Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 20
- Kanonische Divisoren
Definition
Zu einermeromorphen Differentialformauf einerzusammenhängendenriemannschen Fläche definiert man den zugehörigen Divisor durch
mit,wenn eine lokale Beschreibung der Form mit einermeromorphen Funktion ist.
Einen solchen Divisor nennt man auch einen kanonischen Divisor.
Beispiel
Wir betrachten auf derprojektiven Geraden die Einbettungmit der Variablen und der zugehörigenmeromorphen Differentialformen.. Da auf ganz ein lokaler Parameter ist, istder zugehörigeDivisorauf trivial. Um im unendlich fernen Punkt für die Ordnung zu bestimmen muss man mit dem lokalen Parameterarbeiten. Es ist
und daher ist die Ordnung in gleich .
Beispiel
Auf einem komplexen Toruszu einem Gittergibt es nachKorollar 15.14die holomorphe Differentialform, die der -invarianten Differentialform auf entspricht. Diese besitzt weder eine Polstelle noch eine Nullstelle, der zugehörigeDivisorist also trivial.
Lemma
Es sei eineriemannsche Fläche. Für die Divisorenzu meromorphen Differentialformengelten die folgenden Eigenschaften.
- Die Divisoren zu meromorphen Differentialformen sind zueinanderlinear äquivalent.
- Für eine meromorphe Differentialformund einemeromorphe Funktionist
- Für eine nichtkonstante meromorphe Funktion gilt für Punkte aus dem Träger des Hauptdivisors die Beziehung
Für Punkte außerhalb des Trägers gilt die Abschätzung
Beweis
NachLemma 20.4 (1)sind sämtliche kanonischen Divisoren zueinander linear äquivalent und definieren daher eine eindeutige Klasse in der Divisorenklassengruppe,die die kanonische Klasse heißt. Für eine kompakte zusammenhängende riemannsche Fläche folgt ausLemma 20.4 (1)in Verbindung mitSatz 19.17,dass der Grad eines kanonischen Divisors auf wohldefiniert ist. GemäßBeispiel 20.2besitzt der kanonische Divisor auf der projektiven Geraden den Grad , gemäßBeispiel 20.3besitzt der kanonische Divisor auf einem Torus den Grad . InSatz 30.10wird gezeigt, dass der Grad gleich , wenn das Geschlecht der riemannschen Fläche bezeichnet.
- Modulgarben
Die folgenden Objekte formulieren wir allgemein für einen beringten Raum, man kann sich aber stets darunter eine riemannsche Fläche mit der Garbe der holomorphen Funktionen vorstellen.
Definition
EineGarbe auf einemberingten Raum heißt-Modul, wenn es für jedeoffene Mengeauf eine-Modulstrukturgegeben ist, die mit den Restriktionsabbildungenzuverträglich ist.
Die Verträglichkeitsbedingung bedeutet, dass zu offenen Mengendas Diagramm
kommutiert. Die Strukturgarbe ist insbesondere ein -Modul. Ein -Modul ist insbesondere eine Garbe von abelschen Gruppen. NachLemma 15.6 (3)ist die Garbe der holomorphen Differentialformen auf einer riemannschen Fläche ein -Modul. Ebenso ist die Garbe der meromorphen Funktionen ein -Modul.
Im Wesentlichen kann man sämtliche Definitionen und Konstruktionen aus der Modultheorie über einem kommutativen Ring auf Modulgarben übertragen.
Definition
Es sei einberingter Raumund ein-Modul.EineUntergarbederart, dass für jede offene Teilmengeein-Untermodulvon ist, heißt-Untermodul von .
Die Strukturgarbe ist ein -Untermodul der Garbe der meromorphen Funktionen.
Definition
Es sei einberingter Raum.Ein-UntermodulheißtIdealgarbe.
Definition
Es sei einberingter Raumund seien und -Modulnauf . EinGarbenhomomorphismusheißt-Modulhomomorphismus, wenn für jedeoffene Mengedie Abbildung
ein-Modulhomomorphismusist.
