Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 13



Analytische Fortsetzung

Definition  

Es sei eine Garbeauf einemtopologischen Raum. Es seienPunkte. Man sagt, dass die Keimeundmiteinanderverbunden sind, wenn es eine zusammenhängendeoffene Teilmengeund einen Schnittmitundgibt.

Beiist ein Keim nur mit sich selbst verbunden. Ohne die Voraussetzung zusammenhängend wären in einem Hausdorffraum je zwei Keime zu verschiedenen Punkten miteinander verbunden. Zu einem fixierten Keimund einem weiteren Punktkann man sich fragen, ob mit einem Keim aus verbunden ist und, wenn ja, mit wie vielen. Im Folgenden interessieren uns für diese Fragen im Fall, wenn die Garbe der holomorphen Funktionen auf einer riemannschen Fläche ist. Die Verbundenheit ist keine Äquivalenzrelation auf der Menge aller Keime, da man Schnitte auf offenen Mengen im Allgemeinen nicht auf die Vereinigung fortsetzen kann. Um dies zu erreichen, muss man Verbundenheiten aneinander legen.


Definition  

Es sei eine Garbeauf einemtopologischen Raum. Es seienPunkte. Man sagt, dass die Keimeundmiteinanderschrittweise verbunden sind, wenn es eine Punktkette und Keimederart gibt, dass und fürmiteinanderverbundensind.

Auf einer Mannigfaltigkeit ist zusammenhängend das Gleiche wiewegzusammenhängend.Oft formuliert man daher die Fragen nach Verbundenheit und schrittweiser Verbundenheit entlang eines fixierten stetigen Weges, der und verbindet.


Definition  

Es sei eine Garbeauf einemtopologischen Raum. Es seienPunkte und

einstetiger Wegmitund.Man sagt, dass die Keimeundlängs miteinanderverbunden sind, wenn es eine offene Teilmenge mitund einen Schnittmitundgibt.


Definition  

Es sei eine Garbeauf einemtopologischen Raum. Es seienPunkte und

einstetiger Wegmitund.Man sagt, dass die Keimeundlängs miteinanderschrittweise verbunden sind, wenn es Punkteund Keimederart gibt, dass,und und miteinander längs verbundensind.

Bei der schrittweisen Verbundenheit gibt es zusammenhängende offene Mengen, ,mitund Schnitte,die auf die Keime an den Endpunkten einschränken. Da die und in den Übergangspunkten den gleichen Keim definieren, sind sie auf einer offenen Umgebung des Übergangspunktes überhaupt gleich. Das heißt aber nicht, dass sie überhaupt zu einem Schnitt über fortgesetzt werden können, da es ja auch einen nichtleeren Durchschnitt jenseits des Übergangspunktes geben kann, wie wenn ein voller Kreisbogen ist, den man in den oberen und den unteren Bogen aufteilt. Insbesondere ist die Verbundenheit beitrivial, die schrittweise Verbundenheit aber nicht. Im holomorphen Kontext wird diese schrittweise Verbundenheit verwendet, um holomorphe Funktionskeime miteinander in Beziehung zu setzen.


Definition  

Es sei eineriemannsche Flächeund seiein stetiger Wegmitund.Man sagt, dass ein holomorpher Funktionskeimaus einem holomorphen Funktionskeimdurch analytische Fortsetzunglängs hervorgeht, wenn es Punkte,zusammenhängende offene Mengenmitundholomorphe Funktionenderart gibt, dass,und und in einer offenen Umgebung von übereinstimmen.


Eine wichtige Beobachtung ist, dass wenn man mit verschiedenen stetigen Wegen von nach gelangt und wenn entlang beider Wege eine analytische Fortsetzung eines Keimes in möglich ist, das man dann keineswegs im gleichen Keim landen muss. Das folgende Beispiel ist typisch.


