Humanes Respiratorisches Synzytial-Virus: Art der Gattung Pneumovirus

Das HRSV in einer TEM-Abbildung

Respiratory-Syncytial-Virus
Humanes Respiratorisches Synzytial-Virus: Eigenschaften, Übertragung, Diagnostik

Systematik
Klassifikation: Viren
Realm: Riboviria
Reich: Orthornavirae
Phylum: Negarnaviricota
Subphylum: Haploviricotina
Klasse: Monjiviricetes
Ordnung: Mononegavirales
Familie: Pneumoviridae
Gattung: Orthopneumovirus
Art: Humanes Respiratory-Syncytial-Virus
Taxonomische Merkmale
Genom: (−)ssRNA linear
Baltimore: Gruppe 5
Symmetrie: helikal
Hülle: vorhanden
Wissenschaftlicher Name
Human orthopneumovirus
Kurzbezeichnung
HRSV
Links

Das Humane Respiratorische Synzytial-Virus (hRSV, RSV oder RS-Virus; englisch human orthopneumovirus, früher human respiratory syncytial virus) ist ein umhülltes Virus, das den Atemtrakt befällt, vor allem die Schleimhäute der oberen Atemwege und das Flimmerepithel der Luftröhre und der Bronchien. Dort bewirkt es unter anderem eine Verschmelzung der betroffenen Zellen zu Synzytien, was dem Virus seinen Namen gab.

Humanes Respiratorisches Synzytial-Virus: Eigenschaften, Übertragung, Diagnostik
Genomkarte der Gattung Orthopneumovirus

Der Mensch gilt als einzig relevantes Reservoir.

Eigenschaften

Die Erstbeschreibung des Virus erfolgte 1956 bei Schimpansen, bei denen RSV als Ursache einer Coryza erkannt wurde. Zunächst wurde es noch als Chimpanzee Coryza Agent (CCA) bezeichnet. Ein Jahr später identifizierte Robert M. Chanock das Virus in Kindern, deren Atemwege erkrankt waren. Er hatte auch erkannt, dass sich Kinder bereits früh mit RSV anstecken. Später wurde das Virus schließlich umbenannt in humanes Orthopneumovirus bzw. humanes Respiratorische Synzytial-Virus (englisch: human respiratory syncytial virus, hRSV).

RSV zählt zu den Viren mit einzelsträngiger (–)-RNA aus der Familie der Pneumoviridae (früher Familie Paramyxoviridae; Unterfamilie Pneumoviridae und der Gattung Orthopneumovirus).

Das Genom hat eine Größe von 15 Kilobasen und kodiert für 10 Gene. Die Lipidhülle ist doppelschichtig, darin sind Glykoproteine wie das Fusions- (F-) und das Adhäsions-(G-)Protein eingebettet.

Die Spezies tritt in den zwei häufigsten Subtypen A und B sowie den selteneren Typen S2 und RSS-2 auf. RSV A wurde in den letzten Jahren überwiegend nachgewiesen. RSV A und B unterscheiden sich in der Antigenstruktur des G-Proteins. Sie ist mit zwei tierpathogenen Arten, dem Bovinen Respiratorischen Synzytialvirus (BRSV, englisch: Bovine orthopneumovirus) und dem Murinen Pneumonievirus (MPV, englisch: Murine orthopneumovirus) eng verwandt.

Übertragung

Humane Respiratorische Synzytial-Viren werden meistens über Schmierinfektionen und Tröpfcheninfektion übertragen und verursachen Symptome im Bereich der oberen Atemwege: Schnupfen (Rhinitis, Erkältung), Husten, akute Bronchitis, Mittelohrentzündung. Die Inkubationszeit beträgt zwei bis acht Tage.

Diagnostik

Das Virus kann mittels ELISA oder mit Hilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) nachgewiesen werden.

Erkrankungsformen

Säuglinge und Kleinkinder

Eine RSV-Infektion beim Säugling äußert sich mit Symptomen wie Fieber von 38 bis 39,5 °C, laufender Nase, Husten und Atembeschwerden. Durch die behinderte Atmung wird das Trinken erschwert und das Kind zeigt deshalb häufig auch Trinkschwäche.

