Kontingentflüchtling

Kontingentflüchtlinge sind in Deutschland Flüchtlinge, die in festgelegter Anzahl (Kontingent) nach Deutschland übersiedeln dürfen.

Dies betrifft Flüchtlinge, die im Rahmen einer humanitären Hilfsaktion, aufgrund von Sichtvermerken (Visa) oder einer Übernahmeerklärung des Bundesministeriums des Innern aufgenommen wurden. Sie durchlaufen kein Asyl- und auch kein sonstiges Anerkennungsverfahren, sondern erhalten mit ihrer Ankunft sofort eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§ 23 und § 24 AufenthG), können ihren Wohnsitz jedoch nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht frei wählen.

Verteilung auf die Bundesländer

Kontingentflüchtlinge, deren Aufnahme vom Bundesminister des Innern angeordnet wurde, werden nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. Sie haben Anspruch auf einen Integrationskurs und einen Sprachkurs und erhalten im Gegensatz zu Asylbewerbern von vornherein eine Arbeitserlaubnis.

Herkunftsgebiete

Aus Vietnam und Albanien

Im Jahre 1985 hielten sich etwa 30.000 Kontingentflüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland auf. Es handelte sich fast ausschließlich um vietnamesische Bootsflüchtlinge.

1990 wurden albanische Botschaftsflüchtlinge als Kontingentflüchtlinge in Deutschland aufgenommen.

Aus Nachfolgestaaten der Sowjetunion

Ab 1991 hatten Juden aus der Sowjetunion und Menschen mit jüdischen Vorfahren aus deren Nachfolgestaaten die Möglichkeit, als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland einzureisen. Damit wurde die im Frühling 1990 in der DDR auf Initiative des Zentralen Runden Tisches geschaffene Einreisemöglichkeit für sowjetische Jüdinnen und Juden in bundesdeutsches Recht überführt. Grundlage hierfür war ein Beschluss der Innenministerkonferenz, der das HumHAG anwendete (Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge). Seit 2005 ist das HumHAG durch Artikel 15 Abs. 3 des Zuwanderungsgesetzes außer Kraft. Juden aus den Nachfolgestaaten der UdSSR (außer Estland, Lettland und Litauen) werden nach § 23 Abs. 2 AufenthG aufgenommen.

Nach Angaben des Bundesverwaltungsamtes und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sind zwischen 1991 und 2004 insgesamt 219.604 jüdische Zuwanderer nach Deutschland gekommen. Im Jahr 2004 wanderten 11.208 jüdische Zuwanderer zu, womit sich der abnehmende Trend weiter fortsetzte. Zum Vergleich: Im oben genannten Zeitraum sind rund 1,9 Millionen Spätaussiedler aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik eingewandert.

Jüdische Kontingentflüchtlinge waren bzw. sind mehrheitlich Akademiker. Im Vergleich zu Spätaussiedlern hatten sie keinen Rechtsanspruch auf eine Anerkennung von Qualifikationen und Nachteile bezüglich der Eingliederungshilfen, und ihre Berufsjahre im Ausland wurden nicht in der Rentenberechnung berücksichtigt.

Nach dem Ausländerzentralregister, Stand April 2005, hielten sich 113.692 Kontingentflüchtlinge in Deutschland auf, die nach dem 1. Januar 1991 eingewandert sind. Von diesen Kontingentflüchtlingen, die 76 verschiedene Staatsangehörigkeiten haben, stammten 111.811 Personen aus den baltischen (Estland, Lettland, Litauen) und einigen GUS-Staaten: Moldau, Russische Föderation, Ukraine, Weißrussland, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. Dass es derzeit in Deutschland weniger Kontingentflüchtlinge aus den GUS-Staaten gibt als jüdische Zuwanderer insgesamt, dürfte nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge darauf zurückzuführen sein, dass ein Teil inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hat. Möglich sei auch, dass ein Teil der jüdischen Zuwanderer die Bundesrepublik wieder verlassen hat.

