Kurs:Körper- und Galoistheorie (Osnabrück 2018-2019)/Vorlesung 2
- Körpererweiterungen
In der letzten Vorlesung haben wir gesehen, dass es sinnvoll sein kann, das Studium der Nullstellen eines Polynomsnicht in , sondern in einem kleineren Körper, der umfasst, durchzuführen. Wir stellen dazu die nötige Terminologie zusammen.
Wenn ein Unterringin einem Körper vorliegt, so muss man nur noch schauen, ob mit jedem von verschiedenen Element auch das Inverse (das in existiert)enthält. Bei einem Unterring,wobei ein Körper ist, aber nicht, spricht man nicht von einem Unterkörper. Die Situation, bei der ein Körper in einem anderen Körper liegt, wird als Körpererweiterung bezeichnet.
Definition
Es sei ein Körperundein Unterkörpervon . Dann heißt ein Erweiterungskörper (oder Oberkörper)von und die Inklusionheißt eine Körpererweiterung.
Für eine Körpererweiterung gilt stets folgende wichtige Beobachtung.
Lemma
SeieineKörpererweiterung.
Dann ist in natürlicher Weise ein -Vektorraum.
Beweis
Die Skalarmultiplikation
wird einfach durch die Multiplikation in gegeben. Die Vektorraumaxiomefolgen dann direkt aus den Körperaxiomen.
Definition
EineKörpererweiterungheißt endlich, wenn ein endlichdimensionaler Vektorraumüber ist.
Definition
Es seieine endliche Körpererweiterung.Dann nennt man die-Vektorraumdimensionvon den Grad der Körpererweiterung.
Der Grad einer endlichen Körpererweiterungwird mit
bezeichnet. Dass man hier von Grad spricht und nicht einfach von Dimension hat seinen Grund darin, dass dieser Grad mit dem Gradvon gewissen Polynomen zusammenhängt, worauf wir ausführlich zu sprechen kommen werden. Da bei einer Körpererweiterungsofort eine -Vektorraumstruktur auf zur Verfügung steht, ist es naheliegend, für das Studium der Körpererweiterungen die lineare Algebra einzusetzen. Dies ist besonders bei endlichen Körpererweiterungen ein schlagkräftiges Mittel. Durch diesen Apparat wird unter Anderem die additive Struktur auf einfach beschreibbar, und man kann sich ganz auf die Multiplikation konzentrieren. Aber auch für diese ist die Vektorraumstruktur reich an Konsequenzen. Um ein typisches Beispiel für die lineare Argumentationsweise zu geben, betrachten wir eine endliche Körpererweiterungund ein beliebiges Element.Die Potenzen von , also
bilden eine unendliche Familie(auch wenn es unter den Potenzen Wiederholungen geben kann).Da diese Potenzen alle zu gehören und ein endlichdimensionaler -Vektorraum ist, kann diese unendliche Familie nicht linear unabhängigsein, sondern es muss eine Beziehung der Form
geben, bei der nicht alle Koeffizientengleich sind. Diese Beobachtung führt zu den Begriffen algebraisches Element und Minimalpolynom.
Die einzige Körpererweiterung vom Grad ist die Identität.Die Körpererweiterungen vom Grad zwei sind aber schon eine umfangreiche Beispielklasse und bekommen einen eigenen Namen. Zu ihnen gehören die beiden letzten Beispiele der ersten Vorlesung.
Definition
Eineendliche KörpererweiterungvomGradzwei heißt eine quadratische Körpererweiterung.
Die folgende Aussage ist eine Version der quadratischen Ergänzung.
Lemma
Es sei ein Körpermit einerCharakteristik[1] und es sei einequadratische Körpererweiterung.
Dann gibt es ein , und .
Beweis
- Die Gradformel
Häufig studiert man Körpererweiterungendadurch, dass man Zwischenkörper, ,betrachtet, und die beiden einzelnen(häufig einfacheren)Körpererweiterungen und untersucht. Man spricht von einem Körperturm oder einer Körperkette. In dieser Situation gilt die folgende wichtige Gradformel.
Satz
Beweis
Wir setzen und .Es sei eine -Basisvon und eine -Basis von . Wir behaupten, dass die Produkte
eine -Basis von bilden. Wir zeigen zuerst, dass diese Produkte den Vektorraum über erzeugen. Es sei dazu. Wir schreiben
Wir können jedes als mit Koeffizienten ausdrücken. Das ergibt
Daher ist eine -Linearkombination der Produkte .
