Kurs:Maß- und Integrationstheorie (Osnabrück 2022-2023)/Vorlesung 4
Es ist eine naheliegende Idee, den Flächeninhalt einer beliebigen Teilmenge als das Infimum über alle Summen von Rechtecksinhalten anzusetzen, die die Menge überdecken(oder überpflastern).So geht man auch beim Riemannschen Integral vor, wenn man Oberintegrale betrachtet. Mit diesem Ansatz kann man zwar jeder Teilmenge eine Zahl zuordnen, dies ist aber kein Maß. Wichtig sind vielmehr diejenigen Teilmengen, auf denen diese Festlegung zu einem Maß führt.
- Fortsetzung von äußeren Maßen
Definition
Es sei eine Menge und ein Präringauf . Dann heißt eineAbbildung
ein äußeres Maß auf , wenn folgende Bedingungen erfüllt sind.
- Für je zwei Mengen mit gilt.
- Für jedeabzählbare Familievon paarweise disjunktenTeilmengen, ,aus , für die ebenfalls zu gehört, gilt
Die sogenannte -Subadditivitätseigenschaft, die für ein äußeres Maß für disjunkte Vereinigungen gefordert wird, gilt auch für beliebige abzählbare Vereinigungen, sieheAufgabe 4.1.
Definition
Es sei eine Menge, ein Präringauf und
einäußeres Maßauf . Für eine beliebige Teilmenge definiert man
und nennt dies die Fortsetzung des äußeren Maßes .
Bei dieser Definition nimmt man also das Infimum über alle Überpflasterungen.
Lemma
Es sei eine Menge, ein Präringauf und
einäußeres Maßauf .
Dann ist dieFortsetzung desäußeren Maßes einäußeres Maßauf derPotenzmenge, das auf mit übereinstimmt.
Beweis
Es sei. Das Mengensystem ist natürlich eine Überpflasterung von , so dass in der Menge vorkommt, über die das Infimum genommen wird. Für jede Überpflasterung, ,von gilt und somit
so dass gilt.
Für beliebige Teilmengen gilt trivialerweise,da eine Überpflasterung von insbesondere eine Überpflasterung von ist.
Es sei nun, ,eine abzählbare Familie von Teilmengen von . Wir müssen nachweisen. Wenn der rechte Ausdruck gleich ist, so ist nichts zu zeigen. Wir können also voraussetzen, dass die rechte Familiesummierbarist. Die Summanden dieser Familie sind jeweils das Infimum über Summen, die jeweils zu Überpflasterungen gehören. Nehmen wir an, dass die linke Seite größer als die rechte Seite sei, wobei die Differenz größer alssei. Sei, ,so gewählt, dass ist; eine solche Familie gibt es aufgrund der Abzählbarkeit von , sieheAufgabe 9.24 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)).Zu jedemgibt es eine Überpflasterungmit einer abzählbaren Indexmenge , mit und mit
Die Menge ist als abzählbare Vereinigung abzählbarer Mengen wieder abzählbar. Wir betrachten nun die durch, , (mit)gegebene Überpflasterung von . Damit gelten unter Verwendung desgroßen Umordnungssatzesdie Abschätzungen
ein Widerspruch.
Es ist keineswegs so, dass die Fortsetzung eines Prämaßes auf der Potenzmengeein Maßliefert. Dies gilt allerdings auf der von dem Präring erzeugten -Algebra,was wir im Folgenden nach einigen Vorbereitungen beweisen werden. Zunächst führen wir den folgenden technischen Hilfsbegriff ein.
Definition
Es sei eine Menge, ein Präringauf ,
einäußeres Maßauf und dieFortsetzungvon auf diePotenzmenge. Man sagt, dass eine Teilmengedie Zerlegungseigenschaft besitzt, wenn für alledie Gleichheitgilt.
Eine Teilmenge besitzt also die Zerlegungseigenschaft, wenn man für jede Menge die Berechnung ihres äußeren Maßes auf die durch gegebene Zerlegung von zurückführen kann. Die schwächere Eigenschaftgilt für jede Teilmenge,sieheAufgabe 4.2.
Lemma
Es sei eine Menge, ein Präringauf ,
einäußeres Maßauf und dieFortsetzungvon auf diePotenzmenge. Dann gelten folgende Aussagen.
- DasMengensystemaller Teilmengen,die dieZerlegungseigenschaftbesitzen, bilden eine-Algebra.
- Die Einschränkung von auf diese -Algebra ist einMaß.
Beweis
(1). Sei
Offensichtlich gehört zu und dieses System ist abgeschlossen unter Komplementbildung. Bevor wir zeigen können, dass unter abzählbaren Vereinigungen abgeschlossen ist, zeigen wir, dass dies für endliche Vereinigungen gilt. Es seien also und aus und seieine beliebige Teilmenge. Dann ist
Damit ist auch unter endlichen Vereinigungen abgeschlossen und somit liegt insgesamt eineMengen-Algebravor.
Es sei nun, ,eine abzählbare Familie aus . Wir wissen, dass die Teilmengen zu gehören. Deren Vereinigung ist gleich der Vereinigung der , so dass wir annehmen können, dass die paarweise disjunkt sind. Wegen der Disjunktheit ergibt sich induktiv für eine beliebige Teilmenge
Daraus ergibt sich unter Verwendung der Zerlegungseigenschaft von und der Monotonie des äußeren Maßes die Abschätzung
Da dies für alle gilt, und da ein äußeres Maß vorliegt, folgt
Da die umgekehrte Abschätzung sowieso gilt, haben wir die gewünschte Gleichheit.
(2). Für paarweise disjunkte Mengen, ,aus ist, wie unter (1) bewiesen,
Da dies für alle gilt, folgt
Da auch die umgekehrte Abschätzung gilt, liegt Gleichheit vor.
Lemma
Es sei eine Menge, ein Präringauf ,
einPrämaßauf und dieFortsetzungvon auf diePotenzmenge.
Dann besitzen alle Mengen aus dieZerlegungseigenschaft.
Beweis
Es seiund.Es sei, ,eine abzählbare Überpflasterung von mit Mengen aus . Die Durchschnitte, ,bzw. , ,sind Überpflasterungen von bzw. von .Für jedes gilt, da ein Prämaß vorliegt. Daher ist
Da dies für alle Überpflasterungen gilt, folgt
Da auch die umgekehrte Abschätzung gilt, liegt Gleichheit vor.
- Existenzsätze für Maße
- Produkt-Messräume
In den nächsten Vorlesungen wollen wir Produkte von Maßräumen definieren und insbesondere auf dem ein Maß definieren.
Lemma
Beweis
Dies folgt direkt daraus, dass zu einer messbaren Teilmengedie Urbildmenge
ein Quader ist und daher nach Definition zu gehört.
Diese Aussage gilt natürlich auch für beliebige endliche Produkte. Man kann den Beweis von solchen Aussagen sehr häufig durch eine einfache Induktion auf den Fall von zwei Faktoren zurückführen, so dass wir uns zumeist auf diesen Fall beschränken werden.
Lemma
Es seien und Messräumeund einemessbare Teilmengedes Produktes.
Dann sind für jedes und jedes die Mengen
messbar in bzw. in .
Beweis
Wir zeigen, dass für jedes die Inklusionsabbildung
messbarist. Dazu genügt es nachLemma 1.16,die Urbilder von messbaren Mengen der Form zu betrachten. Für eine solche Menge gilt
und dies ist leer, falls und gleich , falls.So oder so ist sie also eine messbare Teilmenge.
Für eine beliebige Teilmenge ist daher
messbar.
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