Doku-Soap: TV-Format für bildungsferne Bevölkerungsschichten

Als Doku-Soap (Dokumentar-Seifenoper) bezeichnet man eine Form des Reality-TV, in der die gezeigten Personen in dramatisch inszenierter, unterhaltender Weise dargestellt werden.

Im strengen Sinne handelt es sich um eine Art Dokumentarfilm, die z. B. Familien in außergewöhnlichen Situationen begleitet wie einem Umzug ins Ausland, oder jede Folge unterschiedliche Personen zeigt bei einem gleichbleibenden Grundthema wie Erziehung, finanzielle Schieflage oder Renovierung. Die Fernsehsender bezeichnen allerdings auch sogenannte „Scripted Reality“ als „Doku-Soap“, die große Ähnlichkeit zu klassischen Doku-Soaps aufweist, jedoch einem frei erfundenen Drehbuch folgt und von Laiendarstellern oder professionellen Schauspielern inszeniert wird, die sich von den Inhalten der Handlung distanzieren.

Doku-Soaps vermischen vorgeblich Unterhaltung mit Information und sollen daher Vertreter des Infotainment oder Edutainment sein. Wie bei den namensgebenden Seifenopern oder täglichen Talkshows stehen aber in der Regel Emotionen im Vordergrund, Probleme und Konflikte, die oft künstlich herausgehoben werden. Bei den meisten Vertretern des Formats ist dadurch ein informativer, lehrender Effekt oft nicht vorhanden.

Doku-Soaps erscheinen grundsätzlich in Fortsetzungen.

Eigenschaften

Folgende Eigenschaften sind für Doku-Soaps typisch:

  • Konzentration auf wenige Personen, die als Identifikationsfiguren für den Zuschauer dienen
  • Beobachtung von vermeintlich alltäglichen Menschen in außergewöhnlichen Situationen
  • hohe Emotionalität, weniger oder gar kein dokumentarischer Anspruch, keine Rücksicht auf Tatsachenverfälschungen im Schnitt oder bei den Kommentaren
  • keine journalistische Wertung des Geschehenen
  • Erhöhung des Wiedererkennungsfaktors durch einprägsames Erscheinungsbild
  • Spannungsbögen über das Ende einer Folge oder eine Werbe-Unterbrechung hinaus

Bei Doku-Soaps werden häufig Techniken zur Emotionalisierung und Personalisierung im Sinne von Affektfernsehen eingesetzt. Die Stützung auf die angebliche Realität verleiht den präsentierten Geschichten mehr Glaubwürdigkeit und Plausibilität. Prinzipiell kann jedes Ereignis fiktionalisiert werden. Sehr beliebt sind vor allem Ereignisse, die an einen bestimmten Ort, eine bestimmte Notsituation oder eine bestimmte Personengruppe gebunden sind.

Abgesehen davon, dass die Präsenz einer Kamera im privaten Bereich oder bei der Ausübung von Berufen mit Publikumsverkehr immer Einfluss auf die Agierenden hat, wird die Situation bei vielen Doku-Soaps zum Teil auch gezielt beeinflusst oder übertrieben dargestellt. Manchmal werden einzelne Situationen auch nachgestellt oder gefälscht, beispielsweise durch falsche Kommentare des Sprechers zu einer Szene.

Die Doku-Soap-Parodie Güsel in der Schweiz verkehrte die dramaturgischen Kniffe ins Gegenteil, ohne das Format zu ändern.

Grundtypologie

Unterschieden werden Doku-Soaps nach vier Grundtypen, von denen es weitere Vermischungen und thematische sowie stilistische Durchdringungen gibt:

  • Sozial-normative Konditionierung: Personen mit norm-abweichendem Verhalten werden resozialisiert, indem sie in die Gesellschaft oder der Familie zurückgeführt werden. Beispiele sind Die Super Nanny, Das Erziehungcamp oder Teenager außer Kontrolle.
  • Isolation und Bewährung: Personen oder Personengruppen werden in einer fest begrenzten Umgebung über einen begrenzten Zeitraum von ihren Herkunftsbindungen und -orten isoliert, in der sie sich durch soziales Selbstmanagement unter Beobachtung des Publikums behaupten müssen, von dessen Gunst ihr Verbleib (und damit ein Gewinn) abhängen kann. Sie müssen sich hierbei sozialen und psychischen Extremsituationen stellen. Beispiele sind Big Brother, Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! oder Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus.
  • Transformation: Die Protagonisten werden in einem bestimmten für sie prägenden Lebensabschnitt filmisch begleitet. Dies können Umzüge, Diäten, Renovierungen oder Auswanderungen sein. Bekannte Beispiele sind Einsatz in vier Wänden oder Jedes Kilo zählt – Eine Insel wird schlank.
  • Unbekanntes Alltägliches: meist bereits feste Gruppen von Personen werden filmisch beobachtet, um Einblick in den (vermeintlich) authentischen Alltag zu gewinnen. Ziel sind Familien oder Institutionen. Beispiele sind Die Fussbroichs oder Die Ludolfs – 4 Brüder auf’m Schrottplatz.

