Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), umgangssprachlich auch Facebook-Gesetz genannt, ist ein deutsches Gesetz, das bußgeldbewehrte Compliance-Regeln für Anbieter sozialer Netzwerke betreffend den Umgang mit Nutzer-Beschwerden über Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte im Netz sowie eine vierteljährliche Berichtspflicht der Anbieter einführt, außerdem Opfern von Persönlichkeitsverletzungen im Internet einen Anspruch auf Auskunft über Bestandsdaten des Verletzers aufgrund gerichtlicher Anordnung eröffnet.
Basisdaten | |
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Titel: | Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken |
Kurztitel: | Netzwerkdurchsetzungsgesetz |
Abkürzung: | NetzDG |
Art: | Bundesgesetz |
Geltungsbereich: | Bundesrepublik Deutschland |
Rechtsmaterie: | Internetrecht |
Fundstellennachweis: | 772-8 |
Erlassen am: | 1. September 2017 (BGBl. I S. 3352) |
Inkrafttreten am: | 1. Oktober 2017 |
Letzte Änderung durch: | Art. 3 G vom 21. Juli 2022 (BGBl. I S. 1182, 1184) |
Inkrafttreten der letzten Änderung: | 27. Juli 2022 (Art. 7 G vom 21. Juli 2022) |
GESTA: | B008 |
Weblink: | Text des NetzDG |
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten. |
Das Gesetz reagiert auf die Verbreitung von sogenannter Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten vor allem in sozialen Netzwerken wie Facebook, YouTube und Twitter. So werden Anbietern von sozialen Netzwerken im Anwendungsbereich des NetzDG einige Pflichten auferlegt: Berichtspflichten, Einrichten eines Beschwerdemanagements sowie die Pflicht zur Benennung von Zustellungsbevollmächtigten und Empfangsberechtigten. Im Rahmen des Beschwerdemanagements geht es im Kern darum, dass Anbieter sozialer Netzwerke dazu verpflichtet werden, rechtswidrige Inhalte im Sinne des NetzDG nach Kenntnis und Prüfung zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren. Das NetzDG wurde als Art. 1 des gleichnamigen Mantelgesetzes verkündet. Art. 2 enthält eine Änderung des Telemediengesetzes.
Das Gesetz trat am 1. Oktober 2017 in Kraft. Zum 1. Januar 2018 lief die Übergangsfrist ab, innerhalb derer Unternehmen die Forderungen des NetzDG umsetzen mussten.
Es ist geplant, das NetzDG mit Inkrafttreten der europäischen Verordnung 2022/2065 (Gesetz über digitale Dienste) zum 17. Februar 2024 zusammen mit dem Telemediengesetz durch das im Gesetzgebungsverfahren befindliche Digitale-Dienste-Gesetz zu ersetzen.
2015 wurde vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eine Arbeitsgruppe zum Umgang mit strafbaren Inhalten in sozialen Netzwerken gebildet, die aus Vertretern der Internetanbieter und zivilgesellschaftlicher Organisationen bestand. Vereinbart wurden konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Hassinhalten im Internet. Einige Netzwerke gaben Selbstverpflichtungen ab, die nach Ansicht des Ministeriums jedoch nicht ausreichten.
Der damalige Justizminister Heiko Maas argumentierte, eine Auswertung der Rechtspraxis bei der Löschung strafbarer Inhalte in sozialen Netzwerken durch „jugendschutz.net“ habe Anfang 2017 ergeben, dass Löschungen von Hasskommentaren nur unzureichend erfolgten, und forderte, den Druck auf die Netzwerke weiter zu erhöhen. Um die Unternehmen noch stärker in die Pflicht zu nehmen, brauche man gesetzliche Regelungen. Zwar würden bei YouTube 90 Prozent der strafbaren Inhalte gelöscht, bei Facebook jedoch nur 39 Prozent und bei Twitter nur ein Prozent. Außerdem habe man schlechte Erfahrungen mit Falschmeldungen („Fake News“) im US-Wahlkampf 2016 gemacht.
Die Studie wurde von dem Münchner Professor für Medienrecht Marc Liesching kritisiert, da ein Teil der Studie auf der Bewertung von Rechtslaien basiere.
