Postkommunismus

„Postkommunismus“, häufig adjektivisch als „postkommunistisch“ gebraucht (von lat.

post für „nach“, d. h. etwas „nach dem Kommunismus“), seltener auch in der Variante „Postsozialismus“ bzw. „postsozialistisch“, ist ein mehrdeutiger Begriff, der sowohl in der medialen Berichterstattung, der politischen Auseinandersetzung als auch im wissenschaftlichen Diskurs verwendet wird. Er hat mehrere, oft nicht deutlich voneinander zu trennende Dimensionen:

  • zeitlich in Bezug auf die Zeit nach den Umwälzungen und Revolutionen im Jahr 1989 und nach der Auflösung der Sowjetunion,
  • räumlich in Bezug auf die ehemaligen Ostblockstaaten mit zuvor kommunistischen bzw. realsozialistischen Systemen,
  • sachlich bzw. personenbezogen in Bezug auf die Nachfolgeparteien der ehemaligen kommunistischen bzw. sozialistischen Parteien in diesen Staaten und deren Mitglieder. Dabei ist mit der Bezeichnung keine bestimmte politische oder philosophische Ideologie verbunden (und insofern nicht mit Postmarxismus zu verwechseln); so blieb die deutsche PDS als Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED am linken Rand des Parteienspektrums, während sich die Nachfolgeparteien in anderen ehemaligen Ostblockstaaten, etwa der SLD oder die SDPL in Polen oder die ungarische MSZP sich am Vorbild sozialdemokratischer Volksparteien wie der SPD oder der britischen Labour Party orientierten und bereits kurz nach der Wende wieder die Regierung stellten.
  • Politisch wird der Begriff gelegentlich als Schlagwort („Kampfbegriff“) verwendet, um die tatsächliche oder vermeintliche Nähe von politischen Gegnern zu den früheren Regimen zu betonen, sie als Opportunisten darzustellen (vgl. „Wendehals“ und ähnliche Begriffe) oder die Glaubwürdigkeit ihres Bekenntnisses zu liberaler Demokratie, Rechtsstaat und freier Marktwirtschaft zu bezweifeln; als Eigenbezeichnung ist er dementsprechend ungebräuchlich.
  • Wirtschaftlich beschreibt der Begriff die Abkehr von der Zentralverwaltungswirtschaft mit Unternehmen und Betrieben, die sich weit überwiegend im Eigentum des Staates oder von Genossenschaften befinden, hin zu einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung mit Privateigentum an Unternehmen und Betrieben als vorherrschender Eigentumsform.
  • Kulturell beschreibt der Begriff gelegentlich eine kollektive oder generationsbezogene Erfahrung oder ein unspezifisches Lebensgefühl, das Gesellschaften während oder nach der Systemtransformation kennzeichnet und durch bestimmte Phänomene wie Massenarbeitslosigkeit oder Anomie und damit zusammenhängend eine Wiederkehr von Konservatismus, Nationalismus, Familialismus bzw. Refamilialisierung (Rückverlagerung wohlfahrtsstaatlicher Aufgaben in die Familie), Autoritarismus oder Patronage bzw. Klientelismus gekennzeichnet ist.

Literatur

  • Boris Groys, Anne von der Heiden, Peter Weibel (Hrsg.): Zurück aus der Zukunft: Osteuropäische Kulturen im Zeitalter des Postkommunismus. edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-518-12452-8. (Rezension auf Perlentaucher)
  • Boris Groys: Das kommunistische Postskriptum. edition suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-518-12403-X.
  • Tanja Bürgel (Hrsg.): Generationen in den Umbrüchen postkommunistischer Gesellschaften: Erfahrungstransfers und Differenzen vor dem Generationenwechsel in Russland und Ostdeutschland. (= SFB-580-Mitteilungen. 20). Universität Jena, Jena 2006. (Volltext-PDF)
  • Kai-Olaf Lang: Postkommunistische Nachfolgeparteien im östlichen Mitteleuropa: Erfolgsvoraussetzungen und Entwicklungsdynamiken. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2009, ISBN 978-3-8329-3642-6. (Abstract)
  • Dittmar Schorkowitz: Postkommunismus und verordneter Nationalismus. Gedächtnis, Gewalt und Geschichtspolitik im nördlichen Schwarzmeergebiet. Peter Lang, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-631-57610-6. (Google Books)
  • Dieter Segert, Richard Stöss, Oskar Niedermayer (Hrsg.): Parteiensysteme in postkommunistischen gesellschaften Osteuropas. Westdeutscher Verlag, Opladen 1997, ISBN 3-531-13007-2. (Google Books)

Tags:

AdjektivKommunismus

🔥 Trending searches on Wiki Deutsch:

Erster MaiReemtsma (Familie)Angela MerkelJeffrey EpsteinItalienRepublik MoldauMing-DynastieDie Rosenheim-CopsBernhard HoëckerPet Shop BoysVereinigte Arabische EmirateGuillaume-AffäreKatakomben (2014)Anne BrorhilkerIndienMichelle YeohPatricia FlorWilly BrandtSachsen-AnhaltDeutscher BundestagRomPetra ReskiBundesrat (Schweiz)Brigitte MacronTiktokJuli (Band)MönchsgrasmückeGoogleElton (Moderator)Victoria von Großbritannien und Irland (1840–1901)AWStatsBelarusBayer 04 LeverkusenBrendan FraserFC Bayern MünchenListe der Staaten der ErdeAfghanistanBundesregierung (Deutschland)InterstellarJohann Sebastian BachAtombombenabwürfe auf Hiroshima und NagasakiVictoria (Fernsehserie)Henry CavillSlowenienErnst II. (Sachsen-Coburg und Gotha)CunnilingusThe BeatlesHeidi KlumPeter HahneTerry CarterGossip GirlNuklearkatastrophe von TschernobylLitauenAutismusXVideosUlrike GuérotChronologie des russischen Überfalls auf die UkraineAl PacinoNew York CityTill ReinersNuklearkatastrophe von FukushimaLena Meyer-LandrutLudwig van BeethovenIn Berlin wächst kein OrangenbaumMadeiraAntónio de Oliveira SalazarJudd TrumpLand (Deutschland)SchwedenMax HerreErtrag (Landwirtschaft)Geographische Extrempunkte EuropasOralverkehrImmanuel KantBodenseeSofia BoutellaBlutdiamantRobert LichalMoorleiche🡆 More