Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 18
- Meromorphe Funktionen
Definition
Es sei eineriemannsche Fläche.Eine meromorphe Funktion auf ist gegeben durch einediskrete Mengeund eine holomorphe Funktion
derart, dass für jedes der Limes in existiert oder gleich ist.
Dabei werden meromorphe Funktionen als gleich angesehen, wenn sie als holomorphe Funktionen auf dem offenen Komplement einer diskreten Teilmenge übereinstimmen. Wenn der Limes gleich ist, was bedeutet, dass für auch gilt, so sagt man, dass ein Pol in vorliegt. Wenn der Limes in einem Punkt existiert(also in ),so kann man nachdem Riemannschen Hebbarkeitssatzdie Funktion in diesem Punkt holomorph fortsetzen. Man kann daher jede meromorphe Funktion durch eine holomorphe Funktion auf einer größtmöglichen offenen Menge repräsentieren, nämlich auf dem Komplement der Polstellen. Insbesondere ist eine meromorphe Funktion genau dann eine holomorphe Funktion, wenn sie keine Polstellen besitzt, wenn alsogewählt werden kann.
Eine meromorphe Funktion besitzt in jedem Punkt mit einem lokalen Parameter eine Laurent-Entwicklung, also auf dem Kartenbild eine Darstellung
mit und(bei).Beiist die Funktion in holomorph und beiliegt ein Pol vor, wobei die Polstellenordnung heißt(generell heißt die Nullstellenordnung im Punkt).
Lemma
Es sei eineriemannsche Fläche.es seieinediskrete Teilmengeundeineholomorphe Funktion. Dann sind folgende Eigenschaften äquivalent.
- ist eine meromorphe Funktion.
- Für jedes Kartengebiet ist die holomorphe Funktion meromorph.
- Es gibt eine offene Überdeckungmit Kartengebieten derart, dass die holomorphen Funktionen meromorph sind.
Beweis
Meromorphe Funktionen und auf einer riemannschen Fläche kann man in natürlicher Weise addieren und multiplizieren. Dazu fasst man die jeweiligen diskreten Ausnahmemengen und zu einer diskreten Mengezusammen und addiert bzw. multipliziert die holomorphen Funktionen auf . Die Summe bzw. das Produkt besitzt in den Punkten aus entweder einen Limes oder aber einen Pol.
Satz
Es sei einezusammenhängenderiemannsche Fläche.
Dann ist die Menge dermeromorphen Funktionenauf mit den natürlichen Verknüpfungen ein Körper.
Beweis
Es ist klar, dass ein kommutativer Ringvorliegt. Es sei eine meromorphe Funktion auf , die auf holomorph sei. NachSatz 3.5ist die Nullstellenmenge von innerhalb von diskret. Somit ist auf nachLemma 3.4holomorph und aus den Nullstellen von werden Polstellen und umgekehrt.
Wir bezeichnen diesen Körper mit .
Lemma
Es sei eineriemannsche Flächeund seieine offene Teilmenge.
- Die Einschränkung einer meromorphen Funktion von auf ist meromorph.
- Die Zuordnung ist eineGarbe von kommutativen Ringenauf .
- Wenn und zusammenhängendsind, so liegt eineKörpererweiterung
vor.
Beweis
Die Garbe der meromorphen Funktionen auf wird mit oder mit bezeichnet. Es liegt die Untergarbenbeziehung
vor. Schon das Beispiel
mitzeigt, dass die Restriktionsabbildung für die meromorphen Funktionen im Allgemeinen nicht surjektiv ist, da es zu jedem Radius holomorphe Funktionen mit diesem Konvergenzradius gibt, die nicht über den Rand hinaus fortsetzbar sind.
Beispiel
Wir betrachten
Jedes nichtkonstante Polynom (aufgefasst als holomorphe Funktion auf )besitzt die Eigenschaft, dass der Limes bestimmt gegen unendlich divergiert(siehe den Beweis zuLemma 36.13 (Analysis (Osnabrück 2021-2023))).Somit ist jedes Polynom eine meromorphe Funktionauf der projektiven Geraden. Es folgt, dass überhaupt jederationale Funktion eine meromorphe Funktion auf der projektiven Geraden definiert. D.h. der Körper der rationalen Funktionen ist im Körper der meromorphen Funktionen auf der projektiven Geraden enthalten. InSatz 19.19werden wir sehen, dass hier sogar Gleichheit gilt. Es ist andererseits einfach, meromorphe und auch holomorphe Funktionen auf anzugeben, die auf der projektiven Geraden nicht meromorph sind. Beispielsweise definieren die komplexe Exponentialfunktion oder die komplexe Sinusfunktion keine meromorphe Funktion auf , da diese Funktionen für kein einheitliches Limesverhalten haben(also weder gegen eine feste Zahl noch gegen unendlich gehen).
