Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 2



Lokale Beschreibung von holomorphen Funktionen



Satz  

Es seieinezusammenhängendeoffene Teilmenge,ein Punkt und eine nichtkonstanteholomorphe Funktion.

Dann gibt es eine offene Umgebungderart, dass die Einschränkung von auf biholomorph äquivalent zu einer Potenzabbildung ist.

Das bedeutet, dass es einund biholomorphe Abbildungen

miteine offene Kreisscheibe um und eine Verschiebung

derart gibt, dass

auf gilt(wobei die Variable auf bezeichnet).

Beweis  

Wir wählen für eine Kreisscheibenumgebung von , auf der durch eine Potenzreihedargestellt wird. Die Potenzreihe sei mitund.Durch eine Verschiebung im Ausgangsbereich und im Bildbereich können wirundannehmen. Die Potenzreihe kann man also als

mitschreiben. NachSatz 1.13gibt es eine holomorphe Funktion mitund damit ist auch.Die Abbildung besitzt die Ableitung und hat in den Wert.Daher ist nachKorollar 1.11in einer geeigneten offenen Umgebung von biholomorph zu einer offenen Kreisscheibe . Mit der Variablen auf ist dann


Man kann also sagen, dass nach einem biholomorphen Koordinatenwechsel lokal jede holomorphe Abbildung eine Potenzierung ist. Diese lokale Beschreibung der Funktion nennen wir ihre lokale Normalform, und das nennen wir den lokalen Exponenten der Funktion im Punkt . Man spricht, je nach Kontext, auch vom Verzweigungsindex oder von der Ordnung. Wenn die Ableitungist, so kann man den Satz über die lokale Umkehrabbildung anwenden und in einem solchen Punkt ist,dies ist der Standardfall. Nur für die Punkte einer diskreten Teilmenge kann sein, sieheAufgabe 2.5.



Satz  

Es seieine nichtkonstanteholomorphe Funktionauf einerzusammenhängendenoffenen Teilmenge.

Dann ist offen.

Beweis  

Der Zusammenhang stellt in Verbindung mitSatz 1.3sicher, dass die Funktion nirgendwo konstant ist. Es seieine offene Teilmenge undein Punkt. Aufgrund vonSatz 2.1gibt es eine offene Umgebung,auf der die Abbildung biholomorph äquivalent zu einer Potenzabbildung ist. Das Bild einer Kreisscheibe unter ist aber

und somit selbst eine offene Kreisscheibe. Daher ist offen in . Die Vereinigung solcher offener Mengen zeigt, dass das Bild von offen ist.



Satz  

Es seienoffenund seieinebijektiveholomorphe Funktion.

Dann ist auch dieUmkehrfunktionholomorph.

Beweis  

Aufgrund der Bijektivität ist die Funktion nirgendwo konstant, wir können alsoSatz 2.1anwenden. Da die Funktionen beiin keiner offenen Umgebung des Nullpunktes injektiv sind, muss stetssein. Damit ist nachFakt *****in jedem Punktund somit ist nachKorollar 1.11die Umkehrfunktion ebenfalls holomorph.




Riemannsche Flächen

Definition  

Eintopologischer Hausdorff-Raum zusammen mit eineroffenen ÜberdeckungundHomöomorphismen

mitderart, dass dieÜbergangsabbildungen

Diffeomorphismensind, heißtkomplexe Mannigfaltigkeitder Dimension . Die Menge der Karten , ,nennt man auch denAtlasder Mannigfaltigkeit.

Die Abbildungen nennt man die Karten der Mannigfaltigkeit und heißt auch das Kartengebiet und das Kartenbild. Die passende Vorstellung ist, dass die Mannigfaltigkeit die (komplizierte, gekrümmte)„Wirklichkeit“ ist, die man ausschnittsweise mit der Hilfe von flachen Karten erfassen kann. Einen Homöomorphismus

mitundoffen nennt man eine(zu dem gegebenen Atlas)kompatible Karte, wenn für jedes Kartengebiet

komplex-differenzierbar ist. Die Hinzunahme von kompatiblen Karten ändert die Mannigfaltigkeit nur unwesentlich, allerdings brauchen wir den Holomorphiebegriff für komplexe Mannigfaltigkeiten, um dies präzise zu machen.

Lokal sieht also eine komplexe Mannigfaltigkeit wie eine offene Teilmenge im aus. Eine komplexe Mannigfaltigkeit ist insbesondere einereelle Mannigfaltigkeitder reellen Dimension . Hiervon gilt nicht die Umkehrung, da entscheidend bei einer komplexen Mannigfaltigkeit ist, dass die Übergangsabbildungen komplex-differenzierbar ist. Dies ist eine deutlich stärkere Forderung, als dass die Übergangsabbildungen reell-differenzierbar sind.