Ein-Modulhomomorphismusist insbesondere ein Homomorphismus von Garben von abelschen Gruppen.
Definition
Es sei einberingter Raumund seien und Modulgarbenauf . Dann nennt man
mit der natürlichen-Modulstrukturden (globalen)Homomorphismenmodul zu und .
Definition
Es sei einberingter Raumund seien und Modulgarbenauf . Dann nennt man die Zuordnung
dieHomomorphismengarbe zu und .Sie wird mit bezeichnet.
Es ist also
Definition
Es sei einberingter Raumund sei eineModulgarbeauf . Dann nennt man
mit der natürlichen-Modulstrukturden dualen Modul zu .
- Invertierbare Garben
Wir besprechen ein garbentheoretisches Konzept, das eng mit Divisoren zusammenhängt.
Definition
Ein-Modul auf einerriemannschen Fläche heißtinvertierbar, wenn es eine offene Überdeckungderart gibt, dass die Einschränkungen isomorphzu sind.
Die Strukturgarbe ist invertierbar, man kann direkt die durch selbst gegebene Überdeckung nehmen. Eineinvertierbare Garbe heißt trivial, wenn sieisomorphzurStrukturgarbe ist. Die von einer holomorphen Funktionauf einer zusammenhängenden riemannschen Fläche erzeugte Idealgarbe
ist trivial. Lokal ist nach der Definition jede invertierbare Garbe trivial, es geht also hauptsächlich um die Frage, ob es global nichttriviale invertierbare Garben gibt. Zu einer invertierbaren Garbe nennt man dieduale Garbe
auch die inverse Garbe.
Bemerkung
Auf einer riemannschen Fläche ist die Garbe derholomorphen Differentialformeninvertierbar.Dies beruht einfach darauf, dass nachLemma 15.5lokal auf einer offenen Kreisscheibe mit der Variablen die holomorphen Differentialformen die Form mit einer eindeutig bestimmten holomorphen Funktion besitzen. Daher gibt es lokal einen Isomorphismus.Die Garbe der holomorphen Differentialformen ist aber im Allgemeinen nicht trivial, in der Tat reflektieren ihre globalen Eigenschaften wichtige Informationen über selbst. Auf einer kompakten zusammenhängendenriemannschen Fläche ist nachSatz 3.7jede global definierte holomorphe Funktion konstant, es ist also
Dagegen ist die Vektorraumdimension von eine wichtige Invariante von , die(endlich ist und)das differentielle Geschlecht von heißt. NachBeispiel 20.2besitzt der kanonische Divisor auf der projektiven Geraden den Grad , daher ist nicht isomorph zur Strukturgarbe.
Definition
Es sei eineriemannsche Flächeund einDivisorauf . Dann nennt man die durch[1]
die zu zugehörige invertierbare Garbe.
Der Divisor ist dabei ein zu linear äquivalenter effektiver Divisor. Häufig betrachtet man auch als die zugehörige Garbe, beide Konventionen haben Vor- und Nachteile.
Beispiel
Zum Nulldivisor auf einerriemannschen Fläche ist die zugehörigeinvertierbare Garbeeinfach die Strukturgarbe . Dies beruht einfach darauf, dass die polstellenfreien meromorphen Funktionen genau die holomorphen Funktionen sind.
Lemma
Es sei eineriemannsche Fläche. Dann besitzt die Zuordnung, die einemDivisor die zugehörige invertierbare Garbe zuordnet, folgende Eigenschaften.
- Die Garbe ist in der Tat invertierbar.
- Für Divisoren istgenau dann, wenngilt.
- Für Divisoren istgenau dann, wenn(als Untergarben)ist.
- Es ist
- Es ist
- Für jede invertierbare Untergarbegibt es einen Divisor mit.