Im Frühjahr 2017 stellte Maas den Entwurf für ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG-E) vor. Nach Darstellung der Bundesregierung sollen die sozialen Netzwerke damit gezwungen werden, Hassreden konsequenter zu entfernen.
Der Gesetzesentwurf bezog sich auf kommerzielle soziale Netzwerke im Internet mit mindestens 2 Millionen Mitgliedern, nicht auf journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote (§ 1 NetzDG-E). Anbieter werden verpflichtet, ein transparentes Verfahren zum Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte einzurichten (§ 3 NetzDG-E), und einer Berichts- und Dokumentationspflicht unterworfen (§ 2 NetzDG-E). Sie müssen Beschwerden unverzüglich prüfen, „offensichtlich rechtswidrige“ Inhalte innerhalb von 24 Stunden löschen, nach Prüfung jeden rechtswidrigen Inhalt innerhalb von 7 Tagen löschen oder den Zugriff darauf sperren. Beschwerdeführer und Nutzer sind über die getroffenen Entscheidungen unverzüglich zu informieren. Der gelöschte Inhalt muss zu Beweiszwecken mindestens zehn Wochen gespeichert werden. Verstöße gelten als Ordnungswidrigkeiten, für die empfindliche Bußgelder bis zu 5 Millionen Euro vorgesehen sind (§ 4 NetzDG-E). Außerdem müssen Anbieter einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland angeben, sowohl gegenüber Behörden als auch für zivilrechtliche Verfahren (§ 5 NetzDG-E). Von den sozialen Netzwerken wird weiterhin ein halbjährlicher Bericht über erhaltene Beschwerden und deren Umgang mit diesen erwartet.
Der Entwurf enthielt auch eine Änderung des § 14 Telemediengesetz (TMG), der die Herausgabe der Stammdaten von Nutzern betrifft. Der Gesetzesentwurf sah eine Herausgabe von Daten nicht mehr nur zur „Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum“, sondern auch „anderer absolut geschützter Rechte“ vor. Das Telemediengesetz gilt für weitaus mehr Dienste als nur soziale Netzwerke.
Das Gesetz soll es ermöglichen, gegenüber Online-Plattformen leichter und schneller Persönlichkeits- und Eigentumsrechte durchzusetzen. So soll jeder, der rechtliche Ansprüche gegenüber einem Nutzer geltend machen will, die Herausgabe von Stammdaten verlangen können, aus denen die Identität des Anspruchsgegners hervorgeht. Wenn sich „beispielsweise eine Person oder eine Firma durch einen Kommentar in einem Internetforum beleidigt oder unangemessen kritisiert fühlt, könnte sie künftig nicht nur vom Forenbetreiber die Löschung des Kommentars fordern, sondern auch die Herausgabe von Stammdaten, um den Urheber etwa abmahnen und eine Unterlassungserklärung verlangen zu können“.
Am 16. Mai 2017 brachten die Regierungsfraktionen der CDU/CSU und SPD die Gesetzesvorlage beim Bundestag ein. Bei der ersten Lesung am 19. Mai zeigte sich, dass der Entwurf auch innerhalb von CDU/CSU und SPD umstritten war. Petra Sitte (Linkspartei) warnte vor einem schweren Kollateralschaden für die Meinungsfreiheit. Konstantin von Notz (Die Grünen) warnte davor, die großen Netzwerkanbieter in eine Richterrolle zu drängen. Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages äußerten in einem Gutachten Bedenken, dass der Gesetzentwurf gegen die Verfassung und gegen Europarecht verstoße.
Bei einer Anhörung zum Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag brachten acht von zehn geladenen Experten erhebliche Bedenken zum Ausdruck. Die meisten sahen eine Gefahr für die Meinungsfreiheit. Der Leiter des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster Bernd Holznagel erklärte, um hohen Bußgeldzahlungen zu entgehen, könnten die Netzwerke dazu neigen, auch legale Beiträge zu löschen. Der Entwurf sei verfassungswidrig und würde einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten. Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen Christian Mihr warnte, die Methoden erinnerten an autokratische Staaten und das Gesetz schaffe die Gefahr des Missbrauchs. Auch totalitäre Regierungen würden die Debatte in Deutschland derzeit mit Interesse verfolgen, um sich an dem Entwurf zu orientieren. Man dürfe keinen Präzedenzfall für Zensur schaffen. Unterdessen hatte sich nach einem Bericht der Augsburger Allgemeinen bereits der belarussische Präsident Aljaksandr Lukaschenka bei der von ihm betriebenen Einschränkung der Meinungsfreiheit im Kampf gegen die Opposition auf Justizminister Heiko Maas berufen und eigene Maßnahmen mit Maas’ Gesetzentwurf begründet.