Definition  

Eineriemannsche Fläche ist einekomplexe Mannigfaltigkeitder(komplexen)Dimension .

Eine riemannsche Fläche hat die komplexe Dimension und die reelle Dimension , deshalb spricht man von Flächen. Es handelt sich somit um zweidimensionale Gebilde, bei denen zusätzlich eine komplexe Struktur vorliegt und fixiert ist. Jede offene Teilmenge von , und insbesondere selbst und ein offener Ball ist eine riemannsche Fläche. Es sei schon jetzt erwähnt, dass und als topologische Räume und als reelle Mannigfaltigkeiten homöomorph bzw. diffeomorph sind, aber nicht als riemannsche Flächen isomorph(das nennt man dann biholomorph)sind. Die komplexe Struktur ist also eine neue entscheidende Struktur. Andererseits ist jeder offene Ball zur Standardkreisscheibe biholomorph, da man das eine durch verschieben und strecken ineinander überführen kann.

Wenn eine Karte mit dem Kartenbildgegeben ist und die Variable auf ist, so nennt man auch einen lokalen Parameter für , insbesondere dann, wenn man sich auf einen Punktbezieht, für den den Wert besitzt.

Die komplexe Struktur verkompliziert einerseits die topologische bzw. reelle Situation, indem topologisch äquivalente Sachen verschiedene komplexe Strukturen haben können, andererseits vereinfacht sie aber auch die Situation, da man beispielsweise die Übergangsabbildungen und die relevanten Funktionen mit nur einer komplexen Variablen beschreiben kann und da die komplexe Differenzierbarkeit bereits die Analytizität, also die lokale Entwickelbarkeit in einer Potenzreihe, bedeutet. In der Welt der riemannschen Flächen gibt es eine viele engere Beziehung zwischen dem lokalen und dem globalen Verhalten von Funktionen.


Beispiel  

Auf der reell zweidimensionalen Sphäreerhält man über die stereographischen Projektionen( und steht für Nordpol und Südpol)

und

die Übergangsabbildung

die komplex differenzierbarist und reell durch gegeben ist(bei den inBeispiel 75.1 (Analysis (Osnabrück 2014-2016))beschriebenen Projektionen muss man einmal komplex konjugieren, damit alles passt).Dadurch ist auf der Kugeloberfläche die Struktur einer eindimensionalen komplexen Mannigfaltigkeitgegeben. Diese heißt die komplex-projektive Gerade oder auch die riemannsche Zahlenkugel. Die Überdeckung mit den beiden zu biholomorphen offenen Mengen nennt man auch die affine Standardüberdeckung, siehe auchSatz 5.6.Wenn man eine dieser offenen Mengen fixiert hat, so nennt man den einzigen fehlenden Punkt auch den unendlich fernen Punkt. In der anderen offenen Menge ist dieser der Nullpunkt.


Oft fixiert man eine komplexe Ebene und bezeichnet dann den einzigen Punkt, der bei der Einbettunghinzukommt, als unendlich fernen Punkt .

Eine wichtige Quelle für komplexe Mannigfaltigkeiten eröffnet sich durch den Satz über implizite Abbildungen.


Satz

Es sei offenund sei

einestetig differenzierbare Abbildung.Es sei dieFaserüber einem Punkt. Dastotale Differential seisurjektivfür jeden Punkt.

Dann ist einekomplexe Mannigfaltigkeitder Dimension.

Dabei ergibt sich eine riemannsche Fläche, wenn die Differenz der Dimensionen gleich ist. Wir erwähnen speziell die folgende Situation.


Korollar  

Es seiein Polynom ohne mehrfache Nullstelle.

Dann isteine riemannsche Fläche.

Beweis  

Es ist die Nullstellenmenge der polynomialen Abbildung

Die Jacobi-Matrixvon ist . Sei.Beiistund damit ist.Die Jacobi-Matrix ist also auf ganz regulärund damit zeigtder Satz über implizite Abbildungen,dass eine komplexe Mannigfaltigkeit ist.


Durch die Projektion auf die erste Komponente liegt eine fixierte Abbildung, ,vor. Diese ist surjektiv und besitzt über den Nullstellen von ein Urbild und sonst überall zwei Urbilder. Man spricht von der Wurzelfläche zu und sagt, dass diese „ausgebreitet“ über vorliegt. Solche mit einer festen Projektion auf versehenen riemannschen Flächen nennt man auch konkrete riemannsche Flächen, während man dann die durch einen Atlas gegebenen Flächen abstrakte riemannsche Flächen nennt. Diesen Unterschied sollte man aber nicht überbewerten. Wir werden uns inLemma 14.13mit der Frage beschäftigen, inwiefern man eine solche Wurzelfläche zu einer riemannschen Fläche über die projektive Gerade fortsetzen kann.


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