Aufgrund der engen und kurzen Atemwege werden häufig die Bronchien und Bronchiolen in Mitleidenschaft gezogen – es kann zu einer Bronchiolitis kommen, was die Sauerstoffaufnahme behindern kann. Anzeichen für eine ungenügende Sauerstoffsättigung im Blut sind Blässe, bläuliche Färbung der Lippen oder Fingernägel (Zyanose), Einziehungen unterhalb des Rippenbogens (subcostal) und zwischen den Rippen (intercostal) und schnellere Atmung (Tachypnoe) mit Nasenflügeln. Dehydratation gilt auch als Anzeichen für einen ernsten Zustand.

Bei Kleinkindern und vor allem bei Säuglingen kommt es häufig zu schwereren Verläufen, die gerade bei Säuglingen eine stationäre Behandlung erfordern können.

Im Krankenhaus wird der Patient permanent überwacht, um bei Verschlechterung des Zustandes sofort Maßnahmen ergreifen zu können. Sauerstoffsättigung und Trinkmenge sind die wichtigsten Indikatoren. Gegebenenfalls werden auch EKG und Atemfrequenz überwacht. Bei ungenügender Sauerstoffsättigung wird Sauerstoff gegeben, in schweren Fällen mittels Beatmung. Trinkt das Kind ungenügend, kann der Einsatz einer Magensonde notwendig werden, um eine Dehydratation zu verhindern.

Während des 1. Lebensjahres haben 40–70 % und bis zum Ende des 2. Jahres nahezu alle Kinder einmal die Erkrankung durchgemacht. Dies schützt zwar nicht vor erneuter Ansteckung, aber der Krankheitsverlauf wird dadurch weniger stark als bei der Erstinfektion.

Von den Erstinfektionen verlaufen ca. 2 % mit so ausgeprägten Symptomen, dass es zu einer Hospitalisation kommt. Bei den hospitalisierten Fällen liegt die Letalität bei etwa 1,7 %. In England wurde der Krankheitsverlauf von 2009 Kindern verfolgt, die wegen RSV-Infektion hospitalisiert wurden, von diesen verstarben letztlich 35. Als Risikofaktoren für einen besonders schweren Verlauf mit tödlichem Ausgang wurden hierbei vor allem bestehende Vorerkrankungen sowie nosokomiale Infektion mit RSV entdeckt.

Bei 5 % der erkrankten Kinder kommt es im Verlauf der Erkrankung zum Pseudokrupp.

Eine Infektion mit RSV gilt bei Säuglingen als möglicher Risikofaktor für den plötzlichen Kindstod (SIDS).

Eine überstandene Erkrankung erzeugt keine andauernde Immunität, es kann lebenslang zu Re-Infektionen kommen, die bei gesunden Menschen milde verlaufen.

Erwachsene

RSV-Infektionen kommen in allen Altersgruppen vor. Bei Erwachsenen sind Risikopatienten: Personen mit das Herz betreffenden (kardialen) oder die Lunge betreffenden (pulmonalen) Vorerkrankungen sowie alle immundefizienten und immunsupprimierten Personen. Besonders gefährdet sind Empfänger hämatopoetischer Zelltransplantate, Empfänger von Lungen- oder anderen Organtransplantaten sowie stark immunsupprimierte Patienten mit maligner hämatologischer Erkrankung. Insbesondere wenn Erwachsene engen Kontakt zu RSV-infizierten Kleinkindern haben, kann es zu einer „ausgeprägten grippeähnlichen Symptomatik (Müdigkeit, Schnupfen, nichtproduktiver Husten, eventuell Bronchitis, mit oder ohne Fieber)“ kommen. Bei Erwachsenen werden viele Infektionen mit dem RS-Virus nicht diagnostiziert, weil die Infizierten gar keine gesundheitlichen Einschränkungen haben oder ihre Infektion wie eine harmlose Erkältung abläuft.

