Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 10



Prägarben

Zu einer riemannschen Fläche und einer offenen Teilmenge bezeichnen wir die Menge der auf definiertenholomorphen Funktionenmit , dies ist eine im Allgemeinen ziemlich komplizierte(man denke an)-Algebra,wobei die komplexen Zahlen selbst als konstante holomorphe Funktionen zu interpretieren sind. InLemma 3.9haben wir wichtige Eigenschaften festgehalten, die das Verhalten dieser Algebren betreffen, wenn man die offenen Teilmengen variiert. Insbesondere ist zu offenen Teilmengendie Restriktionsabbildung

ein-Algebrahomomorphismus.Zu einem Punktkann man sich fragen, welche holomorphen Funktionen in einer offenen Umgebung von definiert sind. Da es Kartenumgebungen gibt und unter einer Kartenabbildung sich die holomorphen Funktionen auf dem Kartengebiet und die holomorphen Funktionen auf dem Kartenbild (typischerweie eine offene Kreisscheibe um )entsprechen, kann diese Frage nach übersetzt werden und ergibt für jeden Punkt den Ring der konvergenten Potenzreihen als Antwort. Hier wiederholt sich auf der Ebene der holomorphen Funktionen das Prinzip, dass riemannsche Flächen lokal „einfach“ (was hier lediglich heißt, dass sie mit Mitteln der Funktionentheorie behandelt werden können)und global kompliziert sind. Die beim Zusammenkleben von offenen Mengen und bei der Beziehung zwischen lokalen und globalen Fragen auftretenden Gesetzmäßigkeiten werden durch das abstrakte Konzept einer Garbe erfasst, sie gelten in sehr unterschiedlichen Bereichen der Mathematik, insbesondere in der Topologie, komplexen Analysis und algebraischen Geometrie.


Definition  

Es sei ein topologischer Raum.Unter einerPrägarbe auf versteht man eine Zuordnung, die jeder offenen Mengeeine Menge und zu je zwei offenen Mengeneine Abbildung

zuordnet, wobei diese Zuordnung die beiden folgenden Bedingungen erfüllen muss.

  1. Zuist
  2. Zu offenen Mengen

    ist stets

Die Abbildungen heißen dabei Restriktionsabbildungen. Die Mengen nennt man auch die Auswertung der Prägarbe an der offenen Menge . Statt schreib mat auch .

Grundbeispiele für Prägarben(und Garben)sind die folgenden Konstruktionen.


Beispiel  

Es seien und topologische Räume.Jeder offenen Teilmengekann man die Menge der auf definierten stetigen Abbildungennach zuordnen, also

Da man eine stetige Abbildungauf jedeoffene Teilmengeeinschränken kann und da man zudie Einschränkung von auf in einem Schritt oder in zwei Schritten machen kann, erhält man einePrägarbe.


Ein Spezialfall hiervon wird im folgenden Beispiel formuliert, in dem eine zusätzliche Struktur, nämlich ein beringter Raum vorliegt.


Beispiel  

Es sei eintopologischer Raum.Jeder offenen Teilmengekann man die Menge der auf definierten reellwertigen stetigen Funktionen zuordnen, also

Da man eine stetige Funktionauf jedeoffene Teilmengeeinschränken kann, erhält man einePrägarbe.


Ebenso kann man die stetigen -wertigen Funktionen oder auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit die differenzierbaren Funktionen oder auf einer komplexen Mannigfaltigkeit die holomorphen Funktionen betrachten.


Beispiel  

Auf einem topologischen Raum und zu einer fixierten Menge ist die Zuordnung, die jeder offenen Mengedie Menge und jeder Inklusion die Identität auf zuordnet, einePrägarbe,die die konstante Prägarbe heißt.


Dies ist die einzige Prägarbe, der wir begegnen, die keine Garbe ist.


Beispiel  

Es seien und topologische Räumeund es sei

eine fixierte stetige Abbildung.Diese Situation induziert für jede offene Teilmengeeine stetige Abbildung

Somit kann man zu die Menge der auf definierten stetigen Schnittezu zuordnen, also

Da man einen stetigen Schnitt auf jedeoffene Teilmengeeinschränken kann, wobei der Bildbereich entsprechend auf eingeschränkt wird, erhält man einePrägarbe.


