Klingen, Hoch- und Kielkratzer, Geschossspitzen aus Knochen, Kleinkunst aus Elfenbein,
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West-, Mittel- und Südeuropa | ||||
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Das Aurignacien (IPA: [ ], ) ist die älteste archäologische Kultur des europäischen Jungpaläolithikums, und zeitgleich mit der Ausbreitung des anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens) in weiten Teilen West-, Mittel- und Osteuropas. Als „Aurignac-Kulturstufe“ wurde der Begriff 1867 von Gabriel de Mortillet eingeführt, zunächst bei der Gliederung der Dauerausstellung des Musée des Antiquités Nationales in Saint-Germain-en-Laye (Publikation 1869). Die Typlokalität ist der Abri von Aurignac (Département Haute-Garonne), wo Édouard Lartet im Jahr 1860 erstmals Steinwerkzeuge in Verbindung mit eindeutig pleistozänen Tierknochen nachgewiesen hat.
Nach Thomas Higham u. a. (2012) beginnt das Aurignacien in der Schwäbischen Alb ca. 40.000 BP und reicht bis etwa 31.000 BP, siehe auch Jungpleistozän.
Die nachfolgende archäologische Kultur war das Gravettien.
Dem Aurignacien voraus gingen Kulturstufen des Neandertalers, wie das Moustérien und das Szeletien (auch Blattspitzen-Gruppen genannt). Während der Kultur des Aurignacien, die mit dem anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens, auch Cro-Magnon-Mensch) assoziiert ist, lebten noch Neandertaler in Europa. Neandertalern wird die Kultur des Châtelperronien (früher Périgordien I) zugeschrieben. Schmuckgegenstände dieser Kultur sprechen für eine kulturelle Beeinflussung durch Homo sapiens. Szenarien der Ablösung des Neandertalers durch Homo sapiens werden häufig durch 14C-datierte erste Belege moderner Menschen erstellt, die auf Europakarten den letzten Nachweisen von Neandertalern entgegengestellt werden. Der belgische Prähistoriker Marcel Otte favorisiert die Migration anatomisch moderner Menschen als Träger der Aurignacien-Kultur aus Zentralasien. Aufgrund der wenigen Menschenreste und der fehlerbedingten Streubreite von 14C-Daten in diesem Zeitbereich, die weit über der Spanne eines Menschenlebens liegen, bleibt die Interpretation der räumlichen Mobilität jedoch unbeweisbar.
Nach der 14C-Datierung von Begleitfunden der Menschenreste von Cro-Magnon ins Gravettien, der Direktdatierung der Schädel aus der Vogelherdhöhle ins Neolithikum sowie einer Revision falscher Datierungen an deutschen Fossilfunden wurde von einigen Experten die Urheberschaft des Aurignaciens als offene Frage dargestellt oder sogar ausdrücklich dem Neandertaler zugeschrieben. Die gesicherte Verbindung von Aurignacien und Homo sapiens. begründet sich – auch durch erst in den letzten Jahren datierte bzw. naturwissenschaftlich untersuchte Menschenreste – auf eine Reihe alter und neuer Funde:
Ein Argument für die im Prinzip eindeutige Zuordnung von Homo sapiens zum Aurignacien und Neandertaler zum späten Mittelpaläolithikum (hier vor allem Châtelperronien) bietet eine 2009 publizierte Studie, in der 95 Neandertalerzähne und 63 Homo sapiens-Zähne aus gesichertem Befundkontext (das heißt mit archäologischen Hinterlassenschaften) untersucht wurden. Dabei konnte zu 89 % die erwartete kulturelle Zuordnung bestätigt werden: von 34 Individuen, die mit Aurignacien oder anderen frühjungpaläolithischen Industrien („Nicht-Châtelperronien“) assoziiert waren, sind 29 anatomisch moderne Menschen (Homo sapiens).
Neben den aufgelisteten Belegen des anatomisch modernen Menschen, die direkt in Aurignacien-Fundschichten gefunden wurden, gibt es weitere Menschenreste in Europa, die in denselben Zeithorizont zu stellen sind, jedoch ohne charakteristisches archäologisches Inventar bzw. mit anderen als Aurignacien-Artefakten:
Das lange Zeit dem Aurignacien ancient (Châtelperronien) zugeschriebene Grab von Combe Capelle wurde im Jahre 2011 direkt mittels AMS datiert, wonach die Bestattung ins Mesolithikum und damit wesentlich jünger einzustufen ist.
