Kurs:Körper- und Galoistheorie (Osnabrück 2018-2019)/Vorlesung 28

In dieser Vorlesung standen endliche Körpererweiterungen der rationalen Zahlen im Mittelpunkt. Zum Abschluss werden wir Körper betrachten, die von den rationalen Zahlen aus nicht algebraisch erfasst werden können, sondern transzendente Elemente enthalten. Diese Eigenschaft haben zwar auch die reellen Zahlen, aber diese lassen sich von den rationalen Zahlen aus als Grenzwerte erfassen(was allerdings kein algebraisches Konzept ist).Hier geht es um transzendente Elemente, die eher den Charakter von Funktionen oder einfach von Variablen haben. Es bestehen enge Beziehungen zur Invariantentheorie, Dimensionstheorie für kommutative Ringe, Funktionenkörper von algebraischen Varietäten.



Algebraische Unabhängigkeit

Wir haben schon öfters den Körper der rationalen Funktionen , also den Quotientenkörper des Polynomringes in einer Variablen über einem Körper erwähnt. Dort gibt es das Phänomen, dass dieser Körper echte Unterkörper enthält, die zu diesem Körper selbst isomorph sind, und zwar als-Algebra.Beispielsweise ist der von erzeugte Unterkörperselbst isomorph zu (und damit zu ).Der Grad der angegebenen Erweiterung ist . In der Tat ist sogar für jedes Polynom, ,der davon erzeugte Unterkörper isomorph zum Körper der rationalen Funktionen in einer Variablen. Wir fragen uns, wie zu Polynomen, ,der erzeugte Unterkörperaussieht. Es wird sich herausstellen, dass hierbei stets eine algebraische Abhängigkeit zwischen diesen Polynomen besteht. Es gibt also zwar viele verschiedene, aber isomorphe, Unterkörper von , aber kein Unterkörper, der zum Quotientenkörper von isomorph wäre. Für solche Quotientenkörper führen wir eine eigene Bezeichnung ein.


Definition  

Es sei ein Körper. Den Quotientenkörperdes Polynomringes nennt manKörper der rationalen Funktionen in Variablen. Er wird mit bezeichnet.

Die Elemente dieses Körpers sind rationale Funktionen in mehreren Variablen, also Quotienten aus Polynomen in mehreren Variablen(wie schon bei Polynomen muss man aber bei einem endlichen Grundkörper vorsichtig sein bei der Identifizierung zwischen Elementen dieses Körpers und Funktionen auf gewissen Punktmengen).


Definition  

Es sei einkommutativer Ringund eine kommutative-Algebra.Die Elemente heißenalgebraisch unabhängig(über ),wenn für jedes vom Nullpolynom verschiedene Polynombei der Einsetzung

gilt.

Ein einzelnes algebraisch unabhängiges Element ist einfach ein transzendentes Element. Von daher ist die Vorstellung, dass es sich bei einer algebraisch unabhängigen Familie um eine „transzendente Familie“ handelt, sinnvoll. Das Urbeispiel einer algebraisch unabhängigen Familie ist die Variablenfamilie in einem Polynomring bzw. im Körper der rationalen Funktionen .



Lemma

Es sei einekommutative-Algebraüber einemkommutativen Ring und seieneine Elementfamilie. Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. Die Elemente sind algebraisch unabhängig.
  2. DerEinsetzungshomomorphismus

    istinjektiv.

  3. DerEinsetzungshomomorphismus

    istbijektiv.

Beweis

SieheAufgabe 28.9.


Eine algebraisch unabhängige Familie ist also dadurch gekennzeichnet, das der Einsetzungshomomorphismuseine -Algebraisomorphie

definiert. Wennein Körper ist, was wir zumeist annehmen werden, so führt dies auch zu einemKörperisomorphismus



Transzendenzbasen

Definition  

Es sei ein Grundkörper undeineKörpererweiterung.Man sagt, dass eineTranszendenzbasis von über ist, wenn die algebraisch unabhängigsind undeinealgebraische Körpererweiterungist.


Beispiel  

Zum Polynomring über einem Körper in Variablen besitzt der Quotientenkörper

also der rationale Funktionenkörperin Variablen, dieTranszendenzbasis, da die Variablen algebraisch unabhängigsind.



Beispiel  

Es sei einKörperund einirreduzibles Polynom,die Koeffizienten des Polynoms sind also rationale Funktionen in den Variablen . Nach Korollar 7.7ist der Restklassenring

ein Körper, und zwar eineendliche Körpererweiterungvon , deren Graddurch den Grad des Polynoms gegeben ist. Insbesondere bilden die Variablen eineTranszendenzbasisvon .


Wenn eine algebraische Körpererweiterung

vorliegt, so kann es natürlich trotzdem sein, dass die Form

besitzt, also isomorph zum Körper der rationalen Funktionen ist. Das einfachste Beispiel ergibt sich für.


Definition  

EineKörpererweiterungheißtrein transzendent, wenn es algebraisch unabhängigeElemente mitgibt.

