Christus-Johannes-Gruppe: Motiv der christlichen Ikonografie

Als Christus-Johannes-Gruppe wird ein seit der Gotik bekanntes Motiv der christlichen Ikonografie bezeichnet, bei dem der Apostel Johannes sein Haupt an die Brust Jesu lehnt.

Sie entwickelte sich aus dem biblischen Bericht, beim letzten Abendmahl habe der „Lieblingsjünger“ Jesu, Johannes, an der Brust Christi geruht (vgl. Joh 13,23-25 EU).

Christus-Johannes-Gruppe: Ikonografie, Die Skulpturen, Quellen
Skulptur aus dem frühen 14. Jahrhundert, Bayerisches Nationalmuseum München

Die Zweifigurengruppe des Christus und Johannes wurde gleichsam aus dem szenischen Zusammenhang des Abendmahlbildes herausgelöst und isoliert. Das Interesse dieses Themas lag in der Darstellung einer besonderen Nähe des Johannes zu Christus, in die sich der Betrachter bei der Andacht vor dem Bildwerk hineinversetzen konnte (sogenanntes Andachtsbild).

Ikonografie

Die Skulpturen variieren in der Größe, sind sich aber ansonsten recht ähnlich: Johannes sitzt auf der linken Seite Christi und legt den Kopf an seine Brust. Meist legt Christus seine linke Hand auf Johannes' Schulter und beide reichen sich die rechten Hände. Diese Geste lässt sich als ein Symbol für die Vereinigung von Johannes mit Christus auffassen, siehe Hochzeit (römische Antike), wohl mit Bezug auf die häufige, sich auf das Hohelied Salomonis (Hld 2,6 EU) beziehende Interpretation von Christus als Bräutigam (sponsus) und die Kirche, hier vertreten durch Johannes, als Braut (sponsa).

Entsprechend der Mystik des 14. Jahrhunderts konnte damit aber auch allgemein der Typus der einander Liebenden gesehen werden. Gerade klösterliche Frauengemeinschaften konnten so in dem ideal-jugendlichen Jünger, ausdrücklich verehrt um seiner 'Jungfräulichkeit' willen, ein Identifikationsobjekt finden und erlebten in tiefster mystischer Versenkung, der unio mystica, ihre seelische Vereinigung mit Gott. „Auch die alte Vorstellung, dass Johannes visionäre Geheimnisse an der Brust des Herrn empfing, war den um Gnadenerweise wetteifernden Nonnen vertraut.“

Die Skulpturen

Erste Darstellungen des Themas finden sich seit dem 12. Jahrhundert gelegentlich in der Buchmalerei.

Gegen 1300 entstehen plastische Gruppen in südwestdeutschen Frauenklöstern des Dominikanerordens. Die 28 Bildwerke, die bekannt sind, stammen zur Hälfte aus dem 14. Jahrhundert. Die meisten Skulpturen sind aus Holz, einzelne auch aus Ton oder Silber, sie variieren in der Größe von 15 cm bis 135 cm. Grob kann man zwei verschiedene Typen unterscheiden. Beim einen Typ sitzt Christus aufrecht und blickt streng geradeaus. Die rechten Hände berühren sich nur mit den Fingerspitzen und bilden fast eine Gerade. Ein Musterbeispiel dieser feierlichen, vergleichsweise archaischen Variante ist die um 1280/90 vermutlich in Zwiefalten entstandene Gruppe, die sich heute im Cleveland Museum of Art befindet. Bei der gefühlvolleren und die Personen stärker miteinander verschmelzenden Variante neigt Christus seinen Kopf zu Johannes, die rechten Hände liegen fest ineinander und bilden zusammen mit den Armen eine Schräge oder einen Bogen. Christus' linke Hand umfasst die Schulter des Jüngers so, dass sie von vorne kaum zu sehen ist. Das berühmteste Beispiel dieser Variante ist die Gruppe, entstanden ca. 1300–1312 von der Hand des Meisters Heinrich von Konstanz aus dem Kloster St. Katharinenthal in der Schweiz. Sie befindet sich heute im Museum Mayer van den Bergh, Antwerpen.

Schon seit der Mitte des 14. Jahrhunderts entwickelt sich das Bildwerk in neuartigen Formen. Die Nachschaffungen werden nicht mehr dem ursprünglichen Anliegen gerecht.

In einzelnen Fällen werden Christus-Johannes-Gruppen auch als „Johannesminne“ bezeichnet. Allerdings wird unter Johannesminne vor allem das Reichen und Trinken des gesegneten Johannesweins am Fest des Apostels und Evangelisten Johannes (27. Dez.) und als Abschieds- bzw. Sterbetrank verstanden.