Als Beispiel für eine Vermischung dieser Aspekte kann man Rach, der Restauranttester nennen. Hier bot man vor allem in den ersten Staffeln Einblicke hinter die Kulissen der Gastronomie. Teilweise stehen auch Renovierungsaktionen im Vordergrund oder es wird ein Konditionierungsproblem behandelt.

Rollen/Figuren

Bei Doku-Soaps werden gerne stereotype Vertreter von Berufsgruppen und Durchschnittsbürger in Problemsituationen thematisiert. Der hohe Emotionalisierungsgrad bei Doku-Soaps bedingt oftmals extreme, mitunter vollkommen unrealistische Stereotype oder Handlungsweisen. Je nach Sendung wird auch gezielt versucht Personen zusammenzubringen, die einem Ideal entsprechen, und dem Gegenteil dazu, Personen, mit denen sich die Zuschauer identifizieren können oder ihnen sympathisch sind, und Personen, die durch ihre Darstellung Hass, Abscheu oder Schadenfreude der Zuschauer auf sich ziehen.

Abgrenzung von anderen Gattungen

Scripted Reality (Pseudo-Doku)

Obwohl sie sich auf den ersten Blick ähneln, sind Doku-Soaps von der Scripted Reality oder Pseudo-Dokus zu differenzieren. Dennoch bezeichnen die Fernsehsender viele dieser Serien irreführend als „Doku-Soaps“. Auch in der Literatur wird diese Trennung nicht immer vorgenommen, sondern es werden häufig beide Begriffe synonym verwendet.

Reality-Shows

Doku-Soaps unterscheiden sich von Reality-Shows dadurch, dass bei Reality-Shows bewusst eine unnatürliche Situation erzeugt wird, z. B. viele verschiedene Menschen unter schwierigen Bedingungen auf engstem Raum. Häufig wird bei Reality-Shows eine formatbedingte Konkurrenzsituation unter den Teilnehmern geschaffen.

Vertreter

Deutschland

  • ZDF
    • Die harte Schule der 1950er Jahre, 5 Folgen, Erstausstrahlung 2005 (gedreht auf Burg Hohenfels)
    • Babystation (47 Folgen in zwei Staffeln, 2006 und 2007, produziert durch Spiegel TV, über das Perinatalzentrum der Asklepios-Klinik Altona)
    • Dresdner Schnauzen (Zoo-Doku-Soap), 2007 bis 2009
    • Tierische Kumpel (Zoo-Doku-Soap), 2008 bis 2010
    • Kleine Familie sucht große Liebe, 2009, alleinerziehende Väter und Mütter bei der Partnersuche, 10 Folgen.
    • Bares für Rares, seit 2013
    • Der Haustier-Check, 2014–2017, unregelmäßig

Doku-Soap-Elemente haben auch die ZDF-Kochsendungen Die Küchenschlacht (seit 2008) und Lafer, Lichter, Lecker (2006–2017).

  • NDR
    • Der XXL-Ostfriese (63 Folgen) mit Tamme Hanken
    • Der XXL-Ostfriese: Nur das Beste (13 Folgen)
    • Der XXL-Ostfriese: Herd statt Pferd (8 Folgen)

Österreich

Schweiz

  • SRF
    • Die Pfahlbauer von Pfyn
    • Leben wie zu Gotthelfs Zeiten
    • Airline (6 Folgen)
    • Everest (7 Folgen, 2003)
    • Jobtausch (seit 2012, 37 Episoden in 6 Staffeln)
    • Match (7 Folgen, 2006)
    • Rekrutenschule (6 Folgen)
    • Tierspital (7 Folgen)
    • Zirkus (6 Folgen)
    • Zoo (6 Folgen, 2004)
    • Das Internat – Schule wie vor 50 Jahren (2004)
    • Mini Lehr und ich (4 Folgen, 2014)
    • Mini Beiz, dini Beiz (2014 bis 2019)
  • 3+
    • Bumann, der Restauranttester (2009 bis 2021); siehe Daniel Bumann

Vereinigte Staaten

Dokumentationen

Literatur

  • Werner Faulstich: Grundkurs Fernsehanalyse. Wilhelm Fink, Paderborn 2008.
  • Jill Godmilow, Ann-Louise Shapiro: How Real is the Reality in the Documentary Film? In: History and Theory. Vol. 36, Nr. 4, 1997, S. 80–101.
  • Christian Hißnauer: Living history – Die Gegenwart lebt. Zum Wirklichkeitsbezug des Geschichtsformates. In: Harro Segeberg (Hrsg.): Referenzen. Zur Theorie und Geschichte des Realen in den Medien. Schüren-Verlag, Marburg 2009, S. 120–140.
  • Gary D. Rhodes (Hrsg.): Docufictions. Essays on the intersection of documentary and fictional filmmaking. McFarland, Jefferson, NC 2006.

Einzelnachweise

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