Vertreter der Fraktionen CDU/CSU und SPD nahmen daraufhin Änderungen am Entwurf vor. Danach muss der von Netzwerkbetreibern zu benennende Zustellungsbevollmächtigte in Deutschland in einer Frist von 48 Stunden Auskunft erteilen, wenn sich Behörden wegen illegaler Inhalte bei ihm melden. Zusätzlich wurde eine Möglichkeit vorgesehen, Entscheidungen in schwierigen Fällen einem „unabhängigen Gremium“ zu überlassen, das dem Bundesamt für Justiz untersteht. Einzelheiten zu Ausgestaltung und Besetzung dieses Gremiums blieben jedoch unklar. Die umstrittenen Löschfristen von 24 Stunden bzw. sieben Tagen und die Strafandrohung von bis zu 50 Millionen Euro blieben bestehen.
Der Bundestag verabschiedete den geänderten Entwurf am 30. Juni 2017 mit einer Mehrheit aus Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und Iris Eberl aus der CSU bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen.
Anbieter sozialer Netzwerke, die im Kalenderjahr mehr als 100 Beschwerden über rechtswidrige Inhalte erhalten, sind verpflichtet, einen deutschsprachigen Rechenschaftsbericht über den Umgang mit diesen Beschwerden auf ihren Plattformen zu erstellen und im Bundesanzeiger sowie auf der eigenen Homepage zu veröffentlichen (§ 2 Abs. 1 NetzDG). Der Bericht muss bestimmte Mindestinhalte umfassen (§ 2 Abs. 2 Nr. 1–9 NetzDG).
Bei Verstößen gegen das Gesetz droht ein Bußgeld von bis zu 5 Millionen Euro (§ 4 Abs. 2 NetzDG). Gem. Verweis auf § 30 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) kann das Bußgeld verzehnfacht werden.
Betroffene Unternehmen müssen gemäß § 5 NetzDG einen Ansprechpartner in Deutschland für Justiz, Strafverfolger und Bußgeldbehörden sowie Bürger benennen, an den sich die genannten Institutionen und Personen wenden können. Der Zustellungsbevollmächtigte muss binnen 48 Stunden auf Anfragen und Beschwerden reagieren. Die Einhaltung dieser neuen Vorgaben überwacht das Bundesamt für Justiz und leitet bei Verstößen Bußgeldverfahren ein. Die Regelung mit dem inländischen Zustellungsbevollmächtigten erfolgte vor dem Hintergrund, dass die meisten großen Online-Unternehmen ihren Sitz im Ausland haben. Nach Darstellung des Bundesjustizministeriums sollen Nutzer von sozialen Netzwerken, deren Beschwerden von den Netzwerken nicht genügend beachtet werden oder nicht ordnungsgemäß bearbeitet werden, sich an das Bundesamt für Justiz wenden können und den Sachverhalt anzeigen können. Ergeben sich Anhaltspunkte für Mängel im Beschwerdemanagement, wird das Bundesamt für Justiz prüfen, ob gegen den Anbieter des betroffenen Netzwerks ein Bußgeldverfahren einzuleiten ist. Dies ist der Fall, wenn eine systemisch falsche Entscheidungspraxis des sozialen Netzwerks festzustellen ist.
Das verabschiedete Gesetz enthält gegenüber dem Gesetzentwurf der Bundesregierung verschiedene Klarstellungen.
Eine vorbeugende Feststellungsklage der FDP-Bundestagsabgeordneten Manuel Höferlin und Jimmy Schulz gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wies das Verwaltungsgericht Köln mit Urteil vom 14. Februar 2019 als unzulässig ab. Höferlin hatte das Gesetz zuvor als „Zensur in ihrer schlimmsten Form – Selbstzensur im Kopf und Fremdzensur durch private Unternehmen“ kritisiert. Außerdem nahm das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde, die von einem Professor und mehreren Mitarbeitern der Universität Münster eingereicht wurde, nicht zur Entscheidung an.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wurde und wird kontrovers diskutiert. Zum einen bestehe Handlungsbedarf angesichts der massiv steigenden Zahlen von Hassrede im deutschsprachigen Internet. Auf der anderen Seite wird die Gefahr gesehen, dass durch das Gesetz die Meinungsfreiheit eingeschränkt werde.