Wir werden inSatz 26.9sehen, dass auf der projektiven Geraden jede meromorphe Funktion rational ist. Generell besitzt auf einer kompakten zusammenhängenden riemannschen Fläche der Körper der meromorphen Funktionen eine algebraische Beschreibung, was für nichtkompakte riemannsche Flächen keineswegs gilt.
- Holomorphe Abbildungen nach
Satz
Es sei eine zusammenhängenderiemannsche Fläche.
Dann gibt es eine natürliche Korrespondenz zwischen meromorphen Funktionenauf undholomorphen Abbildungenvon nach , die nicht konstant gleich sind.
Einer meromorphen Funktion wird dabei die Abbildung zugeordnet, die auf dem polstellenfreien Ort die holomorphe Funktion
ist und die die Polstellen von auf abbildet.
Beweis
Es liegt unmittelbar die holomorphe Funktion
vor. Das die beschriebene Fortsetzung nach ebenfalls holomorph ist, kann man für jeden einzelnen Punkt , an dem ein Pol vorliegt, nachweisen. Es habe also einen Pol in und seieine offene Kreisscheibenumgebung, auf der keine Nullstelle und keinen weiteren Pol besitze. Es besitzt dann auf (bzw. dem zugehörigen Kartenbild)eine Laurent-Entwicklung mitund.Wir schreiben
Es ist holomorph ohne Nullstelle und daher ist
holomorph(auf einer eventuell kleineren Umgebung).Die zusammengesetzte Abbildung
ist . Diese lässt sich durch holomorph fortsetzen. Da sich die projektive Gerade aus den beiden mit der Identifizierungauf zusammenklebt, liegt eine wohldefinierte Abbildung in die projektive Gerade vor.
Zu einer meromorphen Funktion auf einer zusammenhängenden riemannschen Fläche versteht man unter der Gesamtnullstellenordnung einfach die Gesamtnullstellenordnungder zugehörigen holomorphen Funktion (auf dem maximalen Definitionsbereich),also die Summe , falls diese endlich ist. Hierbei werden die Nullstellen von zusammen mit ihren jeweiligen Ordnungen gezählt, die man aus der Potenzreihenentwicklung ablesen kann. Die Gesamtpolstellenordnung von ist entsprechend die Summe , wenn die Startordnung der Laurent-Entwicklung von in bezeichnet. Diese Gesamtpolstellenordnung kann man wiederum alsGesamtordnungüber der zugehörigen holomorphen Abbildung nach auffassen, sieheAufgabe 18.11.
Korollar
Es sei eine nichtkonstantemeromorphe Funktionauf der zusammenhängendenkompaktenriemannschen Fläche.
Dann stimmt die Gesamtnullstellenordnung von mit der Gesamtpolstellenordnung von überein.
Beweis
Dies folgt unter Verwendung vonSatz 18.6undAufgabe 18.11ausKorollar 9.9.
- Hauptteile
Es sei eine riemannsche Fläche.Für jede offene Teilmengeliegt die Beziehung
vor, da ja jedeholomorphe Funktioninsbesondere einemeromorphe Funktionist. Wir haben also eine Untergarbenbeziehung und wollen dieQuotientengarbedazu bestimmen. Zur Formulierung verwenden wir die folgenden Begriffe.
Definition
Es sei eineriemannsche Fläche,eine offene Teilmenge und.Zu einermeromorphen Funktionauf mit derLaurent-Entwicklung in nennt man denHauptteil der Funktion in .
Der Hauptteil ist ein Element des Restklassenmoduls . Diese Sichtweise ist wichtiger als die übersichtliche Darstellung mit einem lokalen Parameter. Der Hauptteil einer holomorphen Funktion ist , der Hauptteil ist also relevant für das Polstellenverhalten einer meromorphen Funktion und ist dafür ein gewisses Maß. Jeder Hauptteil wird durch eine besonders einfache meromorphe Funktion repräsentiert, nämlich ein Polynom in ohne konstanten Term. Die Potenzen, ,bilden eine-Basisdes Vektorraumes aller Hauptteile. Unendliche Summen dieser Potenzen sind keine Hauptteile.
