August Friedrich Ferdinand von Kotzebue (* 3.
Mai 1761 in Weimar; † 23. März 1819 in Mannheim) war ein deutschsprachiger Dramatiker, Librettist, Schriftsteller und Publizist. Er übersiedelte im Alter von 20 Jahren nach St. Petersburg (Russland) und lebte seit 1785 in Reval (heute: Tallinn, Estland). In seinem letzten politischen Amt war er von 1813 bis 1816 als russischer Generalkonsul in Königsberg (Preußen, heute: Kaliningrad, Russland) tätig. Bereits im Ruhestand in Mannheim lebend, fiel er dem Attentat des Burschenschafters Karl Ludwig Sand zum Opfer. Seine Ermordung beeinflusste die Karlsbader Beschlüsse. Kotzebues Cousine Caroline Ludecus war ebenfalls Schriftstellerin (Pseudonym Amalie Berg).
August Kotzebue kam als Sohn des braunschweigischen Kanzleisekretärs, später sachsen-weimarischen Legationsrats und geheimen Referendärs Levin Karl Christian Kotzebue (1727–1761) und dessen Ehefrau Anna Christine von Kotzebue, geborene Krüger (1736–1828), am 3. Mai 1761 im Gelben Schloss in Weimar (Sachsen-Weimar-Eisenach) zur Welt, das der angesehenen Kaufmanns- und Ratsfamilie Kotzebue als Wohnsitz diente. Sein Vater, der als herzoglich-weimarischer Legationsrat und geheimer Referendar in Diensten der Herzogin Anna Amalia stand, starb wenige Monate nach seiner Geburt. August Kotzebue verlebte im Gelben Schloss einen Teil seiner Jugend und wohnte später in einem Wohnhaus in der Schlossgasse 6. Er besuchte das Wilhelm-Ernst-Gymnasium in Weimar, an dem er unter anderem von Johann Karl August Musäus unterrichtet wurde. Musäus war durch die Heirat mit Juliane Krüger der Onkel von August Kotzebue. 1776 stand der junge Kotzebue als Schauspieler gemeinsam mit Goethe in dessen in Weimar uraufgeführtem Stück Geschwister in der Rolle des Briefträgers auf der Bühne. Im Jahre 1777 legte er die Reifeprüfung ab und begann im Alter von 16 Jahren das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Jena, das er in Duisburg fortsetzte und 1780 abschloss. Anschließend ließ er sich für kurze Zeit als Rechtsanwalt in Weimar nieder.
Durch Beziehungen von Johann Eustach von Görtz, dem ehemaligen Prinzenerzieher und Obersthofmeister am Weimarer Hof sowie preußischen Botschafter am russischen Hof, wurde er Sekretär des Generalgouverneurs in Sankt Petersburg. Er wurde 1783 zum Assessor am Obersten Gerichtshof in Reval berufen und war von 1785 bis 1795 als Präsident des Magistrats des Gouvernements Estland tätig. In den russischen Adelsstand (von Kotzebue) erhoben, heiratete er im Februar 1785 Friederike Julie Dorothea von Essen (1763–1790), die als Tochter des Generalleutnants und des Oberkommandanten von Reval, Reinhold Wilhelm von Essen, dem alten estländischen Adel entstammte.
In Reval erwarb er sich Anerkennung durch seine Romane Die Leiden der Ortenbergischen Familie (1785 Teil 1 ,Teil 2 ) und Die Geschichte meines Vaters (1788) sowie durch die Dramen Adelheid von Wulfingen (1789, Digitalisat ), Menschenhass und Reue (1790, Digitalisat ) und Die Indianer in England (1790 Digitalisat ). Der positive Ruf, der aus diesen Arbeiten erwuchs, wurde jedoch nahezu zerstört durch die drastische zynische Satire Doctor Bahrdt mit der eisernen Stirn (Digitalisat ), die 1790 (mit dem Namen Knigges auf der Titelseite) erschien. Nach dem Tod seiner ersten Frau zog Kotzebue sich vom Dienst in Russland zurück und lebte eine Zeit in Paris und Mainz. 1795 zog er auf ein Anwesen, das er nahe Reval erworben hatte, und widmete sich der literarischen Arbeit. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war August von Kotzebue publizistisch auch als Theaterkritiker für die Wiener Zeitung tätig.