Aufgrund dieses wichtigen Beispiels nennt man ein Elementauch einen Schnitt der Prägarbe über . Für die Einschränkung eines Schnittes auf eine kleinere offene Mengeschreibt man auch suggestiver


Beispiel  

Zu einerholomorphenÜberlagerungvonriemannschen Flächen und und eine zusammenhängendeoffene Menge,über der die Überlagerung trivialisiert mitund einem diskreten Raum, ist ein stetiger Schnitteinfach gegeben durch die Wahl eines Elementes,da unter diesen Bedingungen der Schnitt ganz in einer Kopie von in landet und daher die Umkehrabbildung zur durch induzierten Homöomorphie ist. Insbesondere stimmt die Prägarbe der stetigen Schnitte mit der Prägarbe der holomorphen Schnitte überein. Bei einer nichtidentischen Überlagerung von zusammenhängenden Flächen gibt es keinen globalen Schnitt.

Bei einer endlichenholomorphen Abbildungund einer offenen Umgebung eines Punktesdes Verzweigungsbildesund einer hinreichend kleinen offenen Umgebung gibt es Schnitte in diejenigen Scheibenumgebungen der Urbilder, auf denen keine Verzweigung stattfindet, aber nicht in die anderen.



Definition  

Zu einerPrägarbe auf einemtopologischen Raum heißt eine Prägarbe eineUnterprägarbe von , wennfür jede offene Teilmengeist.

Da holomorphe Funktionen auf einer riemannschen Fläche insbesondere stetig sind, bildet die Prägarbe der holomorphen Funktionen eine Untergarbe der Prägarbe der beliebig oft reell-differenzierbaren -wertigen Funktionen.



Prägarben mit Strukturen

Die Prägarbe der holomorphen Funktionen auf einer riemannschen Fläche ergibt für jede offene Mengenicht nur eine Menge, sondern einen kommutativen Ring,da man ja holomorphe Funktionen, die auf der gleichen Menge definiert sind, miteinander addieren und multiplizieren kann(sieheLemma 3.4undLemma 3.9  (2)).Diese Eigenschaft wird durch die folgende Begriffe erfasst.


Definition  

EinePrägarbe auf einemtopologischen Raum heißtPrägarbe von Gruppen, wenn zu jeder offenen Mengedie Menge eineGruppeund zu jeder Inklusiondie Restriktionsabbildung

einGruppenhomomorphismusist.


Definition  

EinePrägarbe auf einemtopologischen Raum heißtPrägarbe von kommutativen Ringen, wenn zu jeder offenen Mengedie Menge einkommutativer Ringund zu jeder Inklusiondie Restriktionsabbildung

einRinghomomorphismusist.


Beispiel  

Zu einem topologischen Raum ist die Mengen der stetigen Abbildungen von in eine topologische Gruppe mit der natürlichen Verknüpfung selbst eine Gruppe. Die Einschränkung auf eine offene Teilmenge von ist dabei ein Gruppenhomomorphismus.Daher ist die Zuordnung

einePrägarbe von Gruppenauf .




Halme von Prägarben

Eine grundlegende Idee von Prägarben und Garben ist, lokale und globale Eigenschaften von geometrischen Objekten sinnvoll zu trennen und ihr Wechselspiel zu verstehen. Eine lokale Eigenschaft ist beispielsweise eine, die auf „kleinen“ offenen Mengen gilt. Oft möchte man aber kleine offene Mengen durch noch kleinere offene Mengen ersetzen, insbesondere, um das Verhalten in einer beliebig kleinen Umgebung eines Punktes verstehen zu können. Dafür führen wir die folgenden Konzepte ein.


Definition  

Zu einerPrägarbe auf einem topologischen Raum und einem Punktnennt man

denHalmder Prägarbe im Punkt .

Der Kolimes bedeutet hier einfach

Dabei ist auf der disjunkten Vereinigung aller Schnitte zu irgendwelchen offenen Umgebungen von diejenige Äquivalenzrelation, bei der und zueinander in Relation stehen, wenn es eine offene Umgebungderart gibt, dass

ist.