Komplikationen

Exazerbation bei chronischen Vorerkrankungen

Zu einer deutlichen Verschlechterung kann es bei Patienten aller Altersgruppen mit chronischen pulmonalen oder kardialen Vorerkrankungen kommen. Zu ebensolchen Verschlechterungen kann es mit Asthma und mit schweren das Nervensystem betreffenden (neurologischen) Erkrankungen kommen. Der Fachbegriff für solche Verschlechterungen bei chronischen Vorerkrankungen ist Exazerbation. Solche Patienten und alle immundefizienten und immunsupprimierten Personen haben ein besonderes Risiko, an einer schweren RSV-bedingten Lungenentzündung (Pneumonie) zu erkranken.

Bakterielle Superinfektion

Die Infektion kann einen akuten Verlauf haben, besonders wenn eine bakterielle Superinfektion auftritt. In solchen schweren Fällen kann intensivmedizinische Überwachung notwendig sein.

Überlappung mit Influenzawellen

RSV-Infektionen können mit Influenzawellen überlappen. Berechnungen aus den USA legen deutlich mehr Todesfälle durch Influenza nahe, die Übersterblichkeit durch Influenza liege dreimal so hoch wie die durch RSV.

Weltweite Sterblichkeit

Weltweit sterben jährlich schätzungsweise 600.000 Menschen direkt oder indirekt durch RSV-Infektionen.

Meldepflicht

In Deutschland ist der direkte und indirekte Nachweis von Respiratorischen Synzytial Viren gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 38a IfSG seit dem 20. Juli 2023 namentlich meldepflichtig, sofern der Nachweis auf eine akute Infektion hindeutet.

Vorbeugung

Aktive Immunisierung

Als erster Impfstoff gegen RSV wurde Arexvy (GSK) Anfang Mai 2023 in den USA für Personen ab 60 Jahren zugelassen. In Europa ist die Zulassung Anfang Juni erfolgt. Das Vakzin ist eine gentechnisch veränderte Version des Fusionsproteins (F) von RSV in einer präfusionsstabilisierten Form, daher wird er auch als RSVPreF3 bezeichnet. Es wird vom Immunsystem als Antigen erkannt und ist für das RS-Virus für die Infektion essentiell. In natürlicher Form liegt F zunächst in einer instabilen Prä-Fusionsform vor, die sich dann in die Post-Fusionsform wandelt. Da Antikörper das Virus in seiner Prä-Fusionsform neutralisieren, muss dieses in jener Form stabilisiert werden, damit das Immunsystem ausreichend Zeit hierfür hat. Als Adjuvans fungiert AS01E. Es wurde von verschiedenen Impfreaktionen berichtet, am häufigsten über Kopfschmerzen, Müdigkeit, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen und Schmerzen an der Injektionsstelle; diese Reaktionen klangen nach ca. 10 Tagen wieder ab.

Im Juli 2023 empfahl der CHMP der European Medicines Agency (EMA), dem Impfstoff Abrysvo von Pfizer die Zulassung zur aktiven Immunisierung von Erwachsenen ab 60 Jahren zu erteilen, die Zulassung durch die EU-Kommission erfolgte im August 2023. In den USA wurde der Impfstoff Abrysvo Ende Mai 2023 bereits für Personen ab 60 Jahren zugelassen. Bei Abrysvo handelt es sich um einen bivalenten Untereinheitenimpfstoff, der aus zwei rekombinanten RSV-Fusionsoberflächen-Glykoproteinen besteht. Er richtet sich gegen RSV-A- und RSV-B-Stämme. Der Impfstoff ist auch für die maternale Impfung angezeigt (siehe unten).

Passive Immunisierung

Für Säuglinge und Kinder mit hohem Risiko besteht die Möglichkeit einer passiven Immunisierung mit dem monoklonalen Antikörper Palivizumab, die aus Kostengründen nur speziellen Risikofällen vorbehalten ist. Diese Immunisierung erzeugt zudem lediglich einen Schutz für wenige Wochen und muss deshalb während der RSV-Saison (Oktober/November bis März/April) monatlich wiederholt werden.