Nach Darstellung des Bundesjustizministeriums werde der Maßstab, was gelöscht oder gesperrt werden müsse, nicht von den sozialen Netzwerken gesetzt. „Maßgeblich sind allein die deutschen Strafgesetze. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz schafft also keine neuen Löschpflichten. Es soll vielmehr sicherstellen, dass bereits bestehendes Recht eingehalten und durchgesetzt wird.“ Ziel des Löschens von strafbaren Beiträgen durch die sozialen Netzwerke sei es, für eine freie, offene und demokratische Kommunikationskultur zu sorgen und die von Hasskriminalität betroffenen Gruppen und Personen zu schützen. Das Bundesamt für Justiz ergänzt: „Unabhängig von den Regelungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes bleibt es dabei, dass, wer strafbare Inhalte im Netz verbreitet, auch strafrechtlich verfolgt wird. Hierfür sind auch weiterhin die Strafverfolgungsbehörden (Polizei/Staatsanwaltschaft) zuständig.“ An diesen Einschätzungen und anderen Aspekten des Gesetzes wurde von verschiedenen Seiten Kritik geäußert:
SPD-nahe IT-Experten bezeichneten die geplanten Regelungen als „Zensurinfrastruktur“. Matthias Spielkamp von Reporter ohne Grenzen nannte den Entwurf „beschämend“. Harald Martenstein bezeichnete ihn im Tagesspiegel als „Erdoganismus in Reinkultur“, er lese sich so, als „stamme er aus dem Roman 1984“ und sei ein „Angriff auf das Prinzip der Gewaltenteilung“. Burkhard Müller-Ullrich schrieb: „Minister Maas geht es ganz offensichtlich nicht um Haß und Hetze allgemein, sondern um das Mundtotmachen seiner politischen Gegner.“
Experten erwarteten, dass die kurzen und starren Löschfristen und die hohe Bußgeldandrohung dazu führen würden, dass die Netzwerke Beiträge im Zweifelsfall lieber entfernen, auch wenn die grundrechtlich garantierte Meinungsfreiheit eine kontextbezogene Abwägung erfordern würde, etwa bei der Abgrenzung zwischen verbotener Beleidigung und erlaubter Satire. Im April 2017 schloss sich ein Bündnis aus Wirtschaftsverbänden, Netzpolitikern, Bürgerrechtlern, Wissenschaftlern und Juristen zusammen, um gegen das Gesetz zu protestieren. In einem Manifest warnten sie vor „katastrophalen Folgen für die Meinungsfreiheit“.
Nachdem der Bundestag das Gesetz beschlossen hatte, forderte unter anderem der Deutsche Journalisten-Verband Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dazu auf, das Gesetz nicht zu unterzeichnen, da die Meinungsfreiheit nicht ausreichend geschützt sei. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nannte als Beispiel für Zensur infolge des NetzDG die Löschung gesellschaftspolitischer Beiträge einer Künstlerin durch Facebook.
Reporter ohne Grenzen und andere Kritiker sprachen von einem „Schnellschuss“, der „das Grundrecht auf Presse- und Meinungsfreiheit massiv beschädigen könnte.“ Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Beiträgen würden privatisiert. Der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit kritisierte, das geplante Gesetz gefährde die Menschenrechte. Bei einer Anhörung im Bundestag hielt die Mehrheit der Experten den Entwurf für verfassungswidrig.
Der Gesetzentwurf würde nach Ansicht der Kritiker neben sozialen Netzwerken auch Plattformen wie Amazon oder Ebay betreffen. Wer dort eine schlechte Bewertung abgebe, muss laut IT-Anwalt Joerg Heidrich mit „teuren Anwaltsbriefen rechnen“. De facto würde der Entwurf nach Ansicht von Netzaktivisten „zum Ende der Anonymität im Internet“ führen. Kritiker sahen „übereinstimmend ein verfassungs- und europarechtswidriges Zensurinstrument“, das zu einer „regelrechten Löschorgie“ bei Anbietern führen werde.
