Kurs:Körper- und Galoistheorie (Osnabrück 2018-2019)/Vorlesung 11



Zerfällungskörper

Wir wollen zu einem Polynom einen Körper konstruieren, über dem in Linearfaktoren zerfällt. Dies beruht auf einer recht einfachen Konstruktion. Zu jedem Körper kann man sogar einen Körperkonstruieren, der algebraisch abgeschlossen ist, was wir aber nicht ausführen werden. Eine erste Anwendung ist die Konstruktion und die Charakterisierung von endlichen Körpern.



Lemma  

Es sei ein Körperund ein Polynom aus .

Dann gibt es einen Erweiterungskörperderart, dass über in Linearfaktoren zerfällt.

Beweis  

Seidie Zerlegung in Primpolynome in , und sei nicht linear. Dann ist

eineKörpererweiterungvon nachSatz 7.6.Wegenin ist die Restklasse von in eine Nullstelle von . Daher giltin die Faktorisierung,wobei einen kleineren Grad als hat. Das Polynom hat also über mindestens einen Linearfaktor mehr als über . Induktive Anwendung von dieser Konstruktion liefert eine Kette von Erweiterungen ,die stationär wird, sobald in Linearfaktoren zerfällt.


Wenn quadratisch ist, so ist man nach einer einzigen Körpererweiterung fertig, da aus der Existenz einer Nullstelle direkt folgt, dass das Polynom in Linearfaktoren zerfällt. Aber schon ab Grad ist es eher eine Ausnahme, dass über das Polynom bereits in Linearfaktoren zerfällt, und dann muss man wie im Lemma beschrieben induktiv weitermachen.


Beispiel  

Das Polynom istirreduzibelnachAufgabe 3.17und definiert daher eine Körpererweiterung

vomGrad. Die Restklasse von in sei mit bezeichnet. Es gilt also

NachAufgabe 11.7sind auch die Elemente aus

und

Nullstellen der definierenden Gleichung und daher zerfällt das Polynom bereits über . Der Zerfällungskörperdes Polynoms ist also . Die numerischen Werte der Nullstellen des Polynoms sind ungefähr



Definition  

Es sei einKörper, ein Polynom undeineKörpererweiterung,über der in Linearfaktoren zerfällt. Es seien die Nullstellen von . Dann nennt man

einen Zerfällungskörper von .[1]

Es handelt sich hierbei wirklich um einen Körper, wie wir gleich sehen werden. Häufig beschränkt man sich auf Polynome vom Grad , bei konstanten Polynomen sehen wir einfach selbst als Zerfällungskörper an. Über dem Zerfällungskörper zerfällt das gegebene Polynom in Linearfaktoren, da er ja nach Definition alle Nullstellen enthält, mit denen alle beteiligten Linearfaktoren formuliert werden können.



Lemma

Es sei einKörper, einPolynomund derZerfällungskörpervon . Es seiein Zwischenkörper.

Dann ist auch ein Zerfällungskörper des Polynoms .

Beweis

Das ist trivial.



Lemma  

Es sei einKörper, einPolynomund derZerfällungskörpervon .

Dann ist eineendliche Körpererweiterung.

Beweis  

Es seieine Körpererweiterung, über der in Linearformen zerfällt und,wobei die Nullstellen von seien. Es liegt eine Kette von-Algebren

vor. Dabei ist sukzessive algebraischüber , da ja eine Nullstelle von ist. Daher sind die Inklusionen nachSatz 10.1endliche Körpererweiterungenund nachSatz 2.8ist dann die Gesamtkörpererweiterung ebenfalls endlich.



Satz  

Es sei einKörper und sei ein Polynom. Es seien und zweiZerfällungskörper von .

Dann gibt es einen -Algebraisomorphismus

Insbesondere gibt es bis auf Isomorphie nur einen Zerfällungskörper zu einem Polynom.

Beweis  

Wir beweisen die Aussage durch Induktion über denGrad. Wenn der Grad eins ist, so istund das Polynom zerfällt bereits über in Linearfaktoren. Dann gehören alle Nullstellen von in einem beliebigen Erweiterungskörperzu selbst. Also ist auch. Es sei nunund die Aussage sei für kleinere Grade bewiesen. Dann zerfällt über nicht in Linearfaktoren. Daher gibt es einen irreduziblen Faktor von mitund ist nachSatz 7.6und nachProposition 7.9eine Körpererweiterung von vom Grad . Da als Faktor von ebenfalls über und über in Linearfaktoren zerfällt, gibt es -Algebrahomomorphismen und .Diese sind injektiv, so dass sowohl von als auch von ein Unterkörper ist. NachLemma 11.3sind dann und Zerfällungskörper von.NachSatz 2.8ist

so dass wir auf die Induktionsvoraussetzung anwenden können. Es gibt also einen -Algebraisomorphismus

Dieser ist erst recht ein -Algebraisomorphismus.