Um zu zeigen, dass diese Produktelinear unabhängigsind, sei
angenommen mit . Wir schreiben dies als.Da die linear unabhängig über sind und die Koeffizienten der zu gehören, folgt, dassist für jedes . Da die linear unabhängig über sind und ist, folgt, dass für alle ist.
- Reine Gleichungen
Die Lösungsformel von Cardano für ein kubisches Polynom zeigt, dass man die Nullstellen eines solchen Polynoms durch arithmetisch verschachtelte reine (zweite und dritte)Wurzeln ausdrücken kann. Solche reinen Wurzeln sind Nullstellen von sogenannten reinen Polynomen, also von Polynomen der Form
wobei ist und die Nullstelle in einem geeigneten Erweiterungskörper von liegen soll. Verglichen mit beliebigen Polynomen gelten solche reinen Polynome als vergleichsweise einfach, insbesondere wenn man an ein reelles positives und seine reelle positive Wurzel denkt(und bei geradem noch die zweite reelle Lösung berücksichtigt).Allerdings zerfällt das Polynom über in Linearfaktoren, so dass beiim Reellen nicht alle komplexen Lösungen sichtbar sind. Ein extremes Beispiel ist dabei das Polynom
bzw. die Gleichung.Dies führt zu den sogenannten Einheitswurzeln.
- Einheitswurzeln
Die ist für jedes eine -te Einheitswurzel, und die ist für jedes gerade eine -te Einheitswurzel. Es gibt maximal -te Einheitswurzel, da das Polynom nachKorollar 19.9 (Lineare Algebra (Osnabrück 2017-2018))maximal Nullstellen besitzt. Die Einheitswurzeln bilden eine endliche Untergruppe(mit undist auch,usw.)der Einheitengruppedes Körpers.
Im Reellen gibt es nur die Einheitswurzeln oder und ,je nachdem, ob gerade oder ungerade ist. Die komplexen Einheitswurzeln lassen sich einfach beschreiben und besitzen eine einfache geometrische Interpretation.
Lemma
Es sei.
Die Nullstellen des Polynoms über sind
In gilt die Faktorisierung
Beweis
Der Beweis verwendet einige Grundtatsachen über diekomplexe Exponentialfunktion. Es ist
Die angegebenen komplexen Zahlen sind also wirklich Nullstellen des Polynoms . Diese Nullstellen sind alle untereinander verschieden, da aus
mitsofort durch betrachten des Quotientenfolgt, und daraus
Es gibt also explizit angegebene Nullstellen und daher müssen dies alle Nullstellen des Polynoms sein. Die explizite Beschreibung in Koordinaten folgt aus dereulerschen Formel.
Korollar
Beweis
Die erste Aussage ergibt sich durch Ausmultiplizieren der rechten Seite. Zum Beweis des Zusatzes sei eine -te Einheitswurzelgegeben. Nach Definition ist. Wegenmuss also das rechte Polynom zu werden, wenn man darin einsetzt.
Zu jedemgibt es einen kleinsten Unterkörper von , der alle -ten Einheitswurzeln enthält, der sogenannte -te Kreisteilungskörper. Wir werden bald sehen, dass der Kreisteilungskörper eine endliche Erweiterung von ist, und dass sein Grad maximal gleich ist. Genauere Gradberechnungen und weitere Strukturuntersuchungen dieser Körpererweiterungen werden im Laufe des Kurses noch folgen.
Mit den Einheitswurzeln lassen sich wiederum die Lösungen zu beliebigen reinen Gleichungen charakterisieren, insbesondere, wenn eine bekannt ist, wie das beimitder Fall ist.
Lemma
Es sei einKörper, und . Dann gelten folgende Aussagen.
- Wenn zwei Lösungen der Gleichungsind und,so ist ihr Quotient eine -te Einheitswurzel.
- Wenn eine Lösung der Gleichungund eine -te Einheitswurzel ist, so ist auch eine Lösung der Gleichung.
Beweis
- Fußnoten
- ↑ Diese Bedingung bedeutet, dassist. Wir werden die Charakteristik eines Körpers bald einführen.
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