Joachim-Ernst Berendt: Deutscher Musikjournalist und -kritiker, Festivalgründer und -leiter, Jazz-Musikproduzent

Joachim-Ernst Berendt (bis in die 80er Jahre auch Joachim E.

Berendt; * 20. Juli 1922 in Berlin; † 4. Februar 2000 in Hamburg) war ein deutscher Musikjournalist und Musikproduzent in der Gattung Jazz. Mit seinem Standardwerk „Das Jazzbuch“ prägte er seit den 1950er-Jahren für Generationen von Hörern und Musikern vor allem im deutschsprachigen Raum die Kenntnis und die Auffassung von Jazz.

Über vierzig Jahre lang war er Redakteur beim damaligen Südwestfunk in Baden-Baden und damit der dienstälteste Jazzredakteur der Welt. Mit der (zeitweise) wöchentlichen Fernsehsendung mit Jazzkonzerten und einem damals noch täglich gesendeten Hörfunkprogramm über Jazz leistete er große Pionierarbeit zur Förderung und Verbreitung des Jazz im Nachkriegsdeutschland.

Leben

Joachim-Ernst Berendt war ein Sohn des evangelischen Pastors Ernst Berendt (1878–1942), Direktor der Stiftung Bethabara in Berlin-Weißensee (heute Stephanus-Stiftung). Sein Vater gehörte der Bekennenden Kirche an. Er wurde in der Zeit des Nationalsozialismus acht Mal verhaftet und starb 1942 im KZ Dachau. Sein Großvater Ernst Gottlieb Georg Berendt (1842–1919), Gründer der Stiftung Bethabara, konnte seine Konversion vom Judentum zum Protestantismus vor der Öffentlichkeit mit Erfolg verschweigen und verbergen.

Im Zweiten Weltkrieg musste Berendt 1942 sein gerade begonnenes Studium der Physik an der TH Karlsruhe abbrechen, da er zur Wehrmacht eingezogen wurde. Schon während des Dritten Reiches interessierte er sich für den damals in den Untergrund abgedrängten Jazz. In den Monaten nach dem Ende des Krieges am 8. Mai 1945 gehörte er zu den Mitbegründern des Südwestfunks (SWF), als dessen erster Angestellter er seit dem 1. August 1945 arbeitete. Hier leitete Berendt von 1947 bis zur Pensionierung 1987 die Jazzredaktion des SWF. Sein Mentor war der Musikwissenschaftler Heinrich Strobel, von dem er die Arbeit in den Medien Radio, Fernsehen, Schallplatten und Presse erlernte.

Ab 1947 veranstaltete Berendt die Konzertreihe Jazztime Baden-Baden, die er von 1954 bis 1972 als Basis für seine in der ARD gesendete Fernsehserie Jazz – gehört und gesehen verwendete. Sie enthielt auch weitere Jazzproduktionen des SWF, wie beispielsweise – seit 1954 auf den Donaueschinger Musiktagen – die NOWJazz-Session. Außerdem war er als Pressereferent für die Deutsche Jazz Föderation tätig. 1953 erschien im Fischer Verlag erstmals Das Jazzbuch, ein in viele Sprachen übersetztes Standardwerk.

In den 1950er Jahren kombinierte Berendt – gemeinsam mit dem Rezitator Gert WestphalJazz & Lyrik. Schon in den 1960er beschäftigte sich Berendt mit der Weltmusik, einer Mischform aus westlicher Populärmusik und traditionellen nicht-westlichen Musikformen. Als ein früher Förderer des Genres brachte er mit Unterstützung des Goethe-Instituts deutsche Jazzmusiker auf Asientourneen mit einheimischen Musikern zusammen. 1983 veranstaltete er in New York das Festival Jazz and World Music.

Berendt war Initiator und teilweise auch künstlerischer Leiter vieler Jazzfestivals: American Folk and Blues Festival, Berliner Jazztage, Free Jazz Meeting Baden-Baden, World Expo in Osaka, Olympia 1972 in München. Er war zugleich Produzent zahlreicher Schallplatten, vor allem für das Label Musik Produktion Schwarzwald (MPS).