Definition
Es sei eineriemannsche Flächeund einemeromorphe Funktionauf . Dann nennt man die Abbildung, die jedem PunktdenHauptteilzu in zuordnet, dieHauptteilverteilung zu .
Für einen Punkt ist der Hauptteil einer meromorphen Funktion in diesem Punkt genau dann , wenn in diesem Punkt keinen Pol besitzt. Da die Polstellen einer meromorphen Funktion diskret sind, ist die Hauptteilverteilung einer meromorphen Funktion eine Hauptteilverteilung im Sinne der folgenden Definition.
Definition
Es sei eine riemannsche Fläche.Unter einerHauptteilverteilung auf versteht man eine diskrete Teilmengezusammen mit einemHauptteil für jeden Punkt.Die Menge der Hauptteilverteilungen auf wird mit bezeichnet.
Der Hauptteil wird dabei durch eine in einer offenen Umgebung von definierten meromorphen Funktion oder durch mit einem lokalen Parameter um repräsentiert. Man kann eine Hauptteilverteilung auch so auffassen, dass überhaupt jedem Punkt ein Hauptteil zugeordnet wird, wobei aber außerhalb einer diskreten Menge die Hauptteile gleich sind. Die Punkte, in denen eine Hauptteilverteilung ist, nennt man auch den Träger der Hauptteilverteilung. Statt von einer Hauptteilverteilung spricht man auch von einer Mittag-Leffler-Verteilung.
Wenn man einer jeden offenen Menge die Menge aller möglichen Hauptteilverteilungen auf zuordnet, so erhält man eine Garbe von kommutativen Gruppen auf , sieheAufgabe 18.14.Diese Garbe bezeichnen wir mit . Bei der Restriktionsabbildung werden punktweise die Hauptteile übernommen bzw. weggelassen, wenn der Punkt nicht zur kleineren offenen Menge gehört.
Beispiel
Wir betrachten dierationale Funktionalsmeromorphe Funktionauf der projektiven Geraden und wollen ihreHauptteilverteilungbestimmen. Außer in den Punkten hat die Hauptteilverteilung den Wert .
Sei.Wir schreiben die Funktion mit dem lokalen Parameterals
wobei der rechte Faktor holomorph in diesem Punkt ist. Insbesondere ist die Polstellenordnung gleich und es kommt nur noch auf den skalaren Faktor an, der sich durch Einsetzenzu berechnet. Der Hauptteil in diesem Punkt ist also .
Sei.Wir schreiben die Funktion mit dem lokalen Parameterals
wobei der rechte Faktor holomorph in diesem Punkt ist. Insbesondere ist die Polstellenordnung gleich und wir müssen den rechten Faktor als Potenzreihe bis zur Ordnung entwickeln. Dabei ergibt sich
und somit ist der Hauptteil in diesem Punkt gleich .
Im unendlich fernen Punkt muss man mitarbeiten, die Funktion besitzt dort die Beschreibung
Dies ist holomorph fürund daher ist der Hauptteil in diesem Punkt gleich .
Lemma
Auf einerriemannschen Fläche
liegt einekurze exakte SequenzvonGarben von kommutativen Gruppen
vor, wobei die Strukturgarbeder holomorphen Funktionen, die Garbe dermeromorphen Funktionenund die Garbe der Hauptteilverteilungenbezeichnet.
Beweis
Bei der Abbildung rechts wird natürlich einer meromorphen Funktion aufihre Hauptteilverteilung zugeordnet. Dabei gehen holomorphe Funktionen auf . Es ist also lediglich zu zeigen, dass die Quotientengarbe unter dieser induzierten Zuordnung zur Garbe der Hauptteilverteilungen isomorph ist. Eine meromorphe Funktion, deren Hauptteilverteilung ist, besitzt keinen Pol und ist daher holomorph, was die Injektivität sichert. Die Surjektivität (im Garbensinn)kann man punktweise testen und beruht darauf, dass jeder Hauptteil in einem Punkt in einer geeigneten Kreisscheibe durch eine meromorphe Funktion auf der Kreisscheibe repräsentiert wird.
Es sei betont, dass nicht jede globale Hauptteilverteilung von einer meromorphen Funktion herrührt. In der Tat ist die Frage, welche Hauptteilverteilungen von einer meromorphen Funktion herrühren und welche nicht, ein wichtiges Motiv zur Einführung der Kohomologie.
