Hans Mommsen (* 5.
November">5. November 1930 in Marburg; † 5. November 2015 in Tutzing) war ein deutscher Historiker. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Zeithistoriker nach dem Zweiten Weltkrieg.
Hans Mommsens Urgroßvater war der Althistoriker und erste deutsche Literaturnobelpreisträger (1902; für das Standardwerk Römische Geschichte) Theodor Mommsen, sein Großvater der Bankdirektor und freisinnige Politiker Karl Mommsen und sein Vater Wilhelm Mommsen, Professor für Geschichte an der Universität Marburg. Seine Mutter kam aus einer Bremer Bankiersfamilie. Auch sein Zwillingsbruder Wolfgang J. Mommsen († 2004) und sein älterer Bruder Karl Mommsen-Straub († 1976) waren Historiker.
Im Jahr 1951 begann Hans Mommsen sein Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Tübingen. Er studierte darüber hinaus Politische Wissenschaften. Als Schüler des Historikers Hans Rothfels an der Universität Tübingen wurde er 1959 mit der Arbeit Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im habsburgischen Vielvölkerstaat 1867–1907 promoviert. Anschließend war er kurze Zeit als Assistent von Rothfels tätig. Von 1960 bis 1963 arbeitete er am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München als Referent. Anschließend war er Assistent an der Universität Heidelberg bei Werner Conze, bei dem er sich 1967 mit der Arbeit Beamtentum im Dritten Reich habilitierte.
An der neu gegründeten Ruhr-Universität Bochum hatte Mommsen von 1968 bis zu seiner Emeritierung Anfang 1996 einen Lehrstuhl für Neuere Geschichte inne. Hinzu kamen Aufenthalte als Gastforscher in Princeton, Harvard, Berkeley, Jerusalem und Washington, D.C. Von 1977 bis 1985 war er Direktor des von ihm mitgegründeten Instituts zur Geschichte der Arbeiterbewegung.
Beim Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) trat Mommsen als Redner zu den Festveranstaltungen zum dreißigjährigen (1993) und fünfzigjährigen (2013; Thema: Hitlers Stellung im NS-Herrschaftssystem und der Mythos der „Volksgemeinschaft“) Jubiläum auf.
Mommsen war mit der Politikwissenschaftlerin Margareta Mommsen verheiratet und lebte mit ihr in Feldafing. Mommsen starb 2015 an seinem 85. Geburtstag in Tutzing am Starnberger See.
Hauptarbeitsgebiet Mommsens war die deutsche Geschichte zwischen 1918 und 1945. Hier legte er unter anderem mit Die verspielte Freiheit. Der Weg der Republik von Weimar in den Untergang 1918 bis 1933 eine Überblicksdarstellung über die Weimarer Republik vor. Zur Geschichte des Nationalsozialismus arbeitete Mommsen über den Reichstagsbrand und den Holocaust.
Die Forschungen Mommsens zum Reichstagsbrand und seine abschließende Schlussfolgerung, es habe sich bei dem Brandstifter sicher um den Einzeltäter Marinus van der Lubbe gehandelt, wird nach wie vor kontrovers debattiert. Im Zusammenhang mit diesen Kontroversen hat das Institut für Zeitgeschichte zu einer (internen) Aktennotiz Mommsens klargestellt, dass Mommsen 1962 als Mitarbeiter über eine geplante Publikation des Historikers Hans Schneider darin festhielt, dass diese Publikation wohl „aus allgemeinpolitischen Gründen … unerwünscht zu sein scheint“. Er gab, so seine Aktennotiz, zu bedenken, ob eine Veröffentlichung in anderen Publikationen „durch Druck auf Schneider vermittels des Stuttgarter Ministeriums“ verhindert werden könne. Dazu nahm die Institutsleitung im Jahre 2001 Stellung und erklärte, dass die damaligen Formulierungen in dieser inzwischen fast 40 Jahre alten Aktennotiz (des im Übrigen damals 32-jährigen) Mommsens „unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten völlig inakzeptabel“ gewesen seien, allerdings gelte für „das Rohmanuskript Hans Schneiders“: „es war und ist nicht publikationsreif“.