Am 28. November 1981 sendete der Südwestfunk Berendts zweiteilige Hörsoiree Nada Brahma. Die Welt ist Klang. Als eine der wenigen Radiosendungen im Kulturprogramm erreichte dieses Radio-Feature ein großes Publikum und löste über tausend Zuschriften aus. 1983 gab Berendt im Anschluss an die Radiosendung die Bücher Nada Brahma – die Welt ist Klang und Das dritte Ohr. Vom Hören der Welt heraus. Hier beschäftigt er sich allgemein mit dem Hören, z. B. mit dessen medizinischen, historischen, physikalischen, kulturellen, meditativen und philosophischen Aspekten (vgl. Nadabrahma-Meditation).

Berendt starb mit 77 Jahren, als er trotz roter Ampel eine Straße überquerte und angefahren wurde.

Sein Nachlass befindet sich im Archiv des Jazzinstituts Darmstadt.

Berendt war in vierter Ehe mit Jadranka Marijan-Berendt verheiratet. Der US-amerikanische Musiker Ry Cooder benannte seinen Sohn Joachim Cooder nach Joachim-Ernst Berendt.

Nada Brahma – die Welt ist Klang

Mit Nada Brahma – die Welt ist Klang schrieb Berendt über die Welt des Hörbaren und der magnetischen, elektrostatischen und sonstigen physikalischen Schwingungen. Sein Werk wird häufig dem Bereich des New Age zugeordnet, auch wenn der ehemalige Physikstudent Berendt für seine Thesen eine Vielzahl namhafter Wissenschaftler zitiert. Peter Sloterdijk, ebenso Bhagwan/Osho-Anhänger wie Berendt, hat den philosophischen Tiefgang des Werks gewürdigt und sowohl dessen metaphysische These (Universum als Musikinstrument) wie auch dessen epistemologische These (Individuum als Manifestation des Universums) ausführlich besprochen: Auch wenn Berendt in die Fußstapfen des Pythagoras getreten sei, so habe er sich als „Ptolemäer“ bemüht, dessen individuumfeindliche Implikationen zu vermeiden und den von anderen Philosophien und Ideologien ausgehobenen Graben zwischen Individuum und Welt zuzuschütten. Berendt wandte sich vom Jazz ab, um Musik in einem erweiterten Sinne zu erforschen. Musik verstand er in seinen späteren Jahren eher als Ausdruck der menschlichen Existenz an sich, jeweils begreifbar im Kontext des gesellschaftlichen und auch religiösen Zusammenhangs.

Seine Hinwendung zum Philosophischen und Spirituellen mit seinen Meditationen unter anderem beim japanischen Zen-Buddhismus und beim indischen Mystiker Osho ist von manchen seiner Leser bedauert, von anderen dagegen sehr begrüßt worden. Ebenso umstritten war auch Berendts späte Neigung, den Jazz zu „überschreiten“. Er wandte sich damit nicht gegen den Jazz an sich, sondern wünschte sich eine Weiterentwicklung in andere Richtungen:

„Überschreiten heißt nicht: den Jazz hinter sich zu lassen; es bedeutet: noch einen weiteren Schritt tun. Viele Jazzfreunde haben mir diese Schritte übelgenommen, sie wollten den reinen (ein fragwürdiger Begriff, auf den ich im Kapitel über Weltmusik eingehe) Jazz.“

Joachim-Ernst Berendt: Das Leben, ein Klang

Auszeichnungen

Joachim-Ernst-Berendt-Ehrenpreis der Stadt Baden-Baden

Zwischen 2012 und 2018 verlieh die Stadt Baden-Baden den von Marc Marshall initiierten Joachim-Ernst-Berendt-Ehrenpreis der Stadt Baden-Baden im Rahmen des Mr. M´s Jazz Festivals. Empfänger waren:

2019 wurde angekündigt, dass der Preis sowohl inhaltlich als auch namentlich überarbeitet werden sollte.

