Salman Rushdie: Britisch-indischer Schriftsteller und Essayist

Sir Ahmed Salman Rushdie CH (, Urdu سلمان رشدی; * 19.

Juni 1947 in Bombay, Britisch-Indien) ist ein indisch-britischer Schriftsteller. Er gehört zu den bedeutendsten anglo-asiatischen Vertretern der zeitgenössischen englischen Literatur und der postkolonialen Literatur. Seine Erzählungen reichert er mit Elementen aus der Märchenwelt an; sie werden dem Magischen Realismus zugerechnet.

Salman Rushdie (2023)
Salman Rushdie (2023)

Leben und Werk

Familie und Ausbildung

Salman Rushdie wuchs in Bombay (heute Mumbai) in einer muslimischen Familie auf. Sein Vater Anis Ahmed Dehlavi, ein Anwalt und Geschäftsmann aus ehemals wohlhabender Familie, gab sich den Namen Rushdie aus Bewunderung für Ibn Ruschd, einen spanisch-arabischen Philosophen des zwölften Jahrhunderts, der in Europa unter dem Namen Averroes bekannt wurde. Anis schickte seinen Sohn im Alter von 14 Jahren auf die Rugby School in England. Am King’s College der Universität Cambridge studierte Salman danach Geschichte. Bis er seinen Lebensunterhalt als Schriftsteller verdienen konnte, arbeitete er am Theater, als freier Journalist und überwiegend als Texter in der Werbung.

Salman Rushdie war viermal verheiratet. Er ist Vater von Zafar, dem 1979 geborenen Sohn aus erster Ehe mit Clarissa Luard, sowie von Milan, dem Sohn aus der Ehe mit Elizabeth West, der 1999 geboren wurde.

Frühwerk

Mit Grimus veröffentlichte Salman Rushdie 1975 sein erstes Werk, das ihm aber nicht den erhofften Erfolg einbrachte. Sein internationaler Durchbruch gelang ihm 1981 mit dem Buch Mitternachtskinder, für das er mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde. Sein drittes Buch Scham und Schande erschien 1983.

Satanische Verse und Todesurteil

Einen weiteren Erfolg verzeichnete er 1988 mit seinem Werk Die satanischen Verse. Die in den Albträumen eines Protagonisten widergespiegelte Lebensdarstellung des Propheten Mohammed war der Anlass für den damaligen Obersten Führer des Iran Ruhollah Chomeini, Rushdie mittels einer Fatwa am 14. Februar 1989 zum Tode zu verurteilen. Begründet wurde diese Fatwa damit, das Buch sei „gegen den Islam, den Propheten und den Koran“. Chomeini rief die Muslime in aller Welt zur Vollstreckung auf. Die iranische „halbstaatliche“ Stiftung 15. Chordat setzte ein Kopfgeld von zunächst einer Million US-Dollar aus. Rushdie erfuhr von seinem Todesurteil durch eine Reporterin der BBC am Tag der Beisetzung seines langjährigen Freundes und Reisegefährten Bruce Chatwin (1940–1989).

Religiöse Autoritäten in Saudi-Arabien und die Scheiche der al-Azhar-Moschee in Ägypten verurteilten die Fatwa als illegal und dem Islam widersprechend. Dies begründeten sie mit der Tatsache, dass die Scharia es nicht gestatte, einen Menschen ohne ein Gerichtsverfahren zum Tode zu verurteilen, und es außerdem außerhalb der islamischen Welt (bzw. Staaten, in denen die Scharia angewandt wird) sowieso keine Rechtsgeltung habe. Auf der Islamischen Konferenz im März 1989 widersprachen alle Mitgliedsstaaten der Organisation der Islamischen Konferenz (Iran ausgeschlossen) der Fatwa.

