. April 2024 legte der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine geänderte Form des Gesetzentwurfs vor und empfahl dem Bundestag, diesen anzunehmen. Ersatzlos gestrichen wurde die Vorschrift, nach der Meldebehörden das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei, den Verfassungsschutz und verschiedene andere Bundesbehörden über die Änderung eines Geschlechtseintrags zu unterrichten hatten. Am 12. April 2024 fand die 2. und 3. Lesung im Parlament statt und der Gesetzentwurf wurde durch namentliche Abstimmung in der geänderten Form angenommen (374 Ja-, 251 Nein-Stimmen, 11 Enthaltungen). Das Gesetz soll am 1. November 2024 in Kraft treten; Änderungen eines Geschlechtseintrags und Vornamen können bereits ab dem 1. August 2024 bei einem Standesamt angemeldet werden.

Literatur (Auswahl)

  • Bettina Konstanze Rentsch, Dana Sophia Valentiner: Selbstbestimmungsgesetz (= Gelbe Erläuterungsbücher). C. H. Beck, München 2024, ISBN 978-3-406-82050-2.
  • Annette Vanagas, Waldemar Vanagas: Das Selbstbestimmungsgesetz. Über die Diskurse um Transgeschlechtlichkeit und Identitätspolitik (= Queer studies. Nr. 35). Transcript, Bielefeld 2023, ISBN 978-3-8376-6719-6.

Einzelnachweise

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