- Meromorphe Differentialformen
Definition
Es sei eineriemannsche Fläche.Einemeromorphe Differentialform auf wird gegeben durch eineholomorphe Differentialformauf , wobeieinediskrete Teilmengebezeichnet, mit der Eigenschaft, dass für jeden Punktlokal die Differentialform von der Form mit einer meromorphen Funktion und mit einem lokalen Parameter in ist.
Die meromorphen Differentialformen bilden eineGarbeauf , die wir mit bezeichnen.
Bemerkung
Die Ableitung, lässt sich fortsetzen zur Ableitung
Hierbei wird lokal der meromorphen Funktion die meromorphe Differentialform zugeordnet. Diese Ableitung ist wieder -linear und ein Garbenhomomorphismus, aber kein Modulhomomorphismus. Zu einer globalen meromorphen Differentialform (für die Existenz vergleicheSatz 26.2)erhält man einen Garbenhomomorphismus
Da lokal ein Isomorphismus vorliegt, handelt es sich um einen Isomorphismus. Es liegt also eine nichtkanonische Isomorphie vor. Insbesondere kann man bei einer gegebenen meromorphen Formjede weitere meromorphe Form als
mit einer eindeutig bestimmten meromorphen Funktion schreiben. Für nichtkonstante meromorphe Funktionen gibt es insbesondere eine Beziehung
mit einer meromorphen Funktion . Nicht jede meromorphe Differentialform kann man als mit einer meromorphen Funktion schreiben, sieheAufgabe 18.17.
Holomorphe Differentialformen sind insbesondere meromorphe Differentialformen, wir haben also die Untergarbenbeziehung.Dies erlaubt neben der Einbettung von holomorphen Differentialformen in reell-differenzierbare -Formen eine weitere Auflösungsmöglichkeit für die holomorphen Differentialformen. In einem Punktgilt
der Quotientenmodul ist also in einem Punkt isomorph zum Hauptteilmodul in diesem Punkt. Um mit natürlichen Abbildungen zu arbeiten und falsche Identifizierungen zu vermeiden sollte man in diesem Kontext die Hauptteilverteilungen stets punktweise durch mit einer meromorphen Differentialform aus repräsentieren oder in der Form mit einem lokalen Parameter in . Die zugehörige Garbe bezeichnen wir mit, sie ist isomorph zur Garbe der Hauptteilverteilungen.
Beispiel
Auf der projektiven Geraden ist eine globalemeromorphe Differentialform.Es seidie Standardüberdeckung. Auf ist die Form holomorph, im Nullpunkt hat sie einen Pol der Ordnung . Auf mit dem lokalen Parameter ist
im unendlich fernen Punkt liegt also auch ein Pol der Ordnung vor. Diese Form definiert im Sinne von Lemma 18.15die Differentialform-Hauptteilverteilung mit dem Träger und den Werten in und in . Diese Verteilung rührt wie gezeigt von einer globalen meromorphen Form her. Dagegen rührt die Verteilung, die allein im Punkt den Wert besitzt, nicht von einer globalen meromorphen Form her(dies folgt auch sofort ausSatz 17.13).Eine solche müsste nämlich auf eine holomorphe Differentialform sein, also von der Form mit einer holomorphen ganzen Funktion auf,sagen wir
Doch eine solche Form hat, wie die Transformation mitzeigt, ineinen Pol der Ordnung . Die Verteilung wiederum, die allein im Punkt den Wert besitzt, rührt von ebendieser meromorphen Form her, da
eine holomorph Differentialform ist.
Definition
Zu einermeromorphen Differentialform auf einerriemannschen Fläche und einem Punktmit einer lokalen Beschreibung(wobei ein lokaler Parameterund einemeromorphe Funktionist)nennt man dasResiduumvon in dasResiduum der Differentialform in . Es wird mit bezeichnet.
Eine holomorphe Differentialform nennt man auch(meromorphe)Differentialform erster Gattung. Darüber hinaus gibt es die folgenden Sprechweisen.
Definition
Einemeromorphe Differentialform auf einerriemannschen Fläche heißtDifferentialform zweiter Gattung, wenn alle ihre Residuen für gleich sind.
Definition
Einemeromorphe Differentialform auf einerriemannschen Fläche heißtDifferentialform dritter Gattung, wenn sie höchstens Pole der Ordnung besitzt.
<< | Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022) | >> |
---|