Quellen

Literatur

  • Andrea Berger-Fix: Die Stuttgarter Christus-Johannes-Gruppe (Studienausstellung im Württembergischen Landesmuseum). Stuttgart 1980.
  • Reiner Haussherr: Über die Christus-Johannes-Gruppen: zum Problem „Andachtsbilder“ und deutsche Mystik. In: Rüdiger Becksmann, Ulf-Dietrich Korn, Johannes Zahlten (Hrsg.): Beiträge zur Kunst des Mittelalters: Festschrift für Hans Wentzel zum 60. Geburtstag. Gebr. Mann, Berlin 1975, ISBN 978-3-7861-7014-3, S. 79–103.
  • Frank Matthias Kammel: Die Christus-Johannes-Gruppe der Sammlung Sagmeister. Spätmittelalterliche Tonplastik am Bodensee. In: Ders. (Hrsg.): Im Zeichen des Christkinds. Privates Bild und Frömmigkeit im Spätmittelalter. Nürnberg 2003, S. 66–77.
  • Justin Lang: Herzensanliegen: die Mystik mittelalterlicher Christus-Johannes-Gruppen. Ostfildern 1994, ISBN 3-7966-0695-4.
  • Guido Linke: Die Christus-Johannes-Gruppe. Frauenmystik und Skulptur im 14. Jahrhundert. In: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (Hrsg.): Kloster Heiligkreuztal. Geistliche Frauen im Mittelalter. Oppenheim am Rhein 2020, S. 164–174.
  • Veronika Kaiser: "Bild, da sant Johans ruwet uff unser herren herczen". Zur Funktion der Christus-Johannes-Gruppe. In: Paul von Naredi-Rainer (Hrsg.): Sinnbild und Abbild. Zur Funktion des Bildes. Innsbruck 1994, S. 51–62.
  • Christian Maurer: Christus-Johannes-Gruppen. Anmerkungen zur Deutung der Christus-Johannes-Gruppen des 13. und 14. Jahrhunderts aus dem schwäbisch-alemannischen Raum. In: Heilige Kunst 38 (2012/14), S. 24–31.
  • Hans Preuß: Johannes in den Jahrhunderten. Wort und Bild. Gütersloh 1939, S. 63.
  • Herbert Rädle: Die Sigmaringer Christus-Johannes-Gruppe. Kunstwerk und Zeitdokument. In: Hohenzollerische Heimat 40 (1990), S. 2.
  • Ralph Röber: Minne und Mystik. Eine Christus-Johannes-Gruppe aus Konstanz. In: Archäologische Nachrichten aus Baden 95 (2019), S. 31–35.
  • Joseph Sauer: Die Christus-Johannes-Gruppe von Grüningen. In: Oberrheinische Kunst 7 (1936), S. 181–192.
  • Gertrud Schiller: Ikonographie der christlichen Kunst. Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, Gütersloh 1966, ISBN 3-579-04138-X, S. 98.
  • Anton Schmidt, Kurt Goldammer: Scholastik. Kirchliche Kunst im Mittelalter. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1969, ISBN 3-525-52328-9, S. G 215 (Digitalisat).
  • Andrea Wähning: Zu schön, um echt zu sein. Eine oberrheinische Christus-Johannes-Gruppe um 1420/30 und ihre Fassung. In: Anna Morath-Fromm (Hrsg.): Unter der Lupe. Neue Forschungen zu Skulptur und Malerei des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Hans Westhoff zum 60. Geburtstag. Ulm 2000, S. 89–100.
  • Martina Wehrli-Johns: Das Selbstverständnis des Predigerordens im Graduale von Katharinenthal. Ein Beitrag zur Deutung der Christus-Johannes-Gruppe. Claudia Brinker-von der Heyde (Hrsg.): Contemplata aliis tradere. Studien zum Verhältnis von Literatur und Spiritualität. Bern 1995, S. 241–271.
  • Hans Wentzel: Die Christus-Johannes-Gruppe in Heiligkreuztal. In: Pantheon 17 (1944), S. 25–29.
  • Hans Wentzel: Die ikonographischen Voraussetzungen der Christus-Johannes-Gruppe und das Sponsa-Sponsus-Bild des Hohen Lieds. In: Heilige Kunst 7 (1952), S. 7–21.
  • Hans Wentzel: Die Christus-Johannes-Gruppen des 14. Jahrhunderts. (Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek 51) Reclam, Stuttgart 1960.
  • Eva Zimmermann: Eine neue Christus-Johannes-Gruppe. In: Festschrift für Wilhelm Messerer zum 60. Geburtstag. Köln 1980, S. 181–192.
Commons: Johannesminne – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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