Rein transzendent bedeutet also einfach, dass es eine -Isomorphie zum Körper der rationalen Funktionen gibt. Es ist im Allgemeinen schwierig zu entscheiden, ob ein gegebener Körper rein transzendent ist. Der Quotientenkörper von ist rein transzendent (über ), der Quotientenkörper von ist hingegen nicht rein transzendent.

Wir wollen zeigen, dass die Anzahl der Elemente in einer Transzendenzbasis wohlbestimmt ist. Die Argumentation orientiert sich am Beweis des Satzes der linearen Algebra, dass die Anzahl der Elemente in einer Vektorraumbasis, also die Dimension des Vektorraumes, wohlbestimmt ist.


Lemma  

Es sei ein Grundkörper undeineKörpererweiterung mitendlichen Transzendenzbasen und .

Dann gibt es zu jedem Element der ersten Transzendenzbasis ein Element der zweiten Transzendenzbasis derart, dass ebenfalls eine Transzendenzbasis ist.

Beweis  

Wir zeigen, dass man durch eines der ersetzen kann. Da die Körpererweiterungalgebraisch ist, gibt es zu jedem ein irreduzibles Polynom mit.Wir multiplizieren mit dem Hauptnenner sämtlicher Koeffizienten der und können dann annehmen, dass gilt. Nehmen wir an, dass sämtliche sogar zu gehören. Dann wäre die Körperkette

eine nachAufgabe 10.4algebraische Erweiterung und insbesondere wäre algebraisch über im Widerspruch zur Voraussetzung, dass die algebraisch unabhängig sind. Es gibt also ein mit . Wir schreiben

mit

und . Dabei ist zumindest einfür ein.Daher können wir die Gleichungals eine algebraische Gleichung für über lesen. Dies bedeutet, dass algebraisch über ist.

Wir behaupten, dass eine Transzendenzbasis von über ist, wobei wir gerade gezeigt haben, dass darüber algebraisch ist. Es ist zu zeigen, dass diese Elemente algebraisch unabhängig sind. Wären sie algebraisch abhängig, so müsste algebraisch über sein. Doch dann wäre, wieder wegen der Transitivität von algebraisch, auch algebraisch über im Widerspruch zur Voraussetzung.



Satz  

Es sei ein Grundkörper undeineKörpererweiterung mit einerendlichen Transzendenzbasis.

Dann besitzt jede Transzendenzbasis von über gleich viele Elemente.

Beweis  

Es sei die minimale Zahl derart, dass es eine Transzendenzbasis mit Elementen gibt. Es sei eine Transzendenzbasis und eine weitere Transzendenzbasis mit

Elementen. Wir wendenLemma 28.8sukzessive an und erhalten Transzendenzbasen

wobei die Elemente der zweiten Familie sind. Die letzte Familie ist eine Transzendenzbasis mit Elementen(es kann keine Elementwiederholungen geben wegen der vorausgesetzen Minimalität von ).Beiwürde sich ein Widerspruch ergeben, da eine echte Teilfamilie einer Transzendenzbasis keine Transzendenzbasis sein kann, also ist.



Der Transzendenzgrad

Definition  

Es sei ein Grundkörper undeineKörpererweiterungmit einerendlichen Transzendenzbasis.Dann nennt man die Anzahl der Elemente in einer jeden Transzendenzbasisvon über denTranszendenzgrad von über . Dafür schreibt man .

NachSatz 28.9ist dieser Transzendenzgrad wohldefiniert.


Korollar  

Es sei ein Körper.undeinealgebraische Körpererweiterungdes Körpers der rationalen Funktionenin Variablen.

Dann ist der Transzendenzgrad von über gleich .

Insbesondere besitzt der Körper der rationalen Funktionen den Transzendenzgrad .

Beweis  

Dies folgt direkt daraus, dass die Variablen eineTranszendenzbasisvon und von bilden und dass man nachSatz 28.9den Transzendenzgrad mit jeder Basis bestimmen kann.



Korollar  

Es seieineKörpererweiterungund seien Elemente. Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. Die Elemente sind algebraisch unabhängig.
  2. DerEinsetzungshomomorphismusinduziert eine-Algebraisomorphie
  3. Es gibt eine -Algebraisomorphie

Beweis  

Die Äquivalenz von (1) und (2) folgt direkt ausLemma 28.3.Von (2) nach (3) ist klar, sei also (3) erfüllt. Da eine Isomorphie vorliegt, und derTranszendenzgradeine(wohldefinierte)invariante einer Körpererweiterung ist, besitzt der Körper den Transzendenzgrad . Von diesem Körper ist eine Transzendenzbasisund insbesondere algebraisch unabhängig.



Korollar  

Es seieine Kette vonKörpererweiterungen.

Dann ist

Beweis  

Es sei eineTranszendenzbasisvon über und eine Transzendenzbasis von über . NachAufgabe 28.10ist algebraisch unabhängigüber . Nach Voraussetzung istalgebraisch. Daher ist auch

algebraisch. Da auchalgebraisch ist, folgt mitAufgabe 10.4,dassalgebraisch ist.



Korollar  

Es seieine Kette vonKörpererweiterungen.

Dann ist

Beweis  

Dies folgt unmittelbar ausKorollar 28.13.


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