Innerhalb weniger Jahre veröffentlichte er sechs Bände verschiedener Skizzen und Erzählungen (Die jüngsten Kinder meiner Laune, 1793–1796) und mehr als zwanzig Dramen, von denen viele in mehrere europäische Sprachen übersetzt wurden.
Im Jahr 1798 nahm er den Ruf als Direktor am Hoftheater in Wien an, legte das Amt aber infolge von Meinungsverschiedenheiten mit den Schauspielern bald nieder. Er kehrte in seine Geburtsstadt zurück, aber da zwischen ihm und Johann Wolfgang von Goethe kein gutes Verhältnis bestand und er zudem die romantische Schule angegriffen hatte, wurde seine Position in Weimar unhaltbar.
Im April 1800 beschloss er, für mehrere Monate nach Russland zu reisen, aber auf dem Weg dorthin wurde er wegen des Verdachts, er sei Jakobiner, an der Grenze verhaftet und nach Tobolsk und Kurgan in Sibirien verbannt. Zu seinem Glück hatte er ein Drama (Der alte Leibkutscher Peters III.) geschrieben, das der Eitelkeit des Zaren Paul I. schmeichelte; er wurde infolgedessen bald begnadigt, zurückgeholt und mit einem Gut in Livland entschädigt. Seine Erlebnisse während dieser Zeit hat er in dem autobiographischen Werk Das merkwürdigste Jahr meines Lebens niedergeschrieben. In Sankt Petersburg wurde er Direktor des deutschen Theaters.
Nach der Ermordung des Zaren kehrte er 1801 nach Deutschland zurück. Er vermochte aber nicht in der literarischen Gesellschaft Weimars Fuß zu fassen und ging nach Berlin, wo er in Verbindung mit Garlieb Helwig Merkel (1769–1850) Der Freimütige (1803–1807) herausgab und seinen Almanach dramatischer Spiele (1803–1820) begann. Am Berliner Hof und in der Künstlerszene schätzte man ihn sehr; der König ernannte ihn zum Mitglied der dortigen Akademie der Wissenschaften.
Bereits vor Napoleons Sieg in der Schlacht bei Jena und Auerstedt 1806 ging er zurück nach Russland, wo er im Schutz seines Gutes in Estland zahlreiche satirische Artikel gegen Napoleon in seinen Journalen Die Biene und Die Grille verfasste. Auch einige Romane und Dramen entstammen den folgenden Jahren, außerdem einige sozialkritische historiographische Arbeiten, auf die er sehr stolz war: eine auf archivalischen Studien basierende, wissenschaftliche Geschichte des Deutschen Ordens (Preußische Geschichte, 1808) und eine mehr populär angelegte Reichsgeschichte (1814/1815). Beide blieben unvollendet.
1816 kam er zur außenpolitischen Abteilung in St. Petersburg und ging 1817 mit einem Gehalt von 15.000 Rubeln als Generalkonsul im russischen Auftrag nach Deutschland. Seit 1815 war er auswärtiges korrespondierendes Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg.
In seinem Literarischen Wochenblatt, das er in Weimar – dank der dort existierenden Pressefreiheit – veröffentlichen konnte, griff er die deutschen Universitäten und vornehmlich die Burschenschaften und Turnerbünde als Brutstätten der Revolution sowie den politischen Liberalismus an (dessen Ziele Volksvertretung und Pressefreiheit waren), verspottete den von den Studenten verehrten Turnvater Jahn und verhöhnte die Ideale der deutschen Nationalbewegung. Auf dem Wartburgfest 1817 wurde im Zuge der dort zelebrierten Bücherverbrennung seine Geschichte des Deutschen Reiches ins Feuer geworfen, worauf er nach Mannheim umzog.
Kotzebue tat sich auch immer wieder als streitbarer Verleger von Zeitungen und Zeitschriften hervor. So erschien unter seiner Ägide Der Freymüthige oder Berlinische Zeitung für gebildete, unbefangene Leser (1803–1806). Hier wandte er sich zusammen mit Garlieb Merkel vor allem gegen die Romantiker und Goethe. 1808/1809 meldete er sich aus seinem Exil in Reval mit der Quartalsschrift Die Biene und 1811/1812 mit dem vierteljährlich erscheinenden Periodikum Die Grille. Der Ton dieser Zeitschriften war durch und durch antinapoleonisch. Sein letztes publizistisches Werk vor seinem Tod war das Literarische Wochenblatt (1819). Danach wurde dies von Friedrich Arnold Brockhaus bis 1826 als Literarisches Conversationsblatt und von 1826 bis 1851 (bzw. bis 1898) unter dem Titel Blätter für literarische Unterhaltung fortgeführt.