Salman Rushdie erklärte gegenüber der islamischen Glaubensgemeinschaft sein Bedauern über „die Besorgnis, die die Veröffentlichung aufrichtigen Anhängern des Islam bereitet hat“. Aber auch nach dem Tode Chomeinis am 3. Juni 1989 wurde das Todesurteil aufrechterhalten. 1991 wurde das Kopfgeld der Chordat-Stiftung verdoppelt. Der Dichter lebte wegen der erhaltenen Morddrohungen in erzwungener Isolation an ständig wechselnden Wohnorten und unter Polizeischutz. Die zahlreichen Drohungen und Anschläge gegen die Verlage und die Ermordung eines Übersetzers verhinderten den Erfolg des Buches nicht; es erlangte eine weite Verbreitung. Die Drohungen werden bis heute vom Obersten Führer des Iran und Nachfolger Chomeinis, Ali Chamenei, ebenso wie von der iranischen Revolutionsgarde vertreten. Der Iran erklärte, die Fatwa könne nicht zurückgenommen werden, dies könne nur der Aussteller, der gestorben sei. Im September 2012 wurde das Kopfgeld noch einmal erhöht, auf nunmehr 3,3 Millionen Dollar. 2013 hatte Rushdie schon seit einigen Jahren keinen Leibwächter mehr und wurde nicht mehr rund um die Uhr bewacht.

Im Februar 2016 meldete die iranische Nachrichtenagentur Fars, dass vierzig staatliche iranische Medien zum Jahrestag der Fatwa das Kopfgeld für den Tod Rushdies um 600.000 Dollar auf fast 4 Millionen Dollar erhöht hatten.

Chamenei erklärte im Februar 2019 aus Anlass des dreißigsten Jahrestages der Fatwa gegen Rushdie, dass Chomeinis damaliges Urteil über Rushdie auf heiligen Versen basiere und unwiderruflich sei.

Flucht und Untergrund

Auf seiner Flucht verfasste Rushdie für seinen Sohn Zafar das Märchen Harun und das Meer der Geschichten, in dem ein Märchenerzähler die Fähigkeit verliert, Geschichten zu erzählen, weil ihm der „Geschichtenhahn“ abgedreht wird und er keinen Zugang mehr zum „Erzählwasser“ hat. Sein Sohn macht sich auf den Weg, seinen Vater zu retten. Diese Geschichte diente als Parabel auf Rushdies eigene Situation – im Untergrund und getrennt von der Familie. Rushdie erhielt viele renommierte Preise; der herausragendste ist der Aristeion-Literaturpreis der Europäischen Union für sein Gesamtwerk.

Das nächste Werk, Des Mauren letzter Seufzer, erregte bei seinem Erscheinen 1995 besonders in Indien großes Aufsehen. Sehr deutliche Anspielungen auf die Führer der Hindu-nationalistischen Bewegung von Mumbai bewirkten, dass das Buch in dieser Stadt auf den Zensur-Index gesetzt wurde.

1999 entstand das Werk Der Boden unter ihren Füßen und 2001 der Roman Fury. Eine Sammlung skurriler Erzählungen heißt East, West. 2005 veröffentlichte Rushdie den Roman Shalimar the Clown, 2006 unter dem Titel Shalimar der Narr auf Deutsch erschienen. Für sein Lebenswerk wurde Salman Rushdie 1999 von der Freien Universität Berlin sowie der Universität Lüttich mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet.

2004 heiratete Rushdie in vierter Ehe das in Indien geborene Model Padma Lakshmi. Nach drei Jahren zerbrach die Ehe.

Salman Rushdie: Leben und Werk, Auszeichnungen (Auswahl), Werke (auf Deutsch) 
Salman Rushdie in Warschau (2006)

Von 2004 bis 2006 war er Präsident des PEN American Center und anschließend für zehn Jahre Vorsitzender des PEN World Voices International Literary Festival. Rushdie gehört zu den Unterzeichnern des Manifestes der 12 gegen den Islamismus als neue totalitäre Bedrohung, das am 1. März 2006 in der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo veröffentlicht wurde.