Wichtig war die von Mommsen und vor allem von Martin Broszat betriebene Verschiebung der Perspektive historischer Forschung weg von der alles überlagernden Person Adolf Hitlers hin zu den Strukturen und Apparaten des NS-Regimes, der Strukturgeschichte. Diese als funktionalistische Schule bezeichnete Richtung der NS-Forschung fragte auch nach der Verantwortung des Einzelnen in der NS-Diktatur, während zahlreiche Historiker die Rolle Hitlers und einer Handvoll Vasallen als Triebkraft für alle politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im NS-Staat betonten und damit die Schuld auf wenige Verantwortliche konzentrierten. Es begann eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem Lager der „Funktionalisten“ (u. a. Hans Mommsen) und dem der „Intentionalisten“. In diesem Zusammenhang führte Mommsen den Begriff der „kumulativen Radikalisierung“ für die nationalsozialistische Vernichtungspolitik ein.
Nachdem der Streit der beiden Schulen seit Beginn der 1980er Jahre eskaliert war und für beinahe zwei Jahrzehnte die Debatten in der deutschen Geschichtswissenschaft bestimmt hatte, ebbte die von beiden Seiten mit teilweise missionarischem Eifer geführte Diskussion stark ab. Einen Höhepunkt bildete der sogenannte Historikerstreit 1986/87, bei dem Mommsen als einer der Wortführer auf Seiten der Kritiker Ernst Noltes auftrat.
Unter der Überschrift Grass’ Spießrutenlauf wiederholte Mommsen im August 2006 seine seit den 1980er Jahren vertretene These, die deutsche Öffentlichkeit betreibe verdeckte Apologetik, indem sie indirekt die Schuld auf die Repräsentanten des Nationalsozialismus und ihre Schergen projiziere. Er stellte die mangelnde Bereitschaft der Nation fest, ihre eigene Verstrickung in die NS-Verbrechen einzugestehen. Um öffentlichen Diffamierungen auszuweichen, hätten Prominente wie Walter Jens oder Martin Broszat ihre Mitgliedschaft in der NSDAP oder anderen NS-Organisationen verschwiegen. Die Empörung angesichts Grass’ späten Bekenntnisses zu seiner Mitgliedschaft als Jugendlicher in der Waffen-SS nennt Mommsen so „typisch wie verlogen“. Mommsen war wie Grass Mitglied der SPD.
Mommsen war ein vielfach geehrter Wissenschaftler. Im Jahr 1993 wurde er als Corresponding Fellow in die British Academy aufgenommen und im selben Jahr Mitglied der Academia Europaea. Er wurde korrespondierendes Mitglied der philosophisch-historischen Klasse im Ausland der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (1995). Ihm wurde 1995 eine Festschrift gewidmet. Außerdem erhielt er den Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik der Stadt Oldenburg (1998), den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch für sein publizistisches Gesamtwerk (2010) und den Victor-Adler-Staatspreis für Geschichte sozialer Bewegungen (2013).
Ein Schriftenverzeichnis erschien in Christian Jansen, Lutz Niethammer, Bernd Weisbrod (Hrsg.): Von der Aufgabe der Freiheit. Politische Verantwortung und bürgerliche Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Hans Mommsen zum 5. November 1995. Akademie Verlag, Berlin 1995, ISBN 3-05-002835-1, S. 729–749; eine aktualisierte und wesentlich erweiterte Fassung in: Hans Mommsen: Die „rote Kapelle“ und der deutsche Widerstand gegen Hitler (= SBR-Schriften. Band 33). Klartext-Verlag, Essen 2011, ISBN 978-3-8375-0616-7, S. 31–68.
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Personendaten | |
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NAME | Mommsen, Hans |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Historiker |
GEBURTSDATUM | 5. November 1930 |
GEBURTSORT | Marburg |
STERBEDATUM | 5. November 2015 |
STERBEORT | Tutzing |
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