Nirsevimab (Beyfortus, Sanofi und AstraZeneca) wurde Ende 2022 zur Prävention von RSV-Erkrankungen bei Neugeborenen und Säuglingen in ihrer ersten RSV-Saison zugelassen. Hierbei handelt es sich ebenfalls um einen monoklonalen Antikörper, der an das RSV-Fusions-Protein F bindet. Infolgedessen wird das F-Protein in der Präfusionskonformation blockiert, was das Eindringen freier Virionen in die Zellen sowie die Ausbreitung des zellassoziierten Virus durch Zellfusion verhindert. Der Impfstoff wird einmalig intramuskulär gegeben.

Eine Metaanalyse kommt zu den Schluss, dass beide Antikörper signifikant RSV-Infektionen, Hospitalisierungen und die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung verringern. Im Vergleich zur Kontrollgruppe mit Placebo gibt es dagegen keine signifikant vermehrt gemeldeten Nebenwirkungen.

Im Juli 2023 empfahl der CHMP der EMA, dem Impfstoff Abrysvo von Pfizer die Zulassung zur passiven Immunisierung von Säuglingen durch Impfung der Mütter während der Schwangerschaft (maternale Impfung) zu erteilen, die Zulassung erfolgte im August 2023. Ziel der Immunisierung ist es, Säuglinge von der Geburt bis zum Alter von 6 Monaten vor den durch RSV verursachten Erkrankungen der unteren Atemwege (LRTD) und schweren LRTD zu schützen. Der Impfstoff wird also nicht Säuglingen appliziert, sondern bereits Schwangeren, die neutralisierende Antikörper bilden; die Antikörper gelangen dann durch die Plazenta und ermöglichen einen zeitlich begrenzten Nestschutz. In den USA wurde Abrysvo im August 2023 von der FDA zugelassen. Dieser Impfstoff ist auch für die aktive Immunisierung von Erwachsenen ab 60 Jahren angezeigt (siehe oben).

Forschung

Bereits wenige Jahre nach Entdeckung von RSV kam es zu ersten Versuchen, einen Impfstoff gegen RSV zu entwickeln. Ein in den USA in den 1960er Jahren entwickelter Totimpfstoff zur intramuskulären Anwendung und basierend auf mit Formalin inaktivierten RS-Viren, sogenannten FI-RSV, zeigte bei klinischen Prüfungen schwere, in zwei Fällen tödliche Verläufe. Bei den versuchsweise an Kleinkindern durchgeführten Impfungen kam es zu VAED, englisch Vaccine-associated enhanced disease, einer durch die Impfung ursächlich ausgelösten Erkrankung, die sich in diesem Fall dann zeigte, wenn sich die Probanden später mit RSV infizierten.

Diese Rückschläge bei der Impfstoffentwicklung mit FI-RSV führten in den Folgejahren dazu, dass die Impfstoffforschung weitgehend bis etwa 2013 eingestellt wurde. Andere Impfstoffkandidaten wurden nicht weiterentwickelt, sind gescheitert oder befinden sich noch in klinischer Prüfung und sind daher noch nicht zugelassen (wie z. B. mRNA-1345 von Moderna oder MVA-BN von Bavarian Nordic).

Seit 2013 wird intensiv nach einer Impfung gegen RSV geforscht, größtenteils werden Impfstoffkandidaten unterschiedlicher Art (attenuierte Lebendimpfstoffe, Untereinheitenimpfstoffe, genbasierte Vektorimpfstoffe) in zahlreichen klinischen Prüfungen erprobt. Daneben gibt es auch Studien über monoklonale Antikörper oder Einzeldomänenantikörper zur passiven Immunisierung.

Die Infektion von Kälbern mit Bovinen Respiratorischen Synzytial-Viren (BRSV) hat einen ähnlichen Verlauf wie die Infektion von HRSV beim Kleinkind und wird aus diesem Grunde zu Modelluntersuchungen zur Entwicklung von Impfstoffen und Therapeutika genutzt.

Literatur

Einzelnachweise

Tags:

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