Stefan Niggemeier hingegen sah in der gesammelten Kritik eine „besinnungslose Hetze“, die „das Gesetz und den Justizminister für beinah alles Schlechte der digitalen Welt verantwortlich macht“. Dies sei kein konstruktiver Beitrag zur notwendigen Regulierung von digitalen Netzwerken.
Die No-Hate-Speech-Kampagne Deutschland begrüßte grundsätzlich, dass Hass im Netz nun auch juristisch ernst genommen würde: „Wir begrüßen, dass die Anbieter durch das NetzDG dazu verpflichtet werden, eine*n verantwortliche*n Ansprechpartner*in in Deutschland zu benennen und bei ihrem Umgang mit Hate Speech gemäß deutschem Recht zu entscheiden.“ Ähnlich äußerte sich auch das Expertengremium Forum Privatheit: „Das NetzDG ist erheblich besser, als die Kritik ihm zubilligt. Auch wenn über Details diskutiert werden kann, ist es auf dem richtigen Weg, um gegenüber großen sozialen Netzwerken durchzusetzen, dass sie ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen“.
Die Organisation Freedom House hat in ihrem Bericht Freedom on the Net Report 2020 gelobt, dass das NetzDG auch während der Corona-Pandemie kritisch beobachtet werde, obwohl insgesamt die Internetfreiheit in dieser Zeit gefährdet sei.
Der dänische Jurist und Menschenrechtsaktivist Jacob Mchangama machte 2022 geltend, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz seit seiner Einführung im Jahr 2017 Pate für Gesetzesentwürfe zur Internetzensur in autoritären Regimen gestanden habe. Häufig sei bei der Umsetzung dieser Vorhaben explizit auf das NetzDG als Vorbild referiert worden, um der Zensur so einen Anstrich von Legitimität zu geben. Laut Mchangama habe dieses Gesetz einen weltweiten „regulatorischen Wettlauf“ ausgelöst, der das Recht auf Meinungsfreiheit zunehmend unterminiere.
Facebook hält den NetzDG-Entwurf für mit dem deutschen Grundgesetz unvereinbar. In einer Ende Mai 2017 an den Deutschen Bundestag übermittelten Stellungnahme erklärte das Unternehmen: „Der Rechtsstaat darf die eigenen Versäumnisse und die Verantwortung nicht auf private Unternehmen abwälzen. Die Verhinderung und Bekämpfung von Hate Speech und Falschmeldungen ist eine öffentliche Aufgabe, der sich der Staat nicht entziehen darf.“ Facebook forderte in der Stellungnahme eine europäische Lösung und warnt vor einem „nationalen Alleingang“. In der Stellungnahme hieß es: „Die Höhe der Bußgelder steht außer Verhältnis zu dem sanktionierten Verhalten“. Der Branchenverband Bitkom hatte in einer Studie Kosten von rund 530 Millionen Euro pro Jahr errechnet, die Facebook und andere soziale Netzwerke tragen müssten. Facebook hält diese Zahlen für „realistisch“.
Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für den Schutz der Meinungsfreiheit David Kaye kritisierte im Juni 2017 die geplanten Regelungen in einer Stellungnahme an die Bundesregierung scharf. Sie würden weit über das Ziel hinausschießen und Plattformbetreibern zu große Verantwortlichkeiten aufbürden. Ferner seien sie mit internationalen Menschenrechtserklärungen wie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte nicht vereinbar.
Online-Anbieter müssten Informationen teils aufgrund „vager und mehrdeutiger“ Kriterien löschen. Viele Informationen seien nur aus dem Zusammenhang heraus zu verstehen, den Plattformen nicht selbst bewerten könnten. Durch hohe Bußgelddrohungen und kurze Prüffristen würden Betreiber geradezu genötigt, auch potenziell rechtmäßige Inhalte zu löschen, was zu unangemessenen Eingriffen in Meinungsfreiheit und Privatsphäre führen würde, über die mindestens Gerichte oder unabhängige Institutionen entscheiden müssten. Artikel 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte garantiere das Recht auf freien Zugang zu Informationen und das Teilen von Informationen. Die Einschränkung dieser Rechte auf Basis vage definierter Begriffe wie „Beleidigung“ oder „Diffamierung“ sei damit nicht zu vereinbaren.