Beispiel  

Wir betrachten dieriemannsche Flächeund den geschlossenen Weg

mit Anfangs- und Endpunkt . Zu jedem Punktbesitzt die Quadratüberlagerung(siehe Beispiel 6.2)

in einer lokalen offenen Umgebung von zwei Schnitte. Diese sind durch Potenzreihen mit Entwicklungspunkt der Form

gegeben, wobei

undgilt. Wenn man mit dieser letzten Bedingung fixiert, wird dadurch die gesamte Potenzreihe festgelegt. Die andere erhält man durch Negation. Wir behaupten, dass im Punkt die beiden Potenzreihen der Wurzel durchanalytische Fortsetzunglängs auseinander hervorgehen. Dies folgt daraus, dass zu jedem Punkt auf dem Einheitskreis durch den Funktionswert bereits die gesamte Potenzreihe der Quadratwurzel festgelegt ist. Wenn man in mit startet, so legt dies die Potenzreihe im Entwicklungspunkt mit einem gewissen Konvergenzradius(nämlich )fest. Auf den Punkten auf dem Einheitskreis innerhalb des Konvergenzradius wird dadurch der Wert festgelegt, nämlich durch die Halbierung des Winkels. Dieser Wert legt wiederum in diesen Punkten die Potenzreihen fest. So erhält man in den Punkten zueinander passende Potenzreihen, deren Werte auf dem Einheitskreis durch die Halbierung des Winkels gegeben sind. Daher erhält man nach einer Volldrehung die Potenzreihe der Wurzel um mit dem Wert .


Aufgrund dieses Phänomens, dass verschiedene Wege zu verschiedenen Fortsetzungen führen, sagt man manchmal, dass die komplexe Quadratwurzel(und viele andere Funktionen)eine mehrdeutige Funktion ist. Sie ist aber auf oder auf definitiv keine Funktion, sie kann nur auf gewissen offenen Teilmengen eindeutig definiert werden, diese Funktionen(Zweige) passen aber nicht zusammen. Eine naheliegende Frage ist es, ob man die riemannsche Fläche durch eine andere Fläche ersetzen kann, auf der die verschiedenen, durch analytische Fortsetzung entstandenen Zweige eine globale holomorphe Funktion definieren. Dies wird positiv inLemma 13.14beantwortet.



Lemma  

Es sei eineriemannsche Flächeund seiein stetiger Wegmitund.Es seienundholomorphe Funktionskeime,wobei aus und aus durch analytische Fortsetzunglängs hervorgeht.

Dann geht auch aus und aus durch analytische Fortsetzung längs hervor.

Beweis  

Man kann zuerst zu einer gemeinsamen Verfeinerung der sukzessiven offenen Umgebungen übergehen. Beide Aussagen folgen, da man die Operationen auf den jeweiligen holomorphen Funktionen auf den ausführen kann.


Bemerkung  

Lemma 13.7ist nicht so zu verstehen, dass es zu einem gegebenen einen Ringisomorphismus

gibt, der die analytische Fortsetzung längs beschreibt. Das Problem ist, dass man im Allgemeinen einen holomorphen Funktionskeim nicht entlang eines Weges fortsetzen kann. Dies geht insbesondere nicht für Potenzreihen, die im Schnittpunkt des Weges mit dem Rand ihres Konvergenzbereiches gegen unendlich streben.




Lemma  

Es sei eineriemannsche Fläche,es seien holomorphe Funktionenauf und sei einholomorpher Funktionskeimim Punkt,der im Halm die algebraische Relation

erfülle.

Dann erfüllt jede analytische Fortsetzung von ebenfalls diese Relation.

Beweis  

Zu einem holomorphen Keim , der in einem Punkt definiert ist und aus durch holomorphe Fortsetzung hervorgeht, gibt es insbesondere eine Kette von offenen zusammenhängenden Teilmengen mit,mit Punktenund.Es sei der Keim zum Punkt bei der analytischen Fortsetzung.Wenn die algebraische Gleichung im Halm zu erfüllt, dann auch in einer offenen Umgebung von und damit nach Satz 3.5auch auf und auf . Deshalb folgt die Aussage durch Induktion.

Wir werden uns später mit der umgekehrten Frage beschäftigen, inwiefernholomorphe Funktionskeime in einem Punkt, die ein-und dieselbe algebraische Relation erfüllen, durch analytische Fortsetzung auseinander hervorgehen. Siehe insbesondereSatz 26.11.



Analytische Fortsetzung und der Ausbreitungsraum

Die analytische Fortsetzung lässt sich am besten mit dem Ausbreitungsraum zur Strukturgarbe verstehen.



Satz  

Es sei eineriemannsche Flächemit demAusbreitungsraumzur Strukturgarbe.Es sei

einstetiger Wegmit,und seienundholomorphe Keimein den Endpunkten.

Genau dann ist eineanalytische Fortsetzungvon längs , wenn es eineLiftung

zu mitals Endpunkte gibt.