Konstruktion endlicher Körper

Definition  

Es sei einkommutativer Ring,der einen Körperder positivenCharakteristikenthalte. Der Frobeniushomomorphismus ist der Ringhomomorphismus

Endliche Körper mit der Anzahl konstruiert man, indem man ein in irreduzibles Polynom vom Grad findet. Ob ein gegebenes Polynom irreduzibel ist, lässt sich dabei grundsätzlich in endlich vielen Schritten entscheiden, da es ja zu jedem Grad überhaupt nur endlich viele Polynome gibt, die als Teiler in Frage kommen können. Zur Konstruktion von einigen kleinen endlichen Körpern sieheAufgabe 9.22undAufgabe 11.24.Generell kann man einen Körper mitElementen als Zerfällungskörper des Polynoms über erhalten.



Lemma  

Es sei ein Körperder Charakteristik, sei,.Es sei

Dann ist ein Unterkörpervon .

Beweis  

Zunächst gilt für jedes Element,dass

ist, wobei wir wiederholtden kleinen Fermatbenutzt haben. Insbesondere ist also. Es istund der Frobeniushomomorphismus

ist ein RinghomomorphismusnachAufgabe 11.10.Daher ist für einerseits

und andererseits

Ferner gilt für, ,die Gleichheit

so dass auch das Inverse zu gehört und in der Tat ein Körper vorliegt.


Im Beweis der nächsten Aussage werden wir die Technik des formalen Ableitens verwenden. Ableiten ist eigentlich eine analytische Technik, und bekanntlich ist die Ableitung eines Monoms gleich , und die Ableitung eines Polynoms ergibt sich durch lineare Fortsetzung dieser Regel. Da der Exponent der Variablen zum Vorfaktor wird, und da man jede ganze Zahl in jedem Körper eindeutig interpretieren kann, ergeben solche Ableitungen auch rein algebraisch für jeden Grundkörper Sinn. Wir definieren daher.


Definition  

Es sei ein Körper und sei der Polynomring über . Zu einem Polynomheißt das Polynom

die formale Ableitung von .

Man beachte, dass, insbesondere bei positiver Charakteristik, das algebraische Ableiten einige überraschende Eigenschaften haben kann. In positiver Charakteristik ist beispielsweise

Für einige grundlegende Eigenschaften des Ableitens siehe die Aufgaben. Wichtig ist für uns, dass man mit der formalen Ableitung testen kann, ob die Nullstellen eines Polynoms einfach oder mehrfach sind

(eine Nullstelle heißt mehrfach, wenn das zugehörige lineare Polynom das Polynom mehrfach teilt, d.h. wenn es in der Primfaktorzerlegung mit einem Exponenten vorkommt).



Lemma  

Es sei ein KörperderCharakteristik ,sei, . Das Polynom zerfalle über in Linearfaktoren.

Dann ist

ein Unterkörper von mit Elementen.

Beweis  

Nach Lemma 11.8ist ein Unterkörper von , und nach Korollar 19.9 (Lineare Algebra (Osnabrück 2017-2018))besitzt er höchstens Elemente. Es ist also zu zeigen, dasskeine mehrfache Nullstellen hat. Dies folgt aber aus der formalen AbleitungundAufgabe 11.29.



Satz  

Es sei einePrimzahlund.

Dann gibt es bis auf Isomorphiegenau einenKörpermitElementen.

Beweis  

Zur Existenz. Wir wendenLemma 11.1auf den Grundkörper und das Polynom an und erhalten einen Körper derCharakteristik, über dem in Linearfaktoren zerfällt. Nach Lemma 11.10gibt es dann einen Unterkörper von , der aus genau Elementen besteht.

Zur Eindeutigkeit. Wir zeigen, dass ein Körper mit Elementen derZerfällungskörperdes Polynoms sein muss, so dass er aufgrund dieser Eigenschaft nachSatz 11.6eindeutig bestimmt ist. Sei also ein Körper mit Elementen, der dann alsPrimkörperenthält. Da genau Elemente besitzt, gilt nachKorollar 4.17die Gleichungfür jedes und damit auchfür jedes.Dieses Polynom vom Grad hat also in genau verschiedene Nullstellen, so dass es also über zerfällt. Zugleich ist der von allen Nullstellen erzeugte Unterkörper gleich , so dass der Zerfällungskörper ist.


Notation

Es sei eine Primzahlund. Der aufgrund von Satz 11.11bis auf Isomorphie eindeutig bestimmte endliche KörpermitElementen wird mit

bezeichnet.


Fürist.Dagegen sind für, ,die Ringe und verschieden, obwohl beide Ringe Elemente besitzen. Dies liegt einfach daran, dass ein Körper ist, aber nicht.



Fußnoten
  1. Der Sprachgebrauch ist nicht ganz einheitlich. Manche Autoren nennen jeden Körper, über dem das gegebene Polynom in Linearfaktoren zerfällt, einen Zerfällungskörper, und bezeichnen den von den Nullstellen erzeugten Zerfällungskörper als minimalen Zerfällungskörper.


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