Bedenken äußerte Kaye auch hinsichtlich der Regelung, dass umstrittene strafbewehrte Inhalte und die zugehörigen Nutzerinformationen für unbestimmte Zeit gespeichert und dokumentiert werden müssten, was die staatliche Überwachung Betroffener erleichtere, und des zivilrechtlichen Anspruchs auf Herausgabe von Bestandsdaten zu IP-Adressen ohne richterliche Anordnung. Der Beauftragte bat die Bundesregierung um Stellungnahme binnen 60 Tagen.
Die Europäische Kommission begrüßte grundsätzlich das entschiedene Vorgehen der Bundesregierung gegen Hass und Hetze im Internet. Hass und radikale Propaganda hätten weder online noch offline einen Platz in unserer Gesellschaft, verkündete ein Kommissionssprecher im Juni 2017 in Brüssel.
Im November 2017 wurde bekannt, dass die Kommission Dokumente zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz unter Verschluss hält, die die Vereinbarkeit des Gesetzes mit EU-Recht im Hinblick auf die Europäische Menschenrechtskonvention sowie die europarechtlichen Vorgaben im Bereich der „Dienste der Informationsgesellschaft“ (E-Commerce-Richtlinie) überprüfen. Eine Anfrage des Wirtschaftsmagazins Wirtschaftswoche wurde mit dem Hinweis abgelehnt, dass „die Veröffentlichung der Dokumente … das Klima des gegenseitigen Vertrauens zwischen dem Mitgliedsstaat und der Kommission beeinträchtigen“ würde. Die EU-Kommission ist laut einer Verordnung aus dem Jahr 2001 dazu verpflichtet, interne Dokumente auf Anfrage zugänglich zu machen. Die Wirtschaftswoche schreibt hierzu: „Damit erhärtet sich der Verdacht, dass das Gesetz gegen EU-Recht verstößt, Brüssel Deutschland aber nicht brüskieren will.“
Letztlich ließ die Kommission das Gesetz ohne Auflage passieren und äußerte über einen Sprecher, dass Hass und radikale Propaganda keinen Platz in unserer Gesellschaft hätten.
EU-Justizkommissarin Věra Jourová kritisierte das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zunächst. Die Bundesregierung zeigte sich verwundert über den mangelnden Informationsgrad der Kommission, denn entgegen der Behauptung von Jourova verlangt das Gesetz nicht, dass 100 Prozent der beanstandeten Inhalte gelöscht werden, sondern setzt lediglich bestimmte Löschfristen für „offensichtlich rechtswidrige“ Inhalte wie Volksverhetzung. Jourova äußerte demnach Verständnis für das deutsche Vorgehen: „Bundesjustizminister Heiko Maas hat uns erschreckende Zahlen gezeigt, wie sehr der Hass im Netz in Deutschland zunimmt.“ Er habe ihrer Aussage nach zudem betont, dass ein großer Teil der deutschen Gesellschaft von der Regierung erwartet, dass sie etwas dagegen unternimmt.
Für Facebook sind in Berlin und Essen zusammen über 1000 Content-Moderatoren tätig, die Einträge kontrollieren und gegebenenfalls löschen, die gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verstoßen.
Nach den ersten veröffentlichten Berichten von Facebook, YouTube und Google werden die meisten Nutzerbeschwerden abgelehnt. Der staatlich verordnete Löschdruck hat nach anderer Ansicht dazu geführt, dass die Betreiber nicht das Strafgesetz, sondern eigene Community-Standards heranziehen, um im Zweifel auch legale Inhalte zu beseitigen.
Am 2. Juli 2019 wurde erstmals nach Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Oktober 2017 ein Bußgeldbescheid wegen Verstöße gegen dieses Gesetzes verhängt. Facebook soll nur über einen Bruchteil der Zahl der eingegangenen Beschwerden zu rechtswidrigen Inhalten wie Beleidigungen und Falschmeldungen informiert haben. „Die veröffentlichten Angaben ergeben kein schlüssiges, transparentes Bild der Organisation und der Prozessabläufe beim Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte“, teilte das Bundesamt für Justiz mit und fordert daher von der in Irland ansässigen Europazentrale des US-Konzerns ein Bußgeld in Höhe von 2 Millionen Euro. Der Bescheid ist jedoch noch nicht rechtskräftig (Stand Juli 2019).