Am 16. Juni 2007 teilte der Buckingham Palace mit, dass Königin Elisabeth II. beabsichtige, Rushdie zusammen mit 945 Sportlern, Kulturgrößen und Repräsentanten der Wirtschaft als Knight Bachelor in den Ritterstand zu erheben. Die Bekanntgabe löste offizielle diplomatische Proteste im Iran und in Pakistan aus; in beiden Ländern wurden die britischen Botschafter einbestellt. Das iranische Außenministerium nannte die Entscheidung, den „verhassten Apostaten“ zu ehren, einen eindeutigen Beweis für Islamophobie unter hochrangigen britischen Beamten. In Iran, Pakistan und Malaysia kam es anschließend zu teilweise gewalttätigen Straßenprotesten. In Kaschmir kam die Wirtschaft einen Tag lang zum Erliegen. Der Ritterschlag fand im Juni 2007 statt.

Salman Rushdie: Leben und Werk, Auszeichnungen (Auswahl), Werke (auf Deutsch) 
Salman Rushdie auf dem Literaturfest München (2017)

Nach zahlreichen Drohungen mit Gewaltausschreitungen und Mordaufruf von Islamisten sagte Rushdie die Teilnahme am größten Literaturfestival Indiens in Jaipur im Januar 2012 ab. Der gebürtige Inder hätte die Eröffnungsrede halten sollen. Rushdie selbst bekräftigte kurze Zeit später, er glaube, dass die gegen ihn erhobenen Drohungen in Wahrheit von der Polizei aus taktischen Gründen erfunden wurden, um ihn zum Rückzug zu motivieren und keine Unruhen auszulösen.

Seit dem Jahr 2000 lebt Rushdie die meiste Zeit in der Nähe des Union Square in New York. Im Frühjahr 2007 trat er eine fünfjährige Gastprofessur als Distinguished Writer in Residence an der Emory University in Atlanta an.

Autobiographie und Gegenwart

2012 veröffentlichte er unter dem Titel Joseph Anton seine Autobiografie. „Joseph Anton“ war der Deckname, den er sich nach Aufforderung der Polizei für sein Leben in der Anonymität zugelegt hatte. Es ist eine Kombination der Vornamen seiner beiden Lieblingsschriftsteller Joseph Conrad und Anton Tschechow. Das schonungslose Buch wird immer wieder als Rushdies bestes Werk angesehen.

Rushdie machte immer wieder auf die Gefahren aufmerksam, die von Religionen ausgehen können. So äußerte er sich 2015 nach dem Terroranschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo: „Religion, eine mittelalterliche Form der Unvernunft, wird, wenn sie mit modernen Waffen kombiniert wird, zu einer echten Gefahr unserer Freiheiten. Derartiger religiöser Totalitarismus hat zu einer tödlichen Mutation im Herzen des Islams geführt und wir sehen heute die tragischen Folgen in Paris.“

Auf Rushdies Präsenz bei der Auftakt-Pressekonferenz der Frankfurter Buchmesse 2015 reagierte die iranische Regierung mit einer offiziellen Teilnahmeabsage; einige Verlage mit Sitz im Iran waren dennoch mit einem Stand vertreten, wenn auch nicht direkt neben dem großen offiziellen Stand, der leer blieb.

2019 gelangte er mit seinem Roman Quichotte zum fünften Mal auf die Shortlist des britischen Booker-Preises.

Am 20. April 2023 erschien der Roman Victory City bei Penguin. Das historische Märchen spielt im Heimatland des Autors Indien im 14. Jahrhundert. Die 9-jährige Waise Pampa Kampana dient einer Göttin als „menschliche Hülle und (…) Sprachrohr“. Victory City wird neu geschaffen, damit „sich Frauen nie wieder verbrennen und dass Männer lernen Frauen mit neuem Blick zu sehen“. Am Ende ihres 247 Jahre langen Lebens erkennt die blinde Pampa, dass sich Torheit wiederholt. Der Roman endet mit dem Satz: „Worte sind die einzigen Sieger“ (auf Englisch: „Words are the only victors“) und einem doppelten Victory-Zeichen.