Der Jenaer Burschenschafter und Theologiestudent Karl Ludwig Sand folgte August von Kotzebue nach Mannheim. Wegen seiner publizistischen Angriffe auf den deutschen Liberalismus und Nationalismus erstach er ihn am 23. März 1819 vor den Augen des vierjährigen Sohnes mit den Worten: „Hier, du Verräter des Vaterlandes!“ Ermordet wurde Kotzebue in seinem Wohnhaus in A 2, 5, an dem heute eine Gedenktafel angebracht ist. Kotzebues zum Zeitpunkt des Mordes etwa 20-jähriger Sohn August Julius wurde nach der Ermordung seines Vaters zum Austritt aus der Urburschenschaft gezwungen, in der Sand Mitglied war. Unter anderem mit diesem Mord wurden die im September 1819 vom Bundestag in Frankfurt in Gesetzesrang erhobenen Karlsbader Beschlüsse begründet. Im Mai 1820 wurde Sand wegen des Mordes hingerichtet.
Das Grab von Kotzebue befindet sich auf dem Hauptfriedhof in Mannheim, wenige Meter von dem seines Mörders Karl Ludwig Sand entfernt. Das Grabmal aus Mainsandstein ist eine Schöpfung des Mannheimer Hofbildhauers Maximilian Joseph Pozzi (1770–1842). Es handelt sich um einen auf die Kante gestellten Würfel mit Grabinschrift und Grabspruch, der von zwei Theatermasken gestützt wird. Pozzi nahm in Mannheim auch die Totenmaske Kotzebues ab und fertigte daraus eine Büste. Die beiden Theatermasken des Grabsteins scheinen ebenfalls Kotzebues Gesichtszüge zu tragen. Der Grabspruch, den Kotzebue selbst verfasst hatte, lautet:
„DIE WELT VERFOLGT’ IHN OHN’ ERBARMEN – VERLÄUMDUNG WAR SEIN TRÜBES LOS – GLÜCK FAND ER NUR IN SEINES WEIBES ARMEN – UND RUHE IN DER ERDE SCHOSS – DER NEID WAR IMMER WACH IHM DORNEN HINZUSTREUEN – DIE LIEBE LIES IHM ROSEN BLÜHEN – IHM WOLLE GOTT UND WELT VERZEIHEN – ER HAT DER WELT VERZIEH’N.“
August von Kotzebue war dreimal verheiratet.
1. ⚭ 23. Februar 1785, Friederike Julie Dorothea von Essen (* 1763; † 1790) (Eltern: Reinhold Wilhelm von Essen (* 1722; † 1788) und Eleonore von Sass (1734–1765)), ihre Kinder:
2. ⚭ 16. Juli 1794 mit Christine Gertrud von Krusenstern (1769–1803) (Eltern: Karl Adolf von Krusenstern (1727–1792) und Anna Magdalena von Bruemmer ( 1745–1781)), ihre Kinder:
3. ⚭ 7. August 1804, Wilhelmina Friederike von Krusenstern (1778–1852) (Eltern: Otto Wilhelm von Krusenstern (1740–1820) und Friederike Marie von Ulrich (1754–1841)), ihre Kinder:
August von Kotzebues Nachfahren wurden 1874 in den Grafenstand erhoben und am 17. Januar 1906 in den Adelsmatrikel in Bayern einverleibt (für den Kunstmaler Wilhelm von Kotzebue).
Christine Gertrud von Krusenstern und Wilhelmine Friederike von Krusenstern waren beide Kusinen von Adam Johann von Krusenstern, dem Vater von Wilhelmine Friederikes Ehemann Paul Theodor von Krusenstern. Beide waren vor ihrer Ehe mit Kotzebue bereits verheiratet gewesen und geschieden. Der erste Mann von Kotzebues zweiter Frau war ein Cousin von Kotzebues erster Frau gewesen. Zu den Nachfahren gehört auch Auguste Deetjen, die den Regierungspräsidenten Eduard zur Nedden heiratete (Aus der Ehe ging der Theaterwissenschaftler und Schriftsteller Otto C. A. zur Nedden hervor).