Beweis  

Es gebe eine analytische Fortsetzung von nach . D.h. es gibt eine Intervallunterteilung

zusammenhängende offene Mengenmitundholomorphe Funktionenderart, dass,und und in einer offenen Umgebung von übereinstimmen. Die zugehörigen offenen Mengenbilden unter nachLemma 12.9homöomorph auf ab. Wir definieren die Liftung durch

In einer offenen Umgebung von (innerhalb von )stimmen und überein und daher stimmen darauf die stückweisen Liftungen überein.

Wenn umgekehrt eine Liftung existiert, so wird die kompakte Bildkurvedurch endlich viele offene Mengen der Form, ,mit

überdeckt. Diese Daten konstituieren eine analytische Fortsetzung.



Korollar  

Es sei eineriemannsche Flächemit demAusbreitungsraumzurStrukturgarbe.Es seienPunkte und seienundholomorphe Keime.

Genau dann ist eineanalytische Fortsetzungvon (bezüglich irgendeines stetigen Weges),wenn und der gleichenZusammenhangskomponentevon angehören.

Beweis  

Dies folgt direkt ausSatz 13.10und daraus, dass auf(wegenSatz 12.12)der Mannigfaltigkeit die Zusammenhangskomponentenwegzusammenhängendsind.



Lemma  

Es seien und zusammenhängenderiemannsche Flächenund seieine Überlagerung.Es sei eineholomorphe Funktionauf und es seien Punkte über bzw.

Dann entstehen die holomorphen Funktionskeimedie aus durch die induzierten Ringisomorphismen

gestiftet werden, wechselseitig durchanalytische Fortsetzung.

Beweis  

Es sei einstetiger Wegvonnach.Der Bildwegverbindet dann und und längs dieses Weges kann man in überführen. Dazu wählt man eine Überdeckung von mit offenen Mengen, die unter homöomorph auf offene Mengen von abgebildet werden, wozu eine endliche Teilüberdeckung gehört.



Korollar  

Es seien und zusammenhängenderiemannsche Flächenund seieine Überlagerung.Es sei eineholomorphe Funktionauf und es seien Punkte über .

Dann entstehen die holomorphen Funktionskeimedie aus durch die induzierten Isomorphismen

gestiftet werden, wechselseitig durchanalytische Fortsetzung.

Beweis  

Dies ist ein Spezialfall vonLemma 13.12.



Lemma  

Es sei eineriemannsche Fläche,und einholomorpher Funktionskeim. Dann besitzt diejenigeZusammenhangskomponente desAusbreitungsraumes zur Strukturgarbe,die den Punkt enthält, folgende Eigenschaften.

  1. Es gibt eine holomorphe Funktion,die den Keim (aufgefasst in )fortsetzt.
  2. Das Bild von

    besteht aus allen Punkten ,für die es eine analytische Fortsetzung von zu einem Keim in gibt.

Beweis  

  1. Dies ergibt sich durch Einschränkung der holomorphen Auswertungsabbildung ausSatz 12.12auf.
  2. Dies folgt ausSatz 13.10.



Beispiel  

Wir betrachten dieriemannsche Fläche

Zur komplexen Exponentialfunktion

gibt es lokal Umkehrfunktionen, die komplexe Logarithmen heißen. Die Existenz folgt ausdem Satz über die Umkehrabbildungoder aus der lokalen Existenz für Stammfunktionen zu . Auf einer offenen Teilmengeunterscheiden sich zwei Logarithmen um ein additives Vielfaches von . Im Punkt ist die Potenzreihe

die Taylorreihe eines Logarithmus mit Konvergenzradius . Diese Potenzreihe lässt sich auf einfach zusammenhängendes eindeutig fortsetzen, aber nicht auf . Die Fortsetzung auf nennt man auch den Hauptzweig des komplexen Logarithmus.

NachKorollar 13.13(mit)gehen die verschiedenen Logarithmen in einem Punkt auseinander durch analytische Fortsetzung hervor. Mit jeder Umdrehung des Nullpunktes erreicht man eine Verschiebung des Logarithmus um .



Beispiel  

Wir betrachten dieriemannsche Fläche,es wird also das reelle abgeschlossene Einheitsintervall aus den komplexen Zahlen herausgenommen. Der Funktion kann man auf eine sinnvolle Bedeutung zuordnen. Es seifixiert. Man setzt

Dabei sind in den beiden Integralen die Integrationswege gleich zu wählen. Wenn man den Weg durch einen anderen Weg ersetzt, so ändern sich beide Wegintegrale um den gleichen Summanden, aber mit verschiedenem Vorzeichen, und die Summe bleibt gleich.



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