Messerangriff im August 2022

Während eines Vortrags an der Chautauqua Institution am 12. August 2022 in Chautauqua im US-Bundesstaat New York wurde Rushdie durch mehrere Messerstiche an Hals, Gesicht, Leber und Arm verletzt. Der Angreifer, der 24-jährige Hadi M. aus New Jersey, wurde festgenommen. Der Sohn von Emigranten aus dem Libanon hatte in den sozialen Netzen mit dem Schiaextremismus und der iranischen Revolutionsgarde sympathisiert. Rushdie wurde mit einem Hubschrauber in ein nahegelegenes Krankenhaus geflogen, wo er notoperiert und zeitweise künstlich beatmet wurde. Regierungsnahe iranische Medien begrüßten den Angriff und bezeichneten Rushdie unter anderem als „Satan auf dem Weg zur Hölle“. Politiker weltweit äußerten sich schockiert über die Tat.

Salman Rushdie ist seit dem Angriff im August 2022 auf dem rechten Auge blind. Funktion und Gefühl in den Fingerspitzen seiner Schreibhand blieben langfristig eingeschränkt.

Auszeichnungen (Auswahl)

Werke (auf Deutsch)

Romane

Autobiographie

  • Joseph Anton: Die Autobiografie. (Originaltitel: Joseph Anton: A Memoir. 2012). Aus dem Englischen übersetzt von Verena von Koskull und Bernhard Robben. Bertelsmann, München 2012, ISBN 978-3-570-10114-8.
  • Knife. Gedanken nach einem Mordversuch. (Knife. Meditations After an Attempted Murder. 2024). Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Penguin, München 2024, ISBN 978-3-32-860327-6.

Sonstige Schriften

Trivia

  • Salman Rushdie stellte in einer Gastrolle in dem Spielfilm Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück (2001) sich selbst dar.
  • Im Film Then She Found Me (USA 2007) stellt er in einer Nebenrolle den Arzt „Dr. Masani“ dar.
  • In der dritten Folge der neunten Staffel der Serie Lass es, Larry! hat Rushdie einen Gastauftritt. Die Erstausstrahlung der Folge ist 2017.
  • Dietmar Luz veröffentlichte 1994 den Roman Fatwa – das Urteil zum Leben Rushdies „im Untergrund“.
  • In dem Roman Gottes kleiner Krieger von Kiran Nagarkar wird die Reaktion eines radikalen Islamisten auf Die satanischen Verse thematisiert, die bis zu einem versuchten Anschlag auf Rushdie führt.
  • Für die gleichnamige Verfilmung des Romans Mitternachtskinder durch Deepa Mehta schrieb Salman Rushdie das Drehbuch.
  • Im März 2020 überlebte Rushdie im Alter von 72 Jahren einen schweren Verlauf der Covid-19-Krankheit. Er verarbeitete seine Erfahrungen in dem Essay „Pandemie“.

Literatur

  • Raphaël Aubert: L’Affaire Rushdie. Le Cerf, Paris 1990, ISBN 2-204-04193-9 (französisch).
  • Thierry Chervel (Hrsg.): „Redefreiheit ist das Leben“. Briefe an Salman Rushdie. Piper, München 1992, ISBN 3-492-11717-1.
  • Bernd Hirsch: Geschichte und Geschichten. Zum Verhältnis von Historizität, Historiographie und Narrativität in den Romanen Salman Rushdies. Winter, Heidelberg 2001 (= Anglistische Forschungen. Band 300), ISBN 3-8253-1248-8. Zugleich Dissertation an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1999.
  • Peter Priskil: Salman Rushdie. Portrait eines Dichters. Ahriman, Freiburg im Breisgau 1989, ISBN 3-922774-28-8.
  • Gereon Vogel: Blasphemie – Die Affäre Rushdie in religionswissenschaftlicher Sicht (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 23: Theologie). Lang, Bern 1998, ISBN 3-631-32892-3. Zugleich Dissertation an der Ruhr-Universität Bochum 1997.
  • Lisa Freigang: Formations of identity in Salman Rushdie’s fictions. Tectum, Marburg 2009, ISBN 978-3-8288-2065-4 (englisch).
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