Kotzebue hat als ein Begründer der dramatischen Trivialliteratur gegolten, womit ihm zugleich ein Anteil an der Schaffung einer bürgerlichen Öffentlichkeit im Deutschland des 19. Jahrhunderts als Verdienst verblieb. Heute bemüht man sich, diese einseitige Negativkanonisierung (Simone Winko 1999) zu überwinden und Kotzebues persönlichem Anteil an den politischen Anliegen der Spätaufklärung gerecht zu werden. Hier sind vor allem die jährlichen „Kotzebue-Gespräche“ zu erwähnen, die abwechselnd in Tallinn (Reval) und in Berlin stattfinden und die seit 2012 von der Akademie der Wissenschaften in Berlin/Brandenburg, von der estländischen Botschaft in Berlin und von der Musik- und Theaterakademie in Tallinn veranstaltet werden. Zwei Tagungsbände sind schon erschienen (Gerlach, Liivrand, Pappel (Hrsg.) 2016, und Košenina, Liivrand, Pappel (Hrsg.) 2017).
Zu Lebzeiten wurden zwei Sammlungen von Kotzebues Dramen veröffentlicht: Schauspiele (5 Bde., 1797); Neue Schauspiele (23 Bde., 1798–1820). Sämtliche dramatische Werke erschienen 1827–29 in 44 Bänden und unter dem Titel Theater 1840–1841 in vierzig Bänden. Eine Auswahl seiner Stücke in zehn Bänden erschien in Leipzig 1867–68. Im Jahre 1972 hat Benno von Wiese eine Auswahl von Kotzebues Theaterstücken eingeleitet, herausgegeben und kommentiert wurde sie von Jürg Mathes. Im Jahre 1999 wurde als Reprint im Modul-Verlag Wiesbaden Kotzebues sozialgeschichtliche Studie Vom Adel von 1792 wieder aufgelegt. Beim Wehrhahn Verlag erscheinen seit 2012 Leseausgaben einzelner Dramen.
Seine autobiografischen Schriften sind:
Die Zahl seiner Lustspiele und Dramen beläuft sich auf mehr als 220; 87 davon inszenierte Goethe mit insgesamt 600 Vorstellungen. Kotzebues Popularität war beispiellos, nicht bloß in Deutschland, sondern auch auf den Bühnen des europäischen Kulturraums. Neben August Wilhelm Iffland war Kotzebue der produktivste und erfolgreichste Bühnenautor seiner Zeit. Sein Erfolg basierte auf seinem Gespür für populäres Theater in Stoff und Gestaltung. Beispiele dafür sind seine Komödien Der Wildfang, Die beiden Klingsberg und Die deutschen Kleinstädter, die eindrückliche Genreschilderungen deutschen Lebens enthalten. Berühmte Komponisten der Zeit vertonten seine Texte: Ludwig van Beethoven komponierte die Musik zu Kotzebues Die Ruinen von Athen (op. 113) sowie zu König Stephan (op. 117) anlässlich der Eröffnung des neuen Opernhauses in Pest im Jahre 1812; Antonio Salieri schrieb die Schauspielmusik zur Wiener Aufführung der Hussiten vor Naumburg (1802/03); und auch der junge Franz Schubert vertonte einige Libretti des Dichters, darunter das Singspiel Der Spiegelritter D 11 (1813) und die „natürliche Zauberoper“ Des Teufels Lustschloss D 84 (1813/14). Albert Lortzing schrieb 1843 sein Libretto zur Oper Der Wildschütz nach Kotzebues Lustspiel Der Rehbock oder Die schuldlos Schuldbewußten.
Briefe
Auf die Figur des armen Poeten Lorenz Kindlein aus dem Kotzebue-Schauspiel Der arme Poet wird 1845 in den Fliegenden Blättern Bezug genommen in den satirischen und obrigkeitskritischen Beiträgen Eisenbahnvermessung und Väterliches Regiment.
Personendaten | |
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NAME | Kotzebue, August von |
ALTERNATIVNAMEN | Kotzebue, August Friedrich Ferdinand von |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Dramatiker |
GEBURTSDATUM | 3. Mai 1761 |
GEBURTSORT | Weimar |
STERBEDATUM | 23. März 1819 |
STERBEORT | Mannheim |
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