Beweis
- Aufgrund der lokalen Definition liegt eine Untergarbe von kommutativen Gruppen der Modulgarbe der meromorphen Funktionen vor. Zu einer holomorphen Funktionundgehört wegen
auch zu . Also liegt eine Modulgarbe vor. Zu dem Divisor gibt es zu jedem Punkteine zusammenhängendeoffene Umgebungund eine meromorphe Funktion auf , deren Hauptdivisor gleich ist. Die Konstruktion der zugehörigen Garbe ist lokal, die Invertierbarkeit können wir also auf nachweisen. Es ist also
Dabei besitzt die meromorphe Funktion auf einen Divisor, der überall nichtnegativ ist und daher ist auf nachLemma 19.7holomorph. Also ist
ein Isomorphismus.
- Die Hinrichtung ist trivial. Für die Rückrichtung wissen wir für jede offene Menge und jede meromorphe Funktion auf , dass
auf genau dann gilt, wenn
gilt. Wenn sich und in einem Punkt unterscheiden, so kann man ein Kartengebiet um wählen, dass außer keinen weiteren Trägerpunkt von oder von enthält. Dann gibt es aber eine meromorphe Funktion, deren Ordnung an mit der von übereinstimmt aber nicht mit der von .
- Dies folgt aus (2).
- Dies beruht darauf, dass das Tensorprodukt von invertierbaren Garben, die als Untergarben der Garbe der meromorphen Funktionen vorliegen, lokal durch das Produkt der Erzeuger gegeben ist.
- Wenn lokal auf durch die meromorphe Funktion erzeugt wird, so wird die duale Garbe lokal durch erzeugt.
- Siehe Aufgabe 20.17.
Wir haben also einen Gruppenisomorphismus zwischen der Divisorengruppe und der Gruppe der invertierbaren Untergarben der Garbe der meromorphen Funktionen. Man kann ferner zeigen, dass überhaupt jede invertierbare Garbe auf einer riemannschen Fläche sich als Untergarbe der Garbe der meromorphen Funktionen realisieren lässt. Auch die lineare Äquivalenz von Divisoren, die ja die Grundlage zur Einführung der Divisorenklassengruppe ist, spiegelt sich auf der Seite der invertierbaren Untergarben wieder.
Satz
Es sei eineriemannsche Fläche.
Divisoren sind genau dannlinear äquivalent,wenn die zugehörigeninvertierbaren Garben und isomorphsind.
Beweis
Die Divisoren seien zuerst linear äquivalent. Es sei also
mit einer meromorphen Funktion.Wir behaupten, dass durch die Multiplikation mit , also
ein Isomorphismus von invertierbaren Garben gegeben ist. Die Abbildung ist auf jeder offenen Mengedurch
gegeben. Sie ist wohldefiniert, mit Restriktionen verträglich, erhält die Modulstruktur und ist ein Isomorphismus, wobei die Umkehrabbildung durch die Multiplikation mit gegeben ist.
Wenn die beiden Garben und isomorph sind, so kann man durch Tensorierung mit unter Verwendung vonLemma 20.16 (4,5)auf die Situation reduzieren, wo isomorph zur Strukturgarbe ist. Es ist dann zu zeigen, dass ein Hauptdivisor ist. Der Isomorphismus ist durch eine Abbildung
gegeben. Wir behaupten.Wegenist
Wenn in einem Punkt die Ordnung links echt größer als die Ordnung rechts wäre, so wäre die Abbildung in diesem Halm kein Isomorphismus.
Definition
Zu einem Divisor auf einerriemannschen Fläche nennt man denGradvon auch den Gradvon .
Mit dieser Festlegung haben invertierbare Garben auf einer kompakten reimannschen Fläche mit nichttrivialen globalen Schnitten einen positiven Grad.
- Fußnoten
- ↑ Hier ist der Divisor zur Nullfunktion bzw. zu einer Funktion, die auf einer Zusammenhangskomponente gleich ist, in den Punkten der Komponente als zu interpretieren, so dass die Bedingung erfüllt ist.
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