Anfang Juni 2020 bewertete das Wirtschaftsmagazin Capital das Netzwerkdurchsetzungsgesetz nach seiner Verabschiedung im Jahr 2017. Das Magazin erkannte die Notwendigkeit des Gesetzes aufgrund verschiedener Verpflichtungen für Anbieter Sozialer Netzwerke wie etwa der konsequenten Löschung offensichtlich strafbarer Inhalte, die Bereitstellung einfacher Beschwerdeverfahren für Nutzer zu diesem Zweck oder die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten im Inland, um bei Bußgeld- und Zivilverfahren erreichbar zu sein, an. Positiv hob das Magazin auch hervor, dass es bisher nicht zu einer systematischen Zensur, dem sogenannten Overblocking, gekommen sei. Capital kritisierte jedoch drei Aspekte des Gesetzes. Erstens sei das Gesetz die Vorlage für autoritäre Regime um die Meinungsfreiheit einzuschränken. Zweitens könnten Nutzer keinen Widerspruch gegen Löschungen gegenüber den Anbietern einlegen. Drittens habe das Gesetz aufgrund rechtsextremistischer Taten in der jüngeren deutschen Geschichte wie etwa dem Mordfall Walter Lübcke, dem Anschlag in Halle und dem Anschlag in Hanau bisher nicht dazu geführt, dass Hetze und Hasskriminalität im Internet Einhalt geboten wurde. Das Wirtschaftsmagazin Capital bewertete das Netzwerkdurchsetzungsgesetz aufgrund der Gesamtschau dieser Aspekte als befriedigend.
In einem Experiment wurden in allen Bundesländern 16 Korrespondenten engagiert, die am 3. August 2021 um 17 Uhr in ihrer örtlichen Polizeiwache dieselben sieben Hasskommentare (davon 3 auf Facebook) zur Anzeige vorlegten. Mehrere Polizeiwachen identifizierten den Tatverdächtigen und übergaben ihn an die Staatsanwaltschaft. Welches Bundesland mit den Ermittlungen am schnellsten war, ließ sich nicht klar nachvollziehen.
Im Oktober 2019 stellte die zuständige Ministerin Christine Lambrecht wesentliche Punkte ihrer Agenda vor. Dazu zählte eine Verschärfung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Lambrecht wollte zusätzlich eine Meldepflicht einführen. Die Betreiber sollten der Polizei Offizialdelikte anzeigen. Als Beispiel nannte sie Morddrohungen, Volksverhetzung und Beleidigungen. Gemeint ist damit die sogenannte Hasskriminalität. Als Bestandteil ihrer Agenda wollte die Justizministerin auch den Straftatbestand der Beleidigung an die Besonderheiten des Internet anpassen, damit Beleidigungen im Internet nach Willen der Bundesregierung schneller und effizienter bestraft werden können. Eine Klarnamenpflicht im Internet lehnte Lambrecht hingegen ab, denn eine Pflicht, nur noch unter Klarnamen zu posten, helfe nicht weiter. „Es gibt so viele Heinz Müllers in Deutschland,“ sagte sie, „ist es nun der Heinz Müller aus Hamburg oder der Heinz Müller aus Berlin?“
§ 3a NetzDG in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30. März 2021 verpflichtet die Anbieter sozialer Netzwerke ab dem 1. Februar 2022, dem Bundeskriminalamt (BKA) als Zentralstelle zum Zwecke der Ermöglichung der Verfolgung von Straftaten bestimmte Inhalte mitzuteilen, bei denen konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie den demokratischen Rechtsstaat gefährden, gegen die öffentliche Ordnung verstoßen, kinderpornographische Inhalte verbreiten oder eine Bedrohung gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit darstellen und nicht gerechtfertigt sind (§ 3a Abs. 2 NetzDG). Über die Mitteilung müssen sie den Nutzer, für den der Inhalt gespeichert wurde, vier Wochen später informieren, es sei denn, das BKA widerspricht der Information (§ 3a Abs. 6 NetzDG).