Nach den geltenden Regelungen aus dem Erlass des Auswärtigen Amtes an die Auslandsvertretungen vom 25. März 1997 sind Personen zuwanderungsberechtigt, die selbst „jüdischer Nationalität“ sind oder von mindestens einem jüdischen Elternteil abstammen. In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion gilt, anders als in Deutschland, jüdisch als Nationalität im Sinne von Volkszugehörigkeit und wurde so auch in Personenstandsdokumente eingetragen. Jüdische Nationalität, wie jede andere Nationalität in der Sowjetunion, ist in dieser Lesart ein ethnischer, keinesfalls ein religiöser Begriff und wird über ein Elternteil, überwiegend über den Vater übertragen, dies im Gegensatz zur jüdischen Tradition (Halacha), wonach die Zugehörigkeit zum Judentum primär über die Mutter vererbt wird.

Nach Angaben der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland ist die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinden in Deutschland von 29.089 im Jahr 1990 auf 102.472 im Jahr 2003 angestiegen. Dieser Zuwachs der Mitgliederzahl ist vorwiegend auf die Zuwanderung aus den GUS-Staaten beziehungsweise den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion zurückzuführen.

Seit 2005 müssen jüdische Kontingentflüchtlinge und ihre Familienangehörigen Deutschkenntnisse nachweisen, die mindestens der Niveaustufe A1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen. Ausgenommen sind Kinder, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Die jüdischen Kontingentflüchtlinge müssen eine positive Integrationsprognose nachweisen und dass sie von einer jüdischen Gemeinde in Deutschland aufgenommen werden. Bei der Integrationsprognose werden Sprachkenntnisse, Qualifikation und Berufserfahrung sowie das Alter der Zuwanderer bewertet, dabei wird auch die Familie einbezogen. Bei Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung entfallen die Forderung von Deutschkenntnissen und eine Integrationsprognose. Bei allen Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, die vor dem 1. Januar 1945 geboren wurden, wird pauschal angenommen, dass sie Opfer nationalsozialistischer Verfolgung waren.

Normalerweise können Anträge auf jüdische Zuwanderung ausschließlich an den deutschen Auslandsvertretungen in den Herkunftsländern gestellt werden. Im Jahr 2022 wurde es jüdischen Zuwanderern aus der Ukraine, die vor dem russischen Überfall aus der Ukraine geflüchtet sind, ebenfalls ermöglicht, die Aufnahme auf Basis von § 23 Abs. 2 AufenthG zu beantragen.

Aus Syrien

Die Bundesregierung beschloss im März 2013 5000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Die Umsiedlung aus vorwiegend libanesischen Flüchtlingscamps erfolgte schrittweise im Herbst 2013, am 11. September wurden die ersten Flüchtlinge in speziell für diesen Zweck gecharterten Flugzeugen nach Deutschland eingeflogen. Der Aufenthalt war zunächst für zwei Jahre geplant, danach sollten die Flüchtlinge, sofern es die Lage in ihrem Heimatland zulässt, wieder heimkehren. Im Dezember 2013 erhöhte sich das Kontingent auf 10.000 Flüchtlinge. Im Juli 2014 wurde das Kontingent um nochmals 10.000 Flüchtlinge erweitert.

Aus dem Nordirak

Das Bundesland Baden-Württemberg ermöglichte mit einem 2014 aufgelegten Programm durch ein „Sonderkontingent für besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak“ ab März 2015 die Aufnahme von 1.100 Frauen und Kindern aus dieser Region. Dieses Aufnahmeprogramm richtet sich an von der IS-Terrormiliz verfolgte und misshandelte Frauen und Mädchen – zumeist Jesidinnen, teils auch Christinnen und Musliminnen – und ihre Familienangehörigen. Die Frauen und Kinder erhielten eine auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsgenehmigung und wurden in dieser Zeit medizinisch und psychotherapeutisch betreut. Von den 1.100 Flüchtlingen, darunter 600 Kinder, wurden fast alle in Baden-Württemberg im Rahmen eines Landessonderkontingents aufgenommen; Niedersachsen nahm 67 und Schleswig-Holstein 32 auf. Unter den aufgenommenen Personen befand sich auch Nadia Murad, die später Sonderbotschafterin für die Würde der Überlebenden von Menschenhandel der Vereinten Nationen und im Jahr 2018 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Literatur

Einzelnachweise

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