Mortillet hatte kurz nach der Etablierung der Kulturstufe des Aurignacien im Jahre 1867 diese wieder verworfen. Der Grund war, dass er wegen der Ähnlichkeit älterer Blattspitzen der Blattspitzen-Gruppen mit denen des Solutréens eine genetische Beziehung zwischen beiden Kulturen sah. Dem stand im damaligen evolutionistischen Verständnis prähistorischer Werkzeugtypen das Aurignacien wegen des Fehlens von Blattspitzen im Wege. Erst ab 1906 setzte sich Henri Breuil mit der Wiedereinführung des Aurignacien als Kulturstufe durch. 1912 schlug Breuil folgende Dreigliederung vor:
Denis Peyrony unterteilte 1933 das Aurignacien anhand der Stratigraphie von La Ferrassie und Laugerie-Haute in fünf Stufen, die heute ebenfalls nur noch forschungsgeschichtlich relevant sind. Die Aurignacien-Gliederung korrelierte er mit sieben Stufen des Périgordien, die das gesamte Jungpaläolithikum vor dem voll entwickelten Magdalénien beschreiben. Peyronys Périgordien I und Aurignacien 0-I entspricht in etwa Breuils Aurignacien ancien, Aurignacien II-IV dem Aurignacien typique. Das heutige Gravettien bezeichnete Peyrony als Périgordien-Stufen IV-V. Leitcharakter hatten für Peyrony vor allem Geschossspitzen aus Knochen:
Die moderne Gliederung teilt das Aurignacien in drei Stufen und verschiedene regionale Ausprägungen. Da das Protoaurignacien, das 1966 von Georges Laplace (1918–2004) eingeführt wurde, nicht mit dem Châtelperronien identisch ist, entspricht diese Terminologie nur teilweise dem Verständnis von H. Breuil:
Hinzu kommt ein Epi-Aurignacien mit 14C-Daten um 22.000 bis 18.000 BP, wofür es heute vor allem Belege in der Ukraine zu geben scheint. Merkmale seien atypische Kielkratzer und schwach retuschierte Mikrolithen. Inwieweit das osteuropäische Epi-Aurignacien Beziehungen zu Peyronys Aurignacien V der Dordogne (hier auf das Périgordien VII. folgend) aufweist, ist in Anbetracht der großen Gebiete ohne entsprechende Nachweise unklar. Bei der hohen Mobilität nomadisierender Jäger und Sammler waren Kontakte zwischen Südwestfrankreich und Osteuropa aber sehr gut möglich. Im dazwischen liegenden Mitteleuropa gibt es nur vereinzelte Inventare, die plausible Merkmale eines Epi-Aurignacien aufweisen: Langmannersdorf und Horn-Raabserstrasse in Niederösterreich sowie Dolní Věstonice II-A in Mähren.
Typisch für das Aurignacien sind Projektilspitzen aus Knochen und Elfenbein, die wahrscheinlich als Spitzenbewehrung von Speeren gedient haben. Daneben gibt es eine Reihe typischer Werkzeuge („Leitformen“) aus Feuerstein, wie Kielkratzer, Stichel und lange, schmale Klingen. Diese Klingen sind häufig an den Längsseiten durch Kantenretuschen konkav geformt bzw. „tailliert“ (vgl. zweite Abbildung von links). Leitform des Aurignacien ancien und Aurignacien typique sind sogenannte Dufour-Lamellen, die eine dorsal und eine ventral retuschierte Längskante aufweisen. Lamellen und Spitzen vom Typ Font-Yves sind hingegen beidseitig dorsal kantenretuschiert. Solche Lamellen wurden von regelhaften Kernen abgetrennt und beweisen eine gezielte Strategie der Herstellung.
Im Aurignacien entstanden die ältesten bisher bekannten figürlichen Kleinkunstwerke. Von herausragender Bedeutung sind Fundobjekte aus Mammut-Elfenbein von der Schwäbischen Alb, die zwischen 42.000 und 38.000 BP datieren. Die berühmtesten Fundstellen dieser Region sind zum einen die Vogelherdhöhle und der Hohlenstein-Stadel mit dem Löwenmensch, beide im Lonetal. Die zweite wichtige Fundregion ist das Achtal zwischen Blaubeuren und Schelklingen mit dem Hohlen Fels und dem Geißenklösterle.