Gegen das umfangreiche Artikelgesetz in seiner im Sommer 2020 von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Fassung bestanden nach einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages verfassungsrechtliche Bedenken. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte anschließend die Ausfertigung des Gesetz ausgesetzt und die Bundesregierung zu einer Nachbesserung aufgefordert. Die geplante Neuregelung in § 3a NetzDG war davon jedoch nicht betroffen. Sie blieb deshalb durch das Gesetz zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020 vom 30. März 2021 nahezu unverändert.
Zur Umsetzung der Neuregelung wurde beim BKA die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet mit rund 200 Mitarbeitern geschaffen, die mit Inkrafttreten am 1. Februar 2022 ihre Tätigkeit aufnahm. Sie prüft die bei bereits bestehenden dezentralen Strukturen (zum Beispiel der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internet- und Computerkriminalität (ZIT) in Hessen, der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW) und der Meldestelle „REspect!“ der Jugendstiftung im Demokratiezentrum Baden-Württemberg) eingegangenen Meldungen auf strafrechtliche Relevanz sowie potenzielle Gefährdungen, stellt gegebenenfalls Verursacher fest und gibt den Vorgang an örtlich zuständige Behörden zwecks weiterer Strafverfolgung ab.
Gegen die Anwendung von § 3a NetzDG ging Google Ireland im Auftrag der Tochtergesellschaft YouTube vor dem VG Köln vor. Eine Weitergabe von privaten Daten in diesem Umfang ohne festgestellten Anfangsverdacht sei unzulässig. Strafverfolgung müsse Sache des Staates bleiben. Rechtsstaatliche Kontrollen fehlten. Meta, TikTok und Twitter reichten später ebenfalls Klage ein.
Die in § 3a NetzDG vorgesehene proaktive Meldepflicht der Anbieter an das BKA könnte nach einem weiteren Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages gegen das Recht derjenigen Länder verstoßen, in denen die Anbieter von sozialen Netzwerken ihren Sitz haben. Zudem sei das Verhältnis der Prüfung durch die Einrichtungen der regulierten Selbstregulierung nach § 3 Abs. 6 NetzDG und der Prüfung durch die Freiwillige Selbstkontrolle nach den §§ 19–19b JMStV regelungsbedürftig.
Mit Beschlüssen vom 1. März 2022 hat das VG Köln den Eilanträgen von Google und Meta stattgegeben. § 3a NetzDG verstoße gegen das Herkunftslandprinzip der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ECR) und sei damit nicht anzuwenden. Außerdem sei das Bundesamt für Justiz nicht unabhängig genug, um als zuständige Behörde die Einhaltung der Pflichten nach dem NetzDG zu überwachen.
Mitte Dezember 2019 legte das Bundesjustizministerium den „Gesetzentwurf zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“ vor, mit dem die Rechte der Nutzer von sozialen Netzwerken gestärkt werden sollten. Der Referentenentwurf, der auf Kritik stieß, sowie der von der Bundesregierung am 1. April 2020 beschlossene Regierungsentwurf beinhalteten folgende Neuregelungen:
Das Gesetz zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes trat überwiegend am 28. Juni 2021 in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt wurden insbesondere die §§ 3b bis 3f in das NetzDG eingefügt.
Es enthält neben aussagekräftigeren Transparenzberichten der Anbieter sozialer Netzwerke und einer Forschungsklausel stärkere Rechte für Nutzerinnen und Nutzer von sozialen Netzwerken. Die Transparenzberichte der Anbieter sozialer Netzwerke müssen künftig auch Angaben enthalten, „wie soziale Plattformen mit Gegenvorstellungsverfahren umgehen (z. B. Anzahl der vom Netzwerk gelöschten Inhalte, die nach erneuter Prüfung wieder eingestellt wurden – sog. „Put backs“) und inwiefern automatisierte Verfahren zum Auffinden rechtswidriger Inhalte genutzt werden.“ Kernstück des Gesetzes ist Stärkung der Rechte von Nutzerinnen und Nutzern in fünf Bereichen:
Die Anwendbarkeit des NetzDG auf Videosharingplattform-Dienste regeln § 3d und § 3e NetzDG.
Das Bundesamt für Justiz überwacht die Einhaltung des NetzDG (§ 4a, § 4 Abs. 4 NetzDG).
Mit Wirkung zum 1. Februar 2022 wird ein Auskunftsanspruch für wissenschaftliche Forschungszwecke gegenüber Anbietern von sozialen Netzwerken eingeführt (§ 5a NetzDG).
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