Werke

  • Der Jazz: Eine zeitkritische Studie. Stuttgart 1950
  • Das Jazzbuch. Fischer, Frankfurt am Main 7. Auflage 2005; überarbeitet und erweitert von Günther Huesmann
    • Insgesamt gab es folgende Auflagen/Neubearbeitungen: 1. Auflage 1953 (Das Jazzbuch), Fischer TB, 2. Auflage 1959 (Das neue Jazzbuch), Fischer TB, 3. Auflage 1968 (Das Jazzbuch- von New Orleans bis Free Jazz), 4. Auflage 1973 (Das Jazzbuch- von Rag bis Rock), 5. Auflage, Krüger 1981, Fischer TB 1982 (Das grosse Jazzbuch: von New Orleans bis Jazz Rock), 6. Auflage 1989 (Das Jazzbuch: von New Orleans bis in die achtziger Jahre), 7. Auflage, S. Fischer 2005 (Das Jazzbuch: von New Orleans bis ins 21. Jahrhundert, fortgeführt von Günther Huesmann)
  • Jazz – optisch. München 1954
  • Variationen in Jazz. München 1956
  • Die Story des Jazz. Vom New Orleans zum Rock Jazz. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1975, o. ISBN (Hrsg. von Joachim-Ernst Berendt. Mit Beiträgen über die Entwicklung des Jazz in New Orleans und in Chicago, über Louis Armstrong und Duke Ellington, über Blues, Swing, Bebop, Cool Jazz, Hard Bop, Free Jazz und Rock Jazz sowie einem Nachwort unter dem Titel Marginalien zu einer Philosophie des Jazz; im Anhang eine Diskografie und ein Bildquellenverzeichnis) mit Beiträgen von Werner Burkhardt
  • Photo-Story des Jazz. Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt am Main 1978, ISBN 3-8105-0209-X
  • Ein Fenster aus Jazz – Essays, Portraits, Reflexionen. Fischer TB, Frankfurt am Main 1978, ISBN 3596230020
  • Das dritte Ohr. Vom Hören der Welt. Traumzeit, Battweiler 2007, ISBN 9783933825674. (zunächst Reinbek 1988)
  • Ich höre, also bin ich. Traumzeit, Battweiler 2007, ISBN 9783933825636. (zunächst Freiburg 1989)
  • Nada Brahma – die Welt ist Klang. Insel, Frankfurt am Main 1983; rororo, Reinbek bei Hamburg 1989, ISBN 3499179490; suhrkamp taschenbuch, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-518-45895-2
    • Die Welt ist Klang – Nada Brahma. Hörwerk mit Beiheft auf 4 CDs. Network Medien Cooperative 1988 im Vertrieb von Zweitausendeins
    • Die Welt ist Klang / Vom Hören der Welt / Muscheln in meinem Ohr.
  • Vom Hören der Welt – Das Ohr ist der Weg. Hörwerk mit Beiheft auf 4 MCs. Network Medien Cooperative 1988 im Vertrieb von Zweitausendeins, ISBN 3762685797 (auch auf CD)
  • Hinübergehen – Das Wunder des Spätwerks. Buch (gebundene Ausgabe) und drei Audio-CDs, Network bei Zweitausendeins, 1993
  • Das Leben, ein Klang. Wege zwischen Jazz und Nada Brahma. Autobiographie. Droemer Knaur, München 1996, ISBN 3-426-26933-3, (auch Traumzeit-Verlag 2007)
  • Seelenlandschaften, 1999 (mit Krzysztof Zgraja – Querflöte, Vladislav Sendecki – Piano, Philip Catherine – Gitarre, Horst Boesing – Aufnahme und Mischung), Hermann Bauer, Freiburg (wiederveröffentlicht bei Jaro, Bremen)
  • Es gibt keinen Weg – nur gehen. Traumzeit, Battweiler 2007, ISBN 9783933825704. (zunächst Frankfurt a. M. 1999)
  • Kraft aus der Stille. Vom Wachsen des Bewußtseins. Droemer Knaur, München 2003, ISBN 3426776405. (gebundene Ausgabe 2000)
  • JazzLife. A Journey Across America. Mit Fotos von William Claxton. Taschen, Köln 2005, ISBN 3-8228-4970-7, samt 1 CD mit originalen Konzertmitschnitten.

Literatur

  • Uta G. Poiger: Jazz, Rock and Rebels. Cold War Politics and American Culture in a Divided Germany. University of California Press, Berkeley, 2000, ISBN 0-520-21138-3.
  • Andrew Wright Hurley: The return of jazz. Joachim-Ernst Berendt and West German cultural change. Vorwort Dan Morgenstern, Nachwort Wolfram Knauer. Berghahn Books, New York, Oxford 2009, ISBN 978-1-84545-566-8.

Einzelnachweise

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