Insbesondere gibt es zu jedem Schnitt und jedem Punkt ein eindeutig definiertes Element,das der Keim von im Punkt heißt. Die Abbildung

heißt Restriktionsabbildung und wird mit bezeichnet. Zukommutiert das Diagramm

Wenn eine Prägarbe von Gruppen oder von Ringen ist, so übertragen sich diese Strukturen auf die Halme, diese sind also wieder Gruppen bzw. Ringe. Für die Garbe der holomorphen Funktionen auf einer riemannschen Fläche kann man die Halme einfach bestimmen.


Lemma  

Zu einem Punktauf einerriemannschen Fläche ist derHalm der Strukturgarbe derholomorphen Funktionen

isomorphzum Ring der konvergenten Potenzreihenin einer Variablen.

Beweis  

Zugibt es ein Kartengebietund eine Kartenabbildungmit.Diese induziert für jede offene Mengeeinen-Algebraisomorphismus

und diese kommutieren mit den Restriktionsabbildungen. Somit erhält man auch einen Isomorphismus zwischen dem Halm von in und dem Halm von in . Eine holomorphe Funktion, die in einer offenen Umgebung

definiert ist, besitzt eine Potenzreihenentwicklung im Punkt mit einem positiven Konvergenzradius. Umgekehrt definiert eine konvergente Potenzreihe innerhalb des Konvergenzradius eine holomorphe Funktion. Diese Korrespondenz ist bijektiv.



Homomorphismen von Prägarben

Definition  

Es seien und Prägarbenauf einem topologischen Raum . EinMorphismus von Prägarben

ist eine Familie von Abbildungen

für jede offene Mengederart, dass zu jeder offenen Inklusiondas Diagramm

kommutiert.


Definition  

Ein Morphismus von Prägarbenauf heißt Isomorphismus, wenn für jede offene Teilmengeeine Bijektionvorliegt.



Lemma

Es sei eintopologischer Raumund seien Prägarbenauf .

Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Die Identität

    ist einMorphismus von Prägarben.

  2. WennundMorphismen von Prägarben sind, so ist auch die Verknüpfung ein Morphismus von Prägarben.
  3. Zu einer Unterprägarbeist die natürliche Inklusion ein Morphismus von Prägraben.

Beweis

SieheAufgabe 10.8.



Lemma  

EinMorphismus von Prägarben

auf einem topologischen Raum

definiert für jeden Punkt eine Abbildung

zwischen den Halmen,die mit den Restriktionsabbildungenverträglich sind.

Das heißt, dass zu die Diagramme

kommutativ sind.

Beweis  

Es sei.Das bedeutet, dass es eine offene Umgebung, ,und einmitgibt. Wir setzen

an und müssen zeigen, dass dies wohldefiniert, also unabhängig vom gewählten Repräsentanten (und )ist. Seiein weiterer Repräsentant. Wegengibt es eine offene Umgebung

mit.Somit ist

und somit ist erst recht

Bemerkung  

Zu einerholomorphen Abbildungzwischen denriemannschen Flächen und und eineroffenen Mengeerhält man einen-Algebrahomomorphismus

Diese Familie von Abbildungen kommutieren mit den Restriktionen, man kann sie aber nicht unmittelbar als einMorphismus von Prägarbenauffassen, da die Prägarben auf unterschiedlichen Räumen leben. Es gibt mehrere Möglichkeiten, dies zu beheben. Man kann die Prägarbe nach transportieren, indem man dievorgeschobene Prägarbe einführt, die durch

festgelegt ist. Die eben beschriebenen Ringhomomorphismen ergeben dann direkt einen Prägarbenmorphismus

von Prägarben von kommutativen Ringen auf .

Zu einem Punkterhält man einen Ringhomomorphismus der Halme

wobei rechts der Kolimes über alle gemeinsamen offenen Umgebungen der Urbildpunkte von steht. Für einen einzelnen Urbildpunktgibt es Ringhomomorphismen

und

Letztere Abbildung ist eine Abbildung zwischendiskreten Bewertungsringen,die im Wesentlichen überSatz 2.1festgelegt ist, siehe auchAufgabe 10.9.



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