Diese Höhlen sind mit ihren Funden Teil des UNESCO-Welterbes „Höhlen und Eiszeitkunst im Schwäbischen Jura“. 16 Artefakte vom Vogelherd aus der Ausgrabung von 1931 und aus den Nachgrabungen im Abraum werden im Museum Alte Kulturen im Schloss Hohentübingen ausgestellt. Zu einzelnen altgegrabenen (1931) Objekten konnten sogar neugegrabene (seit 2005) Mammutelfenbeinfragmente angefügt werden, wie beispielsweise bei der Skulptur eines Löwen/Bären, dessen Kopf erst bei den Abraumgrabungen zu Tage kam.
Aus dem Aurignacien stammen die ältesten sogenannten jungpaläolithischen „Venusfigurinen“ (heute wird meist der neutrale Begriff „Frauenstatuetten“ verwendet): Die Venus vom Galgenberg sowie die 2008 gefundene Venus vom Hohlen Fels.
Aus dem Aurignacien stammen die ersten Knochenflöten, die zweifelsfrei als solche anerkannt werden. Als Flöten interpretierte, mehr oder weniger regelhaft durchlochte Knochen aus dem Mittelpaläolithikum (z. B. Flöte von Divje babe, Slowenien) sind dagegen umstritten.
Aus dem jüngeren Aurignacien stammen die ältesten Höhlenmalereien Europas in der El-Castillo-Höhle (40.000 BP), sowie dem Abri Castanet (37.000 BP) und der Chauvet-Höhle im Département Ardèche. Hier konnten mittels 14C-Methode mit Holzkohle gezeichnete Abbildungen an der Wand (zwei Wollnashörner der sogenannten schwarzen Serie) auf 33.000 bis 32.000 BP datiert werden, ebenso wie Feuerstellen am Höhlenboden. Petroglyphen aus der Höhle Pair-non-Pair (Département Gironde) werden entgegen früheren Annahmen heute dem Gravettien zugeordnet. Malerei mit Rötel auf Kalksteinblöcken gibt es aus den Aurignacien-Horizonten der Grotta di Fumane (Fumane, Norditalien). Als Kunstwerke des Aurignacien sind verschiedene Petroglyphen auf größeren Felsblöcken anerkannt, da sie im Schichtzusammenhang gesichert sind, wie im Abri La Ferrassie und Abri Blanchard.
Radiokohlenstoffdaten aus Aurignacien-Fundplätzen sind in ihrem Aussagewert umstritten. Zum ersten schwankte der atmosphärische 14C-Gehalt zwischen etwa 32.500 und 35.000 BP beträchtlich (verursacht durch Schwankungen des Erdmagnetfeldes). Dies führt zu Plateaus und Inversionen der 14C-Daten, was in den Aurignacien-Horizonten II bis IV des Geißenklösterle anhand von Daten mittels Thermolumineszenzdatierung und ESR veranschaulicht werden konnte. Zum zweiten ist die Methode empfindlich gegenüber Verunreinigungen: Eine 40.000 BP datierte Probe, die nur zu einem Prozent mit heutigem Kohlenstoff verunreinigt ist, wird über 6.000 Jahre jünger. Die Verschiedenheit des Probenmaterials (vor allem Holzkohle vs. Knochen oder Knochenkohle) hat bis in die 90er Jahre zum Teil für sehr heterogene 14C-Daten in ein und demselben Fundhorizont gesorgt.
Stark voneinander abweichende Altersangaben zum Aurignacien sind heute aber vor allem darin begründet, dass die 14C-Daten zum Teil als kalibrierte Alter (calBP) angegeben werden, zum Teil aber noch als unkalibrierte Rohdaten (BP). Die von der IntCal Working Group (IWG) im Jahre 2004 autorisierte Kalibrierung von 14C-Daten (INTCAL04) reichte nur bis 26.000 BP zurück und schloss den Zeithorizont des Aurignacien damit aus. Seit 2009 liegt nun eine von der IWG autorisierte Kalibrationskurve bis 50.000 BP vor, die sich auf unabhängige marine Archive stützt. Zugrunde gelegt werden hier die Uran-Thorium-datierten Speläotheme (Hulu-Höhle, China; der Bahamas), datierte Korallenriffe sowie die Sauerstoff-Isotopenuntersuchung von benthischen Foraminiferen. Das Kölner Labor CALPAL sowie das Quaternary Isotope Lab der University of Washington bieten eine Kalibrierungssoftware für die Zeitspanne älter als 26.000 und damit den Zeitbereich des Aurignacien an. Die Kalibrierung archäologischer Einzeldaten >26.000 BP ist jedoch nach wie vor umstritten, da Kalibrationskurven nur einen gemittelten Wert der Abweichung von Sonnenjahren geben, der in Einzelfällen weit höher ausfallen kann.
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